Kapitel 3 - Stadtführung

Xenias p.o.v.

Ich konnte mich kaum mehr auf den Unterricht konzentrieren.
Die ganze Zeit musste ich an Kilian denken.
Ich kannte ihn erst seit heute und trotzdem wollte er mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.

Er schien so nett zu sein. Und irgendwie ....irgendwie fühlte ich mich so anders in seiner Gegenwart.
Auf eine gute Art und Weise anders.

Als wäre ich komplett. Ganz und gar ich selbst, wenn ich bei ihm war.
Das machte überhaupt keinen Sinn.
Ich war doch immer ich selbst, oder etwa nicht?

Verwirrt schüttelte ich meinen Kopf, als würde mir das dabei helfen, wieder klar denken zu können.
Doch die Gedanken an ihn ließen sich nicht so einfach abschütteln.

Wieder musste ich daran denken, dass wir uns heute treffen würden.
Bei dem Gedanken schlug mein Herz aufgeregt schneller.
Sollte ich einen Verschönerungszauber anwenden?
Ich gehörte nämlich zu der Sorte Mädchen, die zu faul war, um sich jeden Morgen zu schminken oder einen Zauber anzuwenden.

Andererseits...er hatte mich bereits ungeschminkt gesehen... vielleicht würde es ihn irritieren, wenn ich auf einmal viel hübscher war?
Oder noch schlimmer, er würde denken, ich hätte mich extra für ihn hübsch gemacht. So offensichtlich wollte ich nun auch nicht zeigen, wie sehr ich mir Gedanken um dieses Treffen machte.
Gott, wie ich das hasste.
Ich hatte nie zu den Mädchen gehören wollen, die sich Tausend Gedanken um ihr Aussehen machten nur wegen einem Jungen.
Ich hatte sie nie verstanden.

Bis jetzt.

Vorher war es mir egal gewesen, ob mich ein Junge ungeschminkt sah.
Mein Motto lautete immer: wer mich ungeschminkt nicht mag, hat mich geschminkt nicht verdient.

Aber jetzt?
Er hatte so geschockt ausgesehen, als er mich das erste Mal richtig gemustert hatte.
War ich ihm zu hässlich?
Was machte ich mir überhaupt Gedanken darüber?
Ich kannte ihn schließlich kaum!
Aber irgendwie wollte ich ihm gefallen...
Das musste an seinem Aussehen liegen. Er war schon extrem heiß.

Verdammt. Ich musste mich beruhigen.
Wenn ich mir jetzt schon so viele Gedanken darüber machte und so aufgeregt war, wie sollte das erst laufen, wenn ich mich heute mit ihm traf?
Am Ende würde ich noch keinen einzigen halbwegs normalen Satz formulieren können.

Wegen meiner derweiligen Unzurechnungsfähigkeit entschied ich schließlich auch, keinen Zauber anzuwenden.
Am Ende würde er noch schiefgehen, weil ich mit den Gedanken nicht bei der Sache war.
Zwar war solch ein Zauber wie das Einmaleins in Mathe, aber ich wollte kein Risiko eingehen.

Und außerdem sollte ich wegen so einem neuen Typen auch nicht einfach meine Prinzipien über Bord werfen.
Zu was für ein Mädchen würde mich das machen?
Er war schließlich nur ein Junge, den ich kaum kannte.

Der Unterricht flog nur so an mir vorbei, doch ich bekam kaum was mit.
Zwar schrieb ich alles von der Tafel ab, aber eher automatisch als bewusst.
Was der Lehrer sagte, ging mir zum einen Ohr hinein und zum anderen gleich hinaus.

Glücklicherweise schien das niemand zu bemerken und ich wurde auch nur selten aufgerufen.

Mit jeder vergangenen Stunde rückte meine Verabredung näher.
Und ich wurde immer nervöser.
Ich wusste nicht, was mit mir los war.
Schließlich war das nicht meine erste Verabredung.

Okay, es war vielleicht meine erste mit einem dermaßen heißen Typen, aber trotzdem.
Das war doch noch lange kein Grund, so nervös zu sein, oder?

Schließlich ertönte der letzte Gong. Es war soweit.
Nun würde ich mich mit Kilian treffen.

Verdammt. Einerseits würde ich am liebsten die Flucht ergreifen und wie ich es geplant hatte, in die Natur gehen und sie genießen, mich ein wenig beruhigen.
Andererseits...irgendetwas zog mich geradewegs zu Kilian. Ich wollte ihn wieder sehen.

Letztendlich konnte ich nicht anders. Ich ging zum Schulausgang.
Denn wenn ich vor einer lächerlichen Verabredung flüchtete, würde ich mir selbst nicht mehr in die Augen sehen können.
Und in Kilians auch nicht mehr.
Gott, ich würde mich danach total schämen. Vor allem, da ich sonst auch nicht so schüchtern war.

Draußen vor dem Schuleingang stand er.
Als er mich entdeckte, schenkte er mir eins seiner atemberaubenden Lächeln.
Das konnte doch einfach nicht real sein. Wer sah schon so heiß aus?

Schließlich waren wir hier nicht in Hollywood, sondern in einer stinklangweiligen Stadt in Deutschland.

Auf unsicheren Beinen lief ich auf ihn zu. Mein Herz schlug bei seinem Anblick schneller als sonst.
Verdammt. Ich musste was dagegen tun.
Das konnte doch nicht gesund sein.

"Hey.", begrüßte ich ihn schüchtern lächelnd.

"Hey, Xenia.", erwiderte er.
"Also, ich weiß ja nicht, wie's dir geht, aber ich hab Hunger. Du kennst nicht zufällig einen guten Dönerladen oder so?"

Unwillkürlich musste ich grinsen.
Döner klang gut. Oder in meinem Fall eher Yufka.
Und tatsächlich kannte ich einen sehr guten Laden, einen Geheimtipp sozusagen.

"Folgen Sie mir, edler Herr, ich werde Sie zu dem besten Dönerladen führen, den Sie finden können.", erklärte ich ihm mit einer übertriebenen Armbewegung, während ich mir ein Grinsen verkneifen musste.

Ein Funkeln trat in seine Augen, während er belustigt einen Mundwinkel nach oben zog.

"Sehr gerne, Mylady.", erwiderte er mit einer Verbeugung.

Da war es mit meiner Selbstbeherrschung vorbei und ich musste kichern.
Das hatte es wohl gebraucht, denn die ganze Nervosität von vorhin war auf einmal verschwunden.
Ich konnte kaum noch verstehen, warum ich so nervös gewesen war.
Irgendwie war es, als würde ich Kilian schon viel länger kennen, als es tatsächlich der Fall war.
Komisch. Aber bei manchen stimmte einfach die Chemie, oder etwa nicht?

Instinktiv griff ich nach seiner Hand und zog ihn hinter mir her.
"Es ist nicht besonders weit, komm."

Der Weg war nicht sonderlich lang, zu Fuß brauchte es aber dennoch eine gute Viertel- bis halbe Stunde.
Irgendwann hatte Kilian, den ich noch hinter mir hergezogen hatte - das Gefühl seiner warmen Hand war einfach zu schön, um sie loszulassen - seine Hand mit meiner verschränkt.
Ich hatte nicht darauf reagiert, so getan, als wäre das für mich ganz normal, dabei stob in meinem Magen ein ganzer Schwarm Schmetterlinge auf.
Gott, es ist nur eine Hand., versuchte ich mich selbst und das Kribbeln in meinem Magen zu beruhigen. Ein simples Händchenhalten.
War ja nicht so, als wäre das hier das erste Mal, dass ein Junge meine Hand hielt.
Also warum fühlte es sich bei Kilian nur so anders an? So Tausend Mal besser und aufregender?

Ich hoffte wirklich, dass Kilian nichts von dem Gefühlschaos in meinem Inneren mitbekam.
Es war mir peinlich, wie ich auf ihn reagierte.
Dabei meinte er es bestimmt freundschaftlich. Wieder erschien sein geschocktes Gesicht vor meinem inneren Auge.
Gott, er musste mich echt hässlich gefunden haben, so wie er ausgesehen hatte. Klar, er hätte mich auch wunderschön finden können und deswegen so aussehen können. Ich würde das auch gerne glauben, aber meine Unsicherheit war größer, besonders nach all den Stunden, in denen ich darüber hatte nachdenken können. Er musste mich hässlich finden, oder?

Keine Ahnung, warum er dann überhaupt mit mir die Stadt besichtigen wollte.
Ich meine, bei seinem Aussehen würde jedes Mädchen sich nur so auf die Gelegenheit stürzen, Zeit mit ihm zu verbringen.
Das musste er ja doch wissen, oder?
Wie auch immer, ich beschloss, es nicht zu hinterfragen, sondern einfach diese Zeit zusammen mit ihm zu genießen.

Auf dem Weg zu dem Dönerladen zeigte ich auf alle möglichen Gebäude und sagte etwas dazu.
Hauptsächlich einfach kompletten Unsinn, nur damit keine Stille zwischen uns eintreten konnte.
Dann würde ich nur noch wieder nervös werden. So lenkte ich mit meinem Geplapper nicht nur ihn, sondern auch mich selbst ab.
Keine Zeit für Nervosität also.

"In dieser Metzgerei haben mein Bruder und ich leider Hausverbot.", erklärte ich gerade gespielt seufzend.
Nicht, dass ich sonderlich traurig darüber wäre, ich war sowieso Vegetarierin. Kein Bedarf an Fleisch also.
Deswegen hatte ich es mir auch erlaubt, zusammen mit meinem großen Bruder Aramis diesen Scherz durchzuführen.

"Was habt ihr angestellt?", fragte Kilian neugierig.

Bei der Erinnerung musste ich grinsen. Klar, es war nicht nett gewesen, und im Nachhinein hatte ich mich sogleich entschuldigt, aber hey, bisschen Spaß war ja wohl auch erlaubt.

Ich zuckte nur lässig mit den Schultern und grinste Kilian mit einem schalkhaften Funkeln in den Augen an.

"Aramis und ich sind in die Metzgerei gegangen und haben gerufen: "Chef! Die toten Tiere von der Autobahn wie immer durch die Hintertür, oder?". Natürlich vor all den Kunden dort."

Einen Moment sah mich Kilian nur überrascht an und blinzelte.
Dann zogen sich seine Mundwinkel langsam nach oben und er stieß ein leises Lachen aus.
Es war ein ganz normales Lachen. Wirklich. Okay, es war irgendwie ziemlich anziehend und hörte sich sehr schön an.
Aber das rechtfertigte doch noch lange nicht, dass es den Wunsch in mir weckte, Kilian noch viel öfter zum Lachen zu bringen, oder?

Schließlich landete wieder Kilians Blick auf mir.
Seine so unglaublichen blauen Augen funkelten mich belustigt an.
Es freute mich, dass ich ihn zum Lachen gebracht hatte.
Freudig grinste ich ihn an.
Doch je länger wir uns ansahen, desto mehr schwand unser Lächeln und wir sahen uns nur noch intensiv in die Augen, ohne ein Wort. Die Luft zwischen uns schien vor Spannung nur so zu knistern.
Immer mehr versank ich in dem Blau seiner Augen.
Sie waren wie ein Meer, dessen Strömung mich fortreißen konnte, wenn ich nicht aufpasste.

Die Frage war, wollte ich aufpassen? Wollte ich mich gegen diese Strömung wehren, die mich zu ihm zog, auf den Grund dieses beängstigenden Meeres?
Wollte ich dagegen ankämpfen?

Oder wollte ich mich treiben lassen.... leichtsinnig und naiv in die Weiten dieses Meeres hinaustreiben lassen?
Frei und ohne Angst vor dem, was kommen würde?

Mein Herz sagte laut "Ja", schrie es geradezu, immer und immer wieder.
Doch das hatte es schon einmal getan. Und als ich auf es gehört hatte, hatte es mir das Herz gebrochen.
Mein Verstand dagegen wartete mit einer ganzen Argumentation auf, erklärte mir, warum ich es nicht tun sollte.

Und ganz ehrlich?
Ich hatte Angst. Angst vor dem, was mich in den Weiten dieses Meeres erwartete.

Auf was sollte ich hören?
Auf mein Herz oder meinen Verstand?
Ich wusste es nicht. Hatte keine Ahnung.

Doch das musste ich jetzt wohl noch nicht entscheiden.
Denn plötzlich unterbrach eine nur allzu bekannte Stimme diesen intensiven Blickkontakt zwischen Kilian und mir.
"Xenia!", rief er. Er, mit dem ich jetzt am wenigsten gerechnet hätte.

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