Kapitel 25 - Der lang ersehnte Moment

Kilians p.o.v.

Ich konnte nicht sagen, welches Gefühl stärker war, als ich Xenia vor mir sah:
Die Überraschung oder die heillose Erleichterung?
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mich so schnell aufsuchen würde. Hatte es gehofft, ja, aber nicht erwartet.
Doch nachdem ich einen Moment lang in ihrem Anblick, den wunderbaren braunen Rehaugen, den rosenroten Haaren, den feinen Gesichtszügen geschwelgt hatte, wandte sie sich auch schon ab und bat mich, ihr zu folgen.

Nun überkam mich leichte Nervosität. Wenn sie sich so schnell entschieden hatte...dann doch hoffentlich nicht voreilig, oder? Sie würde mich jetzt nicht ablehnen, oder? Ich biss die Zähne zusammen und setzte mich endlich in Bewegung, nachdem ich die Klassenzimmertür hinter mir geschlossen hatte.
Dass sie mich zum Sekretariat bringen sollte, hatte ich ihr keine Sekunde lang abgenommen. "Meine Familie" würde mich hier nicht anrufen. Da gab es unter uns Werwölfen bessere, effektivere Möglichkeiten. Deshalb war mir schon von Anfang an klar gewesen, dass sie allein wegen mir gekommen war. Um mir ihre Entscheidung mitzuteilen. Was sollte es sonst sein?

Und obwohl ich mir diesen Moment so sehr herbei gesehnt hatte, so oft vorgestellt hatte, wie es sein würde, fühlte ich jetzt Unsicherheit.
Was sollte ich tun, wenn sie mich wirklich nicht akzeptieren wollte?
Wenn sie es wirklich wollte, entschlossen war....dann würde ich ihr von der Ablehnung des Seelengefährten erzählen müssen.
Und das würde meinen Untergang bedeuten. Viel mehr noch: unser beider Untergang.
Und doch wäre es nur fair und richtig, ihr davon zu erzählen.
Aber in dieser Hinsicht konnte ich nicht sagen, ob ich es schaffte, richtig zu handeln.

Schließlich waren wir auf der Höhe zur Tür der Mädchentoilette. Und blieben stehen.
Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ich zu Xenia herunter. War das ihr Ernst?
Sie musste mir diese Frage vom Gesicht abgelesen haben, denn nun zuckte sie verlegen mit den Schultern, während ihr Gesicht diese wunderhübsche rote Farbe annahm, die vorhin noch nicht da gewesen war.

"Mir ist kein besserer Ort eingefallen. Oder hast du etwa Schiss, ins Mädchenklo zu gehen?"

Ihr zuerst verlegener Blick hatte sich nun gewandelt und herausfordernd blickte sie mich mit verschränkten Armen an.
Amüsiert hob ich die Mundwinkel an.
Als ob ich Schiss hätte. Wenn, dann hatte ich Schiss vor dem Gespräch, das wir gleich führen würden, doch das würde ich mir nicht anmerken lassen.

Stattdessen beugte ich mich leicht vor, sah ihr tief in die Augen und flüsterte:
"Ich habe vor nichts und niemandem Schiss."
Und dann ging ich an ihr vorbei und stieß die Tür zur Mädchentoilette auf.
Zum Glück konnte sie nicht hören, wie laut mein Herz pochte, konnte nicht wissen, wie viel Selbstbeherrschung es mich kostete, sie nicht anzurühren, nicht in den Arm zu nehmen, ihre Hand zu halten, mit ihrem Haar zu spielen....fuck, sie hatte ja keine Ahnung, wie viel Macht sie über mich hatte.
Und vielleicht war das auch ganz gut so. Zumindest, wenn sie sich nun falsch entschied.

Kurz überprüfte ich alle Kabinen, dann nickte ich Xenia zu, die die Tür hinter uns geschlossen hatte und mich... nervös anblickte.
Es war komisch, aber zu sehen, wie sie ihre Hände an der Jeans abwischte, wie ihr Gesicht blass wurde und zu hören, wie ihr Herz laut raste, das beruhigte mich irgendwie, und nahm etwas von meiner eigenen Nervosität.

Scheinbar lässig lehnte ich mich an die Wand vor den Kabinen, sodass uns ein knapper Meter trennte.
"Also?", fragte ich und versuchte, meinen Blick nur auf ihre Augen gerichtet zu halten. Alles andere lenkte mich zu sehr ab.
"Was gibt's?"

Doch da blitzte plötzlich ihre Zunge auf und befeuchtete ihre Lippen. Mein Vorhaben war vergessen, ich konnte einfach nicht anders, als dieser Bewegung mit dem Blick zu folgen. Und mir zu wünschen, dass...
Fuck.
Wieder presste ich die Zähne aufeinander und hob den Blick entschlossen zu ihren Augen.
Ich würde mich verdammt nochmal nicht ablenken lassen.

Zwar bemerkte ich, wie sich ihre Wangen wieder röteten, aber auch das versuchte, ich eisern zu ignorieren und den Umstand zu vergessen, wie süß es sie aussehen ließ.

"Ich hab nachgedacht", fing sie schließlich langsam und zögerlich an. Am liebsten würde ich sie drängen, schneller zu sprechen. Ich wollte am liebsten sofort ihre Entscheidung erfahren. Die Ungeduld war so stark, dass ich die Hände zu Fäusten ballte, um sie irgendwie zu ignorieren.
Sie war meine Mate, sie sollte alle Zeit der Welt haben, sich zu erklären.
Da würde ich es ja wohl noch schaffen, diese dummen Instinkte ein wenig zu verdrängen.

"Und na ja...", sie senkte den Blick und betrachtete die Bodenfliesen, als ständen dort die Worte wie auf einer Karteikarte.
Ich wollte es ihr einfacher machen, schließlich war sie offensichtlich nervös. Innerlich verfluchte ich mich, dass ich nicht bereits zuvor versucht hatte, ihr etwas davon zu nehmen.
Aber nein, vielmehr musste ich mich ja darauf konzentrieren, mit dieser Situation und der ungeheuren Ungeduld in mir klar zu kommen.

"Lass dir Zeit", meinte ich also jetzt sanft. "Schließlich haben wir eine ganze Unterrichtsstunde, bevor es hier bisschen eng werden könnte", versuchte ich zu witzeln.
Es gelang mir nicht besonders, aber Xenia ließ wenigstens ein kleines Lächeln aufblitzen und das war mir genug.

Dann holte sie tief Luft, schien sich zusammenreißen und sah mir entschlossen in die Augen.
"Ich habe beschlossen, uns eine Chance zu geben."

Alles in mir kam zum Stillstand. Es war, als hielte die Zeit an, während ihre Worte langsam bei mir ankamen. Zuerst verstand ich nichts. Doch nach und nach sickerte die Bedeutung jedes ihrer Worte zu mir durch.
Ich konnte kaum meinen Ohren trauen. Hatte Angst, dass ich mich verhört hatte. Hatte Angst, das Gefühl des sprudelnden Glücks zuzulassen,  das sich in mir ausbreiten wollte.
Keine Ahnung, was ich erwartet hatte. Tatsächlich war ich mir sehr unsicher gewesen, wie sie sich letztendlich entscheiden würde.
Ich musste es nochmal hören. Musste ganz sicher gehen, dass ich mich nicht verhört hatte.

"Sag das nochmal", bat ich sie daher mit seltsam atemloser Stimme.
Wieder befeuchtete sie ihre Lippen, doch ich bemerkte es kaum, starrte ihr gebannt in die Augen.
Sie versuchte sich an einem nervösen Lächeln.
"Ich will uns eine Chance geben, Kilian."
Ihre Worte waren wie Balsam für meine Seele. Wie süßester Honig auf der Zunge. Wie das Gefühl von Freiheit, das mich beim vollem Lauf im Wald überkam.

Ich will uns eine Chance geben, Kilian.

Ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich mich in Bewegung setzte, da war ich schon bei ihr an der Tür und zog sie mit einem Ruck an mich.
Die Stimme der Vernunft sagte mir, dass ich zu grob war, dass ich mich beherrschen sollte, auf sie aufpassen sollte, aber ich hörte sie kaum. Das Inferno meiner Gefühle übertönte alles.
Es war so viel, was ich fühlte. Überraschung, Erleichterung, Freude, Glück, Zuneigung, ....
Ich wurde von all dem geradezu überwältigt.
Sie überwältigte mich.

Den Kopf vergrub ich in ihren Haaren, atmete tief ihren Duft nach Frühling ein.
"Du willst uns wirklich eine Chance geben? Du änderst nicht plötzlich deine Meinung?", fragte ich mit zittriger Stimme nach. Ich musste es einfach nochmal hören. Betete, dass sie sich nicht plötzlich umentschied.
Ja, ich war gerade ein einziges Nervenbündel, was ich so gar nicht von mir kannte. Aber es stimmte, was ich Derya gestern gesagt hatte: allein Xenia hatte diese Macht über mich. Und komischerweise machte mir das gar nichts aus.

Ich spürte, wie Xenia nun sanft die Arme um mich schlang und die Umarmung erwiderte.
Sie schmiegte sich an mich, während sie leise flüsterte: "Ja, will ich. Und nein, werde ich nicht."
Ich meinte das Lächeln in ihrer Stimme zu hören.
Und auch auf meinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Zumindest hoffte ich das. Wahrscheinlicher war jedoch, dass ich wie der größte Idiot auf Erden grinste.
Aber ich konnte einfach nicht anders.

So standen wir eine Weile einfach nur da, schwelgten in der Nähe des anderen. Ich konnte mir gut vorstellen, so mein ganzes Leben zu verbringen. Einfach an ihr geschmiegt. Allerdings war das nicht das einzige, was ich wollte.
Nein, ich wollte noch so viel mehr.
Ich wollte mit ihr ins Kino gehen. Wollte ihr Popcorn kaufen. Wollte mit ihr händchenhaltend durch die Stadt laufen. Wollte sie zum Lachen bringen, sie lächeln sehen. Mit ihr den Sonnenuntergang betrachten. Zusammen mit ihr essen gehen. Sie küssen, wann ich wollte, egal wo wir waren. All diese Dinge, die Pärchen eben taten.

Aber nicht nur. Ich wollte ihr auch meine Heimat, den Wald zeigen. Wollte ihr all seine Schönheiten zeigen. Wollte ihr auch meine Wolfsgestalt zeigen. Mit ihr im Wald spazieren gehen. Mir als Wolf von ihr hinter den Ohren kraulen lassen.

Aber vor allem wollte ich eins: es langsam angehen lassen. Als wären wir nur zwei normale Menschen, die sich kennengelernt hatten.
Denn mir war bewusst, dass sie eine Hexe war, diese Seelenverbindung vielleicht noch nicht ganz in ihren Ausmaßen verstand.
Aber besonders wollte ich diese Chance nicht vergeigen. Ich würde mein Bestes geben, ihr zu beweisen, dass ich es wert war, dass wir es wert waren. Dabei würde ich mich nicht verstellen, denn davon hielt ich nichts.
Aber ich würde mit ihr das ganze Programm durchgehen. Sprich Dates. Einladungen zum Essen. Ich war entschlossen, mich von meiner besten Seite zu zeigen. Sie von mir zu überzeugen.
Diese Entschlossenheit brannte in mir wie ein Feuer. Sie hatte mir eine Chance gegeben. Und die würde ich nutzen. Sie würde es nicht bereuen.
Niemals.

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