Kapitel 24 - Zweifel
Xenias p.o.v.
Es war, als wäre es den Schmetterlingen in meinem Magen langweilig geworden. Anscheinend hatten sie über Nacht eine Völkerwanderung gemacht, um einen besseren Platz zu finden, wo sie mich quälen konnten.
Das Problem war, dass sie diesen Platz einfach nicht zu finden schienen. Nun kribbelte mein ganzer Körper vor Nervosität. Meine Hände waren schwitzig, weshalb ich kaum das Messer halten konnte, während ich mein Brot am Esstisch mit Marmelade bestrich.
Und fürs Zaubern fühlte ich mich viel zu....flattrig.
Diese Schmetterlinge in mir machten mich ganz verrückt.
Und warum das Ganze? Weil ich es heute tun würde. Ich würde Kilian meine Entscheidung mitteilen. Vorausgesetzt natürlich, ich kollabierte vorher nicht aufgrund von nervöser Flatterhaftigkeit.
Gott, wenn ich mich ab jetzt immer so fühlen würde, sollte ich das mit mir und Kilian vielleicht nochmal überlegen, Seelenverbindung hin oder her.
Das war doch nicht mehr normal.
Mit Max hatte ich mich nie so gefühlt. Da war alles ... einfacher gewesen.
Andererseits hatte es sich auch nie so einmalig angefühlt, wenn wir uns geküsst hatten.
Als könnte die Welt untergehen und ich würde es nicht merken. Als wären nur noch wir beide wichtig und das, was zwischen uns war. Als müsste ich geradezu bersten vor Gefühlen.
Genau so hatte es sich mit Kilian angefühlt.
Aber Max? Pustekuchen. So langsam fragte ich mich wirklich, was ich je in ihm hatte sehen können.
Neben Kilian wirkte er so ... fad. So blass. Öde.
Nicht gerade schmeichelhaft, aber genauso war es.
Tatsächlich würde ich nicht einmal einen Gedanken an ihn verschwenden, wenn ich mir nicht überlegte, wie es wäre, Kilian keine Chance zu geben.
Denn dann gäbe es wahrscheinlich nur noch solche Typen wie Max. Welche, die mich nicht so fühlen ließen.
Ich seufzte schwer. Leider vergaß ich, dass ich immer noch am Esstisch saß und meine Mutter gerade ihre Handtasche richtete, um gleich zur Arbeit aufzubrechen.
Sofort sah sie besorgt zu mir her.
"Was ist denn los, Xenia? Alles okay mit dir?"
Mist. Ich zuckte mit den Schultern.
"Alles gut", erwiderte ich, ohne aufzublicken. "Nur so müde, dass ich gar keinen Bock auf Schule habe."
Ich versuchte es wirklich. Versuchte mit aller Macht, es aufzuhalten. Aber da spürte ich schon die Wärme, die in meine Wangen kroch. Doppelter Mist.
Zum Glück sah meine Mutter gerade auf ihr Handy und meinte leicht abwesend:
"Tut mir leid, aber da musst du jetzt durch. Wer spät ins Bett kann, kann auch früh aufstehen. Und ich muss jetzt auch los, bis heute Abend!"
Mit einem Lächeln und Winken spazierte sie dann auch schon aus der Haustür, die sie hinter sich zuwarf.
Heute hatte ich nochmal Glück gehabt. Aber wie lange würde ich es schaffen, meine Familie anzuschwindeln?
Eigentlich hatte ich ja noch gar nicht richtig damit angefangen.
Ob es wohl irgendwie so eine Art Kurs gab? Oder ein Buch? Lügen für Dummies?
Nun, selbst wenn, wäre es wohl ein wenig auffällig, wenn ich so ein Buch ausversehen herumliegen hätte. Ich wollte nicht riskieren, dass es jemand fand.
Dann musste ich mich wohl einfach irgendwie darin schulen.
Vielleicht konnte Kilian mir ja helfen.
Und da waren meine Gedanken schon wieder bei ihm. Kilian.
Wie würde er wohl reagieren, wenn ich ihm von meiner Entscheidung mitteilte? Würde er mich küssen? Bei der bloßen Vorstellung, wieder seine wunderbaren Lippen auf den meinen zu spüren....
Verdammt, jetzt brannten meine Wangen ja richtiggehend. Wo war die Feuerwehr, wenn man sie mal brauchte?
Stöhnend fasste ich mir mit den Händen an die Wangen, um sie irgendwie zu kühlen.
Dabei huschte mein Blick zu der Uhr gegenüber an der Wand und ich erstarrte. Mist. Wenn ich es noch rechtzeitig schaffen wollte, musste ich mich jetzt aber wirklich beeilen.
Also stopfte ich mir kurzerhand nicht gerade damenhaft den Rest meines Marmeladenbrots in den Mund, rannte ins Bad, ging meine Routine im Schnelldurchlauf durch, preschte wieder nach unten, wo ich mir schnell meinen Rucksack hangelte und dann schon ab aus dem Haus.
Den Weg zur Schule nahm ich im Laufschritt. Dabei bemerkte ich, dass ich dringend an meiner Kondition arbeiten musste. Schon sehr bald hatte ich Seitenstechen und rang geradezu nach Luft. In diesem Moment wünschte ich mir wirklich, Kilian wäre hier und könnte mich wieder auf seinen Armen tragen.
Aber dem war leider nicht so. Und als wäre dieser kleine Morgensport nicht schon schlimm genug, musste mein Gehirn sich auch noch immer Szenarien ausdenken.
Wie konnte es sein, dass mein Körper mich nach Sauerstoff schnappen ließ, mein Hirn aber währenddessen auf Hochtouren arbeitete? Das war doch nicht fair.
Aber lange konnte ich mich nicht darüber aufregen, denn ich sah schon die Schule. Und meine Nervosität stieg wieder.
Während mein Hirn dabei angelangt war, irrsinnige Situationen vor meinem inneren Auge abzuspielen.
Wie ich nach Luft ringend vor Kilian anhielt, ihm japsend meine Entscheidung mitteilte.
Wie ich auf ihn drauf schlitterte, weil ich zu viel Schwung hatte und nicht schnell genug stoppen konnte.
Wie ich vor lauter Aufregung auf seine Schuhe kotzte.
Tatsächlich fühlte ich mich nun ein klein wenig übel....
Dabei war ich sonst doch nicht so eine scheue Person. Was machte Kilian nur mit mir? Und das, wo er ja gar nicht mal in der Nähe war.
Gerade bin ich vor der Schule angekommen und ließ meinen Blick über den Schulhof gleiten.
Na toll. Ich hätte früher herkommen sollen, um ihn noch vor der Schule abpassen zu können.
Aber was machte ich stattdessen? Verlor mich in meiner Nervosität und kam zu spät.
Wenn es nur einen Zeitreisezauber geben könnte...aber so mächtig, die Zeit zu beeinflussen, war niemand. Und es hatten viele versucht. Bisher waren jedoch alle daran gescheitert. Sie hätten sich mehr anstrengen sollen, dachte ich jetzt. Eine Zeitreise wäre mir ziemlich gelegen gekommen.
Denn wie sollte ich diesen Tag überstehen? Wann würde ich Kilian wieder sehen? Ich wusste es nicht. Und Derya meinte, er würde sich auf ihren Rat hin von mir fern halten.
Er war ein Werwolf. Er konnte mich schon lange vor mir wahrnehmen. Er war mir gegenüber deutlich im Vorteil.
Wobei....nein. Nein, war er eigentlich nicht. Denn ich hatte Magie. Aber welcher Zauber wäre der beste?
Schnell ging ich auf die Mädchentoilette und schloss gerade zu, als auch schon der Gong ertönte. Etwas in mir wollte in den Unterricht, drängte mich gerade dazu. Ich bin noch nie spät gekommen.
Aber was war mir wichtiger? Einmal zu spät kommen oder den ganzen Tag diese verdammte Nervosität aushalten müssen?
Ich traf wieder eine Entscheidung, diesmal in Sekundenschnelle. Und blieb auf dem Klo.
Kurz verschnaufte ich noch ein wenig und dachte nach. Ich musste ja nur Kilian finden und dann mit einer Ausrede aus seinem Klassenraum bekommen.
Tja. Einfacher gesagt als getan. Erstens war ich nicht gut im Lügen. Dagegen würde ich etwas tun müssen. Und zweitens, was für eine Ausrede? Ich war nicht gerade gut darin.
Scharf dachte ich nach. Aber der Unterricht fand gerade statt. Und je länger ich wartete, desto weniger Zeit hatte ich, mit Kilian zu reden und desto mehr, mich in meiner Nervosität zu verlieren und vielleicht doch einen Rückzieher zu machen....
Seufzend schloss ich die Augen und ließ die Stirn gegen die Kabinentür sinken.
Einen Moment verblieb ich so. Doch dann holte ich tief Luft.
Ich war Xenia, eine selbstbewusste weiße Hexe.
Ich würde mir doch nicht wegen eines stinknormalen Typen in die Hosen machen.
Okay, dieser Typ war vielleicht nicht gerade stinknormal.
Trotzdem.
Ich konnte das. Und mit neuem Mut machte ich die Tür auf, ging ans Waschbecken und wusste: da musste ich was machen.
Zum Glück war das mehr als einfach. Ich musste die Worte nicht einmal laut aussprechen. Stattdessen konzentrierte ich mich und fixierte meine Wangen, sodass sie eine gesunde Farbe bekamen. Dann waren meine verwirrten Haare dran, die sich nun wieder glätteten.
So. Jetzt noch Kilian finden.
Wieder schloss ich die Augen, konzentrierte mich wie letztes Mal, stellte mir Kilian in all seinen Facetten vor und....das Bild war viel schneller da, als ich erwartet hatte.
Er saß in einem Klassenzimmer, blickte gelangweilt auf die Tafel, während er mit dem Stift auf das Blockblatt klickte. Als wäre er ungeduldig. Ich schluckte und riss mich innerlich von seinem Anblick los. Stattdessen nahm ich seine Umgebung in Augenschein. Zwar sahen die meisten Klassenzimmer gleich aus, aber ich wusste die minimalen Unterschiede zu deuten.
Wie zum Beispiel diese Plakate dort, die Bilder von Afrika zeigten. Aha. Raum 213, ich komme.
Und ohne mir noch Gedanken zu machen, ging ich einfach los, denn letzten Endes hätte ich sonst noch gekniffen.
Die Gänge waren leer. Warum auch nicht? Alle waren im Unterricht. Na ja, alle außer mir.
Und doch war es ein komisches Gefühl, so ganz allein auf den Schulfluren zu sein. So....ungewohnt. Nun, ich wollte es mir ganz bestimmt nicht zur Gewohnheit machen.
Schließlich stand ich vor der Tür. 213. Mein Herz klopfte so laut, dass ich überzeugt war, Kilian musste es hören.
Ich schluckte schwer. Wusste er, dass ich direkt vor seiner Klassenzimmertür stand? War er gerade dabei, eine Ausrede zu erfinden, um zu mir zu gelangen? Oder hielt er sich an Deryas Rat? Wollte er...
Okay, okay, ich schob es nur auf.
Das hier brachte nichts. Ich musste da jetzt rein.
Also tat ich einen tiefen Atemzug, rieb meine schweißfeuchten Hände an meiner Jeans ab, starrte die Tür an und hob die Hand. Klopfte. Leise. Zu leise. Ich biss die Zähne zusammen und klopfte lauter.
"Ja?", fragte eine Männerstimme. Also fasste ich mir ein Herz und machte die Für auf.
Neben dem Pult, der direkt einsehbar war, stand Herr Hage.
Ich versuchte mich an einem Lächeln und hoffte, dass es nicht allzu zittrig ausfiel.
"Entschuldigen Sie die Störung, Herr Hage, das Sekretariat schickt mich. Ich soll Kilian holen. Es gibt einen Notfall in seiner Familie."
Keine Ahnung, wie ich diese Worte rausgebracht hatte. Meine Wangen brannten zwar, aber der Zauber hielt, das spürte ich. Äußerlich sah man mir nichts an, denn meine Wangen behielten ihre gesunde Farbe.
Und trotzdem entstand da eine steile Falte zwischen Herr Hages Augenbrauen. Mist. Ich hätte mir doch was Besseres ausdenken sollen. Aber was? Ich konnte so was einfach nicht.
"Und warum schickt das Sekretariat Sie, Xenia?", fragte er argwöhnisch.
Tja...gute Frage, nächste Frage. Das hatte ich nicht bedacht.
"Ich war gerade im Sekretariat, als der Anruf reinkam", erwiderte ich und hoffte, dass er es mir abkaufte.
Bitte, bitte, bitte, betete ich im Inneren.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Herr Hage mich abschätzend gemustert hatte, brummte er schließlich unwillig. Dann wandte er sich an seine Schüler.
"Kilian, Sie haben gehört. Lassen sie sich von Xenia bitte ins Sekretariat begleiten."
Kaum hatte er fertig gesprochen, rutschte schon ein Stuhl über den Boden und ich hörte Schritte auf mich zu kommen.
Oh Mann. Wieder fing mein Herz an, schneller zu schlagen. Gleich würde er vor mir stehen. Gleich würde ich es ihm sagen, gleich...
Da tauchte er schon auf, und sein Anblick ließ mein Herz einen Sprung machen. Seine unvergleichlichen blauen Augen blickten in meine und ein zögerliches Lächeln erblühte auf seinem Gesicht, als wäre er sich noch nicht ganz sicher, ob es angemessen wäre.
Seine dunklen Haare waren wunderbar verwuschelt und weckten den Drang in mir, mit den Händen durchzufahren...ich wandte mich mit roten Wangen ab und murmelte:
"Bitte folge mir."
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