Kapitel 23 - The decision

Xenias p.o.v.

Ich hasste die Liebe. Oder was auch immer das zwischen Kilian und mir war.

Aufrichtig und ehrlich hasste ich es.

Mit allen Vieren von mir gestreckt lag ich auf meinem Bett und starrte blicklos an die Decke, während die Gedanken wild in mir sprudelten, als wären statt ihnen Mentos und Cola in meinem Kopf gemischt worden.

Und nope, das war kein angenehmes Gefühl. Mein Kopf dröhnte geradezu und gerade huschte ein anderer Gedanke in mir vorbei, der sich fragte, ob man an zu vielen und zu schnellen Gedanken sterben konnte.
Ich sah die Schlagzeile schon vor mir:

Hirntod aufgrund zu vieler Gedanken

Am Mittwochabend, um circa 20:18 hat man die junge Hexe Xenia (17) tot in ihrem Bett aufgefunden.
Offenbar war Hirntod die Todesursache, ausgelöst durch zu viele Gedanken an den jungen Werwolf Kilian (ebenfalls 17, dazu überaus sexy und so unwiderstehlich wie...(an dieser Stelle bitte das Unwiderstehlichste in ihrem ganzen Leben hinzufügen, in Ermangelung eines allgemeingültigen passenden Wortes).
Urplötzlich ist er in ihrem Leben aufgetaucht und hat Chaos in ihrem Herzen und Kopf hinterlassen: sollte sie es mit ihm versuchen?, war die Frage, die sie tagein tagaus beschäftigte. Tausend Ratschläge und nur eine mögliche Entscheidung.
Die junge Hexe fühlte sich offenbar überfordert.
Man habe es ihr angemerkt, aber nicht weiter nachgebohrt.
"Sie hat kaum was gegessen", meint die Mutter der jungen Xenia mit tränenüberströmten Gesicht. "Wir haben sie gefragt, was los sei, aber es war nicht aus ihr herauszubekommen. Wir haben zu schnell aufgegeben. Hätten wir doch nur gewusst..." Ein Schluchzer unterbrach sie, und...

Stöhnend drehte ich mich auf den Bauch und vergrub den Kopf im Kissen.
Jetzt hatte ich nicht nur vom Konflikt getriebene Gedanken, nein, sondern auch noch solche Schrottgedanken, die sich meinen vorzeitigen Tod und einen passenden Zeitungsartikel ausdachten, der so allerdings nie gedruckt werden könnte.
Da machte ich mir keine Illusionen über meine journalistischen Kompetenzen.

Andererseits...bei dem Chaos in meinem Kopf wäre ein Hirntod gar nicht so unrealistisch, oder? Aber Tod aufgrund zu verzwickter Liebe würde wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Okay, vertieften wir dieses Thema einfach nicht mehr.
Ich musste mir endlich ein wenig Ordnung in meinem Kopf schaffen. Schade, dass es dafür keinen Zauber gab. Zumindest keinen Zauber, den ich beherrschte. Und selbst wenn war es in Kopfsachen sehr risikoreich, sodass man es sowieso unterlassen sollte.

Schließlich rollte ich mich aus dem Bett, fiel dumpf auf den Boden, richtete mich ein wenig auf, langte nach meinem Schreibtisch, der glücklicherweise gleich in der Nähe des Bettes stand und zog ein Blatt Papier herunter. Ein Kuli fiel glücklicherweise gleich mit. Perfekt.
Okay, ich weiß, das hier war schwachsinnig, schließlich hinderte mich mein Kopftohuwabohu nicht an normalem Aufstehen und Blattholens.

Andererseits schien das mein Herz schon zu übernehmen. Seit ich Kilian gesehen hatte, schmerzte es so sehr vor Sehnsucht, dass ich bereits erwogen hatte, es mit einem Schockzauber lahmzulegen.
Allerdings war mir davor noch rechtzeitig bewusst geworden, dass mein Herz ja auch noch andere Dinge tat, als mich mit dummen Gefühlen zu quälen, wie mich zum Beispiel am Leben zu halten. Also hatte ich es unterlassen.

Jetzt wuchtete ich mich wieder aufs Bett, lehnte mich an die Kopflehne, mit meinem Blatt Papier und dem Kuli bewaffnet. Dann starrte ich aufs Papier.
Und starrte.
Und starrte.
Wunder oh Wunder, es füllte sich nicht mit Worten, da erschien kein mach dies.
Oh Mann, in diesem Zustand nervte ich ja mich selbst unglaublich. Angewidert verzog ich den Mund.
Diesen dummen Zustand musste ich schnellstmöglich beenden, das hieß: es musste schnellstmöglich eine Entscheidung her.
Aber eine gute bitte.
Am besten die richtige.

Also machte ich es, wie es uns in der Schule beigebracht wurde:
Eine pro und contra Liste, als müsste ich gleich eine Erörterung schreiben.
Schien, als wäre die Schule ja doch mal nützlich im richtigen Leben.
Andererseits würde ich keine Erörterung ausschreiben, sondern nur Stichpunkte notieren.
Und auf diese Idee wäre ich auch bestimmt ohne die Schule gekommen.
Also war sie wohl doch ziemlich nutzlos.

Okay, was waren das wieder für Gedanken? Eigentlich war ich gar nicht so negativ, was Schule betraf.
Da hatten wir es mal wieder.
Alles nur wegen dieser scheiß scheiß Liebe.
Wobei ich ja nicht einmal wusste, ob das überhaupt das richtige Wort war.
Andererseits, gab es das "richtige Wort"? Denn ich würde ganz bestimmt nicht "Seelenverbindung" in den Mund nehmen, auch nicht gedanklich.
Das war ein Ding für Werwölfe, und ich war mir immer noch nicht ganz sicher, ob ich es richtig verstanden bzw. begriffen hatte.

Schließlich hatte ich eine Tabelle gemacht:
Chance geben
Keine Chance geben

Und dann versuchte ich die Geschwindigkeit der Gedanken in meinem dröhnenden Kopf zu verlangsamen und sie aufzuschreiben. Dabei fiel mir ein, dass ich in meiner Kindheit mal ein Buch gelesen hatte, wo im Kopf der Protagonistin ein Männchen saß, das die Gedanken vorlesen konnte, die sogar fast schon vergessen waren.
Dieses Männchen konnte ich jetzt ganz gut gebrauchen. Schade, dass es das nicht gab.
So musste ich es auf die altmodische Art und Weise tun.

Also schrieb ich. Knabberte nachdenklich an meiner Unterlippe, weil ich wieder überlegte und mich in der Zerrissenheit meines Herzens vergrub.
Dann schrieb ich wieder. Und schrieb.
Keine Ahnung, wie viel Zeit letztlich vergangen ist, ich sah nicht auf die Uhr, zu sehr war ich von diesem Problem namens Kilian eingenommen. Wobei es wahrscheinlich beleidigend wäre, ihn ein Problem zu nennen. Er war mein Seelengefährte. Obwohl ich immer noch nicht Recht wusste, was ich damit anfangen sollte.
Aber als Problem sollte ich ihn wohl nicht bezeichnen.
Erst dann fiel mir auf, was ich hier tat. Ich beschützte ihn quasi vor einer falschen Bezeichnung. Oh Mann. Wie weit war es nur mit mir gekommen.
Frustriert ließ ich den Kopf in den Nacken fallen.

Dann konzentrierte ich mich wieder auf die Liste. Sie war bereits ziemlich gefüllt.

Chance geben:
- Seelengefährte
- kann sich vllt zu toller Liebe entwickeln
- scheint nett zu sein
- mag den Wald, also vllt Naturliebhaber wie ich
- könnte mir Max vom Hals halten
- Liebe scheint zu funktionieren, wenn Derya die Wahrheit sagt
- kann mega schnell rennen und mich dabei tragen
- kann sich in einen flauschigen Wolf verwandeln, vorausgesetzt er frisst mich nicht und ein Wolf aus der Nähe wäre schon iwi cool
- vllt rette ich ihm das Leben oder erleichtere es ihm
- vllt weniger Chaos im Kopf und weniger Herzschmerz
- eventuell sonst keine andere liebe mehr

Keine Chance geben:
- Heimlichtuerei
- gefährlich für ihn und vllt für mich
- Verrat an Art
- Verrat an Familie
-

Hm. Wie ich so auf diese Tabelle schaute, fiel mir etwas auf. Irgendwie gab es mehr Stichpunkte bei "Chance geben" als bei "keine Chance geben".
Für einen Moment fragte ich mich, ob mein Herz gerade versuchte mich selbst zu manipulieren oder ob mir wirklich nicht mehr bei der Contra-Seite einfiel.
Dann schüttelte ich den Kopf. Wie sollte ich mich selbst manipulieren? Das war verrückt. Ich war verrückt.
Kilian machte mich verrückt. Aaarrgh!

Schließlich atmete ich tief durch. Okay, das Ergebnis war klar. Allerdings müsste ich laut Deutschunterricht jetzt noch die Argumente gewichten.
Aber Mann, ich wusste genau, was ich hier tat. Trotz allem, was Derya gesagt hatte, hatte ich Schiss. Und zwar gewaltigen Schiss.
Etwas in mir wusste, dass das mit Kilian anders sein würde, anders als das mit Max. Es würde bedeutend sein, besonders. Und gefährlich. Denn was, wenn uns jemand erwischte? Wenn Kilian....ich durfte gar nicht daran denken. Wenn Kilian etwas zustieß, würde es mich mit sich in den Abgrund reißen.
Das fühlte ich.
Mein Herz wusste es.
Meine verdammte Seele wusste es.

Andererseits....was, wenn ich kein Risiko einging? Deryas Worte fielen mir wieder ein.
Willst du dir selbst die Liebe verwehren?
Wer wollte das schon? Liebe....so ein mächtiges Wort. Mächtig. Es konnte dich ganz machen, dich heilen oder dich zerstören, in tausend einzige Splitter sprengen.
Ich wusste nicht, was kommen würde.
Ich würde etwas riskieren müssen.
Und ich war noch nie gut im Risikospiel gewesen.

Aber das gehört eben zum Leben dazu, das Risiko.
Und ich konnte mutig sein. Es waren meine Gefühle. Sie mochten noch so dumm und irrational sein, es waren meine Gefühle und ich wollte sie nicht ignorieren.
Ich konnte mutig sein und sei es eben nur, wenn Kilian an meiner Seite war. Denn irgendwie hatte ich das Gefühl, mit ihm alles erreichen zu können.
Vielleicht meinte das dieser Spruch, dass Liebe blind mache, auch. Vielleicht war es nicht nur Blindheit gegenüber des Aussehens, wie ich immer gedacht hatte, sondern auch was die eigene Selbsteinschätzung anbelangte.

Ach, ich wusste es nicht. Und ich hatte keinen Bock mehr auf dieses Chaos, auf die vielen "Was wäre, wenn's."
Gut, ich würde es tun.
Die Stichpunkte sprachen für Kilian.
Meine verdammten Gefühle sprachen für ihn.
Derya, eine halbe Hexe, sprach für ihn.
Und ja, wenn ich ganz tief in mich hineinsah, würde mir vielleicht auffallen, dass das keine Entscheidung war, die ich bewusst fällen konnte. Diese Entscheidung war nämlich schon von Anfang an besiegelt gewesen, als ich Kilian das erste Mal gesehen und noch von nichts gewusst hatte.

Ich konnte nicht leugnen, dass ich schon in diesem Augenblick eine gewisse Verbindung zu ihm gespürt hatte. Es war nicht nur bloße Anziehung gewesen.
Das war mehr gewesen.
Und ich nur zu blind, um es zu erkennen.

Diese Erkenntnis machte mir Angst.
Bewegungslos und mit starrem Blick saß ich auf dem Bett, der Blick ging ins Leere.
Ich hatte Angst. Aber so was das nun einmal im Leben.
Man hatte Angst und doch machte man weiter. Denn die Welt hörte deswegen nicht auf, sich zu drehen. Man musste Entscheidungen treffen, ob man wollte oder nicht.
Ob man die Angst siegen ließ oder den Mut....das war die Sache eines jeden.
Aber wer wäre ich, meine Angst siegen zu lassen?

Nein, ich wollte das Leben wählen und zwar in vollen Zügen.
Ich wollte die Liebe wählen, mit all ihren Konsequenzen.
Dann würden wir eben aufpassen.
Unser Bestes geben.
Und wenn das nicht genug war...nun, dann hätten wir wenigstens eine schöne Zeit gehabt. Und würden nichts bereuen.
Langsam begann ich zu nicken.
Dann sagte ich leise:
"Ja."
Als müsste ich es selbst ausgesprochen hören.
"Ja, ich geb uns eine Chance."

Plötzlich klopfte es an der Tür. Erschrocken hob ich den Kopf, als sich diese bereits öffnete. Wie von selbst griff meine Hand nach dem Blatt Papier und versteckte es gerade noch rechtzeitig unter der Bettdecke, als die Tür auch schon offen war und mein Bruder Aramis sich an den Türrahmen lehnte und mich leicht besorgt betrachtete.

"Hey, was ist los?", fragte ich und hoffte, dass man mir nichts ansah. Wobei ich gar nicht wusste, was man mir alles ansehen könnte. Dass ich etwas versteckt hatte? Dass ich entschieden hatte, einem Werwolf eine Chance zu geben? Dass ich dabei war, meine Art und meine ganze Familie zu verraten?
Gott, ich wusste schon jetzt, dass das alles ungeheuer schwierig für mich werden würde.

"Das Gleiche wollte ich dich auch gerade fragen", meinte Aramis.
"Du hast gar nichts gegessen heute und nur lustlos vor dich hin gestarrt. Was ist passiert?"

Würde es etwa jetzt schon anfangen? Würde ich mir jetzt schon Lügen ausdenken müssen? Gott, im Belügen anderer war ich noch schlechter als darin, mich selbst zu belügen.
Also versuchte ich es mit einem Stück Wahrheit. Sagte man nicht, die besten Lügen seien die mit einem Stück Wahrheit darin?

Also seufzte ich tief und murmelte:
"Es geht um einen Jungen."
Ich hielt den Blick gesenkt und als sich mein Gesicht erwärmte, hoffte ich, dass mein Bruder es so interpretieren würde, dass ich nicht über Jungs mit ihm reden wollte.
Ich war echt keine geborene Lügnerin. Das hatte sich in all den Jahren nicht geändert.

Ich hörte, wie Aramis sich abrupt aufrichtete, änderte meine Haltung aber nicht.

"Hat er dir wehgetan?", fragte Aramis beinahe schon trügerisch ruhig.
Das hätte ich kommen sehen sollen. Mein Bruder war sehr beschützend, was mich und andere Jungs anbelangte. Ich hatte ihn davon abhalten müssen, Max eine reinzuhauen, als er erfahren hatte, warum ich mit ihm Schluss gemacht hatte.
Dabei war Aramis gar kein Schläger und mied normalerweise Prügeleien.

Also ließ ich mir schnell was einfallen, was Kilian nicht in ein schlechtes Licht stellte. Keine Ahnung, warum ich mir überhaupt die Mühe machte, Aramis war gar nicht mehr auf meiner Schule, sondern machte eine Ausbildung.
Er würde Kilian nie zu Gesicht bekommen.
Und doch sagte ich:

"Nein, hat er nicht. Es ist nur...er ist mega heiß. Und obwohl er nicht so wie Max zu sein scheint, hab ich Angst, dass er mich auch betrügen wird."

Ich hoffte, für ihn ergab mein Geschwafel Sinn.
Da er nichts sagte, blickte ich schließlich auf.
Er sah mich nachdenklich an.

Dann zuckte er mit den Achseln.
"Nicht jeder ist so ein Arschloch wie Max, nur weil er gut aussieht. Du kannst ja mal gucken, wie er charakterlich ist."

Ich dachte kurz nach, dann nickte ich und lächelte ihn schließlich an.

"Danke, Bruderherz."

Er lächelte mir zu.
"Immer doch, Schwesterherz. Und jetzt schlaf gut."

"Gute Nacht", wünschte ich ihm, dann ging er aus dem Zimmer und machte die Tür hinter sich zu.

Ich wartete noch eine Weile, dann holte ich leise die Liste unter meiner Bettdecke hervor, schloss die Augen, murmelte ein paar Worte und blickte schließlich nur noch auf ein weißes Blatt Papier in meiner Hand. Ich reckte mich, legte es auf den Schreibtisch zurück und legte mich schlafen.

Die Worte mochten auf dem Blatt Papier gelöscht sein, aber sie waren nicht verloren.
Nein, sie existierten noch in mir.
Besonders zwei kleine und doch so bedeutende Worte:

Chance geben.

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