Kapitel 17 - Derya
Gewidmet an Weltenwandlerin2019❤️😉
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Kilians p.o.v.
Es dauerte seine Zeit, bis ich mich vom Waldrand abwenden konnte, obwohl ich Xenia schon lange nicht mehr sah.
Sie hatte nicht zurückgeblickt. Kein einziges Mal. Aber vielleicht war das auch besser so. Wie hätte sie reagiert, wenn sie mich mit geballten Fäusten erblickt hätte, angespannt, weil ich sie kaum gehen lassen konnte?
Am Ende hätte sie es noch missverstanden und alles wäre ruiniert gewesen, sie hätte mir keine Chance mehr gegeben.
Dabei war alles, was ich wollte, diese eine Chance. Und wer weiß, vielleicht würde ich die ja bekommen?
Denn sie hatte mich gesucht. Noch immer war es so unglaublich, dass sie gekommen war. Da hatte ich mich auf den Weg gemacht, hatte schon akzeptiert, sie lange Zeit nie wieder zu sehen und dann....dann tauchte sie selbst auf und mein Plan zersprang in tausend Stücke. Ich hatte allerdings nichts dagegen.
Wahrscheinlich hätte ich ihn sowieso nicht lange durchziehen können, das ist mir nun klar geworden.
Aber dass sie gekommen war, wenn auch aus anderer Absicht....ich dankte der Mondgöttin dafür.
Doch jetzt musste ich erst einmal weg. Schnell verwandelte ich mich in meinen Wolf, lauschte und rannte zu der Stelle, wo ich meinen Rucksack abgelegt hatte, als mir bewusst worden war, dass man mich verfolgte.
Ich nahm ihn ins Maul und rannte dann nach Hause, auf leisen Pfoten mit gespitzten Ohren und schnuppernder Schnauze.
Doch von dem Hexer war keine Spur mehr. Glück für mich.
Hofften wir nur, dass mir dieses Glück auch weiterhin hold sein würde.
Wenige Meter vor dem Waldrand verwandelte ich mich zurück und ging dann weiter Richtung nach Hause. Was die anderen wohl denken würden?
Sonja würde sich zweifellos freuen, die anderen nicht minder. Doch eine Chance für mich und Xenia bedeutete auch Gefahr für mein Rudel. Vielleicht sollte ich ausziehen, zu ihrer eigenen Sicherheit. Auch wenn es schmerzen würde, denn wir Werwölfe waren nun mal Rudeltiere. Wir waren nicht für ein Leben allein geschaffen.
Ich war nur noch wenige Meter vom Haus entfernt, als ich plötzlich Schritte hörte.
Sofort wirbelte ich herum, suchte die Straße hinter mir mit den Augen ab, ließ den Blick an den Häusern und Gärten entlangwandern...
Dort. Dort in den Schatten dieses Apfelbaums...
Jemand schritt hervor, langsam und bedächtig. Ich spannte mich an.
Es war zwar dunkel und die Gestalt war nicht gerade nah, aber für einen Werwolf war das kein Problem.
Nachdenklich runzelte ich die Stirn. Es war eine rundliche Frau, schon etwas älter, mit langem von grauen Strähnen schwarz durchzogenem Haar.
Ihr Teint war dunkel und ihr Gesicht von Falten überzogen, doch ihr Gang noch geschmeidig, wie der eines Wolfs.
Ich atmete tief ein. Aber sie war noch zu weit entfernt und der Wind spielte gegen mich, als dass ich ihre Art hätte bestimmen können. Also wartete ich ab.
Schließlich hielt sie nur noch wenige Meter vor mir an und ich musste auf sie hinunterblicken, da sie kleiner war als ich. Sofort bemerkte ich, dass sie eine Werwölfin war. Allerdings war da etwas an ihr....es war, als roch sie nach Mondlicht... eigentlich unmöglich und doch...
"Kilian.", sprach sie schließlich und ihre Stimme war die einer alten Frau, aber auch irgendwie jung, was eigentlich nicht sein konnte...
Erst da fiel mir auf dass sie meinen Namen genannt hatte.
"Wer bist du und woher kennst du meinen Namen?", fragte ich sie mit deutlichem Misstrauen in der Stimme.
Aber sie lächelte mich nur an, wobei sich die Krähenfüße an ihren Augen vertieften.
"Ich bin Derya. Und ich kenne deinen Namen, weil ich wegen dir hier her gekommen bin."
Meine Augenbrauen schnellten in die Höhe. Wegen mir hergekommen? Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen. Ihr Name sagte mir nichts. Was spielte sie hier für ein Spiel?
"Ah, ich sehe, du hast noch nichts von mir gehört.", sagte sie leise mit ihrer dunklen und leicht rauen Stimme.
"Nun denn, dann hoffe ich, man hat dir wenigstens von meiner Art erzählt. Weißt du über die Seherinnen der Mondgöttin bescheid, mein Junge?"
Alles in mir wurde still und prüfend wanderte mein Blick über sie. Natürlich hatte ich von den Seherinnen, oder auch vates, wie sie genannt wurden, gehört.
Jeder Werwolf hatte von ihnen gehört.
Aber diese Frau vor mir...sollte sie wirklich eine von ihnen sein?
Ihre Augen von der Farbe von Kaffeebohnen veränderten sich plötzlich. Die Pupille begann langsam zu strahlen, als würde sich das Schwarz aufhellen und nur wenige Sekunden später war ihre Pupille fast vollständig weiß. Aber nur fast. Denn dieses Licht, diese Farbe und diese kleinen Kleckse in der Pupille, die gräulicher waren.... plötzlich wusste ich, an was mich das erinnerte. Ihre Pupille sah genauso aus wie der Vollmond.
Verblüfft starrte ich sie an, doch damit war ihre Verwandlung noch nicht zu Ende. Ihre Iriden begannen plötzlich ebenfalls zu leuchten und dann war es, als schwämme flüssiges Silber in ihnen. Ein atemberaubender Anblick. Unnatürlich, sogar ein wenig gruselig. Aber atemberaubend.
Und er lieferte den Beweis für ihre Worte. Nur eine Art von Werwölfen konnte dies vollbringen. Und das waren die Seherinnen.
Ich nickte ihr zu, mit plötzlich trockener Kehle.
"Okay,", ich räusperte mich leicht. "ich hab verstanden. Du kannst wieder...äh... normal werden."
Diese Augen waren echt ziemlich unheimlich. Sie lächelte und dann waren ihre Augen wieder dunkelbraun, wie Kaffebohnen.
"Warum bist du hier?", fragte ich sie mit mulmigem Gefühl im Magen. Wenn eine Seherin auftauchte, hatte das meist etwas zu bedeuten. Denn sie waren Dienerinnen der Mondgöttin, sie gingen dorthin, wohin auch immer ihre Herrin sie schickte. Dort, wo ihre Hilfe benötigt wurde. Und sie sagte, sie wäre wegen mir gekommen...
"Luna erzählte mir von einem Jungen, tragisches Schicksal und Rachedurst im Herzen. Er wird seine Mate finden, sagte sie mir. Aber die Mate...ach ja, eine Hexe, eine Feindin unserer Art und besonders der dieses Jungen. Noch bevor Luna mich um Hilfe bat, wusste ich, was ich zu tun hatte: diesem Paar helfen. Denn beide brauchen einander, um dem die Stirn zu bieten, was kommen wird. So machte ich mich eilends auf den Weg, diesen Jungen und das Mädchen zu finden, bevor einer der beiden noch eine Dummheit begeht."
Sie sprach über die Mondgöttin als wäre es eine gute Freundin. Aber vermutlich war es auch so. Allein ihren Seherinnen zeigte die Mondgöttin ihr Gesicht.
Und doch....das hier war komisch. Vates wurden nicht geschickt, um Mates zu helfen, zusammen zu kommen. Und Luna allein weiß, wie oft Mates diese Hilfe benötigen würden. Trotz der Seelenverwandtschaft gab es genug Probleme, die einen daran hindern konnten, seinen Mate anzunehmen. Aber meist ging es doch gut aus. Die wahre Liebe setzte sich am Ende eben durch.
"Hmm...", machte Derya, als wüsste sie, was mir durch den Kopf ginge. "Du fragst dich bestimmt, warum ich euch beiden helfen soll. Tja,...wie soll ich das sagen, ohne mehr zu verraten? Nun, du und deine Mate, vor euch liegen schwere Zeiten....ihr müsst den Weg gemeinsam begehen, um heil daraus hervorzugehen. Eine Last liegt auf euren Schultern. Eine Last, die nur gemeinsam zu tragen ist. Deshalb ist meine Anwesenheit von großer Wichtigkeit. Und jetzt mach nicht so ein verwirrtes Gesicht, mein Kind. Ich werde dir nicht viel verraten können - das ist mir nicht erlaubt - aber ich werde dir helfen. So gut es in meiner Macht steht. Und nun sag, habt ihr noch einen Schlafplatz frei? Ich bin die ganze Nacht lang gelaufen."
Blinzelnd sah ich sie an und es dauerte einen Moment, bis ihre letzten Worte zu mir durchgedrungen waren. Dann nickte ich und führte sie zu dem Haus. Ihre Worte schwirrten mir noch im Kopf herum. Und ich fragte mich, ob es einfach typisch vates war, dass sie sich so vage ausdrückte.
Außerdem fragte ich mich, was das alles für mich und Xenia zu bedeuten hatte.
Was war hier los? Was meinte sie mit Last? Mit schwierigen Zeiten? Sorge schlich sich heimtückisch in mein Herz. Eine vates...und dann noch diese Worte....das hörte sich nicht gut an. Gar nicht gut.
Schließlich waren wir am Haus angelangt. Und mir wurde klar, dass ich meinen Schlüssel hiergelassen hatte. Schließlich hatte ich nicht vorgehabt, zurückzukommen. Zumindest nicht so bald.
"Wir werden wohl klingeln müssen.", meinte ich schließlich, doch Derya unterbrach mich.
"Papperlapapp. Kein Grund, das ganze Haus aufzuwecken."
Und ich staunte nicht schlecht, als sie plötzlich zwei dünne Metallstäbe aus einer Tasche nahm und mit ihnen im Türschloss herumfuhrwerkte.
Kurze Zeit später sprang die Tür auf.
Ich wusste nicht, ob ich bewundernd oder vorwurfsvoll sein sollte, weil sie quasi einbrach.
Derya bemerkte meinen Blick und meinte zwinkernd:
"Immer nützlich sowas."
Sie seufzte schwer. "Schließlich darf die Mondgöttin nicht zu sehr eingreifen. Schade, wenn du mich fragst. Aber so sind nunmal die Regeln."
Und dann ging sie an mir vorbei durch die Tür, während ich ihr immer noch hinterherstarrte, als wäre sie....ja, was eigentlich? Auf jeden Fall war sie ein wenig komisch. Aber das gehörte vielleicht auch einfach zum Seherdasein dazu.
Und wenn sie mir helfen konnte, Xenia zu gewinnen, uns mit dieser...Last, diesen schwierigen Zeiten zu helfen, nun, dann wäre es mir selbst egal, wenn sie eine alte Kriminelle wäre.
Was, wie ich mit einem Blick auf die offene Tür gedanklich hinzufügte, ja gar nicht so abwegig wäre.
"Kommst du nun endlich, kleiner Kämpfer?", kam da auch schon ihre leise Stimme aus dem Inneren des Hauses.
Und ich machte die Tür hinter mir zu, während ich zu ihr in die Küche ging. Sie schnitt sich gerade ein Stück von einem Schokokuchen ab, der auf der Anrichte stand und legte es sich auf einen Teller.
Mit der Gabel kostete sie davon und schloss genüsslich die Augen.
"Eine sehr gute Köchin, diese Sonja.", bemerkte sie und ich fragte gar nicht erst, woher sie auch deren Namen kannte. Wahrscheinlich hatte die Mondgöttin Luna ihn ihr gerade eingeflüstert.
"Hab schon lange keinen Kuchen mehr gegessen.", meinte Derya.
Doch ich unterbrach sie und fragte neugierig:
"Warum hast du mich 'kleiner Kämpfer' genannt?"
Ich erwartete schon so etwas zu hören wie: die Mondgöttin Luna hat Großes für dich vorgesehen, du sollst gegen die Hexen kämpfen, du kommst ganz nach deinem Vater, der kämpferisch in den Tod gegangen ist.
Doch ihre Antwort war eine gänzlich andere:
"Du heißt Kilian, oder etwa nicht?", fragte sie mich.
"Äh, ja.", erwiderte ich verwirrt. Was hatte das mit meiner Frage zu tun? Doch sie erklärte es mir sogleich.
"Kilian bedeutet Kämpfer. Ein treffender Name, in Anbetracht dessen, was auf dich zukommen wird. Aber natürlich hast du noch viel zu lernen, deshalb hab ich auch gesagt 'kleiner Kämpfer.'"
Schließlich hatte sie das Kuchenstück gegessen und wandte sich mir zu.
"Nun aber ins Bett, mein Junge!", ermahnte sie mich streng.
"Morgen ist Schule, und wir haben beide viel vor."
Ich runzelte die Stirn.
"Wir beide?", fragte ich nach. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Sie hatte mit Dietrichen die Tür aufgebrochen, als wäre das normal, wenn eine verschlossen war. Als würde sie das immer tun.
Was würde dann erst morgen kommen?
"Nun, du wirst mir in der Schule deine Mate zeigen und ich werde dort dann als Küchenhilfe arbeiten. So bin ich dann auch in der Nähe deiner Mate und kann ihr ein wenig Vernunft einreden. Sonst macht sie noch eine Dummheit und das können wir uns nicht leisten."
Blinzelnd sah ich sie an. Dann schluckte ich schwer. Hatte sie etwa irgendetwas gesehen....?
"Also wird Xenia mich nicht akzeptieren?", fragte ich mit Grauen im Herzen und schwacher Stimme.
Doch Derya zuckte nur mit den Schultern.
"Kann ich dir nicht sagen. Aber ich werde mein Bestes tun, das zu verhindern. Also ab ins Bett, du musst morgen fit sein, wir müssen früh raus aus den Federn!"
Doch nun waren auch ihre anderen Worte bei mir angekommen und ich runzelte die Stirn. Wieder einmal. In ihrer Answesenheit schien das zu meinem Hobby geworden zu sein.
"Du kannst dort nicht einfach so als Küchenhilfe arbeiten. Wir haben bestimmt schon genug und außerdem muss man sich da bewerben und..."
Doch sie unterbrach mich mit einem nachsichtigen Lächeln.
"Mein Junge, ich bin 61 Jahre alt, ich hab ein bisschen Ahnung von dem, was ich tue. Also mach dir darüber keinen Kopf. Kümmere dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten."
Ich zog eine Augenbraue hoch.
"Ich soll mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, während du dich in die meinen einmischst?"
Grinsend sah mich Derya an, wobei die Falten tiefe Linien in ihrem Gesicht schufen.
"Ich habe eine göttliche Erlaubnis, mich in das Leben anderer einzumischen. Du etwa auch? Nein? Das hab ich mir gedacht, also tu einer alten Dame einen Gefallen und geh schlafen. Ach, und mach das Fenster auf, das Mondlicht wird dir helfen einzuschlafen, sonst liegst du nur hellwach da und machst dir zu viele Gedanken."
Und damit ging sie an mir vorbei ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die Couch legte und eine Decke über sich breitete.
Einen Moment lang stand ich nur da, dann machte auch ich mich auf den Weg zum Bett.
Ich befolgte ihren Rat und machte das Fenster auf, nachdem ich mich umgezogen hatte, ließ das Mondlicht und einen sanften Wind herein und legte mich auf Bett. Nicht, weil ich ihr glaubte, sondern weil ich testen wollte, ob ihr Rat auch wirklich half.
Kaum lag ich im Bett, wandten sich meine Gedanken unwillkürlich einem einzigen Thema zu: Xenia.
Und doch...ich hätte es nie gedacht, aber Deryas Rat wirkte.
Das Mondlicht tauchte mein Zimmer in einen silbrigen Glanz und es war, als legte sich eine warme mütterliche Hand auf meine Stirn, die mich schläfrig machte und dann....war ich eingeschlafen.
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