Kapitel 16 - Aus den Wald heraus

Xenias p.o.v.

Ich schluckte schwer und sah weg. Versuchte die Angst und Sorge in meinem Herzen zu verdrängen. Bestimmt war das gerade eine optische Täuschung oder was Ähnliches.
Er liebte mich nicht. Er kannte mich ja kaum.
Aber....wenn er dasselbe fühlte wie ich...aber ich liebte ihn nicht.
Ich fühlte mich nur zu ihm hingezogen. Das war etwas anderes. Und wer wusste schon, ob diese Gefühle einem Bann oder einem Seelenband zu verdanken waren.

Ich biss die Zähne zusammen und schob diese Gedanken weg. Ich würde mir später über alles klar werden. Würde das Chaos in meinem Kopf entwirren.
Und ich würde zu einer Entscheidung gelangen müssen.

Plötzlich fragte Kilian besorgt:
"Was ist das?"

Blinzelnd sah ich ihn wieder an. Er hatte den Blick auf meine noch immer ausgestreckte Hand gerichtet. Als ich seinem Blick folgte, erkannte ich, was er meinte:
Blut tropfte von meiner Handfläche auf den Waldboden. Nur ein paar Tropfen, aber es bestand kein Zweifel, dass es sich hier um mein Blut handelte.
Ich hatte ein Blutsversprechen gegeben. Gegenüber der Mutter Natur. Ein Versprechen, das nicht gebrochen werden konnte. Das mächtigste seiner Art.
Aber natürlich wusste Kilian das nicht.

"Die Wunde wird sich gleich schließen", erklärte ich in einem beruhigenden Tonfall. "Ich habe ein Blutsversprechen gesprochen. So läuft das eben ab: ein paar Tropfen Blut auf den Boden und das Versprechen ist besiegelt. Durch die Magie hab ich das gar nicht gespürt."

Ich sah wieder zu Kilian auf und bemerkte, dass er trotz meiner Worte nicht beruhigt war. Ihm gefiel offensichtlich nicht, dass ich mich verletzt hatte, wenn auch nur ein kleines bisschen.
Und wieder kamen die Gedanken herbeigerauscht: er war ein Werwolf und ich eine Hexe. Eigentlich sollte ich ihm egal sein, zumindest eine so kleine Wunde sollte ihn nicht stören. Aber wenn wir tatsächlich Seelengefährten waren....dann würde seine Besorgnis Sinn ergeben.
Aber was, wenn er nur schauspielerte? Andererseits...warum sollte er das tun? Was würde er damit bezwecken wollen?

Seufzend schüttelte ich diese Gedanken ab.
"Ich sollte vielleicht wieder nach Hause", sagte ich schließlich leise.
"Nicht dass meine Familie noch was bemerkt."

Einen Moment lang war Kilian ganz still. Doch dann nickte er ruckartig und lauschte offensichtlich kurz.

"Die Luft ist rein. Komm, ich bringe dich noch bis zum Waldrand.", sagte er.

Doch ich zögerte. Wenn der Hexer noch in der Nähe war....es war gefährlich. Sollte der Hexer nur mich finden, wäre das nicht weiter schlimm. Aber Kilian....

"Ich gehe lieber allein", erklärte ich ihm bestimmt.

Doch er kniff die Augen zusammen und sah mich widerwillig an.
"Wieso? Ich kenne mich hier besser aus. Du verirrst dich noch in der Dunkelheit."

Ich verdrehte die Augen. Was dachte er? Dass ich nicht selbst zurecht kam?

"Ich habe auch allein hergefunden", erklärte ich leicht wütend.

"Ja", sagte er langsam. "Jetzt wo du es sagst....wie hast du mich überhaupt gefunden?"

Stolz reckte ich das Kinn.
"Hexenmagie", erklärte ich zufrieden und stolz auf meine Fähigkeiten.

Doch anscheinend gefiel ihm diese Antwort nicht. Ich sah, wie seine Kiefer mahlten.
"Heißt das, jeder Hexer kann mich finden?", fragte er leise.

Natürlich machte er sich jetzt Sorgen. Er wusste ja nichts von der Hexenmagie. Also erklärte ich es ihm:

"Nur, wenn man dich kennt und dir nahe gekommen ist. Man muss für den Zauber ein genaues Bild vor Augen haben, mit möglichst vielen Sinneseindrücken."

Er nickte langsam. Doch dann sagte er bestimmt:
"Ich begleite dich trotzdem."

Sein Ton duldete keinen Widerspruch. Und naja....es war ja nicht so, als wäre ich seiner Gesellschaft gänzlich abgeneigt. Auch wenn sie mich im Moment ein wenig verwirrte.

Also zuckte ich schließlich mit den Achseln, als wäre es mir gleichgültig und murmelte:
"Meinetwegen."
Er musste ja nicht wissen, dass ich seine Nähe genoss. Mehr als ich sollte.

Ich sah, wie er die Zähne zusammenbiss und dann bedeutete er mir, hier zu warten.
Kurz darauf war er auch schon aus dem Sträucherversteck und dann hörte ich seine Stimme flüstern:
"Komm."

Ich krabbelte also auch hinaus. Kilian hielt mir seine ausgestreckte Hand hin, um mir aufzuhelfen, aber ich ignorierte sie.
Vielleicht wäre es besser, ihn möglichst wenig zu berühren. Nicht, dass ich noch über ihn herfiel, so wie vorhin.
In diesem emotional chaotischen Zustand, in dem ich mich befand, war mir alles zuzutrauen.

Als ich stand, streifte ich mir noch ein bisschen Erde und Blätter von der Kleidung, dann sah ich Kilian an.
"Also, wohin?"

Er schien angespannt. Dann meinte er:
"Wenn ich dich trage, geht's schneller."

Ich musste schlucken. Ich würde gerne wieder von ihm getragen werden. Aber eine solche Nähe....schon bei dem Gedanken stoben die Schmetterlinge in meinem Magen vorfreudig auf.
Ich war mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee wäre...

Andererseits...wir wären dann schneller. Und je länger Kilian hier im Wald war, wo auch dieser andere Hexer herumirrte, desto länger war er in Gefahr.
Es sollte mich nicht stören, er war ein Werwolf, er konnte sich bestimmt selbst gut schützen.
Und doch ...ich wollte ihn außer Gefahr wissen. Wollte, dass es ihm gut ging.
Ein irrationales Verlangen. Aber es existierte.
Ob wegen eines Bannes oder dieser Seelenverwandtschaft wusste ich nicht.

Schließlich gab ich mir einen Ruck und sagte:
"Okay."

Denn je länger ich nachdachte, desto risikoreicher war schließlich auch, dass uns jemand fand.
Ob mein Einverständnis allerdings eine gute Idee war, blieb fraglich.
Ich hatte noch immer Zweifel und Kilian schien das irgendwie zu spüren, denn kaum war das Wort aus meinem Mund gekommen, war er schon bei mir und hob mich hoch.

Überrascht stieß ich einen kleinen Laut aus und klammerte mich wie vorhin an seinen Hals, da rannte er auch schon los.
Ich versuchte diese Nähe zu ihm zu ignorieren, die Geborgenheit, die mich überkam, als wäre das hier genau der Platz, wo ich hingehörte.
Ich wollte ihm noch näher kommen, wollte mich an ihn schmiegen und nie wieder loslassen...

Verwirrt von diesen starken Empfindungen schüttelte ich den Kopf, als würden sie so verschwinden.
Der Wind zischte über mich hinweg, aber Kilians Wärme schien mich vor ihm zu beschützen, als wäre alles in ihm darauf angelegt, dass es mir gut ging.
Da ich mich irgendwie ablenken wollte - musste - drehte ich den Kopf ein wenig, sodass ich sah, wo wir hin liefen.

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie schnell wir uns eigentlich bewegten, na ja wie schnell Kilian sich bewegte.
Die Bäume kamen rasend schnell auf uns zu, und ich wollte schon aufschreien, denn gleich würden wir dagegen prallen, doch da war Kilian auch schon vorbei, ohne dass einem von uns etwas passierte.
Er rannte durch den Wald, als hätte er nie etwas anderes getan, und das kam der Wahrheit vermutlich ziemlich nahe, bedachte man, was er war.
Und doch war ich fasziniert von der Art und Weise, wie er Bäumen auswich, über Sträucher setzte und alles so geschmeidig und natürlich als wäre er ein Reh, dessen Heimat der Wald war.

Schließlich näherten wir uns dem Waldrand und Kilian wurde langsamer, bis er letztendlich stehen blieb und mich vorsichtig absetzte.
Wir mussten ein großes Stück an Weg zurückgelegt haben und das in einer rasanten Geschwindigkeit, doch Kilian merkte man es nicht an.
Er rang nicht einmal nach Atem, nein, er sah noch immer so frisch aus wie vorhin. Gut, sein Haar war ein wenig vom Wind zerzaust, doch das war schon alles.

Ich musste schlucken, als ich ihm in die Augen sah.
Erst jetzt wurde mir klar, dass wir uns verabschieden mussten. Ohne zu wissen, wie es mit uns weitergehen würde.
Und auch erst jetzt bemerkte ich, dass Kilian noch immer seine Arme um meine Taille gelegt hatte, ganz leicht nur, als wolle er mich nicht zu sehr bedrängen, doch auch so, als wolle er mich nicht loslassen.

Und ich ...
Ich wollte es auch nicht.
Wollte am liebsten bei ihm bleiben.
Und zwar für immer, flüsterte etwas in meinem Kopf.

Aber es gab noch so vieles zu bedenken. Ich musste mir erst über alles klar werden, über meine Gefühle, über die Konsequenzen, darüber, dass wir eigentlich Feinde waren....
Gerne wollte ich diese Traurigkeit, die mir aus seinen blauen Augen entgegenleuchtete, wegwischen, wollte ihm sagen, dass er sich nicht fragen brauche, ob dies hier das letzte Mal war, dass er mich hielt, dass er mir so nah war...
Aber ich konnte nicht.

Also lächelte ich nur zaghaft, unsicher, wie ich mich nun verhalten sollte und meinte:

"Danke. Ich werde über alles nachdenken und wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, gebe ich dir bescheid."

Er biss die Zähne zusammen, als müsse er sich daran hindern, etwas zu sagen. Dann nickte er kurz.
Und in diesem Moment fragte ich mich, was wäre, wenn ich eine Werwölfin wäre.
Stellte mir vor, es stimmte, was er sagte. Das mit der Seelenverwandtschaft.
Eine Werwölfin würde sich wahrscheinlich nie und nimmer so wie ich verhalten. Sie würde sich freuen, würde mit ihm in den Sonnenuntergang spazieren, würde darauf vertrauen, dass alles gut ging, solange sie mit ihrem Seelenverwandten zusammen war.
Sie würde ihm vertrauen.

Wie gerne würde ich Kilian dasselbe bieten können.
Es hörte sich so einfach an.
Aber das war es nicht. Nicht für mich. Nicht für eine Hexe.
Und so lächelte ich ihm nur zu, drehte mich um und ging fort.
Seine Hände fielen von meiner Taille. Und plötzlich fror ich. Als würde ich nicht nur ihm den Rücken kehren, sondern auch der Wärme, der Freude und dem Glück.
Das war irrsinnig und ich wusste es.
Aber so fühlte ich nun einmal.
Ob es wohl jetzt für immer so sein würde?
Würde ich mich ab jetzt immer so fühlen, als würde etwas, ein Teil von mir, fehlen?

Ich wusste es nicht. Und vielleicht war das auch die falsche Frage.
Vielleicht sollte ich mich fragen, ob die Wärme und das Glück, das mich in Kilians Nähe durchströmte, es wert war.
Wert, meine Familie zu verraten. Meine ganze Art.
Würde ich mit den Konsequenzen umgehen können?

Ich wusste es nicht. Aber woher auch? Es gab nie Garantien im Leben.
Ich würde mich entscheiden müssen.
Doch das konnte ich nur, wenn meine Gedanken klar waren und nicht so verrückt spielten wie in Kilians Nähe.

Also ging ich fort von ihm, blickte mich nicht einmal um.
Ich ging fort, obwohl mich mein ganzes Herz und meine ganze Seele zu ihm hinzog.
Zurück, zurück, schien mein Herz zu schreien.

Aber ich ging weiter. Kämpfte gegen den Drang an, zurückzusehen. Kämpfte dagegen an, denn ich wusste, täte ich es, würde ich nicht mehr gehen können. Und ich schuldete es meiner Familie, meiner ganzen Art, zuerst meinen Verstand sprechen zu lassen, bevor ich auf so etwas Unzuverlässiges wie meine Gefühle hörte.
Also ging ich weiter, kämpfte weiter, bis ich schließlich zitternd vor meinem Zuhause Halt machte.

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