Kapitel 15 - Gib mir eine Chance
Xenias p.o.v.
Ich schluckte schwer. Versuchte nachzudenken. Was nicht gerade einfach war, da Kilians Nähe mir den Verstand zu rauben drohte.
Sein so betörender Geruch nach Sommer und Sonne benebelte mir die Sinne. Vielleicht war es aber auch diese Intensität seines Blickes, die mich am Denken hinderte.
Was sollte ich tun? Instinktiv spürte ich, dass von meiner Antwort viel abhing. Was ich nun sagte, war bedeutend.
Und irgendwie machte mir das Angst.
Denn ich hatte keine Ahnung, was die richtige Entscheidung war.
Hatte ich das überhaupt jemals gewusst?
Kilian war der Feind, denn er war ein Werwolf. Darüber waren sich alle Hexenwesen einig.
Aber was er gesagt hatte....was, wenn es wahr war? Denn er musste nicht unbedingt mein Feind sein.
Schließlich war das meine Entscheidung.
Und doch....wenn ich ihm eine Chance geben würde, würde ich mich gewissermaßen für ihn entscheiden.
Ich würde gewissermaßen meine Familie verraten.
Konnte ich das tun?
Ein Teil von mir sagte nein. Aber dieser Teil war so klein, so schmächtig und winzig angesichts des anderen Teils von mir, der lauthals JA! Schrie.
Denn ich wollte ihm eine Chance geben. Wollte ihn kennenlernen, wollte alles von ihm wissen.
Diesem Teil von mir war es egal, dass er ein Werwolf war. Es machte keinen Unterschied. Sein Werwolfssein war nichts anderes als seine Haarfarbe. Ein Teil von ihm, mehr aber auch nicht. Schließlich setzten wir uns aus so vielen verschiedenen Faktoren zusammen und diesem Teil war das bewusst.
Aber....dieser Teil konnte sich auch irren.
Und konnte ich Kilian einen Vertrauensvorschub geben? Konnte ich das riskieren?
Die Antwort meines Herzens war eindeutig. Ja, schien es zu sagen, schien es mit jedem weiteren Schlag zu wiederholen. Ja, ja, ja.
Gib ihm eine Chance. Vertrau ihm, schien es zu flüstern.
Hast du nicht gehört? Er ist dein Seelenverwandter.
Aber was, wenn auch das gelogen war? Seelenverwandter. Gab es sowas überhaupt? Wer sagte mir, dass das kein erfundenes Märchen war?
Noch immer blickte mich Kilian an, wartete gebannt auf meine Antwort.
Und ich?
Mir wurde flau im Magen. Ich wollte diese Entscheidung jetzt noch nicht treffen. Konnte es einfach nicht.
Denn soviel hing daran. Die Konsequenzen könnten enorm sein.
Und ich....ich wollte davonrennen, fort von der Verantwortung, die mit dieser Entscheidung einherging.
Aber das ging nicht. Ich musste bleiben. Und doch...es gab noch eine andere Möglichkeit als eine Flucht oder eine voreilige Entscheidung.
"Ich...ich brauche Zeit.", kam es da auch schon aus mir heraus, leise, mit unsicherem Ton.
Kilians Kiefer verkrampfte. Ich sah Enttäuschung in seinem Blick aufflackern, bevor er sie schnell versteckte. Und es schnitt mir ins Herz, dass ich der Grund dafür war.
Ob ich wollte oder nicht, ich empfand offensichtlich etwas für ihn. Aber ob das an dieser Seelenverwandtschaft lag und nicht an einem Bann? Ich wusste es nicht.
Ich schluckte schwer, dann sagte ich:
"Ich muss das alles erst einmal verdauen. Ich meine....das ist so viel auf einmal... Seelenverwandte...ich...", ich biss mir mit auf die Lippe, hinderte mich daran, noch mehr peinliches Stammeln von mir zu geben.
Kilian rückte ein wenig von mir ab.
"Ich verstehe.", sagte er mit ausdrucksloser Stimme, ohne mich anzusehen.
Es tat weh, zu wissen, dass ich ihm gerade wehtat.
Aber es ging nicht anders.
So sehr auch alles in mir nach ihm schrie, mein Herz, jede einzelne Zelle in mir....ich musste auch an meine Familie denken. Ich konnte nicht selbstsüchtig handeln.
Selbst wenn ich ihn damit verletzte.
"Wann, glaubst du, kannst du mir deine Entscheidung mitteilen?", fragte er und sah mich nun wieder an.
Ich knabberte nachdenklich und ein wenig nervös an meiner Unterlippe.
Tja, wann? Wann hätte ich mich entschieden?
"Ich geb dir in ein paar Tagen in der Schule bescheid.", sagte ich schließlich und blickte zu ihm auf. Blinzelnd stellte ich fest, dass Kilian mir auf die Lippen starrte. Röte schoss mir in die Wangen. Und Hitze überkam mich. Denn irgendwie war mein Blick nun auch zu seinen Lippen gewandert...
Und ich erinnerte mich nur zu gut an den leidenschaftlichen Kuss gerade eben....ich hatte kaum genug von ihm bekommen können...seine Lippen auf meinen, seine Nähe, sein Geschmack und sein Geruch...ich war ihm verfallen. Und zwar so was von.
Und das war ein Problem. Ein sehr großes Problem.
"Ich weiß nicht, ob ich so lange durchhalte.", wisperte Kilian mit etwas rauer Stimme.
Mein Blick schoss wieder hoch zu seinen Augen. Blaues Feuer schien in ihnen zu stehen und mich in Brand zu stecken.
Ich holte zittrig Atem. Da war so eine Spannung zwischen uns, eine elektrisierende Spannung, die meine Haut kribbeln ließ.
Und Kilian wandte nicht den Blick ab. Ich war von seinen blauen Augen gefangen genommen, ertrank in ihnen, verbrannte in ihrem Feuer...
Plötzlich knackte ein Zweig. Mein Herz blieb stehen und der Bann zwischen mir und Kilian war gebrochen.
Sein Blick schoss zum Ursprung des Geräuschs und er wurde ganz still.
Seine Nasenflügel bebten leicht und da wurde mir klar, dass er versuchte, einen Geruch wahrzunehmen.
Und wahrscheinlich lauschte er auch.
Die Vorteile eines Werwolfs.
Dann wandte er sich wieder an mich.
"War nur ein Kaninchen.", meinte er lächelnd.
Ich nickte erleichtert. Ob wegen des harmlosen Kaninchens oder der verschwundenen Spannung, wusste ich nicht.
Und ich hinterfragte es auch nicht.
"Ich kann dir versprechen, dass ich dich während meiner Bedenkzeit nicht verraten werde.", sagte ich schließlich mit fester Stimme und ignorierte die Anziehung, die von ihm ausging.
Seine Miene wurde ernst und er rückte noch weiter von mir ab. Plötzlich konnte ich wieder frische Luft atmen und ein Stück Nervosität fiel von mir ab.
Dass sich mein Körper sofort wieder nach ihm sehnte, ignorierte ich.
"Wieso sollte ich dir vertrauen?", meinte Kilian schließlich.
Und ich wusste, dass das nun die Retourkutsche war. Denn ich hatte ihm nicht vertraut. Na ja, zumindest ein Teil von mir nicht. Aber das wusste er ja nicht so genau.
Und obwohl es das nicht sollte, obwohl es irrsinnig war, tat es einem Teil von mir weh, seines Vertrauens nicht würdig zu sein.
Es war dumm, dumm, dumm, aber ich konnte diese Verletztheit einfach nicht unterdrücken.
Ich schluckte schwer. Und dann machte ich es genauso wie er vorhin:
"Ich hab dich bisher nicht verraten, oder?"
"Weil du es nicht konntest. Aber das könnte sich ändern.", entgegnete er sofort mit grimmigem Gesicht. Die Dunkelheit ließ ihn gefährlicher aussehen als heute Mittag und doch hatte ich keine Angst.
Nun ja, nicht vor ihm. Nur vor meinen Gefühlen und was sie bedeuteten. Vor allem, was damit einherging.
Es fühlte sich beinahe absurd an, ihm zu beweisen, dass ich vertrauenswürdig war. Dabei war es gar nicht so absurd. Schließlich war ich für ihn der Feind.
"Ich kann ein magisches Versprechen abgeben.", sagte ich schließlich.
"Es kann nicht gebrochen werden. Ich werde es auf Deutsch sagen, dann verstehst du es und es wird trotzdem wirken. Wir könnten es auf die Probe stellen, um dir zu zeigen, dass es wirkt..."
"Das wird nicht nötig sein.", erwiderte er. Verdutzt sah ich ihn an. Er zog einen Mundwinkel in die Höhe.
"Ich kann Magie riechen."
Überrascht blinzelte ich. Okay. Das war neu. Werwölfe konnten Magie riechen...
Interessant.
"Wie riecht sie denn?", fragte ich neugierig.
Er zuckte mit einer Schulter.
"Wie Eisen.", antwortete er dann.
"Schwer zu beschreiben. Sie bitzelt in der Nase. Ziemlich komisch eben."
Eisen. Und bitzelnd. Nun ja...irgendwie passte das.
"Das Eisen kommt wahrscheinlich vom Blut.", bemerkte ich. Kilian zog fragend eine Braue hoch. Und erst da fiel mir auf, dass ich drauf und dran war, ihm etwas von uns Hexen zu erzählen. Einem Feind.
Andererseits...er hatte mir auch etwas erzählt. Und was sollte er mit dieser Information schon anfangen? Also machte ich weiter.
"Magie ist etwas Lebendiges. Sie steckt in allem um uns herum, in den Bäumen, den Pflanzen, sogar dem Wind...und eben in uns Menschen. Oder Hexen und Werwölfen. Wir haben eine gewisse Menge Eisen im Blut, daher kommt wahrscheinlich der Geruch, er spiegelt quasi das Leben wider, die Kraft und Stärke der Magie. Und dieses bitzelnde Gefühl...nun, das kommt wahrscheinlich von der Energie. Ohne irgendeine Energie würde kein Zauberspruch der Welt wirken."
Da bemerkte ich, dass Kilian mich mit zur Seite geneigtem Kopf anblickte.
"Was?", fragte ich ein wenig schüchtern.
Er lächelte.
"Du hast gerade ziemlich nach einer Lehrerin geklungen. Aber es war eine interessante Unterrichtsstunde.", meinte er schmunzelnd.
Ich verdrehte die Augen.
"Danke, du schleimender Schüler.", erwiderte ich.
Er schnaubte leise. Um mich von der Zuneigung abzulenken, die mein Herz flutete, sprach ich schnell weiter:
"Also, ich werde nun dieses Versprechen ablegen, okay?"
Er nickte.
Doch ich zögerte kurz. Wenn ich das tat und er das dann nutzte, um meine Freunde anzugreifen....aber er hatte Recht. Er hätte mir schon längst wehtun können und hatte es nicht getan.
Und vielleicht war es an der Zeit, einfach mal etwas zu riskieren. Vor allem, da irgendetwas in mir sagte, dass ihm zu trauen war.
Vielleicht sollte ich auf diese Stimme hören.
Also streckte ich eine Hand aus, wappnete mich und sprach die Worte:
"Oh Natur, die du uns geboren, uns beschützt und gesegnet hast, sei Zeugin meines Versprechens. Ich, deine Tochter Xenia, verspreche hiermit, den Werwolf Kilian nicht zu verraten, bis ich zu einer Entscheidung gelangt bin. Ich werde niemandem von ihm erzählen, bis ich ihm meine Entscheidung mitgeteilt habe. Sei Zeugin dieses Versprechens, Mutter Natur, und binde mich mit deiner Macht."
Ich spürte, wie ein Strom aus Magie durch mich floss, so stark, dass ich kaum einen Gedanken fassen konnte.
Das hier war die ureigenste Magie, die Magie der Mutter Natur.
Etwas verschloss sich in mir und ich wusste: es war das Geheimnis um Kilian.
Nie und nimmer könnte ich ihn nun verraten. Nicht bis ich eine Entscheidung getroffen und sie ihm mitgeteilt hatte.
Und als ich zu Kilian sah, erstarrte ich vor Erstaunen.
Denn seine Augen waren groß, als könnte auch er die Magie spüren - oder riechen - und als würde sie ihn in Ehrfurcht versetzen.
Oder vielleicht war es mein Versprechen, das ihn ehrfürchtig machte?
Und vielleicht mochte ich mich irren, aber da war noch ein anderer Ausdruck auf seinem Gesicht.
Ein Audruck, der mein Herz weit werden ließ...und der mich ängstigte.
Ich mochte mich täuschen. Vielleicht spielte mir die Dunkelheit etwas vor.
Aber dieser Ausdruck in seinen Augen...der sah aus wie Liebe. Wie warme, aufrichtige Liebe.
Liebe zu seiner Feindin.
Zu einer Hexe.
Und in diesem Moment wurde mir klar, dass es egal war, wie ich mich entschied.
Ob ich ihm eine Chance gab oder nicht.
Wenn er mich wahrhaftig liebte...dann würde er immer in Gefahr sein.
Und es gab kaum etwas, was ich dagegen tun konnte.
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