Der Deal
Wenig später saß ich zwischen Alex und Brian eingeklemmt auf der Rückbank eines Vans. Inzwischen war es elf Uhr vormittags und dem entsprechend war der Verkehr auf den Straßen.
„Nun, da wir hier schon festsitzen..." begann Alex neben mir. Seine dunkelbraunen Augen glänzten angriffslustig hinter den Brillen, die er heute trug. Mir schwante übles, doch ich drehte mich zu ihm, auf das schlimmste vorbereitet. Ein diabolisches Lächeln umspielte seinen Mund.
„Wäre ich doch bloß im Bett geblieben" murmelte ich still vor mich hin.
„Ach warum denn? Das wird lustig" lachte Alex, der jedes Wort verstanden hatte. „Wie lange arbeitest du schon für das Schundheft..."
„AJ sei nett" meldete sich nun Kevin genervt von der vorderen Bank des Vans.
„Was? Ich wollte doch nur wissen..." verteidigt sich Alex eilends. Doch Brian schnitt ihm das Wort ab.
„Nenn es einfach kein Schundheft, AJ. Es ist ein Magazin" stellte er kichernd richtig.
„Also ein Schundmagazin" wiederholte Alex neben mir und zwinkerte mir zu. Das brachte mich zum Lachen. „Siehst du? Jetzt lacht sie" stellte er an Kevin gewandt fest. „Ich bin immer nett" murmelte er ein wenig eingeschnappt.
Der rollte bloß mit den Augen. Im Rückspiegel trafen sich unser Blick und da bemerkte ich das er ebenfalls lächelte.
„Seit ungefähr sechs Jahren" antwortete ich schließlich auf Alex Frage. „Aber nicht immer im gleichen Bereich. Begonnen habe ich mit dreiundzwanzig im Editorial, also die Abteilung, die das Bildmaterial für die Beiträge aussucht"
„Seit wann bist du dann jetzt Creativ Director?" wollte Brian wissen.
„Ich bin dann nach zwei Jahren Assistentin von meinem Vorgänger geworden. Das war ich dann drei Jahre und vor einem Jahr habe ich seine Stelle übernommen" erklärte ich stolz.
„Was ist mit deinem Vorgänger passiert?" wollte Howard von der vorderen Bank wissen.
„Er hat ein besseres Angebot bekommen und hat das Magazin verlassen. Aber vorher hat er mich als seine Nachfolgerin eingesetzt" antwortete ich schnell. Ich wusste wie es in den Ohren von anderen klang: Als hätte mein Chef das sinkende Schiff verlassen. Und ich hatte Recht, die Mienen der Fünf verdunkelten sich schlagartig. Alex grummelte etwas in seinen Bart und schaute aus dem Fenster. Nach schier endlosen Minuten der Stille meldete sich schließlich jemand zu Wort.
„Warum vergeudest du dein Talent bei diesem drittklassigen Boulevardblatt?" wollte Brian kopfschüttelnd wissen.
„Von welchem Talent sprichst du?"
„Wir haben die Bilder gesehen, die du gemacht hast" antwortete Alex bestimmt und drehte sich vom Fenster weg. „Und wir haben die Bilder gesehen von den Fotografen, die sonst die Fotos machen."
„Deine sind mit Abstand die Besten" warf Kevin ein. Er drehte sich in seinem Sitz, um über die Rücklehne zu sehen und betrachtete mich mit einer nachdenklichen Miene.
„Das ist Geschmacksache" Ich spürte wie meine Wangen glühten. Meinten sie das wirklich ernst? Nein das kann nicht sein. Ich wusste was sie wollten, dass selbe wie meine beste Freundin und sogar meine Chefin: Das ich die Rolle der Fotografin übernahm. Doch das kam gar nicht in Frage.
„Dir fehlt das Selbstvertrauen" stellte Howard fest, der sich nun ebenfalls zu uns umgedreht hatte. „Du kannst uns ruhig glauben, wenn wir sagen das du Talent hast, wir haben mehr als genug Erfahrung in diesen Sachen" Er schenkte mir ein Lächeln.
„Aber..." stammelte ich. „Von diesem Auftrag hängt meine Karriere ab" prasselte es schließlich aus mir heraus. „Sollten die Fotos nicht gut werden bin ich geliefert. Dann stehe ich ohne Arbeit da"
„Manchmal ist es besser, etwas zu wagen. Wenn du es nie wagst, wirst du immer auf der gleichen Stelle stehen" erklärte Alex ruhig und seine Augen ruhten dabei auf mir.
„Und was soll ich deiner Meinung nach der Fotografin sagen, die ich angefragt habe für diesen Job?"
Er zuckte nur mit den Achseln. „Wenn du willst schreib ich ihr eine E-Mail" bot er lächelnd an.
Ich rollte mit den Augen. „Du meinst so eine wie die von Curtis?"
„Sie war wirklich sehr höflich formuliert. Ich weiß nicht was ihr für ein Problem habt" murrte er.
Ich musste wieder lächeln. „Machen wir einen Deal" sagte ich schließlich als mir eine Idee kam wie ich sie für eine Weile beschwichtigen konnte. Sofort wandten sich alle zu mir.
„Dann lass mal hören"
Ich atmete tief durch. „Die Fotografin, die ich ausgesucht habe, kommt zu den Shootings" Sofort verfinsterten sich die Gesichter der Fünf. „Aber" fügte ich hinzu und machte eine dramatische Pause. „Sollte sie nicht euren Ansprüchen gerecht werden, werde ich sie sofort feuern und selbst die Fotos machen"
Als ich den Deal ausgesprochen hatte, sah ich in fünf lächelnde Gesichter. Ich war mir nicht mehr so sicher ob es eine gute Idee gewesen war. Zumindest dachte ich bei mir, musste ich kein peinliches Gespräch mit der Fotografin führen.
Ich musste jetzt nur noch hoffen das sie inzwischen gelernt hatte eine Kamera zu bedienen.
„Ich verstehe nicht wieso mich immer alle in einen Anzug stecken wollen" jammerte Nick genervt. Wir waren inzwischen im Tonstudio der Jungs angekommen, einem großen hellen Raum mit drei bequemen Sofas und jede Menge Instrumente, Mikrofons und Mischpulten. Ich saß auf einem der Sofas neben Nick und balancierte meinen Laptop auf meinen Knien.
„Würdest du lieber ein Ballkleid tragen?" witzelte Brian.
„Okay also dieser Vorschlag gefällt euch auch nicht" Nervös klickte ich zum nächsten Vorschlag. Bis jetzt hatte ihnen keiner der Vorschläge wirklich gefallen. Mein Herz schlug mir inzwischen bis zum Hals. Was hatte ich mir dabei gedacht den Auftrag anzunehmen?
„Wer hat gesagt das uns der Vorschlag nicht gefällt? Es ist nur nichts neues" sagte Brian. „Außer das Nick anscheinend lieber Kleider trägt" fügte er grinsend hinzu.
„Das habe ich gar nicht gesagt" murmelte Nick. „Anzüge sind einfach unbequem"
Kevin streckte seine langen Arme aus und nahm den PC von meinen Knien. „Gib mir mal das Ding" Während er durch die Vorschläge scrollte, versuchte ich mich zu beruhigen. Ich wandte mich schließlich an Alex, der auf der anderen Seite von Nick auf dem Sofa saß.
„Ich verstehe bis jetzt noch nicht warum du die Absage an Curtis geschrieben hast. Habt ihr keine Manager, die diese Dinge für euch übernehmen?" wollte ich wissen. Es klang frech, das war mir klar, aber immerhin hatte er mich auch gefragt seit wann ich bei dem Magazin arbeitete. Also fand ich nichts Falsches daran.
Das mir nun inzwischen vertraute Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Klar, aber warum sollten sie den ganzen Spaß haben?"
„Dir macht es Spaß Leute zu feuern?" Das klang verrückt.
Alex schüttelte lachend den Kopf. Er öffnete den Mund, um mir zu antworten, doch Howard mischte sich nun ein. „Nein, er macht nur Spaß" winkte er ab.
„Du hast seine E-Mail nicht gelesen, stimmt's?" wandte sich Nick an mich. „Der war ein wenig abgehoben, glaub mir" flüsterte er mir ins Ohr.
„Außerdem hatten wir uns schon für dich entschieden" Kevin drehte meinen Laptop damit ihn alle sehen konnten. „Deswegen"
Auf dem Bildschirm erschien eine schwarzweiße Portraitaufnahme von einem Bekannten, die ich vor zwei Jahren gemacht hatte. Eine der letzten Male wo ich Spaß hatte eine Kamera in die Hand zu nehmen.
„Das ... das ist eine alte Aufnahme. Wo hast du das überhaupt gerade gefunden? Hast du meine Galerie durchwühlt?" Ich spürte wie Hitze in mir hochstieg und jeden Zentimeter meines Körpers ausfüllte. Einerseits vor Ärger, anderseits vor Scham.
Er schüttelte den Kopf. „Nein, auf deiner Facebookseite"
Beruhigt atmete ich aus. Natürlich.
„Warum? Was würde ich den in deiner Galerie finde?" lachte Kevin. „Nein, sag nichts. Besser ich weiß es nicht"
Alle lachten und ich spürte wie mir die röte ins Gesicht stieg. „Nein, nicht so wie du denkst..." stammelte Ich ungeschickt.
„Ich würde nie in deinen Privaten Daten herumschnüffeln. Was mich mehr interessiert ist..." er machte eine Pause und betrachtete wieder den Bildschirm, bevor er fortfuhr. „Warum du kurz darauf scheinbar aufgehört hast. Was ist passiert?" wollte er wissen und betrachtete mich nachdenklich.
„Wie kommst du darauf das etwas passiert ist? Vielleicht hatte ich einfach keine Lust mehr?" antwortete ich patzig. Ich fühlte mich plötzlich wie ein die Enge getriebenes Tier. Kevin lächelte nachsichtig und reichte meinen PC weiter an Brian.
„Ich sehe sofort, wenn jemand etwas mit Leidenschaft tut. Du hast es geliebt, habe ich Recht?"
Lange Zeit starrte ich einfach auf meine Füße. Niemand sagte etwas. Es war seltsam still im Raum.
Nach endlosen Minuten der Stille und nachdem ich sicher war das ich nicht schon nach den ersten Worten wie ein Baby zu heulen begann, ergriff ich das Wort. Meine Worte klangen hohl in dem stillen Raum.
„Wisst ihr, ich kann mich gut in Curtis hineinversetzten. Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn deine Welt von einem Moment auf den anderen zusammenbricht. Und das alles ausgelöst durch ein paar Worten"
„Ich glaube nicht, dass er so fühlt" unterbrach mich Alex. Seine Miene war unergründlich und sein Blick in die Ferne gerichtet. „Er ist nur in seinem Stolz verletzt. Der macht weiter wie bisher. Du hast ihn doch gehört: Ich bin der Beste hier" äffte er Curtis Tonfall nach. „Tut mir leid, erzähl weiter" wandte er sich entschuldigend an mich.
„Woher willst du das wissen? Woher willst du wissen was ich fühle, was Curtis fühlt oder was auch immer irgendein Mensch auf dieser Welt fühlt? Vielleicht trägt er seine Gefühle nicht wie ein Schild vor der Brust wie ich?" gab ich zu bedenken.
Er zuckte mit den Schultern. „Weißt du, ich sehe vielleicht aus wie ein Harter Kerl, aber glaub mir ich bin keiner. Du würdest dich wundern wie sensibel ich in Wahrheit bin" Er machte eine kurze Pause bevor er fortfuhr. „Du wolltest nie diesen Job, das habe ich ziemlich schnell verstanden. Ich denke du bist nach Los Angeles gekommen um Fotografin zu werden, was immer dein Traum war. Und irgendwie bist du bei dieser Zeitung gelandet, wo du dachtest es wäre ein gutes Sprungbrett, um deinen Traum zu verwirklichen. Und dann, als es so weit war, ist etwas schief gegangen" Ich hatte seinen Schlussfolgerungen mit erstarrter Miene gelauscht.
„Ich liege richtig, stimmt's?" Seine Stimme war sanft und ruhig.
Ich nickte bloß.
„Woher?" war alles was ich fragen konnte.
„Woher ich das weiß? Ich bin ein guter Zuhörer und höre auch die Dinge, die du nicht sagst" antwortete Alex ohne Umschweife.
„Du musst uns die Geschichte nicht erzählen, wenn du nicht willst" begann Howard vorsichtig. „Aber vielleicht fühlst du dich besser danach"
„Ich habe die Geschichte bisher nur meiner besten Freundin erzählt. Und zwar die, die meine Bewerbung an euch geschickt hat" Ich musste lächeln als ich die Ironie der Geschichte erkannte. „Sie hat mich ebenfalls dazu gedrängt selbst zu fotografieren" erzählte ich. „Ich habe seit zwei Jahren keine Kamera mehr in die Hände genommen"
„Sie glaubt an dich und das solltest du ebenfalls"
Ich nickte. Das stimmte. „Sie hat immer an mich geglaubt"
Alex erhob sich von dem Sofa. „Dann wird es Zeit für dich wieder eine Kamera in die Hand zu nehmen" stellte er bestimmt fest.
Das stimmte, aber war ich wirklich dazu bereit?
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