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„Ich glaube, das mit Tessa...."
„Ja?"
„Ich glaube, das ist ein Fehler."
Für ein paar Augenblicke war es absolut still in dem Zimmer. So still, dass ich hätte schwören können, dass Niall hören musste, wie mein Gehirn zu arbeiten begann. Wie es versuchte zu begreifen, was er soeben gesagt hatte. Wie es versuchte zu verstehen und einen Sinn in dem zu erkennen, was er mir da soeben gestanden hatte. Doch er hörte es nicht. Und ebenso wenig kam mein vernebeltes Gehirn zu einem Ergebnis, das auch nur im geringsten Sinn ergeben hätte. Im Gegenteil, alles, was ich tun konnte war, seinen letzten Satz im Geiste zu wiederholen. Immer und immer wieder.
Doch auch nach dem hundertsten Mal verstand ich noch immer nicht wirklich, was er zu bedeuten hatte. Vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht war ich aber auch einfach nur begriffsstützig – ich hätte es beim besten Willen nicht sagen können. Doch es war mir auch egal. Denn alles, was ich wusste war, dass das Ganze hier nicht gut war. Ganz und gar nicht gut.
Sobald ich mir das eingestanden hatte, begannen zahllose Gedanken wie wild durch meinen Kopf zu rasen. Ich versuchte mich auf einen von ihnen zu konzentrieren, wurde jedoch von einer brennenden Flüssigkeit in meiner Speiseröhre abgelenkt. Reflexartig schnellte meine Hand zu meinem Mund, während ich aufsprang und so schnell es mir in meinem Zustand möglich war ins Bad rannte. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig zur Toilette, ehe sich der gesamte Alkohol des heutigen Abends erbarmungslos seinen Weg zurück nach draußen bahnte.
Während ich mich verzweifelt an die Kloschüssel klammerte und unter Tränen alles ausspuckte, was mein krampfender Magen loswerden wollte, hoffte ich inständig, dass Niall uns beiden den Gefallen getan und aus dem Zimmer gegangen war. Ich wollte nicht, dass er das hier mit ansehen musste. Dass er das hier riechen oder die unangenehmen Geräusche, die ich von mir gab, hören musste. Und vor allem wollte ich nicht, dass er mich in diesem armseligen Zustand sah.
Doch diese Hoffnung wurde nur Sekunden später jäh zerstört, als sich eine warme Hand auf meinen Rücken legte und eine andere meine Haare umfasste, um sie mir aus dem Gesicht zu halten. Für einen Moment war ich versucht ihn wegzustoßen, doch mein aktueller Zustand erlaubte mir nicht einmal die kleinste Bewegung, weshalb ich letzten Endes bloß ein protestierendes Wimmern von mir geben konnte. Hatte mein Gehirn zuvor alles noch witzig gefunden, so hatte es seine Meinung schlagartig geändert. Nichts war mehr witzig oder zum Lachen. Nein, das hier war einfach nur mehr schrecklich. Schrecklich und erniedrigend und am liebsten hätte ich mich augenblicklich in Luft aufgelöst, doch diese Bitte wurde mir leider nicht erfüll. Stattdessen verkrampfte sich mein Magen erneut und trieb mir damit wieder einen Schwall der brennenden Flüssigkeit in den Hals.
Nachdem alles im Klo gelandet war, tastete ich mit der Hand nach der Spülung, drückte sie und sank dann kraftlos in mich zusammen. Zutiefst beschämt schloss ich meine Augen, lehnte meinen Kopf gegen die kalte Fliesenwand und hoffte, dass sich der Boden auftun und mich verschlucken würde. Aber das tat er nicht. Genauso wenig wie Niall einfach aufstand und ging. Stattdessen fuhr eine seiner Hände leicht über meine blassen Wangen, was mich dazu brachte, meine Augen nach einem kurzen inneren Kampf wieder zu öffnen. Diese Entscheidung bereute ich allerdings sofort wieder, als ich in Nialls Gesicht sah. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, seine blauen Augen musterten mich besorgt und seine Lippen waren fest aufeinandergepresst.
Für ein paar Sekunden hielt ich seinem Blick stand, bevor ich gequält zu Boden sah. Ich wusste nicht, ob sein Gesichtsausdruck von meinem schlechten Timing oder von dem Ekel, den er angesichts meines Anblicks empfinden musste, herrührte, aber im Grunde war es mir auch egal. Mein Kopf hämmerte wie verrückt und obwohl ich wirklich dagegen ankämpfte, wollte das Gefühl der Übelkeit einfach nicht nachlassen, weshalb ich mich nur Sekunden später wieder über die Kloschüssel beugte. Während der nächste Schwall Flüssigkeit in der Toilette landete, hielt Niall erneut meine Haare fest. Als er dann auch noch damit begann, mit langsamen Bewegungen meinen Rücken auf und ab zu streicheln, wäre ich am liebsten gestorben. Wie konnte er sich nur so um mich kümmern, wenn ich mir gerade begleitet von wirklich unappetitlichen Geräuschen die Seele aus dem Leib kotzte?
Als auch diese Ladung in den Untiefen der Toilette verschwunden war, hockte ich mich daneben hin und schlang meine Arme um meinen krampfenden Magen. Alles um mich herum drehte sich in einem solch rasenden Tempo, dass ich sicherheitshalber wieder meine Augen schloss und mich seufzend zurücklehnte. Noch nie zuvor hatte ich mich so furchtbar gefühlt. Und noch nie zuvor war mir in so kurzer Zeit so schlecht geworden.
Doch vor allem, hatte ich mich noch nie zuvor vor jemandem übergeben. Noch nie zuvor hatte ich mich so dermaßen geschämt und jemanden das zweifelhafte Vergnügen beschert, mir in diesem schwachen Moment meines Lebens zusehen. Dass mir das nun ausgerechnet mit Niall passiert war, schien nur der letzte Tropfen gewesen zu sein, der mein mit Schamgefühl gefülltes Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Und ja, ich schämte mich. Ich schämte mich so sehr, dass ich es erst wagte, meine Augen wieder zu öffnen, als ich mir sicher war, Nialls Blick ertragen zu können.
Er hatte sich mittlerweile aus der Hocke, in der er gegangen war, um meine Haare aus der Schusslinie zu bekommen, gelöst und saß nun mir gegenüber am Boden. Seine Augen waren noch immer unverwandte mit einer solchen Besorgnis auf mich gerichtet, dass sich mein Magen augenblicklich noch stärker verkrampfte. Ich wollte nicht, dass er mich so ansah. Und gleichzeitig hätte ich ihn in diesem Moment am liebsten umarmt.
Doch ich widerstand diesem Drag, zwang mir stattdessen ein schwaches Lächeln ab und sagte: „Ich werde nie wieder Alkohol trinken."
Er lachte leise. „Das sagen sie alle."
„Nein, wirklich. Ich werde nie wieder Alkohol anrühren. Nie wieder."
„Sicher doch." Er warf mir einen amüsierten Blick zu und gerade, als ich erleichtert feststellte, dass die Sorge aus seinen Augen verschwunden war, kehrte diese wieder zurück und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. „Dir geht es richtig schlecht, oder?"
Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. „Ja."
„Kann ich irgendetwas tun, um das zu ändern?"
„Ja."
„Und was?"
„Geh bitte", murmelte ich. „Das hier ist einfach nur ekelhaft und ich will nicht, dass du das Ganze noch länger miterleben musst."
Er gab ein missbilligendes Schauben von sich. „Sei nicht albern, Em. Ich lass dich jetzt sicher nicht alleine."
„Bitte, Niall." Ich ließ meine Hände sinken, um ihn flehentlich anzusehen. „Bitte geh einfach."
So tief, wie ich gerade in meinem Elend gefangen war, wollte ich einfach nur mehr alleine sein. Zumindest dachte ich das bis zu dem Zeitpunkt, an dem Niall tatsächlich mit einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht aufstand, das Bad verließ und wenig später die Tür meines Zimmers hinter sich ins Schloss fallen ließ. Ich hatte wirklich gedacht, dass ich mich besser fühlen würde, wenn ich seinen besorgten Blick nicht mehr auf mir spüren musste, doch dem war nicht so. Im Gegenteil, ich fühlte mich plötzlich noch elender. So elend, dass ich nicht einmal die Enttäuschung bemerkte, die sich nun in mir ausbreitete.
Fröstelnd und mit einem gequälten Stöhnen verbarg ich mein Gesicht wieder in meinen Händen und flehte innerlich, dass diese Übelkeit endlich zur Hölle fuhr. Doch diesen Gefallen tat sie mir nicht. Denn anstatt mich besser fühlen zu lassen, zwang sie meinen Kopf erneut über die Kloschüssel.
Als ich diese Tortur zum gefühlten tausendsten Mal in dieser Nacht hinter mich gebracht hatte, wischte ich die Tränen, die langsam über meine Wangen rannten, mit meinen Fingern weg und kauerte mich kraftlos auf den Boden zusammen. Ich hasste Alkohol. Ich hasste ihn so dermaßen, dass ich ihn am liebsten verprügeln oder ihn für immer aus meinem Leben verbannen würde. Doch da beides nicht wirklich möglich war, ergab ich mich meinem Schicksal, presste meine Wange gegen den kalten Fliesenboden und schloss die Augen.
Ich war plötzlich so ausgelaugt und kraftlos, dass mir die Vorstellung, den Rest der Nacht neben meinem neuen besten Freund Klo zu verbringen, gar nicht mal so übel erschien. Schließlich müsste ich so nicht die Kraft aufbringen, um mich aufzuraffen. Und ganz ehrlich, ich war mir nicht einmal sicher, ob in mir überhaupt noch ein Funke Energie enthalten war. Vermutlich nicht. Vermutlich war er gemeinsam mit dem Alkohol in der Toilette verschwunden.
So tief im Selbstmitleid versunken, bekam ich nicht einmal mit, dass die Tür meines Zimmers geöffnet und kurz darauf wieder geschlossen wurde. Und ich kapierte auch nicht, dass sich Schritte näherte und sich kurz darauf jemand neben mich auf den Boden sinken ließ, sodass ich erschrocken zusammenzuckte, als mir plötzlich jemand mit den Fingerspitzen eine Strähne aus dem Gesicht strich. Doch ich musste nicht einmal meine Augen öffnen, um zu wissen, wer es war. Das angenehme Gefühl, das seine Berührung an meiner Wange hinterlassen hatte, hatte mir schon längst alles verraten.
„Du bist zurückgekommen."
„Natürlich." In seiner Stimme lag eine solche Selbstverständlichkeit, dass sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen schlich. „Ich musste nur schnell etwas holen."
Langsam öffnete ich meine Augen. Er saß so nah neben mir, dass ich seine Wärme spüren konnte. In den Händen hielt er ein Shirt, ein Glas Wasser und ein kleines bräunliches Fläschchen, dessen Inhalt nicht zu erkennen war. Ich zog meine Augenbrauen ein wenig zusammen und beobachtete ihn dabei, wie er das Shirt auf seinen Beinen ablegte, das Wasserglas zur Seite stellte und das braune Fläschchen aufschraubte. Wie aus dem Nichts hatte er plötzlich einen Löffel in den Händen und nachdem er etwas von dem Fläschcheninhalts darauf geträufelt hatte, hielt er ihn mir vors Gesicht und sagte: „Trink das, Emma. Danach wird es dir besser gehen."
Unter normalen Umständen hätte ich die dunkelbraune Flüssigkeit auf dem Löffel misstrauisch beäugt und mich danach geweigert, dieses Zeug zu schlucken. Doch das waren keine normalen Umstände, weshalb ich die große Anstrengung unternahm und mich ein wenig aufrichtete, bevor ich den Mund öffnete. Keine zwei Sekunden später verzog ich auch schon das Gesicht, schluckte die widerlich schmeckende Medizin hinunter und griff dann nach dem Glas, das mir Niall entgegenhielt. Wie eine Verdurstende trank ich das Wasser und klammerte mich dabei so fest an das Glas, als wäre es meine einzige Rettung. Als ich es schließlich neben mir abstellte, gab ich ein leises Seufzen von mir und fuhr mir mit dem Handrücken über den Mund.
„Danke." Meine Stimme klang brüchig und schwach. Genauso, wie ich mich gerade fühlte.
Niall lächelte nur, bevor er nach dem Shirt griff und es mir entgegenhielt. „Hier, zieh das an." Als ich nicht reagierte, sondern ihn nur mit vollkommen irritiertem Blick ansah, fügte er hinzu: „Damit du nicht in diesen Klamotten schlafen musst."
„Oh..."
Mehr brachte ich vor Rührung nicht zusammen. Er hatte mir ein Shirt mitgebracht. Er war nicht nur wieder zurückgekommen und hatte mir Medizin mitgebracht, nein, er hatte auch dafür gesorgt, dass ich nicht noch eine Nacht nur in Unterwäsche schlafen musste. Und das war – so traurig das jetzt auch klingen mochte – mitunter das netteste, das mir jemals passiert war. Er war das Netteste, das mir jemals passiert war. Doch das konnte ich ihm nicht sagen, weswegen ich ihn einfach nur aus großen Augen ansah.
„Em?", fragte er nach einer Weile.
„Hm?"
„Wie sieht's aus? Wirst du das Shirt jetzt anziehen?"
Ich löste mich aus meiner Starre, ignorierte das Schwindelgefühl, das erneut in mir aufkeimte und griff nach dem Shirt. Während ich mein Bestes gab, um möglichst schnell und ohne eine erneute Übelkeitsattacke heraufzubeschwören den Reißverschluss meines Stramplers öffnete, sprang Niall mit knallrotem Kopf auf und rannte leise vor sich hin fluchend aus dem Badezimmer.
Für einen Moment hielt ich irritiert inne. Alles um mich herum drehte sich und mein Gehirn war schon wieder so tief in dem Nebel versunken, dass es eine Weile dauerte, ehe mir bewusst wurde, dass er geflohen war, damit er mich nicht nur in Unterwäsche sah. Wenn ich nicht so erledigt gewesen wäre, hätte ich mich vielleicht gefragt, ob er das getan hatte, weil er Gentleman war oder weil er mich nicht so sehen wollte. Doch zum Glück war ich so erschöpft und stand noch unter solch einem Alkoholeinfluss, dass dieser Gedanke innerhalb von einer Millisekunde verschwunden war. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, die Träger von meinen Schultern zu schieben und mir Nialls Shirt überzuziehen, ohne mich dabei erneut übergeben zu müssen.
Als ich das schließlich geschafft hatte, lehnte ich mich leise seufzend gegen die Wand. Mein Kopf pochte so stark, dass ich die Befürchtung hatte, dass mein Gehirn als Rache für die schlechte Getränkewahl des heutigen Abends herausspringen wollte. Doch ich schaffte es dennoch irgendwie den Rest meines Outfits von meinen Beinen zu strampeln und Nialls Shirt, das sogar ihm viel zu groß sein musste, bis zur Hälfte meiner Oberschenkel zu ziehen. Nachdem ich mir sicher war, dass ich mich in den nächsten zwei Minuten nicht übergeben musste, hob ich Lou's Strampler auf und verfrachtete ihn ohne aufzustehen in die Ecke, die am weitesten von der Toilette entfernt war, bevor ich mich wieder in meine vorherige Position zurücksinken ließ. Da der Raum noch immer nicht damit aufgehört hatte, sich in einem rasenden Tempo zu drehen, schloss ich sicherheitshalber wieder einmal meine Augen.
„Bist du fertig?"
Ja, fix und fertig. So fertig, dass ich es nicht einmal zu Stande brachte, ihm zu antworten. Aber das war scheinbar auch nicht notwendig, denn nach ein paar Sekunden Stille, konnte ich seine Schritte näher kommen hören und kurz darauf saß er auch schon wieder neben mir am Badezimmerboden. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren, war jedoch nicht dazu fähig, meine Augen auch nur einen Millimeter zu öffnen.
„Mund auf!"
Ohne diese Aufforderung zu hinterfragen, gehorchte ich und hatte kurz darauf einen nach Pfefferminz schmeckenden Kaugummi im Mund. Sofort begann ich darauf herumzukauen, was meinen Magen seltsamerweise ein wenig zu beruhigen schien. Leise vor mich hinschmatzend fuhr ich mir durch mein Haar und überlegte, ob es auch nur die geringste Chance für mich gab, dass ich den Rest der Nacht nicht auf diesem Boden verbringen musste. Vermutlich nicht. Denn dafür waren meine Beine einfach zu kraftlos.
Und außerdem... Sooooo unbequem war das Ganze hier auch nicht. Ich meine es war zwar hart, aber dennoch könnte ich mich damit abfinden. Zumal es plötzlich auch nicht mehr so kalt war. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass ich meinen Kopf auf Nialls Schulter sinken hatte lassen und nun die angenehme Wärme seines Körpers spürte.
Wie war es eigentlich möglich, dass er immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort war? Ich meine, er war da, als ich zu betrunken war, um meine Hotelzimmertür zu öffnen. Und er war da, als ich beinahe meine Haare vollgekotzt hatte. Er war immer da, schien immer das richtige Timing zu haben. Jedes Mal und... Oh, Moment... Stimmt, er war da, weil er mit mir über etwas reden wollte. Aber was war das noch mal schnell gewesen? Die Zeit vor meiner peinlichen Begegnung mit der Toilette erschien mir plötzlich so lange her, dass mein Gehirn erst einmal eine Weile brauchte, bis es sich wieder daran erinnern konnte. Doch als das passiert war und ein Name immer und immer wieder in meinen Gedanken auftauchte, breitete sich ein so mulmiges Gefühl in meinem Magen aus, dass ich schon befürchtete, bald die nächste Runde über der Kloschüssel starten zu können. Aber dem war zum Glück nicht so. Stattdessen fuhr ich mir mit der Zunge über meine trockenen Lippen und versuchte einen Sinn in meinen Gedanken zu sehen.
Noch bevor ich das jedoch geschafft hatte, hörte ich plötzlich meine eigene Stimme fragen: „Warum?"
Ich konnte spüren, wie Niall seinen Kopf ein wenig drehte, um mich anzusehen. „Hm?"
„Warum glaubst du, dass es ein Fehler ist?" Ich wusste selbst nicht genau, warum ich ausgerechnet jetzt auf dieses Thema zu sprechen kam, aber eigentlich war es auch egal.
„Was meinst du?"
Obwohl wir beide wussten, dass er sehr wohl verstanden hatte, wovon ich sprach, meinte ich: „Die Sache mit Tessa. Du hast doch gesagt, dass du glaubst, dass sie ein Fehler ist, oder?"
„Ja."
„Und warum glaubst du das?"
„Weil...", er stoppte kurz, bevor er sagte: „Ich weiß auch nicht so wirklich."
„Magst du sie?"
„Was ha-"
„Magst du sie?", wiederholte ich.
Er schwieg kurz. „Ja."
„Versteht ihr euch?"
„Ja."
„Lacht sie über deine dämlichen Witze?"
„Hey! Die sind nicht dämlich!", empörte er sich.
„Niall!"
Wieder schwieg er kurz, bevor er antwortete. „Ja, das tut sie."
„Also... Wenn du sie magst, sie dich mag und sie sogar über deine Witze lacht – wo genau liegt dann das Problem?"
Hätte ich ihn jetzt angeschaut, hätte ich vielleicht den Ausdruck gesehen, der kurz über Nialls Gesicht huschte, als er über meine Frage nachdachte. Doch da mein Kopf noch immer auf seiner Schulter ruhte, blieb er mir verborgen. Ebenso wie die Tatsache, dass er seine Lippen aufeinandergepresst hatte. So, wie er es immer tat, wenn er konzentriert war oder nicht wusste, wie er etwas formulieren sollte.
„Keine Ahnung", meinte er schließlich leise und mit einem Unterton in der Stimme, den ich in meinem Zustand nicht wirklich zuzuordnen wusste. „Vielleicht hast du Recht, Emma."
„Womit?" Ja, mein Gehirn war heute wirklich nicht in Topform.
„Damit, dass es eigentlich kein Problem, keinen Grund gibt, warum das ein Fehler wäre..." Als ich nichts darauf sagte, fragte er: „Oder... Oder wüsstest du einen?"
„Einen Grund, warum du das mit Tessa lassen solltest?"
Als ich ihn nicken spürte, öffnete ich meine Augen ein wenig und sah nachdenklich zu Boden. Doch als ich begriff, dass ich gerade ernsthaft darüber nachdachte, ob ich einen Grund finden konnte, der meinen besten Freund davon abhalten würde, möglicherweise mit einem Mädchen glücklich zu werden, das er mochte, kam ich mir einfach nur furchtbar vor. Furchtbar und egoistisch.
Darum und vielleicht auch, weil ich es selbst ein wenig glaubte, schüttelte ich vorsichtig meinen Kopf und sagte: „Nein. Mir... Mir fällt auch keiner ein."
Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Die Art von Schweigen, die einen stumm alles hinterfragen ließ, was soeben gesagt wurde. Und das hätte ich auch getan, wenn mich die Müdigkeit nicht plötzlich mit einer solchen Wucht getroffen hätte, dass ich nicht die geringste Chance hatte, mich zu wehren. Hatte ich mich zuvor schon kraftlos und erschöpft gefühlt, so kam es mir nun vor, als hätte man meinem Körper innerhalb von zwei Atemzügen jegliche Energie entzogen. Als würde der Alkohol plötzlich zu einem Schlafmittel werden, das mich kontinuierlich tiefer in den Sog des anbahnenden Schlafes zog.
„Fühlst du dich etwas besser?" Nialls Stimme drang wie durch Watte zu mir durch. Ich nickte schwach. „Gut."
Und noch bevor ich begriff, was genau passierte, umfasste er mit einem Arm meinen Rücken, während sein zweiter sich unter meine Kniekehlen schob. Behutsam zog er mich ein wenig näher zu sich, sodass mein Kopf wie von selbst an seine Brust sank, und stand auf. Ich wollte protestieren, wollte ihm sagen, dass ich viel zu schwer war und dass er mich runterlassen sollte. Doch kein einziges Wort verließ meinen Mund, als Niall mich scheinbar mühelos ins Schlafzimmer trug. Ich vergrub mein Gesicht ein wenig in seinem Shirt, atmete seinen typischen Geruch ein und fühlte mich plötzlich so geborgen, dass es beinahe ein kleiner Schock war, als er mich plötzlich auf das Bett legte, seine Arme von mir löste und sich aufrecht hinstellen wollte.
Nicht wissend warum, klammerte ich mich reflexartig an seinem Shirt fest und murmelte leise: „Nicht gehen."
Er verharrte in seiner Bewegung und sah mich aus großen Augen an. Offensichtlich kam diese Bitte für ihn ebenso überraschend wie für mich. Von meinem eigenen Verhalten überrascht, beobachtete ihn dabei, wie er seine Stirn runzelte, die Lippen aufeinanderpresste und schließlich mit seinen Hände meine umfasste und sein Shirt von meinem Griff befreite. Dann ging er um das Bett herum, zog seine Schuhe aus und legte sich wortlos auf der anderen Seite hin. Nachdem er die Bettdecke unter unseren Körpern hervorgezogen und sie sorgfältig über uns ausgebreitet hatte, schaltete er das Licht aus und drehte sich auf den Rücken.
Ich tat es ihm gleich und starrte an die Decke, die sich wieder einmal um sich selbst zu drehen schien. Während ich gerade dabei war, die hochkomplexe Frage zu lösen, warum wir immer im selben Bett landeten, wenn einer von uns betrunken war, seufzte Niall leise auf und drehte sich ein wenig zur Seite, sodass er mich nun direkt anschauen konnte. Von einer erneuten Welle der Müdigkeit erfasst, spuckte ich den Kaugummi (nicht gerade ladylike) in meine Hände, klebte ihn auf das Nachtkästchen und drehte mich in Nialls Richtung.
Ich ließ meinen Blick kurz über die Konturen seines Gesichtes schweifen, die Dank des Mondlichtes, das durch die Fenster in das Zimmer schien, ein wenig zu erkennen waren, bevor ich gähnte und kaum hörbar flüsterte: „Danke, Niall."
Anstatt etwas darauf zu sagen, streckte er einen Arm aus. Im ersten Moment sah ich ihn nur fragend an, bevor ich einfach meinem Instinkt folgte, alle Bedenken über Bord warf, ein wenig näher zu ihm rutschte und meinen Kopf darauf legte. Ein paar Sekunden verhaarten wir in dieser Position, dann legte Niall plötzlich seinen zweiten Arm über meine Taille und zog mich näher zu sich. Wie selbstverständlich überwand ich die letzten Millimeter zwischen uns und vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Normalerweise wäre mir eine solche Nähe unangenehm gewesen – vor allem nach meiner Bekanntschaft mit der Kloschüssel – doch hier und jetzt, in diesem Moment fühlte es sich einfach nur unbeschreiblich gut an. So gut, dass ich zum ersten Mal wirklich verstehen konnte, warum Niall in so ziemlich jeder Lebenslage (aber vor allem im betrunkenen Zustand) so kuschelbedürftig war.
„Niall?", fragte ich nach einer Weile im Halbschlaf.
Seine Lippen berührten sanft meine Stirn. „Ja?"
„Ich hab dich lieb."
Verunsichert biss ich mir auf die Unterlippe und wartete auf seine Reaktion. Es war keine Liebeserklärung an sich, aber irgendwie fühlte es sich dennoch so an. Und es war das erste Mal, dass ich das zu einem der Jungs gesagt hatte.
Für ein paar Sekunden reagierte Niall überhaupt nicht, dann zog er mich – sofern das überhaupt möglich war – noch näher zu sich, vergrub seine Nase in meinem Haar und murmelte: „Ich hab dich auch lieb, Emma."
You know I wanna be the one to hold you when you sleep...
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