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„Oh mein Gott! Nein, auf keinen Fall! So etwas ziehe ich mit Sicherheit nicht an!" Entsetzt sah ich auf den kaum vorhandenen Stoff in Lou's Händen.

„Aber warum denn nicht?" Sie hielt das Kleidungsstück an meinen Körper und nickte zufrieden. „Das steht dir sicher gut, Em."

„Nein, das tut es mit Sicherheit nicht", sagte ich und trat einen Schritt von ihr weg. „Ich sehe damit bestimmt lächerlich aus!"

Lachend schüttelte die Stylistin ihren Kopf. „Ach komm' schon. Probier es doch wenigstes einmal an."

„Nein."

„Warum nicht?", fragte sie nun schon etwas genervt.

„Weil das überhaupt nicht mein Stil ist, Lou. So etwas... passt einfach nicht zu mir."

„Sagt wer?"

Ich verschränkte meine Arme vor der Brust. „Ich."

Lou rollte mit den Augen. „Und ich sage, dass du damit so fantastisch aussehen wirst, dass du jedem Typen in diesem Club den Kopf verdrehen wirst."

Entsetzt sah ich sie an. „Was? Nein, Lou! Ich will niemandem den Kopf verdrehen."

„Jetzt hör' aber auf, Emma." Lou setzte ihren strengen Mutterblick auf. „Du bist jung, du bist schön und du bist single. Warum zum Henker sollst du also nicht ein bisschen Spaß haben?"

Ich gab ein unverständliches Brummen von mir und ließ mich auf ihr Bett fallen. Memo an mich selbst: Höre niemals wieder auf Paul. NIEMALS! „Du weißt ebenso gut wie ich, dass ich nicht der Typ für diese Art von Spaß bin."

„Du könntest es aber sein", erwiderte Lou und setzte sich lächelnd neben mich.

Ich zuckte seufzend mit den Schultern. Schon seit ich ihr Zimmer betreten hatte, hatte Lou versucht mir Mut für den heutigen Abend zuzureden. Ich hatte mit Claire, eine Freundin von mir, die hier in New York studierte, ausgemacht, dass wir heute Nacht zusammen in einen dieser ach so angesagten Clubs gingen und die Tatsache feierten, dass wir uns nach fast einem Jahr endlich wieder gegenüberstehen würden. Am Anfang hatte ich mich wirklich darauf gefreut, doch dann war mir bewusst geworden, dass mein Koffer noch immer verschwunden war und meine Zeit gerade dafür gereicht hatte, Unterwäsche und ein T-Shirt zu besorgen. Also nicht gerade das, was für mein heutiges Vorhaben passend gewesen wäre.

Aus diesem Grund hatte ich Pauls Rat befolgt und war – wie schon heute Morgen – zu Lou gestürmt, um sie um ein paar Klamotten zu bitten, welche sie mir netterweise auch gleich zur Verfügung stellen wollte. Allerdings schien sie dabei vergessen zu haben, dass mein Stil sich bei weitem von ihrem eigenen unterschied, denn nachdem sie mir zuerst erfolglos ein Kleid (Ja, wirklich! Ein KLEID!) andrehen wollte, versuchte sie es nun mit einer Art Strampler oder was auch immer das sein sollte. Ich war mir zu Hundertprozent sicher, dass das dunkelrote Ding mit den schwarzen Akzenten und den kurzen Hosenbeinen an ihr einfach nur fantastisch aussah. Und ebenso sicher war ich mir auch, dass ich darin absolut lächerlich wirken würde.

„Hast du nicht vielleicht etwas anderes für mich?", fragte ich hoffnungsvoll. „Etwas Normaleres?"

„Nein", sagte sie mit einem Lächeln, das nicht fieser hätte sein können. „Entweder du ziehst das hier an oder du gehst in Unterwäsche. Deine Entscheidung, Emma."

Entrüstet zog ich eine Schnute. „Das ist Erpressung!"

„Na und? So lange es wirkt." Sie sah mich fragend an. „Das tut es doch, oder?"

Ich warf ihr einen vernichtenden Blick zu, bevor ich ergeben aufseufzte. „Schön, ich zieh dieses Stramplerding an."

„Das ist doch kein Strampler, du Fashionbanause!", rief sie empört. „So etwas nennt man Jumpsuit oder Romper!"

„Wie auch immer." Ich ignorierte ihren tödlichen Blick, griff nach dem Kleidungsstück in ihren Händen und steuerte auf das Badezimmer zu. „Aber wehe du lachst mich aus!"

Ich schloss die Tür hinter mir und begann damit, mich aus den Klamotten zu schälen, die mir Lou für den heutigen Arbeitstag geliehen hatte. Als ich nur mehr in Unterwäsche da stand, griff ich nach dem Strampler und beäugte ihn mit gerunzelter Stirn. Nein, das hier war ganz und gar nicht mein Stil. Und ich würde mich damit sicher vollkommen zum Narren machen. Aber was sein musste, musste nun mal sein und da ich sowieso keine andere Wahl hatte, schlüpfte ich nach einem gequälten Seufzen in das dunkelrote Ding. Es fühlte sich eigentlich ganz gut an und wenn es nicht so kurz wäre und somit viel zu viel von meinen Oberschenkeln offenbaren würde, würde ich es sogar als einigermaßen akzeptabel bezeichnen. Akzeptabel für jeden – nur nicht für mich.

„Hast du ihn schon an?", fragte Lou nach ein paar Augenblicken, in denen ich nur dagestanden und mich selbst bemitleidet hatte.

„Ja."

„Und? Du siehst toll aus, habe ich recht?" Ich konnte ihr selbstzufriedenes Lächeln förmlich vor mir sehen.

„Toll ist ein ziemlich relativer Begriff"; antwortete ich leise, während ich mich von dem großen Badezimmerspiegel wegdrehte, damit ich mich in diesem nicht ansehen musste.

„Was ist los?" Sie klopfte an die Tür. „Kommst du freiwillig raus oder muss ich dich erst dazu zwingen?"

„Schon gut, ich komme ja", meinte ich ein wenig überfordert. Dann holte ich tief Luft, fuhr mir nervös durchs Haar und öffnete die Tür.

Sobald ich in ihrem Blickfeld auftauchte, stahl sich ein warmes Lächeln auf Lou's Gesicht und sie wirkte nahezu wie eine stolze Mutter, als sie leise sagte: „Oh, Emma... Du siehst einfach nur...."

„...lächerlich aus?", schlug ich vor, was sie dazu brachte, ihren Kopf so heftig zu schütteln, dass ihre Haare wie wild durch die Gegend flogen.

„Nein, du Idiotin. Du siehst absolut fantastisch aus."

„Wirklich?" Ungläubig sah ich sie an. „Findest du nicht, dass es zu kurz ist?"

„Auf keinen Fall!" Sie lächelte mich aufmunternd an. „Du kannst deine Beine ruhig mal herzeigen, Emma."

Ich verzog mein Gesicht, wagte es jedoch nicht zu widersprechen. Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht sollte ich mal etwas Neues ausprobieren. Ich meine, was hatte sie vorhin zu mir gesagt? „Du bist jung, du bist schön und du bist single." Gut, vielleicht hatte sie nicht mit allem recht, aber zumindest mit dem Großteil davon. Ich war neunzehn, hatte keinen Freund und war im Prinzip immer nur von Typen umgeben, die entweder zu alt oder wie Brüder für mich waren. Oder mit denen ich aufgrund meines Vertrages nichts anfangen durfte. Also warum sollte ich es nicht einmal wagen und wenigstens für einen Abend etwas Neues ausprobieren?

Von diesen Gedanken selbst ein wenig überrascht, wagte ich es zum ersten Mal einen Blick auf mein Spiegelbild zu werfen. Wie ich schon im Badezimmer festgestellt hatte, war der Strampler tatsächlich ziemlich kurz und reichte mir gerade einmal bis zur Mitte meiner Oberschenkel. Er hatte keine Ärmel, sondern nur dünne Träger und der Ausschnitt war auch nicht gerade das, was ich sonst trug. Und als wäre mein bisheriges Verhalten nicht schon besorgniserregend genug gewesen, geschah dann noch etwas, das ich mir selbst nicht richtig erklären konnte: Ich zog High Heels an. Ja, wirklich! Als mir Lou ein extra hohes schwarzes Paar entgegenhielt, griff ich ohne eine weitere Diskussion danach und zog es mir einfach an.

Ich hatte keine Ahnung was da heute mit mir los war, aber was auch immer es war, es brachte mich auch noch dazu, mir ohne Murren die Haare und das Make-up von Lou machen zu lassen. Am Ende der ganzen Prozedur sah mir ein Mädchen aus dem Spiegel entgegen, das mir zwar ziemlich ähnlich sah, aber im Grunde überhaupt nicht ich sein konnte. Die Kleidung, die Schuhe, das Make-up und die leicht gewellten Haare... Das alles war nicht ich. Das alles war komplett das Gegenteil von mir. Doch irgendwie... Ja irgendwie gefiel es mir.

„Du siehst toll aus, Emma. Wirklich", murmelte mir Lou noch einmal ermutigend ins Ohr und umarmte mich zum Abschied. „Ich wünsche dir ganz viel Spaß. Genieße den Abend und komm' ja nicht vor Mitternacht zurück."

„Muss ich aber leider. Ich will ja nicht noch mehr Ärg-" Schnell presste ich meine Lippen aufeinander, damit ich nicht noch mehr sagte.

Doch Lou war schon misstrauisch geworden. „Was wolltest du sagen?"

„Ach nichts."

Ich schüttelte schnell meinen Kopf und steuerte auf ihre Tür zu. Sie musste ja nicht wissen, dass ich aufgrund der ‚Lärmbelästigung', die die gestrige Verfolgungsjagd von Niall und mir angeblich verursacht hatte, ziemlichen Ärger von meinen Vorgesetzten und Paul bekommen hatte. Und obwohl ich es nur ungern zugab, so musste ich doch zugeben, dass sie mich zu Recht zusammengestaucht hatten. Ich war hier, um meinen Job zu machen und nicht, um wie eine Irre um zehn Uhr abends kreischend durchs halbe Hotel zu laufen und andere Gäste zu nerven.

Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht einmal was da in mich gefahren war. Normalerweise war ich reif oder zumindest klug genug, um solche Situationen schon im Vorhinein zu vermeiden. Aber das gestern... Ich wusste auch nicht so recht, was da passiert war. Irgendwie schafften es die Jungs einfach immer die kindische Seite in mir herauszuholen, die jedoch nicht im Geringsten zu meinem Arbeits-Ich passte.

Zu meinem Glück fragte Lou nicht weiter nach, sondern beließ es bei einem skeptischen Blick, sodass ich nach einer weiteren kurzen Umarmung ihr Zimmer verließ und so schnell, wie es in diesen Mörderdingern an meinen Füßen möglich war, den Gang entlang stöckelte. Ich wollte unbedingt verhindern, dass mich irgendjemand von meinen Leuten in dieser Aufmachung sah. Doch wie es im Leben nun mal so war, spielte das Schicksal wieder einmal fürs gegnerische Team, sodass ich gerade einmal ein paar Schritte in Richtung des Aufzuges machen konnte, bevor ausgerechnet Louis und Zayn aus eben diesen stiegen und auf mich zukamen.

„Was zum –", begann Zayn sichtlich überrascht, als sein Blick auf mich fiel. Seine braunen Augen musterten mich von oben bis unten, ehe der überraschte Ausdruck in seinem Gesicht einem Grinsen wich. „Wer bist du und was hast du aus unserer Emma gemacht?"

Unsicher fuhr ich mir durchs Haar. „Ist es so schlimm? Ihr könnt mir das ehrlich sagen, Jungs, dann erspar ich mir wenigstens die Blöße so in dem Club aufzutauchen und mich absolut lächerlich zu machen."

Für einen Moment sahen mich beide mit hochgezogenen Augenbrauen an. Dann warfen sie sich kurze Blicke zu, lächelnden sich vielsagend an und kamen auf mich zu. Als sie direkt vor mir standen, streckten sie beide gleichzeitig ihre Arme aus und zogen mich in eine knochenbrecherische Umarmung. Überrascht von dieser Geste, sah ich einfach nur zwischen den beiden Lemmingen hin und her, die mich gerade noch fester an sich drückten.

„Ähm... Jungs?", fragte ich nach einer Weile verwirrt.

„Emma, du bist manchmal so ein Maulwurf, dass es schon fast süß ist." Louis löste sich kopfschüttelnd von mir, während Zayn mich lachend näher an sich zog.

„Was soll das denn jetzt heißen?"

„Es soll heißen, dass du ein Seeigel bist, mega heiß ausschaust und endlich mal damit aufhören sollst, dich selbst so runter zu machen."

Angesichts seiner Worte färbten sich meine Wangen knallrot. Doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, weshalb ich Louis einen leicht entrüsteten Blick zuwarf, während ich Zayns Umarmung erwiderte. „Jetzt bin ich auf einmal ein Seeigel?"

„Von mir aus kannst du auch eine Seekuh sein", erwiderte er schulterzuckend.

Irritiert von diesem Gespräch, das von Zayns Gekicher begleitet worden war, legte ich meinen Kopf ein wenig schief und schüttelte den Kopf. Ich wollte gerade etwas auf seinen letzten sinnbefreiten Satz sagen, als sich eine Zimmertür neben uns öffnete und ein Chips futternder Niall in den Gang trat.

„Was'n hier los?" Er sah fragend zwischen uns hin und her, bevor sein verblüffter Blick an mir hängen blieb. „Wow..."

Mehr brachte er nicht heraus, doch der geschockte Unterton in seiner Stimme genügte schon, um mich augenblicklich unsicher fühlen zu lassen. Mit knallrotem Kopf und einem Kloß im Hals, wandte ich meinen Blick von ihm ab und sah stattdessen zu Zayn und Louis. „Ich... Ich muss dann mal los. Wir sehen uns morgen."

Zayn wirkte für einen Moment verwirrt, nickte dann aber lächelnd. „Viel Spaß, Em. Und immer schön anständig bleiben."

Er zwinkerte mir vielsagend zu. Mit den Augen rollend, warf ich ihm einen strafenden Blick zu, bevor ich den dreien zu winkte und mit möglichst selbstsicheren Schritten meinen Weg zum Aufzug fortsetzte. Ich hatte keine Ahnung, was das Problem an Nialls Reaktion war, doch irgendwie hatte sie mein Herz für einen Moment in meine nicht vorhandenen Hosenbeine sinken lassen und mir das Gefühl gegeben, dass irgendetwas nicht stimmte. Doch vor allem hatte sie mich verwirrt.

Niall war mein bester Freund, er war immer ehrlich zu mir (zumindest hoffte ich das), also warum brachte er nicht mehr als ein geschocktes ‚Wow' zustande? Ich meine, er hätte mir in seiner wunderbar netten Art und Weise einfach sagen können, dass ich so besser nicht außer Haus gehen sollte. Oder er hätte mir auch sagen können, wenn es ihm theoretisch gefallen hätte. Ja, egal was er sonst noch tun hätte können - alles wäre besser gewesen als die Reaktion, die er mir gezeigt hatte. Aber vielleicht... Ja, vielleicht interpretierte ich auch einfach nur zu viel in diese Sache hinein.

Seufzend schüttelte ich meinen Kopf, um alle unerwünschten Gedanken daraus zu vertreiben. Als ich mit dem Aufzug in der Lobby des Hotels ankam, war ich fest entschlossen die Jungs, das Outfit und den Ärger mit meinen Vorgesetzten für ein paar Stunden aus meinem Kopf zu verbannen und den Abend zu genießen. Und genau das tat ich dann auch. Claire und ich verstanden uns auf Anhieb wieder bestens. Wir unterhielten uns über alte Zeiten, lachten, tranken und tanzten zusammen und als sie mich nach der fünften Runde Tequila Shots stürmisch umarmte und mir Geschichten von sich und ihrem aktuellen fast Freund ins Ohr lallte, war es beinahe so, als wären wir nie voneinander getrennt gewesen.

Irgendwann – wir waren beide schon ziemlich angetrunken – stellte sie mir ein paar ihrer Freunde vor, die in den Club nachgekommen waren, und verschwand dann kichernd und mit dem Typen, auf den sie stand (ich glaube, er hieß Gabriel), im Schlepptau in der Menschenmasse. Ich unterhielt mich eine Zeit lang mit ihren restlichen Freunden, doch als sie nach einer halben Stunde noch immer nicht zurückgekommen war, schrieb ich ihr eine SMS und machte mich auf den Heimweg. Unter normalen Umständen hätte ich nun jegliches Recht gehabt, sauer auf sie zu sein. Doch es war Claire. Und bei Claire musste man einfach mit solche Aktionen rechnen. Deshalb und auch, weil es bereits zwei Uhr morgens war, sah ich ihr Verschwinden einfach als die ideale Gelegenheit mich unauffällig aus dem Staub zu machen und zurück ins Hotel zu fahren, ohne als Spaßbremse oder sonst etwas zu gelten.

Dass ich heute Abend eindeutig zu viel getrunken hatte, bemerkte ich spätestens in dem Moment, in dem ich an die frische Luft trat. Augenblicklich begann sich alles um mich herum zu drehen und ein Gefühl, das nicht allzu gut wirkte, breitete sich in meiner Magengegend aus. Doch ich riss mich zusammen, schaffte es ohne größere Schwierigkeiten ein Taxi zu bekommen und stöckelte schließlich wenig später auf wackeligen Beinen durch die Lobby meines Hotels. Im Aufzug angekommen, lehnte ich mich seufzend gegen die kühle Wand und schloss meine Augen. Gott, ich konnte es kaum erwarten in mein Bett zu kommen. Vielleicht würde die Welt ja dann endlich aufhören, sich in dreifacher Geschwindigkeit zu drehen. Und vielleicht wäre mir dann auch nur mehr halb so übel.

Im richtigen Stockwerk angekommen, schob ich erst einmal diese schmerzhaften Schuhe von meinen Füßen, bevor ich möglichst leise und halbwegs gerade den Gang entlang tapste. Kurz bevor ich mein Zimmer erreichte, öffnete sich ein paar Meter weiter eine Tür. Sofort wurde der Gang von einem lauten Lachen erfüllt, bevor Niall mit dem Rücken zu mir aus dem Zimmer trat. Er grinste noch einmal zurück in den Raum, hob die Hand zum Abschied und schloss dann die Tür, sodass es wieder absolut still in dem Gang war. Er hatte mich nicht bemerkt, doch noch bevor ich mich selbst entschieden hatte, ob ich das gut fand, hörte ich meine eigene Stimme bereits fragen: „Was machst du denn noch auf?"

Erschrocken fuhr Niall herum. „Man, Emma! Du hast mich gerade fast zu Tode erschreckt."

„Sorry", meinte ich und begann angesichts der Tatsache, dass er schon wieder eine Tüte Chips in den Händen hielt, zu kichern. „Das wollte ich nicht."

Er nickte, runzelte ein wenig die Stirn und kam ein paar Schritte näher. „Bist du jetzt erst zurückgekommen?"

„Ja", erwiderte ich noch immer kichernd. Verdammter Alkohol.

Er kam noch einen Schritt näher, ließ seine Augen über mein Gesicht wandern und fragte dann amüsiert: „Sag mal, bist du etwa betrunken?"

„Vielleicht", gab ich schulterzuckend zu und lehnte mich erschöpft gegen die Wand.

Erneut schien sich alles um mich herum zu drehen, sodass ich mich echt zusammenreißen musste, um mich nicht einfach auf den Boden sinken zu lassen, damit das Ganze vielleicht aufhörte. Stattdessen fuhr ich mir leise seufzend durch mein Haar und stellte erneut die Frage, was mein lieber bester Freund so spät noch auf den Beinen machte.

„Josh und ich haben uns ein paar Filme angeschaut und dabei die Zeit übersehen", erklärte er schulterzuckend. „Nichts Aufregendes also."

Ich nickte und stieß mich von der Wand ab. Ich konnte Nialls Blick auf mir spüren, als ich an ihm vorbei zu meiner Zimmertür ging, die ich glücklicherweise trotz des Nebels in meinem Kopf fand, und in meiner Tasche nach dem Schlüssel zu kramen begann. Als ich ihn endlich in die Finger bekam, zog ich ihn mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht hervor. Der erste Versuch damit die Türe zu öffnen scheiterte jedoch kläglich und nach ein paar weiteren landete er schließlich mit einem dumpfen Geräusch zu meinen Füßen am Teppichboden. Erneut von einem Kicheranfall gepackt, wollte ich mich gerade danach bücken, als ich Nialls Hand an meinem Arm spürte. Überrascht sah ich ihn an, doch er schüttelte nur wortlos den Kopf und hob den Schlüssel auf.

„Danke", murmelte ich, als er wieder aufrecht neben mir stand.

Ich streckte meine Hand aus, doch anstatt mir den Schlüssel zu reichen, schob Niall mich ein wenig zur Seite und öffnete meine Zimmertür. Dann drehte er sich abwartend zu mir um. Fragend sah ich ihn an. Irgendwie ließ der Brei in meinem Gehirn nicht zu, dass ich kapierte, was er von mir wollte. Das schien Niall ebenfalls zu erkennen, denn er stöhnte kurz genervt auf, bevor er mich sanft am Arm packte und mich in mein Zimmer schob. Zu meiner Überraschung schloss er jedoch nicht einfach die Tür hinter mir und ließ mich mit meinem betrunken Selbst, das irgendwie schon wieder alles witzig fand, alleine, sondern folgte mir kommentarlos ins Zimmer. Er schloss die Tür, legte die Chipstüte zur Seite und drehte sich dann mit einem abschätzenden Blick zu mir um.

„Warum lachst du?"

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich tatsächlich laut zu lachen begonnen hatte. Sofort hörte ich damit auf und kratzte mich irritiert am Hinterkopf. „Ähm... Keine Ahnung. Ich finde das Ganze hier einfach irgendwie witzig."

„Ach ja? Und warum?"

Ich ließ mich auf mein Bett fallen, was mir erneut ein Kichern entlockte, und sagte: „Weil es vor ein paar Wochen genau andersherum war."

„Du meinst, ich war betrunken und du warst die arme Sau, die sich um mich kümmern musste?"

Entrüstet zog ich eine Schnute. „Niemand hat gesagt, dass du dich um mich kümmern musst. Du hättest mich auch einfach am Gang stehen lassen können, Niall."

Er hob entschuldigend seine Hände. „Sorry, so war das nicht gemeint."

„Und wie war es dann gemeint?", fragte ich mit einem Anflug von Wut in der Stimme. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn man mir das Gefühl gab, so erbärmlich zu sein, dass sich jemand um mich kümmern MUSSTE.

Er holte tief Luft. „Erstens, würde ich dich niemals in diesem Zustand irgendwo alleine stehen lassen -"

„Oh, jetzt übertreib mal nicht! So betrunken bin ich auch wieder nicht!" Okay, das war eventuell ein wenig gelogen. Zumindest der aufsteigenden Übelkeit nach zu urteilen.

„- und zweitens wollte ich dir noch etwas sagen."

„Was auch immer es ist, ich will es nicht hören", meinte ich eingeschnappt.

„Emma." In seiner Stimme schwang Ungeduld mit. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du echt unreif wirst, wenn du betrunken bist?"

„Bah! Und hat dir schon mal jemand gesagt, dass du echt nervig sein kannst?", maulte ich zurück, obwohl er mit seiner Aussage durchaus recht haben könnte.

Schmunzelnd setzte sich Niall neben mich aufs Bett. „Ja, das habe ich schon öfters gehört."

„Sollte dir das dann nicht vielleicht etwas sagen?"

„Ja", sagte er leise und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich bin eindeutig viel zu oft mit dir zusammen, wenn du betrunken bist."

Erneut erwischte mich ein kleiner Kicheranfall. „Du bist doof."

„Du auch."

„Und du bist voll anhänglich, wenn du zu viel getrunken hast."

„Ha! Wenigstens werde ich nicht zu einem schmollenden Kleinkind."

Er stupste mir belustigt auf die Nase, was mich abermals zum Kichern brachte. „Ich werde überhaupt nicht zu einem Kleinkind!"

Alleine der kindische Ton in meiner Stimme reichte aus, um uns beiden zu zeigen, dass er möglicherweise doch nicht so unrecht hatte. Und das gefiel mir nicht. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Mit einem missbilligenden Schnauben verschränkte ich die Arme vor der Brust, erwischte dabei aber so viel Schwung, dass ich das Gleichgewicht verlor und rücklings auf meinem Bett landete. Für einen Moment starrte ich irritiert an die Decke, ehe ich schallend zu lachen begann. Man, was war der Alkohol doch für eine tolle Sache?

„Gott, wie viel hast du denn bitteschön getrunken?", fragte Niall grinsend.

„Zu viel, wie's ausschaut."

„Das würde ich auch sagen." Er kaute kurz nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. „Aber ist es soviel, dass du dich morgen nicht mehr daran erinnern können wirst, was ich dir jetzt sage?"

Augenblicklich hörte ich zu lachen auf. „Kommt darauf an."

„Auf was?"

Ich legte meinen Kopf ein wenig schief und musterte ihn skeptisch. „Darauf, ob mir das, was du sagst, gefällt oder nicht."

„Oh."

Mit fragendem Blick richtete ich mich ein wenig auf. „Wird es mir gefallen, Niall?"

Für eine Weile sah er mich schweigend an. Dann zuckte er mit den Schultern und meinte: „Keine Ahnung."

„Also, wenn du mir jetzt sagen willst, dass du deinen Pullover wiederhaben möchtest, dann kommst du zu spät. Den gebe ich nicht mehr her."

„Was?" Seine Augenbrauen zogen sich irritiert zusammen. „Nein! Es geht doch nicht um den Pullover, du Seeigel!"

„Fängst du jetzt auch schon mit diesen dämlichen Spitznamen an?"

Er fuhr sich der Verzweiflung nahe durchs Haar. „Nein, das überlass ich lieber Louis. Können wir uns jetzt bitte endlich mal auf das Wesentliche konzentrieren?"

„Und das wäre?" Ich sah ihn aus unschuldigen großen Augen an.

Er murmelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin, ehe er meinte: „Zuerst einmal, muss ich etwas loswerden, was ich dir schon vor ein paar Stunden sagen wollte." Er stoppte kurz und schenkte mir ein Lächeln, das mein Herz zum Rasen brachte. „Du siehst heute Abend echt toll aus, Em."

Verlegen fuhr ich mir durchs Haar und konnte dabei nicht verhindern, dass sich pure Erleichterung in meinem Körper ausbreitete. „Danke."

Er legte sich neben mich auf das Bett und sah mich von der Seite her an. „Und... Und ich muss dir etwas gestehen."

Mit besorgtem Blick ließ ich mich neben ihn sinken. „Okay...? Um was geht es?"

Er musterte mich zögerlich. „Um Tessa."

Sobald er ihren Namen ausgesprochen hatte, breitete sich ein mulmiges Gefühl in mir aus. Ich suchte sein Gesicht nach einem Hinweis darauf ab, was er mir sagen wollte, doch sein Ausdruck war unergründlich. Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen zwischen uns. Und obwohl ich wusste, dass ich es aus irgendeinem Grund nicht ertragen würde, wenn er mir nun das sagen würde, was mir Tessa neulich gestanden hatte, nahm ich dennoch all meine Kraft zusammen und fragte: „Was ist mit ihr?"

Er antwortete nicht sofort. Stattdessen ließ er seine blauen Augen langsam über mein Gesicht wandern. Als sie schließlich wieder bei meinen angekommen waren, lag irgendetwas in ihnen, das mir kurz den Atem raubte. „Ich glaube, das mit Tessa...."

„Ja?"

„Ich glaube, das ist ein Fehler."

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Rechts seht ihr den "Strampler", den Lou Emma leiht. :)

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