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Zwei Tage später lud ich Tessa zu mir zum Mittagessen ein, um endlich die verabsäumte Nachbesprechung ihrer zweiten Verabredung mit Niall nachzuholen. Um ehrlich zu sein, war ich schon ziemlich gespannt darauf, was mir Tessa zu berichten hatte. Zum einen, weil sie neulich bei Louis sehr glücklich gewirkt und auch gestern Abend am Telefon ziemlich aufgeregt geklungen hatte und zum anderen, weil Niall bisher noch kein Sterbenswörtchen darüber verloren hatte.

Deshalb musste ich meine Informationen eben von Tessa bekommen, die auch mehr als willig wirkte, mir diese zu geben. Um genau zu sein, erzählte sie schon seit fast zehn Minuten ohne Punkt und Komma und schien dabei nichts auslassen zu wollen. Sie erzählte mir davon, welch Gentleman er doch gewesen war, wie er ihr die Tür seines Wagens aufgehalten und sich den ganzen Abend nett um sie gekümmert hatte. Wie sie im VIP-Bereich ein paar Prominente getroffen und sich mit denen unterhalten hatten. Und sie erzählte mir auch von dem anschließenden Essen in einem kleinen, schicken Restaurant, das laut Tessa „sooooo schön und sooooo romantisch" gewesen war.

Ich hörte mir die gesamte Erzählung aufmerksam an, warf hin und wieder eine Frage ein oder platzierte ein „Aww!" wenn sie es von mir erwartete. Tessa wirkte während ihres Monologs so glücklich, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, und ihr Dauerlächeln, das schon an dem Tag, als wir Louis' Eismaschine ausprobiert hatten, nicht von ihrem Gesicht zu wischen war, war mitunter so ansteckend, dass ich unwillkürlich ebenfalls lächeln musste. Während sie mir detailliert berichtete, was nach dem Essen noch passiert war und wie toll Niall doch sei, kam ich nicht umhin mich zu fragen, warum Niall nichts von alledem erwähnt hatte. Ich meinte, wir waren Freunde und er wusste, dass ich ihn bei dieser Sache unterstützte, –schließlich hatte ich ihm auch den Tipp mit dem Konzert gegeben – warum also sprach er nicht über das zweite Date? Oder zumindest nicht mit mir?

„Hach! Es war einfach perfekt." Tessas aufgeregte Stimme riss mich aus meinen Überlegungen.

Ich blinzelte ein paar Mal, um mich wieder auf das Wesentliche konzentrieren zu können, bevor ich lächelnd meinte: „Das freut mich wirklich für euch."

Sie errötete ein wenig und strich sich verlegen eine Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht. Dann erhob sie sich von ihrem Platz an der Küchentheke, stellte sich neben mich und sah mir mit einem verträumten Ausdruck in den Augen dabei zu, wie ich Gemüse klein schnitt. „Bist du dir sicher, dass du keine Hilfe brauchst?"

„Ganz sicher", erwiderte ich lächelnd und griff nach einer Karotte. Während ich diese schälte, warf ich meiner Freundin einen kurzen abschätzenden Blick zu. „Und wann seht ihr euch wieder? Also, du und Niall?"

„Keine Ahnung." Sie seufzte leise. „Nachdem ihr ab morgen in den USA seid und ich, wenn ihr zurückkommt, bei meiner Familie sein werde, wird es wohl noch ein wenig dauern bis wir uns wiedersehen. Sofern er das überhaupt will..."

„Machst du Witze?" Amüsiert zog ich eine Augenbraue nach oben. „Niall hat sich bisher für noch kein Mädchen solche Mühe gegeben, wie für dich. Glaub mir, er will dich wiedersehen."

Die Röte ihrer Wangen wurde augenblicklich dunkler. „Wirklich?"

„Ja, wirklich", bestätigte ich schmunzelnd.

Tessa lehnte sich grinsend neben mich an die Küchentheke. Für einen Moment war nur das Geräusch des Messers zu hören, als ich ein Gemüse nach dem anderen zerkleinerte, ehe sie sich leise räusperte und sich so drehte, dass sie mich direkt anschauen konnte. „Darf ich dich etwas fragen, Emma?"

„Natürlich."

„Spricht Niall ab und zu über mich?"

Verwundert hob ich meinen Blick. „Wie bitte?"

„Redet er manchmal von mir? Oder..." Ihr Kopf hatte mittlerweile die Farbe einer Tomate angenommen. „Oder hat er dir von unserem Date erzählt?"

„Also,... ähm..." Ich legte das Messer zur Seite und kratzte mich ein wenig verlegen am Hinterkopf. „Um ehrlich zu sein, nein, er spricht nicht über dich. Zumindest nicht mit mir."

„Oh."

„Aber das heißt noch lange nichts, Tessa", beeilte ich mich weiterzusprechen. „Ich hab dir ja schon einmal gesagt, dass Männer dieses beste-Freunde-Ding ein wenig anders sehen, als wir Frauen. Und ich bin mir fast sicher – ach, Quatsch – ich bin mir GANZ sicher, dass er mit den anderen Jungs über dich und euer Date gesprochen hat."

„Meinst du wirklich?"

Die Hoffnung in ihren Augen, ließ mein Herz für einen Moment schwer werden. „Klar. Niall ist nicht der Typ Mensch, der solche Sachen für sich behält. Wenn ihm etwas gefällt oder er glücklich ist, dann spricht er auch darüber."

Sofort stahl sich ein breites Lächeln auf ihr Gesicht, als sie erfreut aufquietschte und ihre Arme um mich schlang. Ich hatte zwar keine Ahnung, womit ich diese Geste verdient hatte, erwiderte sie jedoch nach kurzem Zögern. Das Gespräch war irgendwie in eine seltsame Richtung verlaufen, die mir nicht so ganz gefiel. Vielleicht lag es an dem undefinierbaren Gefühl in meinem Magen, das ich einfach auf den Hunger schob, der sich schon langsam bemerkbar zu machen schien. Aus diesem Grund setzte ich meine Arbeit auch gleich wieder fort, als mich Tessa aus ihren Armen entließ, und begann damit eine Zwiebel zu schälen, während sie sich ein paar Karottenstücke stahl und sich wieder auf den Platz fallen ließ, auf dem sie zuvor schon gesessen hatte. Da ich nun mit dem Rücken zu ihr stand, konnte ich ihr Gesicht nicht mehr sehen. Doch ich war mir sicher, dass es noch immer von einem glücklichen Lächeln geziert wurde.

Erneut breitete sich Stille in meiner Küche aus. Das einzige, das zu hören war, war das Geräusch des Messers, als ich die Zwiebel zu schneiden begann und obwohl ich mich wirklich darauf zu konzentrieren versuchte, konnte ich dennoch nicht verhindern, dass meine Gedanken zu dem Gespräch, das Tessa und ich soeben geführt hatten, zurückwanderten. Jedes Detail, das sie mir von ihrer Verabredung mit Niall erzählt hatte, und jedes einzelne Wort ihrer Erzählung schien in meinem Kopf nachzuhallen. So laut, dass ich zuerst nicht einmal bemerkte, dass ich dank der lieben Zwiebel zu heulen begonnen hatte. Ich schniefte einmal kurz auf, warf Tessa einen entschuldigenden Blick zu und fuhr mir dann mit einem Ärmel über meine Augen. Na zum Glück hatte ich heute auf Make-up verzichtet. Ansonsten würde ich jetzt wohl wie ein Panda aussehen.

„Es gibt da noch etwas, das ich dir unbedingt erzählen wollte", durchbrach Tessa schließlich das Schweigen zwischen uns.

„Okay. Ich bin ganz Ohr", sagte ich ohne meinen Blick von der Zwiebel abzuwenden, die mich gerade noch mehr zum Schniefen brachte.

„Also, normalerweise geht das bei mir ja nicht so schnell, aber..."

„Aber?

Ich konnte sie nervös auf dem Stuhl hin und her rutschen hören. „Aber ich glaube, ich habe mich in Niall verliebt."

Von einem Stechen in meiner Brust und den Tränen in meinen Augen abgelenkt, vergaß ich nur für einen kurzen Moment, was ich gerade tat. Doch das reichte schon aus, um mir mit dem Messer in den Zeigefinger zu schneiden. Von dem Schmerzen in meinem Finger überrascht, stöhnte ich gequält auf, bevor ich alles fallen ließ und zur Spüle eilte. Sobald das eiskalte Wasser über meinen blutenden Finger lief und eine geschockt ausstehende Tessa in mein Badezimmer eilte, um mir ein Pflaster zu besorgen, schloss ich meine Augen und seufzte leise auf. Ich hatte keine Ahnung was da gerade mit mir los war. Alles, was ich wusste, war, dass es nicht gut war. Ganz und gar nicht gut.

„Hier, Emma. Halt das auf die Wunde", befahl Tessa, als sie mit meinem ersten Hilfekoffer zurückkam. Sie reichte mir ein Tuch, das ich, nachdem ich das Wasser abgestellt hatte, auf meinen Finger presste.

„Danke."

Ihre braunen Augen musterten mich eindringlich. „Geht's dir gut? Du bist ganz blass."

„Ich kann kein Blut sehen", erwiderte ich, bevor ich mich einfach auf den Boden setzte und meinen Kopf seufzend gegen die Küchentheke lehnte.

„Ich eigentlich auch nicht." Sie ließ mich neben mich sinken und nickte in Richtung meiner Hand. „Blutet es noch?"

„Wollen wir das wirklich wissen?"

Sie kicherte leise und nickte. Ergeben löste ich das Tuch von meinem Finger, wobei ich nicht umhin kam, mein Gesicht zu verziehen, sobald ich die kleine, aber sehr schmerzvolle Wunde zu sehen bekam. „Schaut nicht so aus."

„Gut."

Tessa griff nach dem erste Hilfekoffer und fischte ein Pflaster heraus. Nachdem sie es auf meine Fingerkuppe geklebt und mir mitleidig auf die Schulter geklopft hatte, legte sie ihren Kopf ein wenig schief und warf mir einen Blick zu, der mich augenblicklich nervös machte.

„Was?"

Kopfschüttelnd richtete sie ihren Blick auf den Boden. „Ach nichts."

Ich drehte meinen Kopf und musterte skeptisch. Ihre Lippen waren aufeinandergepresst, ihre Arme umfassten ihre Beine, die sie angezogen hatten und ihre Augen waren schon beinahe starr nach vorne gerichtet. Man musste wirklich kein Experte für Körpersprache sein um zu sehen, dass sie mir ganz offensichtlich etwas zu sagen hatte.

Ich kaute kurz auf meiner Unterlippe herum, bevor ich leise fragte: „Tessa?"

Sie neigte ihren Kopf ein wenig. „Ja?"

„Stimmt irgendetwas nicht?"

„Nein, nein. Alles okay." Sie versuchte sich an einem Lächeln, scheiterte jedoch kläglich.

„Bist du dir sicher?"

„Ja."

„Okay..." Ich gab es zwar nur ungern zu, doch ich war mir durchaus bewusst, was die Stimmung zwischen uns gerade so zerstört hatte, weshalb ich mich nach kurzem Überlegen räusperte und sagte: „Ich freue mich für dich und Niall. Wirklich."

Tessa sah mich ein wenig überrascht an, erwiderte jedoch sofort das ehrliche Lächeln, das sich auf meine Lippen geschlichen hatte. „Er ist wirklich toll, weißt du?"

„Ja, ich weiß." Ich tätschelte unbeholfen ihren Arm. Dieses Frauengesprächsding war wirklich nicht so meins. „Aber soll ich dir was verraten? Du bist mindestens ebenso toll."

„Awww, danke!" Sie zog mich in eine Umarmung.

Ich tätschelte ihren Rücken, bevor ich leise hinzufügte: „Und ich finde, dass ihr gut zusammenpasst."

Ihr Griff verstärkte sich um meinen Körper, was mir ein überraschtes Seufzen entlockte. Ich war mir nicht sicher, was im Moment schmerzhafter war: Ihr Klammergriff oder dieses merkwürdige Ziehen, das sich in mir auszubreiten schien. Was auch immer es war, es war es wert gewesen, denn meine Worte hatten den gewünschten Effekt gebracht. Sobald wir uns wieder voneinander lösten, war Tessas Körperhaltung und Stimmung wieder komplett normal und als wir uns schließlich mit dem fertigen Essen an den Tisch setzten, war es beinahe so, als hätte es den ‚Zwischenfall' überhaupt nicht gegeben.

Und da soll noch mal jemand sagen, dass Frauen nachtragend waren.

Pfff... Blödsinn.

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„Was soll das heißen, Sie haben meinen Koffer verloren?!" Entsetzt sah ich die Flughafenangestellte vor mir an.

„Bitte beruhigen Sie sich, Miss Geller. Wir sind bereits darum bemüht herauszufinden was mit ihrem Gepäck passiert ist."

Ich nickte, holte einmal tief Luft und sah der Frau dann dabei zu, wie sie irgendetwas in den PC vor sich tippte. Gott! Noch schlechter hätte die USA-Reise für mich ja beinahe nicht beginnen können. Zuerst hatte ich am Londoner Flughafen eine Diskussion mit meinem Vorgesetzten, dann der lange Flug nach New York, den ich dank des schnarchenden Typen hinter mir beinahe schlaflos verbringen durfte, und jetzt hatten sie auch noch meinen Koffer verloren. Meinen Koffer, der nicht nur all meine Klamotten, die ich für diesen Trip eingepackt hatte, enthielt, sondern vor allem auch meinen Lieblingspullover, meine Medikamente und ein paar persönliche Dinge, die ich auf keinen Fall verlieren wollte. Folglich fiel es mir ein wenig schwer, der Aufforderung der Dame hinter dem Schalter am JFK-Flughafen Folge zu leisten und mich zu beruhigen.

Doch ich gab mein Bestes wenigstens Äußerlich halbwegs ruhig zu wirken, damit der Security-Typ, der nur ein paar Meter von mir entfernt stand, damit aufhören konnte, mich misstrauisch zu beäugen. Ich war keine Gefahr für irgendjemanden, sondern einfach nur ein aufgebrachter Fluggast, der seinen Koffer wiederhaben wollte.

„Okay, Miss Geller", meinte die Dame nach einer gefühlten Ewigkeit. Sie hob ihren Blick, um mich anzusehen. „Wie mir soeben mitgeteilt wurde, haben die Kollegen in London ebenfalls Schwierigkeiten damit nachzuvollziehen, was mit ihrem Koffer passiert ist."

Frustriert fuhr ich mir übers Gesicht. „Und das bedeutet jetzt was?"

„Das bedeutet, dass es eine Weile in Anspruch nehmen wird, ehe wir Ihnen mit Sicherheit sagen können wo sich Ihr Gepäckstück befindet und wann Sie es zurückbekommen können."

„Eine Weile?", fragte ich, wobei ich mich wirklich bemühen musste, meinen angestauten Frust nicht an der unschuldigen Dame vor mir auszulassen. „Bitte definieren Sie mir ihre Auffassung von ‚eine Weile'."

Verwundert hob sie eine Augenbraue. „Wie bitte?"

„Bedeutet eine Weile bei Ihnen ein paar Stunden oder ein paar Tage. Denn wenn es sich um Letzteres handelt, werde ich mich entweder in L.A. oder wieder in London befinden und dann sollte mein Koffer im besten Fall nicht hier abzuholen sein."

Für einen kurzen Augenblick sah mich die Frau abschätzen an, bevor sie mir ein Dokument reichte und meinte: „Ich denke, Sie sollten das hier besser ausfüllen, damit wir Ihren Koffer an die richtige Adresse schicken, falls er auftauchen sollte."

Falls? Hatte sie gerade ‚falls er auftauchen sollte' gesagt?! Fassungslos sah ich die Frau vor mir an. In dieser Sache durfte es kein ‚falls' geben. Und auch kein ‚sollte'. Mein Koffer MUSSTE wieder auftauchen. Er musste einfach. Schließlich befanden sich darin – wie bereits erwähnt – ein paar Dinge, die man nicht einfach so wieder kaufen konnte. All die Klamotten (bis auf meinen Lieblingspullover, der mich auf jede Reise begleitete) waren mir egal, doch nicht das Stofftier, das mir meine Eltern vor einigen Jahren geschenkt hatten. Und auch der Ring, der sich in dem Koffer befand, und den ich von meiner Großmutter geschenkt bekommen hatte, hatte einen großen, emotionalen Wert für mich. Diese Sachen durften nicht verschwunden sein. Sie konnten nicht einfach für immer weg sein.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf griff ich nach dem Stift und begann das Dokument auszufüllen. Als ich damit fertig war, reichte ich es der Frau hinter dem Schalter zurück, die mir ein aufbauendes Lächeln schenkte. Ich erwiderte es so gut es ging, bedankte mich bei ihr für ihre Mühen und beeilte mich dann, aus diesem Raum zu kommen. Als ich zu Paul trat, der netterweise auf mich gewartet hatte, während die anderen bereits zum ersten Termin gefahren waren, genügte diesem ein Blick, um festzustellen, dass ich keinen Erfolg gehabt hatte. Er sah mich kurz mitleidig an, bevor er mich ohne ein Wort in den Arm nahm und mir durch meine ohnehin schon zerstörte Frisur wuschelte.

„Kopf hoch, Em. Der Koffer wird schon noch auftauchen." Die Art und Weise, wie er das sagte und mich dabei in den Armen hielt, gab mir das Gefühl, ein kleines Kind zu sein, das von seinem Vater getröstet wurde. Doch zu meiner Überraschung fühlte sich das in diesem Moment sogar ziemlich beruhigend an. „Und bis du deine wieder hast, kannst du ja die Sachen von Lou anziehen oder so."

Lachend nickte ich. Paul und seine wunderbar, unvergleichliche Art Probleme zu lösen. „Ja, oder ich investiere einfach einmal ein bisschen Geld in neue Shirts und Jeans."

„Und Schuhe."

Ich brachte ein bisschen Abstand zwischen uns, um ihn skeptisch ansehen zu können. „Was passt denn an den Schuhen nicht, die ich anhabe?"

„Nichts." Er musste hart daran arbeiten, ein Lächeln zu unterdrücken. „Ich dachte nur, dass du vielleicht auch mal andere Schuhe als diese da anziehen könntest."

„Hey! Das sind Converse, Paul. Converse sind toll. Und sie sind bequem!"

„Klar. Und sie sehen absolut professionell aus."

Beleidigt zog ich eine Schnute. „Hat dir Big Boss aufgetragen das zu sagen oder ist das deine absolut unnachvollziehbare eigene Meinung?"

„Sagen wir es ist eine Mischung aus beidem, okay?"

Nein, das war alles andere als okay. Aber weil ich es gerade einmal acht Uhr morgens war und ich ja wie bereits erwähnt nicht gerade viel Schlaf im Flieger abbekommen hatte, beschloss ich es einfach bei einem eingeschnappten Schauben, das wieder einmal zeigte, wie reif ich doch war, bevor ich meine Arme vor der Brust verschränkte und Paul einen bösen Blick zuwarf. Niemand beleidigte meine heiligen Converse. Niemand. Nicht einmal Paul.

Das schien dieser jedoch anders zu sehen, denn er brach angesichts meiner kindischen Reaktion in Gelächter aus und meinte: „Reiß dich zusammen, Emma. Alles, was ich damit sagen wollte ist, dass du vielleicht einmal darüber nachdenken solltest, andere Schuhe anzuziehen, damit du ein wenig professioneller wirkst. Das ist alles."

„Hmpf...", war alles, was ich dazu noch zu sagen hatte, bevor ich mich umdrehte und in Richtung des Ausganges davon stampfte.

Ich konnte Paul hinter mir lachen hören, als er mir folgte, doch er war klug genug, das Thema während des ganzen Tages nicht noch einmal zu erwähnen, weshalb ich es auch schon wieder komplett vergessen hatte, als wir schließlich um kurz vor neun Uhr abends das erste Mal unser Hotel betraten. Obwohl Harry, Niall, Zayn, Louis und Liam sichtlich erschöpft waren, ließen sie es sich nicht anmerken, als sie noch einmal kurz das Hotel verließen, um den Fans, die davor warteten, ein paar Autogramme zu geben und für Fotos zu posieren.

Der Rest von uns war entweder damit beschäftigt für ihre Sicherheit zu sorgen, das heißersehnte Zimmer zu finden oder, wie in meinem Fall, auf einem der Koffer meiner Lemminge zu hocken und zu warten, dass sie zurückkamen. Warum diese Ehre ausgerechnet mir zu zuteil wurde, wusste ich auch nicht so wirklich, doch ich hatte schon lange aufgehört, alles zu hinterfragen, was in meinem Leben passierte. Und so saß ich einfach nur auf dem Koffer und schaute in der Gegend herum. Als mein Blick jedoch auf die Gepäcksstücke um mich herum fiel, stach mir etwas ins Auge, das mich dazu brachte, aufzustehen und es näher zu begutachten.

Wie ich es bereits vermutet hatte, handelte es sich bei dem grauen Stoff, den ich gesehen hatte, um Nialls Pullover. Er hing halb aus seinem Rucksack heraus und schrie mich förmlich an, ihn zu nehmen und als vorläufigen Ersatz für meinen Lieblingspullover, der ja irgendwo in den Untiefen des Flughafensystems verschwunden war, anzusehen. Das klang jetzt vielleicht ein wenig verrückt, aber man musste das Ganze so sehen: Mein Lieblingspullover war eigentlich so etwas wie mein Anti-Heimweh-Mittel. Wenn ich mit den Jungs unterwegs und wieder einmal weit weg von zu Hause war, dann kuschelte ich mich in den weichen Pullover und fühlte mich augenblicklich besser. Und dabei war es egal, ob es Hochsommer oder tiefster Winter war – wenn ich Heimweh bekam, zog ich ihn an.

Ich runzelte nachdenklich meine Stirn und warf einen prüfenden Blick in Richtung des Einganges, bevor sich irgendetwas in meinem Gehirn auszuschalten schien und ich mir schließlich tatsächlich Nialls Pullover schnappte. Von mir selbst überrascht, verstaute ich ihn in meiner Tasche und kehrte zu meinem Platz auf dem Koffer zurück. Ja, ich war nicht ganz normal. Und ja, genau genommen hatte ich soeben meinen besten Freund bestohlen. Aber ich konnte einfach kein schlechtes Gewissen deswegen haben. Und das hatte genau vier Gründe: Erstens hatte Niall mehr als genug andere Pullover, zweitens benutzte er ihn bloß als Kopfkissen im Flieger oder im Auto (was wirklich eine Schande war), drittens würde es ihm vermutlich erst in ein paar Tagen auffallen, dass er fehlte und viertens – und das war der entscheidende Grund – er wusste, warum mein Lieblingspullover ein fester Bestandteil meines Reisegepäcks war, weshalb er mir den Diebstahl mit Sicherheit verzeihen und mir seinen Pullover überlassen würde. Außerdem hatte ich ihn mir ja letzten Ende eigentlich nur ausgeliehen. Also, kein Diebstahl, kein Drama, nichts dergleichen.

Das dachte ich zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Zayn an die Tür meines Hotelzimmers klopfte und mich fragte, ob ich Nialls Pullover irgendwo gesehen hätte. Da ich nicht nur wusste wo sich das gesuchte Kleidungsstück befand, sondern es auch gerade trug, biss ich mir sofort ertappt auf die Unterlippe und versteckte mich halb hinter der Tür. „Sorry, Zayn. Ich habe keine Ahnung wo sein Pullover ist."

Zayn, der mich leider zu gut kannte, musterte zuerst mein Gesicht, bevor sein misstrauischer Blick weiter zu meinem halbsichtbaren Outfit wanderte. „Bist du dir da sicher, Em?"

„Ja. Ganz sicher", log ich weiter.

„Aja." Zayns linker Mundwinkel wanderte ein wenig nach oben. „Falls du ihn doch noch find-"

„DU!" Überrascht drehte sich Zayn zu Niall um, der plötzlich hinter ihm aufgetaucht war, und mit einem entsetzten Gesichtsausdruck auf mich zeigte. „Du hast meinen Pullover gestohlen!"

Bevor ich darauf etwas erwidern konnte, war er schon an Zayn vorbei auf meine Tür zugestürmt. Ich quietschte überrascht auf und versuchte die Tür zu schließen, was allerdings daran scheiterte, dass Niall sich mit aller Kraft dagegen lehnte. Obwohl ich mir wirklich Mühe gab und alles, was meine wabbeligen Arme hergaben, einsetzte, schaffte ich es nicht gegen ihn anzukommen. Ergeben ließ ich die Tür los, woraufhin Niall, der noch immer sein gesamtes Gewicht dagegen gestemmt hatte, überrascht nach vorne stolperte und schließlich zu meinem Füßen auf den Boden krachte.

Diesen Moment nützend, drängte ich mich an dem blonden Iren vorbei aus dem Zimmer heraus, ignorierte einen Lachanfall habenden Zayn und rannte auf der Suche nach einem Versteck den Gang entlang. Leider hatte ich diese Rechnung ohne Niall gemacht, der schneller als erwartet wieder auf den Beinen war, und mir nun so schnell hinterherhetzte, dass ich überhaupt keine Zeit hatte, nach einem rettenden Zimmer Ausschau zuhalten, sondern einfach nur kreischend und lachend vor ihm davon lief.

„Emma! Bleib stehen!" Seine Aufforderung ignorierend riss ich die Tür zum Treppenhaus auf und rannte die Stufen nach unten. „Zwing mich nicht, dich zu stoppen!"

„Versuchs doch!", rief ich kichernd und drehte mich kurz zu ihm um, nur um zu sehen, dass er ein ebenso großes Lächeln im Gesicht hatte wie ich.

Ich streckte ihm, reif wie ich nun mal war, meine Zunge raus und öffnete dann eine Tür, die zu irgendeinem Stockwerk führte. Ich konnte Nialls Schritte dicht hinter mir hören, als er mich einmal durch den ganzen Gang jagte. Immer mal wieder konnte ich ihn leicht an seinem Pullover zupfen spüren, doch ich schaffte es jedes Mal seinem Griff zu entkommen, sodass er mich noch immer nicht ganz erwischt hatte, als ich auf der anderen Seite des Stockwerkes erneut in ein Treppenhaus lief. Schnaufend und vollkommen aus der Puste kämpfte ich mich eine Treppe nach der anderen nach oben. Als ich wieder in unserem Stockwerk angekommen war, lief ich mit der Absicht mich einfach in meinem eigenen Zimmer einzuschließen den Gang entlang.

„Emma June Geller! Das ist meine letzte Warnung! Bleib stehen!"

Lachend drehte ich mich erneut kurz zu Niall um, bevor ich Harry, Liam, Jon und Josh auswich, die aufgrund des Lärms, den unsere Verfolgungsjagd verursachte, die Köpfe aus ihren Zimmern streckten. Ich wollte gerade einem verschlafen aussehenden Louis ausweichen, der wie aus dem Nichts plötzlich vor mir stand, als sich zwei Arme um meine Taille schlangen und mich hochhoben. Quietschend und strampelnd versuchte ich mich gegen den Griff zu wehren und brachte Niall damit so ins Straucheln, dass er das Gleichgewicht verlor und wir beide unsanft am Boden landeten. Wobei, eigentlich landete ich mehr auf Niall als auf dem Boden, was diesen schmerzvoll aufstöhnen ließ.

Sofort krabbelte ich von ihm runter und sah ihn entschuldigend an. Für einen kurzen Augenblick dachte ich wirklich, dass er sich verletzt hatte, doch dann begann sein Mundwinkel zu zucken und noch bevor ich begriff, was eigentlich gerade passiert war, lagen wir beide kugelnd vor Lachen am Boden.

„Ich hab ja schon immer gesagt, dass die beiden nicht ganz dicht sind", kommentierte Louis schmunzelnd, als er näher zu uns trat und uns begutachtete, als wären wir irgendwelche exotischen Tiere im Zoo.

Noch immer lachend, streckte ich ihm meinen Mittelfinger entgegen, was mir ein gespielt beleidigtes Seufzen von Louis und eine Runde Kopfschütteln aller anderen Zuseher dieses Spektakels einbrachte. Dann war das Schließen von Türen zu hören und als ich mich wenig später von meinem Lachanfall erholt hatte, musste ich feststellen, dass sich alle wieder in ihre Zimmer verzogen und einen Lachtränen weinenden Niall und mich alleine zurückgelassen hatten. Mit einem Lächeln im Gesicht lehnte ich mich noch immer am Boden sitzend gegen die Wand, was mir Niall auf der gegenüberliegenden Seite nachmachte. Ein paar Augenblicke lang war nur unser ungleichmäßiges Atmen zu hören, bevor Niall die Stille durchbrach.

„Du hättest einfach fragen können." Als ich ihn fragend ansah, nickte er in Richtung des Pullovers und meinte: „Ich hätte ihn dir geliehen, wenn du gefragt hättest."

Beschämt senkte ich meinen Blick. „Ich weiß. Tut mir leid."

„Schon okay. Ich brauchte sowieso mal wieder ein kleines Lauftraining." Er grinste mich an. „Warum bist du eigentlich vor mir davon gerannt?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht. Du hast irgendwie so beängstigend ausgesehen, dass ich mal sicherheitshalber davon gerannt bin."

„Beängstigend?" Überrascht zog er eine Augenbraue nach oben. „Was dachtest du denn bitte, was ich tun würde?"

„Keine Ahnung... Was hattest du denn vor?"

„Dich so lange zu kitzeln, bis du meinen Pulli rausrückst."

„Klar." Grinsend zupfte ich am Saum des Pullovers herum. „Willst du ihn jetzt wieder haben?"

„Nein, schon gut. Behalte ihn", meinte er grinsend, bevor sein Gesichtsausdruck ein wenig nachdenklicher wurde. „Hast du wieder Heimweh?"

Überrascht sah ich ihn an. Es war unfassbar, wie schnell er von meinem verschwundenen Koffer und dem Diebstahl seines Pullovers zum richtigen Schluss gekommen war. Nämlich dem, dass ich tatsächlich wieder von starkem Heimweh geplagt wurde. Nicht nach London, sondern nach Aberdeen, meinem Heimatort.

„Ja... Ich habe vor ein paar Stunden mit meinem Bruder telefoniert und seine Stimme zu hören war..."

Kopfschüttelnd brach ich ab. Doch Niall hatte auch so schon verstanden, worauf ich hinauswollte. „Mir ist dasselbe heute mit meiner Mom passiert."

„Und was hast du dagegen getan?"

Er lachte leise. „Ich wollte deinen Tipp befolgen und mir meinen Lieblingspullover anziehen."

„Oh." Mein Blick glitt zu dem grauen Pullover. „Ich wusste nicht, dass das dein Lieblingspullover ist."

Niall zuckte kurz mit den Schultern, bevor er mir ein warmes Lächeln schenkte. „Ist ja eigentlich auch egal."

Augenblicklich fühlte ich mich schlecht. „Niall, es tut mir echt leid. Ich bin manchmal einfach so eine Idiot-"

„Wie gesagt", unterbrach er mich sanft, „es ist okay."

„Bist du dir sicher?"

„Absolut sicher", meinte er leise lachend, bevor er aufstand und mir seine Hand entgegenhielt und mir ebenfalls aufhalf. „Und übrigens..." Abwartend sah ich ihn an, als wir nebeneinander zu meinem Zimmer gingen. „Ich war nie wirklich auf der Suche nach dem Pullover."

Verwirrt runzelte ich meine Stirn. „Was?"

Schmunzelnd zog er mich in eine kurze Umarmung und sagte: „Ich wusste gleich, dass du ihn hast."

„Wa-... Woher?", fragte ich.

„Keine Ahnung, war einfach so ein Gefühl."

Und mit diesen Worten drehte er sich um und ließ mich vollkommen sprachlos in dem Gang zurück.

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