«4»

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Das erste, das ich am nächsten Morgen fühlte war Nähe. Unerwartete und absolut berauschende menschliche Nähe. Das zweite, das ich wahrnahm, war ein Arm. Ein Arm, der über meiner Taille lag und mich festhielt. So fest, als würde ich jeden Moment verschwinden können. Mit diesen ungewöhnlichen Eindrücken überfordert, durchsuchte ich mein Gehirn nach den letzten Geschehnissen der vergangenen Nacht. Als ich es schaffte, mein müdes Gehirn zurück zu dem Zeitpunkt zu bringen, an dem ich Niall in das Taxi befördert hatte, stahl sich ein leichtes Lächeln auf mein Gesicht und die übrigen Erinnerungen bahnten sich ihren Weg in mein Gedächtnis.

Erinnerungen davon, wie ich ihn in zu seiner Wohnung geschleppt und ihm den Haustürschlüssel aus der Hosentasche gefischt hatte. Erinnerungen davon, wie ich ihn in sein Schlafzimmer befördert und ins Bett gelegt hatte. Und vor allem davon, wie er mich plötzlich zu sich auf die Matratze gezogen und seinen Arm um mich geschlungen hatte. Davon, wie er mich immer näher zu sich gezogen hatte, nur damit ich nicht nach Hause ging. All diese Erinnerungen prasselten plötzlich so schnell auf mich ein, dass ich sie nicht richtig verarbeiten konnte. Alles, was ich wusste, war, dass dieses Gefühl in meinem Bauch nicht gut war. Und, dass es sich offenbar um Nialls Arm handeln musste, der gerade den Druck auf meiner Taille leicht erhöhte.

Mein Verdacht wurde augenblicklich bestätigt, als ich meine müden Augen aufschlug und direkt in das schlafende Gesicht meines besten Freundes blickte. Langsam ließ ich meine blauen Augen über sein Gesicht gleiten und beobachtete ihn dabei, wie er immer wieder leicht mit den Mundwinkeln zuckte, sodass es beinahe so wirkte als wäre er wach und müsste sich angesichts meines Blickes ein Lächeln verkneifen. Doch er schlief. Das wusste ich mit absoluter Sicherheit. Für einen Moment war ich versucht, die Strähne seines blonden Haares, die ihm ins Gesicht hing, nach hinten zu streichen. Doch ich ließ es und lauschte wieder seinem Atem, der mich auf eine seltsame Art und Weise zu hypnotisieren schien und mich erneut dazu brachte, in seinen Armen einzuschlafen.

Als ich das nächste Mal aufwachte, hatte ich das Gefühl, einen Blick auf mir spüren zu können. Sofort schlug ich meine Augen auf und sah direkt in Nialls. Während sich meine vor Überraschung weiteten, sah er mich mit einem solchen Ausdruck im Gesicht an, dass ich mich tatsächlich fragte, wie lange er seinen Blick schon auf mich gerichtet hatte. Von meinen eigenen Gedanken peinlich berührt, brach ich sofort den Augenkontakt ab und rutschte ein wenig von ihm weg.

„Morgen", nuschelte ich und fuhr mir durch mein Haar.

„Morgen." Sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. „Hast du gut geschlafen?"

Die Wahrheit? Ich hatte so gut wie schon lange nicht mehr geschlafen. Doch das konnte ich ihm unmöglich sagen. „Ja. Und du?"

Niall nickte und löste seinen Arm von meiner Taille, um sich damit durch sein zerzaustes Haar zu fahren. „Ugh!"

Schmunzelnd fragte ich: „Na, hat da jemand Kopfschmerzen?"

Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. „Ja und das ist nur deine Schuld!"

Entrüstet rief ich: „Meine Schuld?!"

„Ugh, nicht so laut, Em." Nialls Gesicht verzog sich zu einer leidenden Grimasse. „Ja, deine Schuld. Wenn du einfach ein paar Tequila Shots mehr getrunken hättest, anstatt dich mit Hazza auf die Tanzfläche zu verziehen, hätte ich jetzt keinen Kater."

„Natürlich." Ich schlug die Decke zurück und setzte mich ein wenig auf. „Nur zu deiner Information, du hättest auch mit tanzen gehen können, anstatt dich mit Louis volllaufen zu lassen."

Niall verdrehte die Augen und äffte mich tonlos nach, was ihm das Aussehen eines Kleinkindes verlieh. Mit einem amüsierten Grinsen im Gesicht piekste ich ihm als Strafe mit dem Zeigefinger in die Wange. „Au! Warum tust du mir in letzter Zeit immer weh?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass du nach fast drei Jahren auch einmal meine sadistische Seite kennenlernen solltest. Vielleicht hast du es auch einfach nur verdient."

Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, erwiderte jedoch nichts. Für einen kurzen Augenblick sahen wir uns nur wortlos an, ehe es erneut an mir lag den Augenkontakt zu brechen. Mit dem Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben, quälte ich mich mühsam aus dem Bett und versuchte dabei zu verhindern, dass mein Kleid sich in ein T-Shirt verwandelte.

„Niall?"

Der blonde Sänger hatte seine Augen bereits wieder geschlossen und litt theatralisch vor sich hin. „Hm?"

„Hast du vielleicht irgendetwas zum Anziehen für mich?"

Sofort schlug er seine Augen auf und musterte mich. „Was passt denn an deinem Outfit nicht?"

„Es ist unbequem."

Ich konnte sehen, dass er ein Lachen unterdrücken musste, als er langsam nickte und sich so vorsichtig aufsetzte, dass ich wirklich den Verdacht hatte, dass er sich jeden Moment übergeben könnte. Doch zum Glück behielt er alles bei sich und stand schließlich auf wackeligen Beinen vor mir. Erst jetzt fiel mir auf, dass er bloß Boxershorts trug.

Knallrot im Gesicht drehte ich mich ein wenig von ihm weg und fragte: „Warum zum Henker bist du halbnackt?!"

Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, wie er verwirrt an sich hinuntersah. „Das nennst du halbnackt?"

„Ja." Ich hielt mir eine Hand vor die Augen. „Was ist mit deiner Hose passiert? Ich bin mir sicher, dass du sie noch anhattest, als ich dich ins Bett gebracht habe. Ebenso wie ein T-Shirt!"

Für einen Moment war es still, dann begann Niall zu lachen. „Emma, du stellst dich gerade wie ein kleines Kind an. Tu' nicht so, als hättest du mich noch nie in Boxershorts gesehen."

Ich ließ meine Hand sinken, um ihm einen bösen Blick zuzuwerfen. „Sei still und zieh' dir endlich eine Hose oder zumindest ein T-Shirt an!"

Noch immer lachend sammelte er eine Trainingshose vom Boden auf. Wenn ich sein Lachen nicht so lieben würde, würde ich ihm jetzt ein Kissen in den Mund stopfen, damit es aufhörte. Denn es gab mir das Gefühl, tatsächlich so kindisch zu sein, wie ich mir gerade vorkam. Als er sich in seine Hose gequält hatte, schwankte er noch immer oben ohne zu seinem Kleiderschrank und öffnete die Tür.

Während er seinen Blick suchend über seine Klamotten schweifen ließ, konnte ich nicht anders, als auf seine ausgestreckten Arme zu starren, die die Türen des Kleiderschrankes offen hielten und mir somit seine angespannten Muskeln offenbarten. Verdammter Mist! Wann hatte er bitte damit begonnen zu trainieren?

„Also, ich kann dir 'ne Boxershort oder eine Trainingshose anbieten." Er drehte sich fragend zu mir um.

Schnell wandte ich meinen Blick von seinen Armen ab. „Ich... ähm... Ich nehme die Trainingshose."

Er zog das gewünschte Kleidungsstück hervor. „Alles klar bei dir?"

Noch immer auf den Boden starrend fragte ich: „Sicher. Warum?"

„Weil du gerade die Farbe einer Tomate aufgezogen hast."

Sofort verstärkte sich die Hitze in meinem Gesicht, sodass ich das Gefühl hatte, dass meine Wangen glühten. „Halt die Klappe und gib mir lieber noch ein T-Shirt."

Erneut begann er zu lachen und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, dass es ihm Spaß machte, mich mit seiner neugewonnenen Muskelmasse aus dem Konzept zu bringen. Schließlich reichte er mir seine Klamotten und als ich es wagte, endlich vom Boden aufzusehen, zierte ein seltsames Lächeln sein Gesicht.

„Was denn?"

„Nichts", erwiderte er und kam auf mich zu. „Du bist wirklich süß, wenn du verlegen bist. Weißt du das eigentlich?"

„Ich bin nicht verlegen", entrüstete ich mich.

„Natürlich."

Seine Stimme triefte ebenso vor Sarkasmus wie es meine bei diesem Wort getan hatte. Er sah mich mit einem leichten Kopfschütteln an und noch bevor ich reagieren konnte, hatte er bereits die Arme ausgestreckt und mich in eine seiner berühmt berüchtigten Umarmungen gezogen. Völlig verdattert, versuchte ich meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen, der angesichts der Tatsache, dass ich nun direkt an seinem nackten Oberkörper gepresst war, einen ungesunden Rhythmus angenommen hatte.

Oh Gott! Was sollte das denn werden? Drehte ich jetzt komplett durch? Es war schließlich nicht das erste Mal, dass ich einen der Jungs nur in Boxershorts gesehen hatte. Und es war auch nicht das erste Mal, dass ich von einem halbnackten Lemming umarmt wurde.

Doch es war bestimmt das erste Mal, dass mein Herz daraus ein solches Drama machte. Oh Gott, was war nur mit mir los?

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Eine Woche später war ich gerade auf dem Heimweg von meinem Termin beim Kardiologen, den ich aufgrund der wiederholt auftretenden Herzrhythmusstörungen aufgesucht hatte, als mich Liam anrief. Schon als mein Handy zu vibrieren begonnen hatte und sein Name immer und immer wieder auf meinem Display aufleuchtete, wusste ich, dass er aufgeregt war. Fragt mich nicht woher. Vielleicht war es Intuition. Vielleicht aber auch so etwas wie ein sechster Sinn. Was auch immer es war, das mich diese Vermutung aufstellen ließ, es sollte recht behalten. Denn ich sollte nicht einmal die Möglichkeit bekommen, ihn zu begrüßen.

Stattdessen konnte ich mir, sobald ich auf den grünen Hörer gedrückt hatte, sein freundiges Gebrülle anhören: „Du bist ein Genie, Emma."

Ich hielt das Handy ein wenig von meinem Ohr weg. „Ich weiß, danke."

Liam lachte kurz auf und ich konnte mir richtig vorstellen, wie er jetzt abwartend eine Augenbraue hob. Als die gewünschte Frage jedoch nicht kam, seufzte er kurz und fragte: „Willst du nicht wissen, warum du eines bist?"

„Eigentlich nicht." Ein breites Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. „Aber wenn du willst, darfst du es mir gerne erklären."

„Wie gütig."

„Ich weiß." Kichernd überquerte ich die Straße und folgte der Menschenmasse in Richtung Undergroundstation. „Also, warum bin ich ein Genie?"

„Weil er tatsächlich funktioniert hat!"

Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Wer hat funktioniert?"

„Der Plan", erklärte Liam euphorisch. „Dein Plan!"

Abrupt blieb ich stehen. Ein paar Passanten hinter mir, rempelten mich genervt an, doch ich bemerkte es nicht einmal richtig. „Was meinst du damit?"

„Mensch, Emma! Stehst du heute auf der Leitung? Niall und Tessa haben an jenem Abend im Aquarius ihre Handynummern ausgetauscht und soweit ich das mitbekommen habe, schreiben sie sich seitdem täglich!"

Ich ließ mich von einem vor sich hin maulenden Businessman auf die Seite schieben. Ungläubig versuchte ich das soeben Gehörte zu verstehen, während ich gleichzeitig darum bemüht war, herauszufinden warum mir jede Faser in meinem Körper plötzlich wie festgefroren vorkam. Es hatte funktioniert... Es hatte tatsächlich funktioniert.

Überrumpelt fuhr ich mir durch mein Haar. Wow! Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet. Nicht, nachdem Niall sie einfach ohne ein Wort hatte nach Hause gehen lassen. Und nicht, nachdem er am nächsten Morgen beim Frühstück kein einziges Wort über sie verloren hatte. Ich war davon ausgegangen, dass es einfach noch nicht zwischen ihnen gefunkt hatte. Ansonsten hätte er mir sicher davon erzählt. Schließlich hatten wir bisher immer über solche Sachen geredet. Ein seltsames Gefühl breitete sich in mir aus, als ich darüber nachdachte, warum mir mein bester Freund plötzlich nichts mehr erzählte.

„Emma? Hallo? Bist du noch das?" Liams Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

„Ja, klar. Ich bin noch dran", beeilte ich mich zu sagen. „Der Empfang war nur etwas schlecht."

„Okay...?"

Vor meinem inneren Auge konnte ich seinen misstrauischen Blick sehen, weshalb ich schnell sagte: „Ich bin echt überrascht, dass ihr einmal jemanden erfolgreich verkuppelt habt. Das verdient schon fast eine Auszeichnung."

„Danke, Em. Aber eigentlich gehört das ganze Lob nur dir. Schließlich war es deine Idee, die die beiden zusammengebracht hat."

Erneute Herzrhythmusstörungen ließen mich leise aufkeuchen. „Das stimmt zwar nicht ganz, aber danke... Ich nehme dieses zweifelhafte Lob jetzt einfach mal an."

„Zweifelhaftes Lob?"

„Ja, schließlich bedeutete es, dass ich jetzt genauso mies wie ihr bin und einen auf Amor mache", gab ich schmunzelnd zurück.

„Ha. Ha. Jetzt tu' nicht so, als würde es dir nicht auch Spaß machen."

„Du hast recht", meinte ich und machte mich wieder auf den Weg in Richtung Undergroundstation. „Es hat wirklich ein wenig Spaß gemacht."

„Siehst du. Und wenn wir Niall fix mit Tessa zusammengebracht haben, kümmern wir uns um dich, okay? Irgendwo da draußen muss schließlich auch ein Mann für dich sein."

Ich presste die Lippen aufeinander. Seit wann war Liam so ein Charmebolzen? „Sehr nett, Liam. Jetzt komm' ich mir überhaupt nicht wie eine alte Jungfer vor."

„Oh... Sorry, Em. So war das nicht gemeint."

„Ja ja." Ich fuhr mir durch mein Haar. „Was denkst du wie lange es noch dauern wird, ehe wir Projekt Nessa abschließen können?"

Ich konnte ihm am anderen Ende der Leitung seufzen hören, bevor er meinte: „Wenn wir Glück haben, schafft es unser Nialler heute noch, Tessa endlich um ein erstes offizielles Date zu bitten."

Ich nickte, obwohl er es nicht sehen konnte. „Klingt ja nicht so optimistisch..."

„Du kennst ihn ja, er ist bei solchen Sachen immer ein wenig langsam. Vor allem, wenn er mal wieder nicht weiß, was er will."

Hellhörig blieb ich erneut stehen. Dieses Mal war ich jedoch so klug und stellte mich gleich an den Rande des Gehsteigs, sodass ich nicht wieder von jedem Passanten angerempelt werden würde.

„Was soll das denn bitte heißen?"

„Ach nichts", meinte Liam schnell. „Das kannst du nicht verstehen, Emma."

„Willst du mir damit sagen, dass ich dumm bin?"

„Nein! Natürlich nicht." Er seufzte leicht genervt auf. „Kannst du es nicht einfach dabei belassen?"

Nein. Konnte ich nicht. Doch es würde mir wohl nichts anderes übrig bleiben. „Okay, ausnahmsweise."

Er lachte leise, bevor wir das Telefonat beendeten und ich mein Handy in meine Handtasche sinken ließ. Ich wusste nicht warum, doch plötzlich hatte ich das Gefühl, einen Kloß im Hals stecken zu haben. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass ich nun in derselben Verkupplungsliga wie Zayn, Harry, Liam und Louis spielte – und das war nun wirklich kein Lob. Oder es lag daran, dass es mich ein wenig verletzte, dass mir weder Niall noch Tessa davon erzählt hatten, dass sie täglich miteinander schrieben oder telefonierten. Schließlich war ich mit beiden befreundet und angeblich sprach man ja mit Freunden über so etwas. Doch möglicherweise war das ja das Problem an der Sache. Vielleicht wollte keiner von ihnen mit mir darüber reden, weil sie beide Angst hatten, ich könnte dem anderen davon erzählen.

Seufzend schüttelte ich den Kopf und reihte mich wieder in die Menschenmasse ein, die sich an mir vorbei in die Undergroundstation rollte. Eine Stunde später stand ich vor der Eingangstür meines Wohnhauses und kämpfte mit meinem Hausschlüssel, der es offenbar sehr witzig fand, sich in den Kopfhörern meines iPods zu verfangen. Nach gefühlten zehn Minuten und hundert Flüchen und Morddrohungen, schaffte ich es schließlich doch noch, meinen Schlüssel ins Schloss zu stecken und die Tür zu öffnen.

Allerdings kam ich nicht einmal über die Türschwelle, denn plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter. Erschrocken fuhr ich herum.

„Niall!" Ich griff mir an mein wild klopfendes Herz. „Sag' mal spinnst du? Du kannst mich doch nicht so erschrecken."

Der Angesprochene schenkte mir ein breites Grinsen, ehe er wortlos die Hände, die er bisher in den Hosentaschen versteckt hatte, nach meinen Einkäufen ausstreckte, die ich auf dem Heimweg noch schnell erledigt hatte. Dankbar lächelnd ließ ich mir die zwei Tüten abnehmen und hielt ihm dafür die Tür auf, sodass er ohne Probleme ins Stiegenhaus gehen konnte. Unter normalen Umständen hätte mich sein plötzliches Auftauchen nicht überrascht, doch heute tat es das. Zum einen, weil ich mir nicht sicher war, ob er überhaupt zu mir wollte und zum anderen, weil ich das ungute Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte. Zumindest ließ mich dieser gewisse Ausdruck in seinem Gesicht darauf schließen.

Vor Tessas Tür angekommen, sah ich ihn kurz fragend an, doch er machte nicht die geringste Anstalt stehen zu bleiben, sondern transportierte stur meine Einkäufe nach oben. Verwundert folgte ich ihm. In meiner Wohnung angekommen, räumte ich zuerst die eingekauften Lebensmittel weg, ehe ich mit zwei Tassen Tee zu Niall ins Wohnzimmer ging. Ich reichte ihm eine Tasse, stellte die andere auf den Tisch und ließ mich seufzend neben ihn auf das Sofa fallen.

„Okay, spuck's aus. Was ist los?"

Er starrte in seine Tasse und erwiderte viel zu spät: „Wie kommst du darauf, dass ich über etwas reden will?"

„Weil ich dich kenne. Diesen seltsamen Ausdruck in deinen Augen hast du immer nur dann, wenn du ein Problem hast. Also, was ist es?"

Für einen Moment sah er mich nur mit aufeinandergepressten Lippen an. Wieder etwas, dass er nur tat, wenn er konzentriert war oder nicht wusste, wie er etwas formulieren sollte. Dann wandte er seinen Blick von mir ab und beobachtete die kleinen Kreise, die sich durch die leichten Bewegungen der Tasse, auf der Oberfläche des Getränkes bildeten.

„Du bist doch immer ehrlich zu mir oder, Emma?"

Neugierig und auch ein wenig irritiert antwortete ich: „Ja."

„Das heißt, wenn ich dich jetzt gleich etwas fragen werde, wirst du mir eine ehrliche Antwort geben?"

„Ja."

Mit wild klopfendem Herzen, drehte ich mich so, dass ich nun ihm zugewandt im Schneidersitz neben ihm saß. Irgendetwas an seinem Ton machte mir Angst. Niall sprach selten so ernst mit mir und wenn, dann steckte ein guter Grund dahinter. Doch dieser gute Grund wollte mir einfach nicht einfallen. War irgendetwas in den letzten Tagen geschehen, dass ihm dazu gebracht hatte, so nachdenklich zu werden? Ich meinte, außer der Sache mit Tessa? Oh. Tessa. Wollte er jetzt etwa über sie sprechen?

Als hätte er meine Gedanken gelesen, fragte er plötzlich: „Du hast ja sicher mitbekommen, dass ich mich vor einer Woche im Aquarius ziemlich lange mit Tessa unterhalten habe, oder?" Ich nickte. „Und die Jungs haben dir sicher auch schon erzählt, dass wir an diesem Abend auch Nummern ausgetauscht haben. Liege ich da richtig?"

„Woher-"

„Ich kenne die Jungs, Emma. Wenn ich einem von ihnen etwas erzähle, weiß es der Rest in den meisten Fällen auch gleich."

Ich musste mir ein Lächeln verkneifen. Ja, Harry, Niall, Liam, Louis und Zayn waren manchmal wirklich schlimmer als Waschweiber. „Tja, du bist nicht wirklich eine Ausnahme; Niall. "

„Ich weiß." Ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Deswegen kann ich ihnen auch nicht wirklich böse sein."

Ich erwiderte sein Lächeln und griff nach meiner Tasse auf dem Wohnzimmertischchen. Vorsichtig pustend meinte ich: „Okay, jetzt hast du mich wirklich neugierig gemacht. Was willst du mich fragen?"

Für einen Moment sah er mich nachdenklich an, dann fragte er: „Denkst du, ich sollte Tessa um ein Date bitte?"

Erschrocken verschluckte ich mich an meinem Tee und begann heftigst zu husten. Wie bitte? Hatte er mich gerade wirklich gefragt, ob er sie um ein Date bitten sollte? Mit tränenden Augen und immer noch hustend sah ich ihn an. Auf seinem Gesicht hatte sich angesichts meines beinahe Erstickungstodes ein breites Grinsen ausgebreitet, das noch viel breiter wurde, als ich ihm signalisierte, dass er mir irgendwie helfen sollte. Obwohl ich diese Geste immer für unnütz hielt, war ich heilfroh, als er sich endlich dazu erbarmte mir auf den Rücken zu klopfen. Nachdem ich noch ein paar Mal theatralisch gehustet und meine Hand auf meinen Brustkorb gelegt hatte, konnte ich endlich wieder normal atmen.

Noch immer geschockt von seinen Worten fragte ich japsend: „Warum fragst du mich das?"

„Keine Ahnung." Er zuckte mit den Schultern. „Weil du meine beste Freundin bist? Weil du die einzige Person bist, der ich diese Frage stellen kann, ohne gleich ausgelacht zu werden? Ich weiß es echt nicht."

Nachdenklich sah ich ihn an. Eigentlich müsste ich jetzt lautstark „Tu' es! Frag' sie!" brüllen. Schließlich war das doch das Ziel meiner Zusammenarbeit mit den Möchtegern-Amors gewesen. Doch irgendetwas hielt mich zurück. Vielleicht war es der seltsame Ausdruck in Nialls Augen, vielleicht auch der Schock über diese ungewöhnliche Frage. Was auch immer es war, ich musste es zur Seite schieben und den Plan zu Ende bringen.

Und genau das tat ich auch.

Ich setzte ein Lächeln auf und sagte: „Wenn du sie magst und denkst, dass das mit euch funktionieren könnte, dann frag sie."

„Heißt das, du würdest das gut finden? Also, das mit ihr und mir?"

„Klar! Tessa ist so ziemlich die netteste Person, die ich in letzter Zeit kennengelernt habe. Und ich finde, dass sie zu dir passt."

Ja, Tessa und Niall würden mit Sicherheit ein süßes Paar abgeben. Nicht eines von der Sorte, das man nur süß fand, weil sie sich optisch ergänzten. Nein, Niall und Tessa wären ein süßen Paar, weil sie so gut zusammenpassten, dass es schon fast ein Wunder war, dass sie so lange gebraucht hatten, um das zu erkennen. Und es war noch viel verwunderlicher, dass ich erst die anderen Lemminge dazu gebraucht hatte, um das ebenfalls einzusehen.

„Okay." Niall fuhr sich lächelnd durch sein Haar. „Und was denkst du, was ich tun sollte? Soll ich sie ins Kino einladen? Oder mit ihr essen gehen?"

Für ein paar Sekunden sah ich ihn nur an, ehe ich sagte: „Du solltest für sie kochen. Am besten Italienisch."

„Italienisch?" Ich konnte förmlich sehen, wie ihm alleine bei dem Gedanken daran das Wasser im Mund zusammenlief.

Über seinen Gesichtsausdruck schmunzelnd, nickte ich. „Ja, Italienisch. So weit ich das mitbekommen habe, ist das ihr Lieblingsessen."

„Und warum können wir dann nicht einfach in ein Ristorante gehen?"

Tadelnd zwickte ich ihm in den Oberarm. „Erstens, weil du sehr gut kochen kannst und zweitens, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass es eine Frau auf dieser Welt gibt, die nicht davon beeindruckt wäre, wenn ein Mann mit seinen eigenen Händen ihr Lieblingsessen kochen würde."

„Aber-"

„Kein aber, Niall. Du weißt, dass ich recht habe. Also, überleg dir lieber schon mal was du für sie zaubern willst."

Zufrieden nahm ich einen Schluck aus meiner Tasse. Ja, mit diesem Tipp hatte ich wohl mein Zögern von vorhin wieder gut gemacht. Vor allem, weil ich mir zu Hundertprozent sicher war, dass Niall mit selbstgekochtem italienischen Essen bei Tessa Punkten können würde. Gott, war ich gut. So gut, dass ich mir am liebsten schon selbst auf die Schulter geklopft hätte. Doch ich beließ es bei einem Grinsen und sah Niall über den Rand meiner Tasse hinweg abwartend an. Er hatte seine Stirn in Falten gelegt und schien ernsthaft über meine Worte nachzudenken.

„Okay, ich habe schon eine Idee, was ich kochen werde." Wieder konnte ich mir anhand seines Gesichtsausdruckes ausmalen, wie er sich im Geiste über einen Topf Pasta hermachte.

„Schön." Ich nahm einen Schluck aus meiner Tasse und beobachtete den Blondschopf dabei, wie er mit einem verträumten Ausdruck in den Augen auf seinen Tee starrte. An was er jetzt wohl dachte? An das Essen oder sein Date mit Tessa? „Gibt es noch eine essentielle Frage, die du mir unbedingt stellen musst oder sind wir für heute damit durch?"

Niall hob seinen Blick und sah mich nachdenklich an. „Eine Frage habe ich noch."

Seufzend meinte ich: „Okay, raus damit!"

„Was gibt's zu essen? Ich verhungere fast!"

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