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Da ich den Großteil meiner Arbeits- und Freizeit hauptsächlich nur mit männlichen – oder zumindest annähernd männlichen – Wesen verbrachte, war so etwas wie ein Mädchenabend pures Neuland für mich. Und was tat man normalerweise, wenn man mit etwas Unbekannten konfrontiert wurde? Richtig, man tatstet sich langsam und vorsichtig vor, lernt das Terrain ein wenig kennen und erlaubt sich erst dann, das ganze gut oder schlecht zu finden.

So viel Mal zu Theorie.

In der Praxis sah das allerdings ganz anders aus. Denn von langsam und vorsichtig konnte wirklich keine Rede sein, als sich Tessa dazu entschlossen hatte, mich in die Welt der Mädchengespräche einzuführen.

In nicht einmal zwei Sekunden hatten wir Treff- und Zeitpunkt, sowie den Dresscode (ich wusste bis dahin nicht einmal, dass man so etwas brauchte) für den heutigen Abend ausgemacht. Und nun, nachdem ich all das befolgt hatte, saß ich um elf Uhr neben Tessa in einer Cocktailbar im Zentrum von London und wunderte mich über die komplexe Welt der Mädchenfreundschaften.

Versteht mich nicht falsch, ich hatte auch weibliche Freundinnen. Danielle und Eleanor zum Beispiel. Oder Perrie und Lou, aber wie euch vielleicht schon aufgefallen war, waren das alles Personen, die ich durch meine Arbeit oder durch die Jungs kennengelernt hatte. Die einzige Freundin, die ich außerhalb dieses kleinen Universums hatte, war Claire, doch die studierte mittlerweile in New York City, weshalb wir uns nur alle paar Wochen über Skype sahen. Und durch einen Bildschirm konnte man nun mal keinen Mädchenabend veranstalten. Zumindest vermutete ich das. Außerdem war Claire nicht wirklich der Typ für so etwas.

Nun ja und außer ihr und seit neuestem offensichtlich auch Tessa, hatte ich nur ein paar gute Bekannte. Doch mit denen traf ich mich so selten, dass ich sie nicht einmal als Freunde, sondern eben nur als Bekannte bezeichnen würde. Sie waren einfach nicht die Sorte von Menschen, mit denen ich so gut auskam, dass ich sie unbedingt sehr oft sehen musste. Außerdem fand ich männliche Freunde sowieso viel unkomplizierter und angenehmer. Die wollten wenigstens keine doofen Mädchengespräche führen.

„Ich liebe Cocktails!"

Tessas begeistertes Schlürfen riss mich aus meinen Überlegungen. Mit einem leicht skeptischen Blick, sah ich ihr dabei zu, wie sie genüsslich die Augen schloss und an ihrem bereits dritten Glas nippte. Nachdem sie das Getränk ausgiebig gewürdigt hatte, öffnete sie ihre Augen wieder und deutete mir mit einem Kopfnicken, das ich auch einmal von meinem eigenen Exemplar kosten sollte.

Die rötliche Flüssigkeit, die sich vor mir in dem Cocktailglas befand, nannte sich Watermelon Man und war, wie ich nach dem ersten Schluck feststellen musste, einfach nur köstlich. So köstlich, dass ich gleich noch ein paar Mal kräftig daran nippte. Als ich wieder zu Tessa sah, hatte sich ein belustigtes Lächeln auf ihrem Gesicht ausgebreitet.

„Was denn?"

„Nichts." Sie schüttelte schnell ihren Kopf. „Ich finde es nur erstaunlich, dass du das noch nie gemacht hast."

Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Ich war schon öfters Cocktails trinken."

Tessa lachte kurz auf. „Ich meinte eigentlich einen Mädchenabend."

„Ach so... Ja, es hat sich eben nie so etwas ergeben", meinte ich und trank noch einen Schluck. „Deshalb musst du mir auch auf die Sprünge helfen. Was macht man bei so was eigentlich?"

„Im Grunde redet man einfach nur."

„Und über was?"

„Über so ziemlich alles. Zum Beispiel, was in letzter Zeit so passiert ist und lauter solche Sachen." Sie zuckte mit den Schultern. „Aber da das ganze ja noch neu für dich ist, schlage ich vor, dass wir erst einmal mit ein wenig Smalltalk anfangen. Einverstanden?"

Ich nickte eifrig. „Klingt gut."

„Also, dann. Wie geht es dir, Emma?"

Für ein paar Sekunden sah ich sie nur stumm an, dann schüttelte ich heftig meinen Kopf. „Okay, das ist seltsam. Können wir nicht doch mit etwas anderem beginnen? Wir könnten ja zum Beispiel über Musik reden. Oder nicht?"

Tessa versuchte, ein Grinsen zu unterdrück. „Klar, das geht natürlich auch."

Erleichtert seufzend lehnte ich mich auf der Sitzbank zurück. Dieses Mädchenabendding war wirklich ein Mysterium für mich. Und nein, ich übertrieb nicht maßlos. Wenn man, wie bereits erwähnt, ständig nur von Männern umgeben war, bloß Brüder und Cousins hatte, hatte man nicht wirklich viele Möglichkeiten, um mal wirklich Mädchen zu sein. Zumal ich sowieso nie gerne mit Puppen gespielt hatte oder Kleider trug.

Ach ja, Kleider... Hatte ich schon erwähnt, dass der heutige Dresscode sehr zu meinem Missfallen „Trage ein Kleid" lautete. Nein? Also, ich trug gerade eben ein Kleid. Zum ersten Mal seit sieben Jahren. Und es gehörte nicht einmal mir. Nein, denn da ich eine kleine Abneigung gegen diese Art der Kleidung hatte, besaß ich kein eigenes Exemplar davon. Aus diesem Grund trug ich auch eines von Tessa, das an ihr sicher fantastisch ausgesehen hätte, an mir jedoch Augenkrebs auslösend wirkte.

„Emma?"

Ich löste meinen Blick von meiner Kleidung. „Hm?"

„Warum starrst du mein wunderschönes Kleid an, als hätte es dir etwas getan?"

Ertappt spürte ich die Röte in mein Gesicht schießen. „Ich... Ähm... Glaub mir, es liegt nicht an dem Kleid, es liegt an mir. Nur an mir!"

„Das klingt jetzt fast so, als würdest du gerade mit dem Kleid Schluss machen", schmunzelte Tessa. „Und das wäre doch zu schade. Ihr zwei seht nämlich wirklich süß zusammen aus."

Ich schenkte ihr einen vernichtenden Blick, strich das Monstrum an meinem Körper glatt und wechselte gekonnt das Thema: „Also, wie war das jetzt mit Musik? Auf welche Art von Bands stehst du denn so? Außer auf One Direction natürlich." Ich zwinkerte ihr scherzend zu.

„Ich mag eigentlich recht viele Bands", meinte Tessa nachdenklich. „Neben One Direction, wie du netterweise ja schon erwähnt hast, steh ich zum Beispiel noch auf Coldplay, Linkin Park und vor allem auf Mumford & Sons, die übrigens demnächst in London spielen. Hast du Lust mit mir dorthin zu gehen?"

Begeisterte rief ich: „Auf alle Fälle!"

„Freut mich", sagte sie lächelnd. „Können wir vielleicht davor den neuen Italiener in unserer Straße ausprobieren? Ich liebe italienisches Essen und die Kombination aus Pasta und Mumford & Sons an einem Tag wäre einfach nur göttlich."

„Klar."

„Abgemacht?"

Sie hob ihr Glas und hielt es mir mit einem fragenden Gesichtsausdruck entgegen. Lächelnd hob ich meines und stupste ihres damit locker an. „Abgemacht."

Wir nahmen beide einen Schluck von unseren Cocktails. Der Watermelon Man schmeckte noch immer köstlich, wäre aber beinahe in Tessas Gesicht gelandet, als mein Blick auf die drei Personen fiel, die soeben das Lokal betreten hatten. Harry, mit voller Lockenpracht und zufriedenem Grinsen, Louis, mit einem spitzbübischen Lächeln und leuchtenden Augen und Niall, blond wie eh und je und vor allem mit der Situation überfordert, steuerten so schnell auf uns zu, dass ich nicht einmal die Gelegenheit bekommen hatte, Tessa vorzuwarnen. Stattdessen standen die drei plötzlich einfach an unserem Tisch.

„Aber hallo, meine Damen", meinte Louis mit einem Gesichtsausdruck, der wohl so etwas wie Überraschung ausdrücken sollte. „So ein Zufall euch hier zu treffen."

Bah! Von wegen Zufall! Memo an mich selbst: Erzähle diesen Schwachmaten nie wieder, wo und wann du dich mit Tessa triffst.

„Ähm ja... So kann man es auch nennen."

Ich hatte es nur ganz leise gemurmelt, doch Tessa schien es dennoch gehört zu haben. Der bisher eher auf Verwirrung schließen lassende Ausdruck in ihrem Gesicht verzog sich plötzlich zu einem misstrauischen, ehe er sich wieder in komplettes Unverständnis wandelte. Ihr Mund war leicht geöffnet, doch sie bekam keinen einzigen Ton heraus. Stattdessen sah sie immer wieder zwischen den Jungs und mir hin und her.

„Hi, ich bin Louis." Er hielt der verdutzten Tessa eine Hand entgegen, die sie mit einem Gesichtsausdruck, der wohl nichts anders als „What the fuck!" zu bedeuten hatte, ergriff und leicht schüttelte. „Und das ist Harry. Unseren lieben Niall da drüben kennst du soweit ich weiß ja schon."

Tessa nickte und warf mir einen solch überforderten Blick zu, dass ich innerlich erst einmal tief durchatmen musste, ehe ich Louis zähneknirschend fragte: „Kann ich dich bitte einmal unter vier Augen sprechen?"

„Aber natürlich, meine liebste Emma", flötete dieser und trat einen Schritt zur Seite, damit ich von der Sitzbank rutschen konnte. Als ich neben ihm stand und ihm somit einen freien Blick auf mein Outfit bot, starrte er mich für einen Augenblick mit offenem Mund an, bevor er feststellte: „Du trägst ja ein Kleid!"

„Gut erkannt, Sherlock!" Ich lächelte Tessa entschuldigend an und zog Louis mit mir ein wenig von Tisch weg. „Also, raus mit der Sprach! Was soll das?"

Doch mein lieber Freund war noch immer viel zu sehr von dem Ungetüm namens Kleid abgelenkt. „Heißt das, du bist doch ein Mädchen?"

Ich rollte mit den Augen und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „Reiß dich zusammen, verstanden?"

„Ja, Ma'am." Seine Augen ruhten noch für einen Augenblick auf dem Kleid, ehe er sich endlich mit dessen Existenz abgefunden zu haben schien. „Steht dir gut."

Ungewollt musste ich lächeln „Danke, du Lügner. Kannst du mir jetzt vielleicht erklären, was ihr hier macht?"

„Wir machen einen Männerabend."

„Einen Männerabend?" Skeptisch zog ich eine Augenbraue nach oben. „Im Ernst?"

Louis nickte eifrig. „Ja, was spricht dagegen?"

Ich holte tief Luft und stemmte meine Hände in die Hüften. „Zuerst einmal, seid ihr keine Männer und zweitens, kannst du diese Story deiner Oma erzählen. Ich kauf sie dir sicher nicht ab."

„Ach ja?" Louis äffte meine Haltung nach. „Und warum glaubt mir die Miss heute mal wieder nicht?"

„Weil mir Harry, als ich vor zwei Stunden mit ihm telefoniert habe, erzählt hat, dass er heute einen DVD-Abend mit Niall macht." Ich stupste ihn mit meinem Zeigefinger in die Brust. „Und ich habe ihm meine Pläne für den Abend geschildert."

„Ich weiß nicht, worauf du hinaus willst." Louis' Augen sprühten förmlich vor Schadenfreude.

„Wirklich? Es ist also reiner Zufall, dass ihr, nachdem ich mit Pudellocke darüber gesprochen habe, ausgerechnet in dem Lokal auftaucht, in dem ich mich mit Tessa treffe?"

„Ja." Er verschränkte seine Arme vor der Brust. „Denn nur zu ihrer Information, Miss Geller, wir mögen diese Bar und waren schon öfters hier. Tom, der Barkeeper und ich sind sozusagen schon so etwas wie best friends."

Er winkte dem Mann hinter der Bar kurz zu, woraufhin dieser seine Augenbrauen so weit nach oben zog, dass sie in seinem rötlichen Haarschopf verschwand. Dann hob er langsam eine Hand und winkte zögerlich zurück. Zufrieden drehte sich Louis wieder zu mir.

„Siehst du? Best friends."

Ein Lachen unterdrückend schüttelte ich meinen Kopf. „Du willst mir also erzählen, dass das hier euer Lieblingslokal ist? Diese Cocktailbar?"

„Absolut richtig", antwortete Louis enthusiastisch. „Hast du etwa ein Problem damit, Em?"

„Nein, überhaupt nicht." Ich lächelte ihn breit an. „Wenn ihr euren Männerabend an einem der unmännlichsten Orte überhaupt machen wollt, dann tut das bitte."

„Danke für die Erlaubnis, Miss Know-It-All", meinte er spöttisch.

„Gerne, Mr. Unauffällig."

Ich streckte ihm die Zunge raus und ging zurück zu unserem Tisch, an dem Harry und Niall in der Zwischenzeit platz genommen hatten. Wenig überraschend hatte Harry dabei meinen Platz gewählt und sich so darauf ausgebreitet, dass Niall nichts anderes übrig geblieben war, als sich zu Tessa auf die Sitzbank zu setzen. Doch das schien beide nicht wirklich zu stören, denn als ich mich neben Harry quetschte, unterhielten sie sich gerade begeistert.

Während ich meinen Cocktail vor Nialls lüsternen Augen rettete, wechselten Louis und Harry einen so unauffällig auffälligen Blick, dass ich nicht anders konnte, als laut aufzuseufzen. Hatten sie schon mal was von Diskretion gehört? So wie sie sich benahmen, könnten sie ja gleich mit einem Plakat mit der Aufschrift „Wir wollen euch verkuppeln" vor Tessa und Niall herumfuchteln.

Während ich mich hingebungsvoll meinem Cocktail widmete und Niall und Tessa in ihrem Gespräch vertieft waren, begannen Louis und Harry miteinander zu tuscheln. Immer und immer wieder warfen sie dabei kurze Blicke zu mir und zu Tessa, nur um dann heftigst zu nicken und die Köpfe noch weiter zusammenzustecken.

Wohl wissend, dass das nichts Gutes hervorbringen konnte, wappnete ich mich innerlich auf den verbalen Blödsinn, der kurz darauf auch schon folgte: „Was haltet ihr davon, wenn wir später noch ins Aquarius gehen?"

Fragend sah ich zu Tessa. Ich war nicht wirklich der große Clubgänger, doch wenn es der guten Sache – also Mission „Nessa" – helfen würde, würde ich das Opfer bringen und mich in diesem Aufzug in den Lieblingsclub der Jungs wagen.

Die Blondine erwiderte meinen fragenden Blick, bevor sie sich schüchtern eine Strähne aus dem Gesicht strich und meinte: „Also, ich hätte nichts dagegen."

Auf Nialls Gesicht breitete sich ein Strahlen aus. Offensichtlich gefiel ihm die Vorstellung einer Partynacht mit Tessa. Louis und Harry warfen sich triumphierende Blicke zu, bevor Harry meinte: „Gut, dann werd ich das schon mal alles organisieren."

Er wollte gerade aufspringen, um in einer ruhigeren Ecke Paul, John oder sonst einen Bodyguard anzurufen, damit dieser uns heute Abend begleitete und für die Sicherheit der Jungs sorgte, als ich empört aufschnaubte. „Hallo?! Und was ist mit mir? Werde ich überhaupt nicht gefragt?"

„Nein", war die kurze dreistimmige Antwort.

Ich schüttelte bloß meinen Kopf. War ja klar, dass ich meine Meinung dazu nicht kundgeben durfte. Doch ich unterdrückte den Drang, etwas darauf zu erwidern und rief stattdessen den Kellner zu uns, damit Tessa und ich unsere Getränke bezahlen konnten. Als wir das erledigt hatten, kehrte Harry zu unserem Tisch zurück.

In seinem Gesicht zeichnete sich ein zufriedenes Lächeln ab, als er verkündete, dass wir heute die Begleitung von Caleb genießen würden, was so viel bedeutete wie: So lange sie sich und niemand anderen in Gefahr brachten, konnten die Jungs tun und lassen was sie wollten. Dies beinhaltete vor allem den Alkoholkonsum, den Caleb, im Gegensatz zu seinen Kollegen, nicht so streng sah. Manchmal war das ein Segen, manchmal jedoch auch ein Fluch. Während wir zu fünft das Lokal verließen, fragte ich mich, was es wohl heute sein würde.

Vor der Tür erwarteten uns ein paar Fans, denen Harry, Louis und Niall freundlich Autogramme gaben oder für Fotos mit ihnen posierten. Während Niall seine Wange an die einer hübschen Blondine presste und für ein Erinnerungsfoto lächelte, beobachtete ich Tessa. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Überraschung und Überforderung, während ihre Augen immer wieder neugierig zwischen den Jungs hin und her wanderten.

„Alles klar?", fragte ich und stellte mich neben sie.

„Ja, es ist nur ein wenig... ungewohnt."

Ich sah erneut zu Niall, Louis und Harry, die die Arme umeinander geschlungen hatten und für Gruppenfotos in die zahlreichen Kameras grinsten. „Man gewöhnt sich irgendwann daran."

Sie nickte und begann auf ihrer Unterlippe herumzukauen. „Vermutlich."

Noch bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr ein schwarzer Van vor. Er hielt direkt vor der Cocktailbar, sodass einige der Fans mit entsetzen Blicken zurückweichen mussten. Caleb, der gerade mal Mitte zwanzig und für meinen Geschmack etwas zu unruhig für diesen Job war, riss die hintere Tür schwungvoll auf und hüpfte mit einer eleganten Bewegung aus dem Wagen. Für einen Moment waren die Fans so verblüfft von seinem plötzlichen Auftauchen, dass sie ihn nur schweigend ansahen. Doch dann schienen sie wieder zu begreifen, in wessen Anwesenheit sie sich befanden und das Kreischkonzert begann von vorne.

„Na, Emma? Heute auch mal unterwegs?" Caleb gesellte sich mit abschätzendem Blick auf die Fanmassen zu uns.

„Ich wurde praktisch dazu gezwungen", antwortete ich.

Caleb stieß ein lautes Lachen aus, das mich aufgrund der Tiefe an das Brüllen eines Bären erinnerte. „Wer's glaubt."

Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu, bevor ich mir Tessas Hand schnappte und sie mit mir in Richtung des Vans zog. Auf halbem Wege, begannen ein paar Mädchen tuschelnd auf uns zu zeigen. Tessa sah mich fragend an, doch da ich trotz dreijähriger Erfahrung die Psyche von Fans noch immer nicht ganz durchschaut hatte, ging ich wortlos weiter. Beim Wagen angekommen, wurden wir von Jim, dem Fahrer, mit einem herzlichen Lächeln begrüßt, bevor er Tessa in den Wagen half.

Gerade, als er seine Hand nach mir ausstreckte, um mich möglichst ladylike ins Auto zu befördern, rief eine hohe Stimme: „Hallo, Emma!"

Verwundert drehte ich mich um. Ein paar Meter von mir entfernt standen zwei Mädchen, die mir freundlich zuwinkten und sich irrsinnig darüber zu freuen schienen, dass ich sie gehört hatte. Ein wenig irritiert von diesem Verhalten, hob ich meine Hand und winkte zurück. Das Quietschen, das sie danach von sich gaben, hallte noch Sekunden später, als ich bereits neben Tessa im Van Platz genommen hatte, in meinen Ohren nach.

„Was war denn das?" Tessa sah an mir vorbei durch die getönten Scheiben.

„Keine Ahnung." Ich versuchte mein Kleid etwas weiter über meine Oberschenkel zu ziehen, scheiterte jedoch kläglich. „Das ist eines der vielen Phänomene, wenn man sich mit den Lemmingen umgibt: Man wird plötzlich wahrgenommen."

„Wie meinst du das?"

Noch immer mit dem Kleid kämpfend erklärte ich: „Wenn ich alleine auf der Straße herumlaufe, bin ich uninteressant und ein Niemand. Aber sobald einer der Jungs in der Nähe ist, erkennen mich die Fans sofort und grüßen mich, was wirklich, wirklich, wirklich seltsam ist."

Dass sie mich manchmal auch beschimpften und mir einmal sogar eine leere Plastikflasche an den Kopf geworfen hatten, musste ich ja nicht unbedingt erwähnen. Schließlich kam sie mir auch ohne diese Informationen schon überfordert genug vor. Doch wer konnte es ihr verübeln? Jeder, der noch nie mit den Jungs in der Öffentlichkeit unterwegs gewesen ist, war im ersten Moment einfach komplett überrumpelt. Kreischende Fans, blitzende Kameras und ständiges Gedrängel waren eben nicht gerade alltäglich.

„Kann's losgehen?", fragte Caleb begeistert, als er es nach zehn Minuten endlich geschafft hatte, Louis, Niall und Harry zu uns in das Auto zu verfrachten.

Als Antwort nickten wir alle, was ihm ein noch breiteres Grinsen ins Gesicht zauberte. Also, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich jetzt fast glauben, dass er sich mehr auf den Club freute als ich. Das wäre ja an sich nicht schlimm, wäre da nicht das klitzekleine Detail, dass er nicht zum Feiern, sondern zum Arbeiten hier war. Und nach Arbeit sah das ganze bisher bei ihm noch nicht wirklich aus.

Die Fahrt zum Club verlief im Grunde wie jede Autofahrt mit den Jungs: Bei jedem Lied wurde so laut und falsch mitgegrölt, dass ich mich manchmal wirklich fragte, ob es sich bei ihnen um die selben Personen handelte, die ein erfolgreiches Album und eine ausverkaufte Tour auf ihrem Konto hatten. Tessa, die zuerst nur geschockt aus der Wäsche geguckt hatte, hatte sich irgendwann mit der Situation abgefunden und war ebenso wie ich in das Gegröle eingestiegen. Nachdem wir eine Eigeninterpretation von „Mirrors", „Blurred Lines" und „The Other Side" von uns gegeben hatten, sangen wir gerade zu Maroon 5s „Daylight" als der Wagen vor dem VIP-Eingang des Aquarius hielt.

Caleb, der zuerst die Umgebung „abgecheckt" hatte, geleitete zuerst die Jungs in den Club, ehe er zum Wagen zurückkehrte und Tessa und mir aus dem Wagen half. Die Blicke, die er dabei auf Tessas Hintern und meine Beine warf, würden mich wohl für immer in meinen Träumen verfolgen, weshalb ich es mir nicht nehmen ließ und ihm „versehentlich" auf den Fuß trat. Da ich nur Ballerinas trug, war es nicht besonders schmerzhaft, brachte aber dennoch den gewünschten Effekt. Tessa, die das ganze mitbekommen hatte, begann schallend zu lachen. Ich stimmte sofort mit ein, was uns Verwirren von Seiten der Jungs einbrachte, als wir uns zu ihnen in den VIP-Vorraum gesellten.

„Haben wir etwas verpasst?", fragte Niall mit gerunzelter Stirn.

„Nein, habt ihr nicht", meinte Tessa gutgelaunt und folgte mir an den noch immer verdutzten Jungs vorbei in den Hauptraum des Clubs.

„Also, meine Liebe... Was willst du tun? Willst du was trinken oder doch lieber zuerst auf die Tanzfläche?" Motiviert sah ich zu meiner neugewonnen Freundin.

„Ich ähm... Ich tanze nicht."

„Was?!" Louis, der neben uns aufgetaucht war, sah sie mit tellergroßen Augen an. „Warum nicht? Jeder Mensch tanzt doch!"

„Ich nicht", wiederholte Tessa und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu.

Ich reagierte sofort und hackte mich bei Louis und Harry unter. „Lass' sie, Louis. Dann gehen eben wir drei Hübschen tanzen."

Ich zwinkerte Tessa noch einmal kurz zu, die erst dann bemerkte, dass sie mit Niall alleine war, als Louis, Harry und ich schon in der Menschenmasse verschwunden waren. Caleb, der uns folgte, blieb ein paar Meter von uns entfernt stehen.

„Gut gemacht, Kleine." Louis klopfte mir anerkennend auf die Schulter.

„Danke." Ich lächelte ihn an. „Ich weiß wenigstens, was das Wort ‚unauffällig' bedeutet."

„Ja ja, wie du meinst." Er zog mich noch weiter auf die Tanzfläche. „Und jetzt sei still und tanz!"

Der Aufforderung folgend begannen Harry, Louis und ich uns zum Rhythmus von David Guettas „Play Hard" zu bewegen. Ohne auf die Menschen um uns herum zu achten hüpften wir auf und ab, drehten uns im Kreis und sangen dabei lautstark mit. Zu unserem Glück war es in dem Club so finster, dass keiner der umstehenden zu realisieren schien, mit wem ich da gerade herumtänzelte.

Irgendwann, so in etwa nach vier weiteren Songs, begannen die beiden Spaßvögel damit, mich aufzuheben, sich mit mir im Kreis zu drehen und mich dann an den nächsten weiter zu reichen. Trotz meiner Proteste hörten sie erst damit auf, als ein Remix von „Kiss you" gespielt wurde. Verwundert sahen die beiden einander an, ehe Harry und Louis laut auflachten und damit begannen, im Rhythmus ihrer eigenen Hitsingle auf und ab zu hüpfen. Ebenfalls lachend machte ich sofort mit und sang dabei in gewohnt schräger Stimme mit.

„...If you don't wanna take it slow and you just wanna take me home. Baby say yeah, yeah, yeah, yeah, yeah and let me kiss you!"

Wir blendeten alles um uns herum aus und genossen einfach die kurze Zeit, die wir soeben miteinander verbringen konnten, ohne dass sie von irgendjemanden erkannt worden warne. Für ein paar Songs waren sie einfach nur meine Freunde Harry und Louis, mit denen ich Mitten in einem Club ein Dance Battle gestartet hatte.

Für ein paar Augenblicke waren sie ganz normal. Und ich konnte an ihren Augen ablesen, dass ihnen diese Tatsache gefiel.

Wir sangen, tanzten, hüpften und drehten uns so lange, bis wir einfach nicht mehr konnten und uns erschöpft den Weg zur Bar bahnten. Besser gesagt: Harry, der voranging, schob die Menschen zur Seite, sodass ich – der Zwerg in der Runde – gemeinsam mit Louis einfach nur hinter ihm herzugehen hatte.

Als wir schließlich bei Tessa und Niall ankamen, die im VIP-Bereich an einem Tisch saßen, blieb ich ein paar Meter von ihnen entfernt ruckartig stehen. Harry, der das aus dem Augenwinkel bemerkt hatte, sah mich mit gerunzelter Stirn an. Doch als er meinem Blick folgte, stahl sich ein zufriedenes Grinsen auf sein Gesicht. Niall und Tessa saßen sich lachend gegenüber und unterhielten sich aufgeregt. Immer und immer wieder konnte ich einen der beiden auflachen sehen, während der andere ihn ansah, als wäre er das wunderbarste, das er jemals auf dieser Welt gesehen hatte.

„Süß", brüllte mir Harry über die laute Musik hinweg ins Ohr.

Ich nickte und gab ihm das Zeichen, Louis aufzuhalten und mir an einen anderen Tisch zu folgen. Dort angekommen, ließ ich mich seufzend auf das weiche Leder der Sitzbank fallen und schloss für einen Moment die Augen. Mein Herz klopfte vom Tanzen noch immer wie verrückt und mir war plötzlich so heiß, dass ich das Gefühl hatte, direkt in der Hölle gelandet zu sein.

„Geht's dir gut?"

Ich öffnete meine Augen wieder und sah Harry lächelnd an. „Klar."

„Keine Kondition, hm?"

„Kann ja nicht jeder so 'ne Sportskanone wie du sein", erwiderte ich.

„Natürlich." Er setzte sich mit einem Seufzen gegenüber von mir auf einen Stuhl. Erst jetzt fiel mir auf, dass Louis verschwunden war.

„Wo ist Louis?"

„Der holt uns was zu trinken."

Sämtliche Alarmglocken begannen wie wild zu schrillen. „Oh Gott."

„Keine Sorge, er holt nur Tequila Shots."

„Oh Gott!", wiederholte ich, doch nun mit noch mehr Verzweiflung in der Stimme. Tequila Shots. Mein Alptraum. Ich hasste sie. Und vor allem, vertrug ich sie nicht. Mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht, sah Harry mir dabei zu, wie ich gequält meine Stirn auf die kühle Tischplatte legte und erneut meine Augen schloss.

„Was'n mit ihr los?", hörte ich plötzlich Nialls Stimme. Ich hob schwach meinen Kopf und blinzelte ihn an. Er hatte sich neben mich auf die Bank gesetzt und sah Harry fragend an.

„Sie leidet."

Sein Blick wanderte zu mir. „Und warum?"

„Tequila Shots", meinte ich gequält.

Der Blonde verstand sofort, legte tröstend seinen Arm um mich und meinte: „Es war nett dich gekannt zu haben, Em."

Ich seufzte theatralisch auf. „Jaja, das sagen sie immer. Wo ist eigentlich Tessa?"

„Auf der Toilette."

Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf. Das war es! Meine Rettung. Ohne auf die überraschten Blicke der Jungs zu achten, rannte ich in Richtung der Toiletten. Auf halbem Wege traf ich auf Louis, der geschätzte hundert Tequila Shots auf einem Tablett balancierte.

Oh Gott! Was dachte er bitte, wer das alles trinken sollte? Also ich bestimmt nicht!

Ich grinste ihn entschuldigend an und eilte weiter zu den Toiletten. Sollte er die Dinger doch mit Harry und Niall saufen. Die vertrugen mit Sicherheit mehr als ich und wenn nicht... Nun ja, dann konnte sie zumindest sicher sein, dass Caleb sie irgendwie vor sich selbst retten würde. Oder zumindest hoffte ich das.

Bei den Damentoiletten angekommen, riss ich schwungvoll die Tür auf und marschierte direkt zum Waschbecken. Ein kurzer Blick in den Spiegel verriet mir, dass ich ebenso fertig aussah, wie ich mich fühlte. Schnell strich ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und drehte den Wasserhahn auf. Für ein paar Sekunden beobachtete ich das fließende Wasser, bevor ich meine Hand unter den Strahl hielt, ein wenig davon trank und mir dann eine Ladung ins Gesicht spritzte. Das kühle Nass fühlte sich gut auf meiner erhitzten Haut an. Ich wiederholte den Vorgang ein paar Mal, ehe ich das Wasser wieder abstellte und mein Spiegelbild betrachtete. Als ich meine Augen ein wenig zur Seite wandern ließ, trafen sie direkt auf ein bekanntes Gesicht.

„Tessa!" Ich drehte mich zu ihr um. „Da bist du ja!"

Das blonde Mädchen sah von ihrem Handy auf, das sie in ihrer Hand hielt, und stellte sich mit einem genervten Gesichtsausdruck neben mich. „Sei froh, dass du nicht studierst..."

„Warum?"

Sie seufzte kurz auf und fuhr sich durch ihr langes Haar. „Ich habe gerade eine SMS von einer Studienkollegin gekriegt. Anscheinend hat einer der Professoren nichts Besseres zu tun, als seinen Kurs um zwei Stunden nach vorne zu verlegen. Das heißt, dass er morgen nicht um zehn, sondern schon um acht beginnen wird."

„Oh." Ich begriff nicht ganz, was sie mir damit sagen wollte.

„Ja und das bedeutet, dass ich jetzt wohl oder übel nach Hause gehen muss."

„Oh!" Nun hatte es Klick gemacht. „Nein! Das kannst du doch nicht machen!"

Tessa wusch sich ihre Hände und trocknete sie mit Papierhandtüchern ab. „Ich muss leider, Emma."

Ich zog eine Schnute. „Aber es ist doch noch nicht so spät. Kannst du nicht wenigstens noch ein bisschen bleiben?"

„Es ist schon kurz nach ein Uhr."

„Wirklich?" Ich sah sie überrascht an. Offenbar hatte ich beim Tanzen jegliches Zeitgefühl verloren. „Okay, ich komme mit dir."

„Auf keinen Fall." Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Nur, weil ich nicht feiern kann, heißt das nicht, dass der Abend für dich auch schon gelaufen ist. Du wirst gefälligst hier bleiben und Spaß haben."

„Aber-"

„Kein aber!" Tessa zwinkerte mir durch den Spiegel zu. „Du musst hier die Stellung halten und die Ehre der Frauen verteidigen."

Ich begann zu lachen. „Ja, klar. Als könnte ich das jemals schaffen, wenn Louis mit unfairen Mitteln kämpft." Wegen ihres fragenden Blickes fügte ich noch erklärend hinzu: „Tequila Shots."

„Ah, verstehe."

Wir verließen gemeinsam die Toiletten und machten uns auf den Weg zurück zu den Jungs. Obwohl ich es schrecklich fand, dass Tessa bereits so früh gehen musste, hegte ich dennoch die Hoffnung, dass sie dabei von einem gewissen blonden Jungen begleitet werden würde. Ich wusste, dass sie alle drei Gentlemen waren und keine Frau nachts alleine mit dem Taxi nach Hause fahren lassen würden, weshalb ich beinahe etwas enttäuscht war, als Caleb Niall jegliche Chance stahlt, in dem er Tessa sofort den Van der Jungs inklusive Jim zur Verfügung stellte.

Tessa nahm dieses Angebot natürlich mit Freuden an und obwohl es Niall deutlich ins Gesicht geschrieben stand, dass er enttäuscht über ihr plötzliches Weggehen war, machte er nicht die geringste Anstalt, ihr seine Begleitung anzubieten oder sie wenigstens bis zur Tür zu begleiten. Nein, er tat einfach nichts und sah stumm dabei zu, wie sie sich von allen verabschiedete und dann mit Caleb in Richtung Ausgang verschwand.

Als nur mehr wir vier übrig waren, ließ ich mich seufzend neben Niall fallen und boxte ihn so fest wie nur möglich in die Schulter.

„Au! Was soll denn das jetzt bitte?!" Er rieb sich die schmerzende Stelle und sah mich entrüstet an.

„Das hast du verdient."

„Was?! Warum?"

„Weil du ein Idiot bist!" Und weil du die ganzen Bemühungen der letzten Stunden zunichte gemacht hast.

Niall runzelte verwirrt seine Stirn, beließ es aber angesichts meiner schmollenden Gesichtszüge einfach dabei. Harry und Louis, die meine Reaktion einfach nur zum Brüllen komisch fanden, versuchten die Situation mit einer Runde Tequila Shots zu retten. Vor lauter Verzweiflung, dass Niall es nicht geschafft hatte, die Vorarbeit der Jungs und mir zu nützen, wehrte ich mich nicht dagegen, sondern stürzte das Getränk einfach hinunter. Nach zwei weiteren Runden, beschloss ich, dass es wieder Zeit wurde zu tanzen. In Begleitung von Harry, der sich als einziger dazu überreden ließ, stürmte ich zum zweiten Mal in dieser Nacht die Tanzfläche.

„Du hättest ihm gleich in die Eier treten sollen", meinte Harry als wir in einer der versteckten Ecken der Tanzfläche ankamen.

„Hat er überhaupt welche?"

Harry sah mich mit aufgerissenen Augen an, dann begann er schallend zu lachen. „Gute Frage. Vermutlich nicht, denn sonst hätte er Tessa nicht einfach so gehen lassen."

Ich nickte zustimmend und begann zu Calvin Harris' „Drinking from the bottle" zu tanzen. Harry begann sich ebenfalls zu bewegen, wobei er es sich nicht nehmen ließ, immer mal wieder einen dämlichen Dance Move einzubauen. Lachend sah ich ihm dabei zu, wie er den „Sprinkler" und den „Inbetweener's dance" machte und zum Schluss sogar noch wie eine Ballerina vor mir hin und her hüpfte. Das ganze sah gleichzeitig so lächerlich und gut aus, dass ich mir nicht einmal sicher war, ob das überhaupt erlaubt war.

Dank des Alkohols, der durch meine Adern floss, folgte ich seiner Aufforderung und machte ihm jede Bewegung so gut es ging nach. Allerdings sah ich eher wie ein sterbender Schwan als eine Primaballerina aus. Doch das war mir egal, denn Harry war viel zu sehr mit seinen eigenen schrägen Bewegungen beschäftigt, um mich wegen meiner auszulachen.

Irgendwann war ich so erschöpft von dem ganzen Tanzen, dass ich mich einfach an Harry lehnte und meine Augen schloss. Vielleicht lag es ja am Alkohol oder an der Hitze, die sich plötzlich in diesem Raum zu stauen schien, doch aus irgendeinem Grund war ich plötzlich vollkommen ausgelaugt. Harry, der stehen geblieben war und mich fragend musterte, lehnte sich ein wenig nach unten, sodass wir in etwa in Augenhöhe waren.

„Willst du zurück zum Tisch?"

Ich nickte, machte jedoch keine Anstalt mich zu bewegen. Für einen Augenblick sah er mich abwartend an, doch als ich mich noch immer nicht von der Stelle rührte, ging er seufzend vor mir in die Knie und drehte mir den Rücken zu. Begeistert klatschte ich in die Hände und hüpfte dann auf seinen Rücken. Huckeback durch einen Club getragen zu werden hatte wirklich etwas. Mal abgesehen von der Tatsache, dass das ganze mit einem Kleid nicht so wirklich damenhaft war. Doch das war mir egal, ich war einfach zu faul, um selbst zu gehen.

Die Blicke der anderen Gäste ignorierend, kamen wir so schließlich bei Niall und Louis an, die jeweils mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht halb auf dem Tisch lagen. Fassungslos starrte ich auf die zahlreichen leeren Gläser, die vor ihnen verstreut standen. Oh mein Gott! Was hatten die beiden nur wieder aufgeführt?

Harry ließ mich zurück auf den Boden und fuhr sich entgeistert durch seine Locken. „Oh man, was habt ihr getan?"

„Tequila Battle", erklärte Louis mit leicht verklärtem Blick.

Er stupste Niall in die Rippen, der daraufhin zu kichern begann und ihm ebenfalls anstupste. Das ging so lange hin und her, bis Harry sich mit einem gequälten Gesichtsausdruck zwischen sie setzte. Louis und Niall sahen ihn schmollend an, bevor sie einen kurzen Blick wechselten und dank des lieben Alkohols einen Lachkrampf bekamen.

Harry stöhnte genervt auf und fragte mich: „Okay, wie machen wir das? Wen willst du nach Hause befördern?"

Ich seufzte und fuhr mir durch mein Haar. Louis wohnte näher bei mir, allerdings wirkte er eine Spur betrunkener als Niall, was wiederum bedeuten würde, dass ich ihn vermutlich halb tragend in seine Wohnung befördern müsste. Niall hingegen machte wenigstens halbwegs den Eindruck, als könnte er noch laufen. Harry, der anscheinend zu demselben Schluss gekommen war, legte einen Arm um Louis und zog ihn somit auf die Beine.

„Weißt du was? Ich nehme einfach Louis und du Niall. In Ordnung?"

Ich nickte und machte mich daran, Niall von der Sitzbank zu bekommen. Zu meiner Erleichterung schien er tatsächlich fähig zu sein, halbwegs alleine zu gehen, sodass ich ihm nur den Weg in Richtung VIP-Ausgang weisen musste. Harry, der es mit Louis schon einiges schlechter erwischt hatte, trug seinen Freund förmlich zum Van, der wieder brav vor der Tür auf uns wartete. Nach einer kurzen Diskussion einigten wir uns darauf, dass er mit Louis den Van benutzen sollte, während Niall und ich mit dem Taxi fahren würden.

„Isch will noch nisch nach Hauße", verkündete Niall, als ich ihn auf die Rückbank des Taxis verfrachtete.

„Keine Sorge. Wir fahren noch nicht heim."

„Wirklisch?" Seine leicht vernebelten Augen sahen mich strahlend an.

„Ja", log ich und nannte dem Fahrer den Namen einer Straße, die in der Nähe von Nialls Wohnung lag. „Wir fahren jetzt noch zu einer anderen Party."

„Cool!"

Er lehnte sich zufrieden zurück und schloss die Augen. Für ein paar Sekunden war ich versucht, ihn dazu aufzufordern, sich anzuschnallen. Doch da dieser höchst komplizierte Vorgang vermutlich ewig gedauert hätte, erledigte ich das für ihn, bevor ich mir selbst den Gurt umlegte. Ich warf Niall einen abschätzenden Blick zu und gab dem Fahrer das Zeichen, dass er jetzt losfahren könnte. Dieser nickte mir durch den Rückspiegel hinweg zu und startete die Fahrt durch das nächtliche London.

Während wir durch die zahlreichen Straßen fuhren, ließ ich meinen Blick aus dem Fenster gerichtet und genoss die Stille, die in dem Fahrzeug herrschte. Nach dem ganzen Lärm in dem Club war das Schweigen hier wirklich ein Segen. Seufzend fuhr ich mir durch mein Haar und warf einen prüfenden Blick zu Niall, der noch immer murmelnd am Fenster lehnte. Ich lächelte leicht. Irgendwie sah er in diesem komatösen Zustand wirklich süß aus.

Als hätte er meinen Blick auf sich gespürt, öffnete Niall plötzlich seine Augen. „Wasch'n?"

„Nichts."

„Sind wir bald daaa?"

Ich nickte. „Ja, nur mehr ein paar Minuten."

Seine blauen Augen ruhten für einen Moment auf mir, ehe er aufseufzte und sich noch weiter in den Sitz sinken ließ. „Du, Emmaaa?"

„Ja?" Amüsiert über seine gelallte Aussprache sah ich ihn an.

„Dasch Kleid passt dir guht", verkündete er. „Du solltescht öfer's eines tragen."

Ich spürte wie ich leicht errötete. „Ähm... Danke."

Ich wandte schnell meinen Blick von ihm ab, damit er meine Verlegenheit nicht bemerkte. Ich konnte mit Komplimenten nicht umgehen. Vor allem dann nicht, wenn man nicht wusste, ob man sie ernst nehmen konnte. Immerhin hatte er so viel Alkohol intus, da würde er vermutlich auch einer Straßenlaterne die Liebe gestehen.

Ich strich mir beschämt eine Strähne hinters Ohr. Dabei traf mein Blick auf den des Taxifahrers, der mich vielsagend anlächelte, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße lenkte. Rot wie eine Tomate verbarg ich meinen Kopf in meinen Händen und hoffte nur darauf, dass ich meinen betrunkenen Freund so schnell wie möglich ins Bett bekommen konnte. Also nicht so, wie ihr jetzt vielleicht denkt! Ich meinte natürlich, ich würde ihn ins Bett befördern und dann nach Hause gehen. Alleine! Oh man...

Von meinen eigenen Gedanken entsetzt, schüttelte ich leicht den Kopf. Der liebe Alkohol war wirklich nicht mein Freund. Und Nialls offensichtlich auch nicht, denn als das Taxi schließlich bei der gewünschten Adresse anhielt und Niall die Rechnung beglich (ja, selbst als Betrunkener bestand er darauf), hatten seine Gesichtszüge eine leicht grünliche Farbe angenommen. Doch er riss sich zusammen, stolperte einigermaßen gefahrlos aus dem Fahrzeug und ließ sich von mir ohne jeglichen Widerstand in Richtung seines Wohnhauses ziehen.

Nachdem wir die erste Hürde, die Eingangstür, genommen hatten, zog ich ihn unter den wachsamen Augen des Nachtportiers hinter mir her zum Aufzug. Als wir schließlich im vierten Stock angekommen waren und ich ihn schon fast zur Tür getragen hatte, eröffnete sich mir das nächste Problem: Der Hausschlüssel.

„Niall?" Er reagierte nicht, sondern lehnte bloß mit geschlossenen Augen an meiner Schulter. Ich platzierte ihn neben der Tür an der Wand und gab ihm einen leichten Klaps auf die Wange. „Niall!"

„Hmm?" Er öffnete die Augen und sah sich verdattert um. „Was los?"

Schmunzelnd fragte ich: „Wo ist dein Hausschlüssel?"

Niall zog seine Augenbrauen zusammen und schien ernsthaft über diese höchst komplexe Frage nachzudenken. „In meiner Hosentasche... glaub' isch."

„Du glaubst es?"

„Isch weiß es."

Er wirkte schon fast stolz, als er mir das verkündete. Abwartend sah ich ihn an, doch er rührte sich nicht. Seufzend stupste ich ihn in die Backe, damit er nicht wieder die Augen schloss. „Kannst du mir bitte deinen Schlüssel geben?"

Niall sah mich aus halb geschlossenen Augen an. Dann schüttelte er seinen Kopf und setzte ein dreckiges Grinsen auf. „Hol' ihn dir dosch..."

„Ich greife dir sicher nicht in die Hosentasche!"

Als er nicht reagierte, sondern mit geschlossenen Augen damit begann, eine Melodie zu summen, zog ich gequält die Luft ein. Na toll! Jetzt durfte ich ihn auch noch befummeln. Ich presste die Lippen aufeinander und fuhr langsam zu seiner rechten Hosentasche. Während ich versuchte, ihn so wenig wie nur möglich zu berühren, ließ ich meine Finger hineingeleiten und zog den Schlüsselbund hervor. Zufrieden hielt ich den Schlüssel wie eine Trophäe hoch, nur um von Nialls mittlerweile noch dreckigerem Grinsen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden. Ich boxte ihn in die Schultern, was ihn überrascht aufstöhnen ließ.

„Au!"

„Selbst schuld, wenn du dich so bescheuert anstellst."

Ich sperrte die Tür auf und schob ihn vor mir in den Vorraum seiner weiträumigen Wohnung. Dort lehnte ich ihn wieder gegen eine Wand, bevor ich die Haustüre schloss und ihn in Richtung seines Schlafzimmers schleppte. Allerdings stellte sich das als nicht so einfach heraus, denn Mr Alkohol brachte Niall dazu, immer mal wieder über seine eigenen Füße zu stolpern, was uns ein paar Mal beinahe zu Sturz gebracht hätte. Nur meiner Reaktion und der Tatsache, dass ich nicht einmal annähernd so betrunken war wie er, hatten wir es zu verdanken, dass wir ohne größeren Zwischenfall im Schlafzimmer ankamen.

„Du hascht mich angelohgen", stellte Niall fest, als ich ihn vorsichtig zu seinem Bett schleifte. „Wir schind doch nach Hauße gefahren."

Lachend klopfte ich ihm auf den Rücken. „Ja, sorry."

„Isch will jetzt aber noch feihern!"

Ich setzte ihn auf das Fußende des Bettes, zog ihm die Schuhe aus und gab ihm dann einen kleinen Schubs, sodass er rücklings auf der Matratze landete. „Wir feiern morgen weiter, okay?"

„Nein! Jetzt!" Niall sah mich abwartend an. „Isch will jetzt feihern!"

Ich seufzte und zog die Bettdecke unter seinen Körper hervor, um sie über ihn auszubreiten. „Gut, was hältst du von einer Pyjamaparty?"

„Jahhhhh!"

Ein Lachen unterdrückend, beugte ich mich ein wenig über ihn, um die Decke über seine Brust zu ziehen. Diese Gelegenheit nützend, streckter er plötzlich die Arme aus und schlang sie um meine Taille. Mit einer schwungvollen Bewegung beförderte er mich neben sich auf die Matratze.

„Hey! Was soll das denn jetzt werden?"

Er zog mich näher zu sich und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. „Isch will kuscheln."

Lachend stemmte ich mich gegen seine Brust, um ein bisschen Abstand zwischen uns zu bringen. „Und was ist, wenn ich nicht will?"

„Du muscht wollen."

„Ach ja?" Skeptisch zog ich eine Augenbraue nach oben, bevor ich fragte: „Dir ist schon klar, dass du, wenn du heute Abend eine gewisse Person nach Hause gebracht hättest, jetzt mit eben dieser kuscheln könntest?" Niall nickte leicht. „Und warum hast du es dann nicht getan?"

Er schwieg für eine Weile und gerade, als ich den Verdacht hatte, dass er eingeschlafen war, murmelte er: „Weil isch immer erst alles kapiere, wenn es su schpät ist."

Verwundert sah ich ihn an. Irgendetwas an seinem Tonfall war merkwürdig gewesen. Doch er war bereits wieder in einem halb komatösen Zustand. Seine Augen waren geschlossen und seine Gesichtszüge sahen so entspannt aus, dass ich mir fast ein wenig schlecht dabei vorkam, ihm so beim Schlafen zu beobachten. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht, drehte ich mich vorsichtig in seinen Armen um. Doch gerade, als ich diese von meiner Taille schieben wollte, um aufstehen zu können, umfasste er mich noch fester und zog mich wieder zu sich.

„Nisch gehen!"

Ich stöhnte gequält auf, als er noch fester zudrückte. „Ich muss aber gehen!"

„Warum?" Erneut vergrub er sein Gesicht in meinen Haaren

„Weil du mir die Rippen brichst!"

Er lockerte seine Umarmung ein wenig, ließ den Arm jedoch weiterhin auf meiner Taille liegen. „Sorry."

Ich seufzte und startete den nächsten Versuch, mich aus seinem Klammergriff zu befreien. Jedoch hielt er mich erneut zurück. „Niall!"

„Wasch?"

„Ich muss jetzt wirklich gehen."

Warum waren die Jungs immer genau dann so liebesbedürftig, wenn es absolut unpassend war? Und ja, mit seinem besten Freund, der noch dazu hackedicht war, so aneinandergekuschelt in einem Bett zu liegen, war meiner Meinung nach sehr unpassend. Zumal ich schon seit er mich auf die Matratze gezogen hatte, so ein seltsames Gefühl im Bauch hatte, das mir wohl sagen wollte, dass es besser wäre, wenn ich jetzt nach Hause ging.

„Nein." Wenn das überhaupt möglich war, kuschelte er sich noch näher an mich, sodass ich das Heben und Senken seiner Brust an meinem Rücken spüren konnte.

„Doch, Niall."

Für eine Weile antwortete er nicht. Stattdessen rüttelte er ein wenig an der Bettdecke, um sie unter meinem Körper hervorziehen, sodass er mich damit zudecken konnte. „Em, du has' keine Wahl. Heute wird gekuschelt und aus."

Lachend dachte ich über meine Optionen nach. Ich könnte einfach aufstehen und so schnell wie möglich aus seiner Wohnung flüchten. Oder ich blieb einfach und... kuschelte mit ihm. Merkwürdigerweise schien mein Körper für die zweite Möglichkeit zu sein, denn plötzlich übermannte mich die Müdigkeit mit einer solchen Wucht, dass ich es nicht einmal mehr schaffte, zu protestieren.

Stattdessen schloss ich einfach die Augen und genoss das wohlige Gefühl der Wärme, die von der Decke und Niall ausging. Das letzte, das ich schließlich noch wahrnahm, bevor mich der Schlaf endgültig erfasste, war Nialls leise Stimme, die sanft zu singen begann: „And when the daylight comes I'll have to go but tonight I'm gonna hold you so close. Cause in the daylight we'll be on our own but tonight I need to hold you so close..."

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