Kapitel 8. 2


Während ich meine Überlegungen anstellte und meine Wut auf Gott und die Welt zügelte, schienen sich die zwei Werwölfe ebenfalls nicht einig zu sein. Zwar konnte ich sie nicht verstehen, da sie leise miteinander sprachen, aber es war eindeutig, dass sie miteinander stritten. Der dunkle Typ mit den verschiedenfarbigen Augen und kurzen Vollbart gestikulierte heftig mit den Armen. Dabei deutete er wütend immer wieder in meine Richtung und ich konnte mir vorstellen, was ihm durch den Kopf ging. Wahrscheinlich wollte er mich zuerst foltern, um an Informationen zu kommen und mich anschließend umbringen. Der andere schien mich von diesem Schicksal eher beschützen zu wollen, da er gelassen mit stoischer Miene dastand und hin und wieder verneinend den Kopf schüttelte, aber nur wenig sprach. Er fing meinen Blick auf und schenkte mir ein kurzes Lächeln. Vielleicht war es nett gemeint, ich jedoch zerrte daraufhin noch stärker an meinen Fesseln. Das Lächeln konnte er sich sonst wohin stecken. Ganz sicher würde ich mich mit diesem Theater nicht besänftigen oder blenden lassen.

Wenn ich wie Soulin oder Amberly über das Element Feuer gebieten könnte, hätte ich mein Seil längst in Brand gesetzt und mich hier vom Acker gemacht. Kurz schoss mein Blick zu den Bäumen, unter den die beiden Männer standen, doch dann verwarf ich den Gedanken. Ich hatte zu wenig Magie, um mehrere Bäume zum Umfallen zu bringen und wenn doch, wären die zwei sicher nicht so nett, still stehen zu bleiben, um sich die Baumstämme auf den Kopf fallen zu lassen. Zu schade.

Nach mehreren Minuten, in denen die zwei hitzig diskutierten, wandte sich der blonde Schönling ab und stampfte davon. Der andere kam auf mich zu und mir gefror das Blut in den Adern. Hatten sie jetzt doch meinen Tod beschlossen und warum hatte ich plötzlich Angst davor. Es war meine Pflicht zu sterben und jedwedes Wissen über uns Hexen zu beschützen. Dumme, feige Angst. Wenn ich könnte, hätte ich sie mir herausgerissen. Dennoch steckte sie in meiner Kehle fest und schnürte mir den Hals zu. Krabbelnd wich ich hastig zurück, meine Finger tasteten hinter mir den Untergrund nach einem harten Stein ab, ohne fündig zu würden.

„Ich sag es noch einmal: hör auf, herumzuzappeln!", wies er mich wie vorhin zurecht. „Wird dir das nicht langweilig? Wir tun dir nichts."

„Wsn bt m v?", hielt ich dagegen und starrte ihn wütend an, wobei ich es aufgab, mit den blutigen Fingernägeln im Dreck zu wühlen, der augenscheinlich im Moment nur aus unnützem weichem Gras bestand.

„Was hast du gesagt?"

Energisch wiederholte ich meine Worte, die durch den Knebel nicht zu verstehen waren, wie ich an seiner ratlosen Miene erkannte.

„Ach. Verdammte Hexe", fluchte er leise zu sich selbst, bevor er seufzend näherkam und den Finger unter den Knebel schob, um ihn aus meinem Mund zu ziehen.

„Was?"

„Was habt ihr dann mit mir vor, ihr verfluchten Wölfe? Habt ihr nicht schon genug getan und ausreichend Hexen so feige getötet?", fauchte ich und meinte damit den Beschuss des Helikopters. „Und wehe, ihr fasst mich an, dann finde ich einen Weg euch schmerzhaft sterben zu lassen, selbst als heimsuchender Geist, der euch und eure Kindeskinder verflucht."

Mit meinen Worten spukte ich ihm entgegen und versuchte im selben Anlauf in seine Hand zu beißen, die vor meinem Gesicht schwebte, um die siedende Wut aus meinem Körper zu leiten, sonst würde ich mit ihr noch explodieren. Gleichzeitig musste ich an diesem Gefühl festhalten, ansonsten käme erneut die Trauer, die mich in die Tiefe riss.

„Scheiße!", bellte der Wolf und sprang einen Schritt von mir zurück. Anschließen tat er etwas, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Statt mich zu schlagen oder zu beschimpfen, begann er zu lachen, tief und ansteckend. Um seine Augen bildeten sich Lachfalten, die Augen selbst glühten hypnotisierend und seine Miene war freundlich, einladend anstatt grimmig verzwickt. Es schien ihn mit einem Schlag jünger zu machen, nur einige Jahre älter als mich.

„Bist du sicher, dass du eine Hexe bist? Hast eher die Impulsivität einer Werwölfin."

Bevor ich antworten konnte, da ich zu perplex war, wischte er sich das Grinsen aus dem Gesicht wie jemand, der eine Maske abnimmt und zurück blieb der Griesgram von vorhin.

„Erstens, wir haben gar nichts getan. Seit zwei Jahren befindet sich hier in Spanien ein Flugabwehrsystem, von dem ihr Hexen bestimmt Bescheid wisst. Zweitens, fass ich dich bestimmt nicht an, du dreckige Hexe. Normalerweise betteln die Frauen darum."

„Davon träumst du doch noch nur", giftete ich zurück, um mich oberflächlich auf das geringere Problem zu konzentrieren. Denn seine anderen Worte hatten sich wie ein Schlag angefühlt und brachten mich zum Grübeln. Wenn es stimmte, dass die Wölfe dieses Abwehrsystem so lange besaßen, dann wussten wir durch Späher Truppen und Infiltration bestimmt darüber Bescheid. Die wesentlichere Frage war, warum hatte man uns dennoch hierher geschickt? Oder hatte es einen zweiten Trupp gegeben, der den Abwehrmechanismus hätte kurz schließen sollen, bevor wir kamen? Statt Antworten zu bekommen, vervielfältigten sich meine Fragen. Ich blinzelte und starrte den Typen ungeniert an, um die nächsten Worte zu unterstreichen.

„Dich würde ich nicht einmal anbetteln, wenn du der letzte Mensch auf Erden wärst. Du bist überhaupt nicht mein Typ, Wolf."

Er lächelte breit und gefährlich. „Überrascht mich nicht. Bin nicht so aalglatt und schleimerisch wie eure metrosexuellen Hexenmänner, was?"

Empört öffnete ich den Mund und er stopfte mir erneut den Knebel zwischen die Lippen, ohne eine Antwort abzuwarten. Unsere Männer waren nicht aalglatt. Sie waren nur gut gepflegt und charmant. Dieser hinterwäldlerische Schläger hatte keine Ahnung. Ich dachte an die Jungs, mit denen ich zusammen gewesen war. Vor allem an Jeromei mit seinem bronzefarbenen Haar, das zu den Spitzen hin immer blonder wurde und wie Gold schimmerte. Er war schön, auf eine kultivierte, saubere, rasierte Art, wie die griechischen Götter auf alten Portraits. Das war nichts Schlechtes und nicht zu belächeln, nur weil unsere Männer wussten, wie man einen Rasierer benutzte. Idiot! Wütend schoss ich mit meinen Augen Blitze in seine Richtung, die er ignorierte. Denn er hatte sich längst abgewandt und mich liegen gelassen in der Gewissheit, dass ich hier festsaß und nicht einmal sprechen konnte.

Einige Zeit verging, in der ich abwechselnd zu Soulins Körper starrte – aber immer nur so lange, bis mir erneut die Tränen kamen – und ich dann wieder wütend zu dem Wolf blickte, der Äste zusammensammelte. Vielleicht wollte er ein Lagerfeuer machen und mich dabei grillen. Ich hatte keine Ahnung, was passierte und das machte mich fertig. Hätte ich nur die Hände und den Mund frei, würde mir schon irgendein Zauber einfallen, um ihm eine drauf zu hauen, doch sie hatten meine Finger beim Fesseln verbunden, wodurch ich vollkommen nutzlos war.

Schließlich kam der zweite Wolf mit den silbernen Haaren zurück und legte vier verschnürte, längliche Stoffpakte vor meinem wölfischen Wärter ab und hauchte ein „Bitteschön. Zufrieden?"

„Ja. Mach dich an die Arbeit."

Wow, der Dunklere war wirklich ein Sonnenschein. Und zwischen den zweien bestand augenscheinlich dicke Luft. Während ich die beiden analysierte, was mir half, dem Grauen der Situation zu entfliehen, ging die Sonne vollends unter. Das bemerkte ich nur, weil plötzlich ein kleines Lagerfeuer inmitten der Dunkelheit brannte, über dem drei Stücke Fleisch auf einem Stock gebraten wurden. Verwundert sah ich mich um. Es mussten ein oder zwei Stunden vergangen sein, wobei ich die Vorbereitungen nicht mit klarem Kopf mitbekommen hatte. Mein altes Ich wäre tobend aufgebraust und hätte mich selbst angebrüllt, etwas zu tun, mich zusammen zu reißen. Aber ich konnte nicht. Mein Blick glitt zu Boden und ich bemerkte, wie ich Geistes abwesend die Hand um Soulins kalten Finger geschlungen hatte. Es sah aus, als schliefe sie nur und ich hielt die Hand an ihrem Krankenbett. Aber das war es nicht, sondern ein blutiges Totenbett. Schaudernd hob ich den Blick, um über das Feuer direkt in die verhassten grünen, blauen Augen zu starren, die mich unergründlich gemustert hatten.

Geschmeidig beugte er sich, griff nach einem gebratenen Fleisch und biss davon ab. Anschließend nickten sich die beiden Männer zu, und der hellere Kerl griff sich die anderen beiden Spieße. Während er von seinem abbiss, kam er auf mich zu geschlendert und hielt mir den anderen Stock hin. Widerwillig griff ich etwas ungeschickt mit den verknoteten Fingern danach, hatte jedoch so einen leeren Magen, dass er vor Hunger heulend schmerzte. Ich musste trotz der anhaltenden Übelkeit etwas essen. Mit einem Finger riss mir der blonde Wolf den Knebel aus dem Mund.

„Guten Appetit, Täubchen."

Statt einem Danke, riss ich meine letzten Energiereserven zusammen und schleuderte ihm meine Fragen entgegen: „Was habt ihr mit mir vor? Wo bringt ihr mich hin? Und was werdet ihr mit den Toten machen?"

Wenn mir schon der andere Typ keine Antwort geben wollte, dann vielleicht dieser hier, der mich von Anfang an nicht immer nur angeknurrt, sondern gar angelächelt hatte. Mein Blick glitt zu den verschnürten Leichen am Rande des Lagers.

„Wir können sie nicht hier liegen lassen. Sie müssen begraben werden. Das gebietet der Anstand, egal ob Feinde oder nicht."

Der Wolf lachte auf. „Ein einfaches ‚Danke' hätte gereicht, Schätzchen. Aber du hast Feuer. Das gefällt mir."

Seine goldenen Augen blitzten hungrig auf und er strich mir kurz über eine offene grüne Strähne, wobei sich die Übelkeit in mir verstärkte.

„Du wärst sicher ein Spaß."

Ich biss nach seiner Hand, doch er war so schnell, sodass ich gar nicht sah, wie er sie lachend weggezogen hatte. Verfluchte Wölfe! Es war ein Fehler gewesen mich an den Wolf gewandt zu haben. Idiotisch von mir zu erwarten, ich könnte mit einen von ihnen vernünftig reden. Wie hieß es im Unterricht immer: die Werwölfe waren vorrangig Tiere und handelten zuerst stets nach ihren Instinkten und Triebe.

„Hör mit dem Scheiß auf!", geiferte der dunkle Wolf. „Setz dich ans Feuer, Rojomus. Und iss."

Ich wartete darauf, dass der Blonde, Rojo-irgendwas, zurück fauchte oder sich ein Streit entwickeln würde, doch nichts dergleichen geschah. Schulter zuckend wich Silberhaar zurück.

„Wie du wünscht, Taytearius."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top