Kapitel 2. 3

Unser Zug nahm wieder die ursprüngliche Formation an und wir folgten Xana rund um das dunkle Stallgebäude bis zu einer unscheinbaren Tür an der Seite. Als wir näherkamen, öffnete uns eine weitere Lehrhexe, die Xana zunickte, als sie an ihr vorbeikam. Der Raum dahinter war ziemlich unscheinbar. Grauer Betonboden, hellgraue Wände und dunkle Holzbänke, auf denen wir uns niederließen. Eine Tür auf der linken Seite war mit einem Bedienfeld gesichert. Vermutlich führte diese in den Testbereich. Bevor wir uns setzten, stand Xana mit der Hexe, die vorhin an der Tür Wache gestanden hatte, vor uns und beide hielten ein schwarzes Gerät in der Hand. Es sah aus wie eine Mischung aus Pistole und Spritze. Ersteres konnte es nicht sein, da Schusswaffen in der magischen Umgebung von Hexen bloß blind explodierten und das wollte keiner ausprobieren. Es war besser einen Zauber zu verwenden, als eine Schusswaffe und dabei riskieren, dass die eigene Hand zerfetzt wurde. Dennoch zitterte ich leicht bei dem Anblick. Ich hasste Spritzen und alles, das spitz genug war, um in meine Haut zu fahren.

„Das hier ist eine Injektionspistole. Damit werden wir jeden von euch einen Tracker implantieren, um euch im Gelände orten zu können. Er gibt uns auch Aufschluss über eure körperliche Verfassung und wird nach den Prüfungen zum eigenen Schutz in euren Körpern bleiben. Jede ausgebildete Hexe trägt diesen Tracker, besonders im Gefecht hat er sich als äußerst nützlich erwiesen. Rekruten, antreten."

Sofort stellten wir uns in Zweierreihe auf, um uns den Tracker abzuholen, den wir im Nacken bekommen sollten. Wieder schüttelte es mich und ich biss mir fest auf die Lippen, um mein Unbehagen nicht zu zeigen. Musste es unbedingt eine Spritze sein, konnten sie uns dieses Ding nicht einfach in den Körper operieren. Okay, gut, eine Operation wäre sicher nicht einfacher oder angenehmer... aber eine Spritze – ernsthaft? Verdammter Besenstiel. Mist!

Soulin berührte mich sachte an der Schulter. „Das wird schon, Fain. Mach es mir einfach nach, die Spritze ist ein Klacks."

Mit diesen Worten schlängelte sie sich vor mich und holte sich den Tracker ab. Als nächstes war ich an der Reihe und Soulins aufmunternder Blick, der so viel sagte wie ‚es ist nicht so schlimm', half mir ohne ein Theater zu machen, die Spritze entgegen zu nehmen. Zwar wurde mir kurz übel, doch ich konnte es übergehen, indem ich die Fingernägel fest in meine Handballen drückte. Die Spritze fuhr in meinen Nacken, es brannte kurz, dann war der verdammte Spuk vorbei.

„Eine andere Stelle wäre sich weniger schmerzhaft gewesen", bemerkte ich nach der Injektion flüsternd zu Soulin, während ich leicht über den Nacken rieb. Vermutlich um mich selbst von dem zittrigen Knien und dem flauen Geschmack im Mund abzulenken, der mir bei der ganzen Sache bitter aufgestoßen war. Aber Xana hatte wohl Recht. Im Krieg, im Gefecht konnte so ein Peilsender, der unseren Aufenthaltsort und Gesundheitsstatus bekanntgab, über Leben und Tod entscheiden. Nachdem das Prozedere vorbei war, wurden wir angewiesen, uns zu setzen. Eine Seite des Raumes war mit zwei Stuhlreihen versehen, die Betonwand gegenüber war nackt und weiß gestrichen. In dem Moment, in dem ich mich fragte, was nun kam, flackerte das Bild eines Beamers auf, das ein Video auf die leere Wand projizierte. Eindeutig ein Propagandavideo. Man erkannte es auf den ersten Blick, denn es begann mit der Nationalhymne und in der Mitte des Bildes prangte die amerikanische Hexenflagge. Der Weißkopfseeadler, doch anstelle von einem Olivenzweig und Pfeilbündel, hielt er eine Flamme und einen Wassertropfen in den Krallen. Im Hintergrund konnte man gezeichneten Wind erkennen und am Boden bewegte sich die Erde, als würde ein Maulwurf darin graben.

Dann setzte eine freundliche weibliche Stimme ein und erzählte die Geschichte, wie die Hexen im Jahre 1982 in das Licht der Öffentlichkeit traten und aufhörten sich zu verstecken. In diesem Jahr gab es in der Nähe von Hawaii ein starkes Meereserdbeben, das bereits die Hälfte der Häuser zum Einsturz gebracht hatte. Aber die tödlichere Gefahr lauerte im Meer selbst, denn die heftigste Tsunamiwelle, die die Welt je gesehen hatte, rollte unaufhörlich auf die Insel zu und hätte diese, wie auch die umliegenden Landstrecken einfach überrollt. Alle wären Tod gewesen. Zum Glück für die Menschen befanden sich zu diesem Zeitpunkt zufällig einige Hexen – darunter unsere heutige Anführerin Oberhexe General Liliana Obera Stormbreaker - auf der Insel, und mit ihren vereinten Kräften hielten sie tosenden Wellen auf. Sie beruhigten das Wasser, den Wind und den Sturm. Neben der Erzählstimme konnte man eine nachgestellte Szene von den damaligen Ereignissen sehen. Rechts im Bild war eine meterhohe Monsterwelle. Darüber dunkel und bedrohlich dicke Sturmwolken, die nicht weniger tödlich waren wie das aufbrausende Meer. Links trat eine Reihe aus sechs Frauen in den Bildschirm, die ihre Arme gegen die mörderische Naturgewalt erhoben hatten, um diese wie ein wildgewordenes Pferd zu zähmen. Vorne an der Spitze stand die junge Liliana Obera, sie spielte sich selbst – ihre Augen heldenhaft fokussiert und ihre langen Haare in blau und violetten Strähnen peitschten im Wind hinter ihr, beinahe sahen sie aus wie ein Superhelden-Cape. Die glorifizierte Heldin, die mit anderen eine ganze Inselkette rettete. Danach ging alles Schlag auf Schlag. Anstatt wie früher Angst vor den Hexen zu haben, dankten die Menschen ihnen, feierten sie und bald waren sie so einflussreich und berühmt wie Starlets. Besonders, da sie ab diesem Zeitpunkt immer wieder bei Umweltkatastrophen oder durch Menschenhand verursachte Umweltkapriolen, nach vorne traten und Hilfe leisteten. Sogar die Präsidenten von Amerika, Mexiko und den restlichen südamerikanischen Ländern, räumten den Hexen, besonders Obera, immer mehr ihre Macht ein.

Nun wurde eine alte Rede von Obera eingeblendet, die sie vier Jahre später vor dem amerikanischen Kongress zeigte, wo sie eine flammende Rede hielt.

„Wir Hexen streben nicht nach weltlichem Reichtum. Alles was wir wollen, ist die Menschen und uns selbst zu retten. Die Natur schlägt zurück, durch unseren selbstausgelösten Klimawandel. Wir müssen uns auf unsere früheren Werte besinnen, die Natur retten, um uns selbst zu retten. Es ist die Zeit gekommen, um zu handeln, bevor wir ausgelöscht werden. Aber wenn wir zusammenhalten: Wir Menschen und Hexen, Hand in Hand, dann können wir das gemeinsam erreichen. Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen. In einer gestärkten, gemeinsamen Nation."

Ihre Worte hatten Wirkung, und das nicht nur, weil sie wahr waren. Überall auf der Welt kam es zu immer heftigeren Erdbeben, Tsunamis, Tornados und dergleichen. Nur in Nord- und Südamerika, wo sich die Hexenpopulation nach der ‚Hawaii-Wende' zusammengetan hatte, wurden jegliche gefährlichen Naturgewalten Einhalt geboten. Die Menschen überlebten, durch die Hexen, die sie drei Jahre später an ihre Spitze setzten. Aus Nord- und Südamerika wurde ein verbündetes New America, Obera wurde demokratisch zur Präsidentin gewählt und alles schien wie im Bilderbuch. Das große Happy End.

Im Video erschienen nun dunkle Wolken, die Musik im Hintergrund wurde düster und ich wusste, was als nächstes passierte. Natürlich. Denn so war es immer. Das schöne, erstrebenswerte Ende wurde je von Blut, Gewalt und den bösen Wölfen durchbrochen. Sechs Jahre nach der Offenbarung der Hexen, und nur ein halbes Jahr nach Oberas gewählten Amtsantritt als Präsidentin, zeigten sich die Werwölfe im Osten, da sie die ‚verlogenen Hexen' – wie sie uns nannten – aufhalten mussten. Im Bild erschien ein junger Lacarus Spaidos, damals mit erst zweiundzwanzig Jahren in der frühen Blüte seines Lebens bereits der Anführer des größten Wolfsrudels in Europa. Er war riesig, muskelbepackt, hatte schulterlange wellige, dunkelbraune Haare mit helleren Strähnen und so derart grün stechende Augen, das man auf Kontaktlinsen tippen würde. Selbst in seiner menschlichen Form hatte er längere Eckzähne und beim gutturalen Sprechen schäumte er innerlich wie äußerlich, wobei Spukfetzen durch die Gegend flogen, während er gegen uns Hexen und Obera wetterte. Er war sichtlich kein Fan von uns. Doch niemand hatte nach seiner Schimpftirade mit einem derart brutalen Krieg gegen uns Hexen und somit gegen ganz New America gerechnet. Zuerst begann alles noch harmlos mit einem kalten Krieg, in dem Eurasien, nachdem sie sich ihm vollkommen verbündet unterstellt hatten, New America zu boykottierten und Sanktionen auszuführen. Der globale Handel, sowie politische Gespräche wurden unterbunden. Es war, als wäre die Welt entzwei geteilt und jeder lebte auf seinem Kontinent getrennt voneinander sein Leben. Doch vor rund zwanzig Jahren war es Lacarus nicht mehr genug. Er wollte die Hexen sterben sehen, das Übel aus der Welt bekämpfen, wenn Obera nicht ihren Sitz am Herrscherplatz räumte. Aber wir waren Hexen, verdammt. Wir ließen uns nicht mehr vertreiben oder auf einen Scheiterhaufen verbrennen. Wir kämpften für unsere Freiheit, das zu tun, wofür Obera gewählt worden war. Ob es dem verfluchten Wolf gefiel oder nicht. Obera und der obererste Hexenzirkel, bestehend aus den dreizehn mächtigsten Hexen unserer Zeit, weigerten sich, und daraufhin erklärte Lacarus und somit ganz Eurasien uns den Krieg.

Einen Krieg, der nun seit dreiundzwanzig Jahren anhielt und der mehr Tote gefordert hatte, als je für möglich gehalten wurde. Die Fronten waren verhärtet, es würde nie einen Frieden geben, da Lacarus noch immer mit eiserner Hand über ganz Eurasien bis hin zu China herrschte. Nur Australien und Afrika waren neutrales Gebiet und wurden ausschließlich von Menschen regiert. Der Rest wurde entweder von den Hexen oder den Werwölfen angeführt. Lacarus war unser größter Feind. Solange er lebte, würde es kein Ende für das Blutvergießen geben. Er war der Grund für unsere Ausbildung, für diesen Krieg, den wir beenden würden.

Nach einigen weiteren Propagandasprüchen und Werbung für das Hexenheer, kam das Video zu seinem Ende. Einige glorreiche Rettungen nach anbahnenden Katastrophen folgten im Abspann. Am Ende schließlich jene Umweltkatastrophen, die nicht auf unserem Hoheitsgebiet lagen und viele unschuldige Menschenleben gekostet hatten. Tsunamis im Pazifik. Erdbeben in Südeuropa. Tornados, Hagelschäden, Dürre oder Überschwemmungen. Und einiges mehr. Tote über Tote, wohin man auch sah. Alles Leben, das wir hätten retten können, doch die Wölfe standen uns im Weg, ließen uns nicht dorthin reisen, wo Wissenschaftler ein Erdbeben oder Wetterkapriolen vorhersagten. Die Wölfe nannten uns das teuflische Böse, für Unnatürlich, obwohl sie es waren, die unsere Hilfe verhinderten. Nein, die uns sogar töteten, für das, was wir waren, über welche Gabe wir verfügten und nannten es schlussendlich Gerechtigkeit. Verrückte Welt, dort drüben über dem Atlantik.

In diesem Moment hatten wir genug gesehen und wurden daran erinnert, warum wir kämpfen wollten, wofür wir hier waren. Im Raum herrschte in einträchtiges Summen, ein aufgeheiztes Vibrieren, da wir es nicht erwarten konnten, endlich die Prüfung hinter uns zu bringen, um uns der Armee anzuschließen. Genau das, was sie damit hatten erreichen wollen. Mir ging es nicht anders. Meine Finger kribbelten, mein Herz schlug schneller und ich konnte die Aufregung beinahe mit Händen greifen. Langsam, aber sicher spürte ich immer stärker die prickelnde Nervosität in meinem Körper. Rastlos trommelte ich mit den Fingerspitzen auf meinen Oberschenkeln, mit denen ich ebenfalls leicht auf und ab wippte. Ich würde mich nicht als Nervenbündel bezeichnen, aber Warten war noch nie meine Stärke gewesen. Daher war die momentane Situation der absolute Horror für mich - untätig herumsitzen und Däumchen drehen, bevor etwas Wichtiges passierte. Furchtbar. Ich befürchtete, die nächsten Stunden mit Warten zu verbringen, da immer nur zwei Teams gleichzeitige zur Prüfung antreten konnten, wie Xana uns soeben mitteilte. Dann schob sie sich einen IPad vor die Nase, tippte darauf herum - vermutlich, um unsere Namen abzuhaken - während sie nacheinander die Prüflinge der zwei Gruppen aufrief. Die genannten Kandidaten standen auf und folgten Xana durch die Tür mit dem Touchscreen, nachdem wir ihnen viel Glück gewünscht hatten. Auf der rechten Seite befand sich eine weitere Tür mit der Aufschrift ‚Toiletten' und in einer Ecke des Warteraums war ein Tisch mit Wasserkrügen, Gläsern, Obst und Müsliriegel. Nachdem ich zwei Riegel - natürlich die mit Banane und Schokogeschmack - verdrückt hatte und soeben einen Apfelstrunk im Mülleimer entsorgte, immerhin hatte ich kein Frühstück gehabt, besuchte ich kurz die Toilette. Als ich zurückkam, herrschte noch immer das gleiche Schweigen wie zuvor. Man müsste meinen bei einem Haufen junger Frauen gäbe es genügend aufregende Gesprächsthemen, selbst vor einer wichtigen Prüfung. Man darf aber nicht vergessen, dass wir nicht nur normales, schulisches Wissen und Magie gelehrt bekommen hatten, sondern ebenfalls zu Soldatinnen ausgebildet worden waren, mit all der Disziplin und langweiligen Vorschriften wie im Militär von früher. Daher setzte ich mich wieder neben Soulin, streckte den Rücken durch, verschränkte die Finger und schwieg eisern. Für mich fühlte sich das bereits nach Folter, beziehungsweise wie der erste Teil der Prüfung an. Aufgabe eins: hock ruhige und gerade da, stundenlang und sag kein Wort. Wie gesagt, der blanke Horror.

In diesem Moment ging die Tür zu den Prüfungsräumen auf und mein Herz machte einen Satz, als Xana Soulins und meinen Namen aufrief. Das Warten hatte ein Ende. Abrupt hüpfte ich auf und konnte im letzten Augenblick verhindern, dass ich erwartungsvoll die Hände aneinanderrieb. Stattdessen verschränkte ich artig die Arme hinter dem Rücken und wartete die Aufzählung der restlichen Prüflinge ab. Anschließend folgten wir Xana in einen dunklen Flur aus Stahl, der bloß mit roten Lichtern an der Decke erhellt wurde. Bei einer Tür stand in weißer Schrift groß die Zahl eins darauf. Dorthin schickte sie ein Fünfer-Team, dem Xana zuvor einen Umschlag in die Hände drückte. Dann gingen wir weiter, immer tiefer in die riesige Halle hinein.

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