One Reunion.


Auch eine Woche nach dem Einbruch herrscht in mir immer noch eine leichte Wehmut, wenn ich morgens die Tür zur Boutique aufschließe. Die Fensterscheibe neben dem Eingang ist mittlerweile wieder repariert und man sieht Miss Cozi nicht mehr an, was ihr zugestoßen ist. Ich habe es dennoch zum Anlass genommen und eine Sicherheitsfirma beauftragt, die ein Überwachungssystem und Sicherheitsschlösser installiert hat. So kann ich wenigstens wieder ein bisschen ruhiger schlafen.

Langsam kehrt der Alltag ein. Meine Stammkunden haben mit großer Betroffenheit auf den Einbruch reagiert und ich bilde mir ein, dass der eine oder andere im Zuge dessen etwas mehr einkauft als sonst. Vielleicht ist es Mitleid, doch die Einnahmen sehen nach meiner Rückkehr sehr vielversprechend aus. Da Joy den Großteil des Tagesgeschäftes übernimmt, habe ich Zeit an Entwürfen zu basteln. Chicago hat eine Menge Kreativität heraufbeschworen und innerhalb weniger Tage sind dutzende Seiten in meinem Skizzenblock voll mit neuen Ideen.

Es ist kurz vor Ladenschluss, ich sitze in meinem Büro und hebe den Kopf von dem Entwurf, an dem ich gerade sitze. Wyatts Blumenstrauß steht auf meinem Schreibtisch und hält sich immer noch, als hätte man ihn eben erst vom Floristen geholt. Das könnte auch darin liegen, dass ich penibel darauf achte, jeden Tag das Wasser in der Vase zu wechseln. Ich sollte mich irgendwie bei Wyatt dafür bedanken. Doch eine stupide Textnachricht ist viel zu wenig für das, was passiert ist, und wäre ihm gegenüber auch einfach nicht fair. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich jetzt verhalten soll. Stattdessen stütze ich das Kinn auf meinen Händen und starre wie ein liebestoller Teenager den Blumenstrauß an. Es tut weh, dass wir beide keine Zukunft haben werden.

»Worüber grübelst du?«, fragt Joy, die plötzlich im Türrahmen steht und mich bei meiner Tagträumerei erwischt hat.

»Über ... den Sinn des Lebens«, erwidere ich und widme mich wieder meiner Zeichnung. Ich habe ihr zwar von meinem kleinen Abenteuer erzählt, doch ich will vor ihr auch nicht darüber jammern, dass ich die Enttäuschung immer noch nicht verdaut habe.

»Sag Bescheid, wenn du zu einem Resultat gekommen bist«, sagt sie kichernd. »Ich schließe jetzt die Kasse, ja? Ich denke, heute braucht niemand mehr eine Modeberatung.«

»Ja, nur zu. Es ist ja schon nach acht«, erwidere ich, ohne den Blick von meiner Skizze zu nehmen. Für einen Moment bin ich versucht, meiner Figur ein Hawaiihemd zu verpassen, lasse es dann aber doch bleiben. Es reicht, dass Wyatts Blumen auf meinem Tisch stehen und seine Zeichnung hinter mir an der Wand hängt. Ich muss mich nicht unbedingt noch mehr quälen.

Im Verkaufsraum läutet die kleine Glocke über der Eingangstür. Offenbar wird wohl doch noch eine Modeberatung zur späten Stunde benötigt. Seufzend klappe ich mein Skizzenbuch zu und schalte den Computer aus. Ich muss mich wohl oder übel damit abfinden, dass ich heute Abend allein in der Badewanne liegen werde, lediglich begleitet von einem Glas Wein und einem guten Buch.

»Cozi?« Joy streckt den Kopf ins Zimmer. »Ein Kunde fragt nach einer Maßanfertigung, die nächsten Monat fertig sein muss.« Es gehört zum Portfolio der Boutique, dass ich Kleidungsstücke auch nach eigenen Wünschen designe. Meistens handelt es sich hierbei um Abend- oder Hochzeitskleider. Joy sieht aus, als wäre es eine absolute Premiere, dass das passiert, und es irritiert mich ein wenig.

»Sicher. Du kannst ihm gern den Stoffmusterkatalog zeigen«, erwidere ich, doch Joy schüttelt heftig den Kopf.

»Nein, nein. Er möchte nur von der Chefin beraten werden, von niemandem sonst. Ich habe es bereits versucht«, sagt sie und ich seufze. Ein Kunde mit Ansprüchen ist sonst kein Problem für mich, aber nicht um diese Uhrzeit und nicht mit der schlechten Laune, die ich gerade habe.

»Na gut, dann soll er hereinkommen.«

Strahlend dreht sie auf dem Absatz um und geht zurück zum Verkaufsraum. »Sir? Miss Campbell hat nun Zeit für Sie.«

Ich richte die Unterlagen auf meinem Schreibtisch und fasse sie zu einem Stapel zusammen. Ganz die kreative Ader, ist es nicht ungewöhnlich, dass es bei mir öfter chaotisch aussieht. Ich habe nicht damit gerechnet, jetzt noch potenzielle Kunden empfangen zu müssen.

»Das Bild passt wirklich gut hier rein.«

Die Blätter, die ich bis eben noch in der Hand gehalten habe, entgleiten meinen Fingern und landen auf dem Boden. Ruckartig schaue ich auf. Eine Fata Morgana? Mitten in meinem Büro?

»Wyatt? Was machst du denn hier?« Die Frage ist bescheuert, aber mir fällt beim besten Willen keine andere ein.

»Ach, ich war gerade zufällig in der Gegend und dachte, ich schaue mal bei der renommiertesten Boutique der Stadt vorbei. Vielleicht habe ich ja Glück und die Chefin hat Zeit, mit mir etwas trinken zu gehen.« Sein charmantes Lächeln hat mir gefehlt und mein pochender Herzschlag beruhigt sich langsam wieder. Ihn plötzlich mitten in meinem Büro zu sehen, war ein Schock, doch jetzt kick das Serotonin.

»Wie es der Zufall so will, habe ich gerade Feierabend«, erwidere ich und schiebe mir nervös eine Strähne hinter das Ohr. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Joy im Flur steht und lauscht. Ich bin ihr mit dem Thema Wyatt in den letzten Tagen ganz schön auf den Keks gegangen. Und jetzt ist er plötzlich hier. In Savannah. Bei Miss Cozi!

»Und du hättest auch Lust, mich zu begleiten?« Süß, wie er fragt. Als wäre ich ihm nicht bereits mit Haut und Haaren verfallen.

»Es wäre mir eine große Freude.«

Ich umrunde meinen Schreibtisch und will nach meinem Mantel an der Garderobe greifen, doch Wyatt kommt mir zuvor. Ganz der Gentleman hilft er mir dabei, hineinzuschlüpfen, und berührt dabei wie zufällig meine Schultern. Mein Lächeln wird breiter. Ich schnappe mir meine Handtasche und schalte das Licht aus. Kaum ist die Tür geschlossen, erblicke ich schon Joy, die breit grinsend im Flur steht und uns einen schönen Abend wünscht.

Da Wyatt sich in Savannah nicht so gut auskennt wie ich, überlässt er mir die Wahl des Lokals. Wir finden uns schließlich in einer eleganten Bar zwei Straßen weiter wieder, die Joy und ich nach Feierabend gern mal besuchen. Die Drinks sind hervorragend und zu unserem Glück ist eines der Séparées frei, die sich im hinteren Bereich befinden. So können Wyatt und ich uns in Ruhe unterhalten. Die Bedienung stellt die bestellen Getränke – einen Whiskey Sour für Wyatt und einen Cosmopolitan für mich – vor uns ab und verschwindet freundlich lächelnd. Hinter den gepolsterten Trennwänden sind wir ganz unter uns und zum ersten Mal seit meiner Rückkehr aus Chicago bin ich völlig entspannt und ... glücklich.

»Asana hat erzählt, dass in deiner Boutique eingebrochen wurde. Wurde derjenige schon verhaftet?« In seiner Stimme schwingt echtes Interesse mit, er scheint nicht einmal sauer, dass ich sang und klanglos von der Hochzeit verschwunden bin, ohne mich zu verabschieden.

»Leider nein.« Ich seufze schwer. »Ich mache mir da auch gar keine großen Hoffnungen, um ehrlich zu sein. Der Detective, der meinen Fall aufgenommen hat, meinte, dass es wohl extrem schwierig sein wird, den Verantwortlichen zu finden. Beim Einbruch wurden so gut wie keine Spuren hinterlassen.«

Ich nippe an meinem Cocktail. Wenn es nach mir geht, könnten sie die Ermittlungen auch genauso gut aufgeben. Das bisschen, was der Dieb zu Geld machen konnte, ist sicher bereits im Internet verkauft. Die Wahrscheinlichkeit, ihn zu finden, ist also gleich null.

»Du hattest doch hoffentlich keinen großen Schaden.«

Ich schüttle den Kopf und lehne mich ins weiche Polster. Da wir uns gegenüber sitzen, kann ich ihn in Ruhe betrachten und muss mir eingestehen, dass er mindestens doppelt so gut aussieht wie in meiner Erinnerung. Die kurzen blonden Haare, die einen perfekten Kontrast zu dem grauen Pullover bilden, den er trägt. Das lässige Stück Stoff verdeckt seinen göttlichen Oberkörper. Und in seinen blauen Augen glänzt etwas Verheißungsvolles, als würde er an das gleiche denken wie ich.

»Zurück zu dir: Wie kommt der Bundesstaat Georgia zu der Ehre deines Besuchs?«, frage ich neugierig. Auch wenn es ein wenig masochistisch ist, muss ich wissen, wie viel Zeit mir mit ihm bleibt, bevor wir wieder getrennte Wege gehen.

»Glaub es oder nicht, aber es stand schon vor mehreren Wochen fest, dass ich heute die Frühmaschine nach Savannah nehmen würde.«

Ein leichter Anflug von Enttäuschung macht sich in mir breit. Irgendwie hatte ich gehofft, dass er wegen mir hier ist, aber das wäre natürlich zu schön, um wahr zu sein.

»Dann war dein Wunsch nach einer Maßanfertigung also nur ein Trick, um meine Assistentin dazu zu bringen, dir eine Sonderbehandlung zu geben?« Ja, Cozi, stochere ruhig noch in der Wunde, damit du heute Abend wieder schlecht gelaunt ins Bett gehst.

Wyatt nimmt einen Schluck seines Whiskeys und schüttelt den Kopf. »Oh nein, das war ernst gemeint. Ich brauche wirklich ein Kleid. Und wer käme da besser als Designerin in Frage als du?«

Ich spüre Hitze in mein Gesicht steigen und kann nicht genau zuordnen, ob es seinem Kompliment oder dem Alkohol geschuldet ist. »Dann schieß mal los. Du hast doch bestimmt schon Ideen oder einen Anlass?«, frage ich und schlag die Beine übereinander. »Ich nehme an, dass das Kleid nicht für dich persönlich ist?«

»Nicht ganz«, erwidert er und ich kichere, weil die Vorstellung allein viel zu albern ist.

Statt diesem Gedanken allerdings allzu große Beachtung zu schenken, greife ich in meine Handtasche und ziehe einen kleinen Notizblock hervor.

»Ich dachte an etwas Trägerloses, Schwarzes. Ein Teil darf gerne aus durchsichtigem Stoff sein.« Wyatt legt sich einen Finger an die Lippen. Es sieht fast so aus, als müsse er sich das Grinsen verkneifen.

Ich mache mir fleißig Notizen und habe bereits eine grobe Idee im Kopf: A-Line mit eingenähten Cups und Mesh-Stoff. »Für eine Party oder eine Gala?«, frage ich und kritzle bereits einen ersten Entwurf in Miniform in die Ecke meines Blocks.

»Eine Wohnungseinweihnungsfeier«, antwortet er. »Um genau zu sein: meine.«

Mein überraschter Blick trifft auf seinen. Eine Einweihungsfeier? Das klingt nicht danach, als bräuchte er das Kleid als Geschenk für seine Schwester, Cousine oder sonst eine verwandte Person. Es klingt eher ... nach einer anderen Frau.

Ich räuspere mich und senke erneut den Kopf. »Ich denke, wir werden da etwas Schönes finden. Bis wann brauchst du es denn?« Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. Es war dumm, zu glauben, dass Wyatt für immer monogam leben würde, nur weil wir ein einziges Mal Sex hatten. Er wohnt in einem anderen Bundesstaat und sein Leben geht weiter, auch ohne mich.

»Samstag in drei Wochen. Da findet die Party statt. Ich möchte unbedingt eine Person dabei haben, die in einem Miss Cozi-Kleid hinreißend aussehen würde. Wenn sie nicht sowie schon ohne jeden Zweifel wunderschön wäre.«

Je mehr er redet, desto mehr fühlt es sich an wie spitze Nadeln in meinem Herzen.

»Dann müsste diese Person bei mir vorbeikommen zum Maße nehmen. Es sei denn, du weißt sie auswendig«, sage ich und meine Stimme klingt sehr viel weniger euphorisch als noch vor einigen Minuten.

»Ich denke, das wird nicht notwendig sein«, erwidert Wyatt und ich hebe verwirrt eine Augenbraue. »Deine eigenen Maße dürften dir ja bekannt sein.«

Mein Gesichtsausdruck dürfte in nur wenigen Sekunden von tieftraurig zu komplett verdattert gewechselt sein. Hab ich mich verhört? Doch Wyatt trägt ein hinreißendes Lächeln zur Schau und macht nicht den Eindruck, mich veräppeln zu wollen.

»Für mich?«, frage ich trotzdem. »Du möchtest mich zu deiner Einweihungsparty einladen?«

Mein skeptischer Tonfall dürfte ihm nicht verborgen bleiben. Er lehnt sich nach vorne und legt die Unterarme auf seinen Oberschenkeln ab. »Erinnerst du dich an unser Gespräch auf der Hochzeit über die Selbstständigkeit? Ich habe dir ja erzählt, dass ich eine Werbeagentur gegründet habe«, sagt er und ich nicke.

»Mhm, du hast erwähnt, dass du einen Großkunden an Land gezogen hast.« Ich fummle nervös an meinem Stift herum, weil ich mir gerade nicht zusammenreimen kann, worauf Wyatt hinauswill.

»Dieser Kunde ist Teil eines Zusammenschlusses von Firmen, die vor kurzem von einem Investmentunternehmen aufgekauft wurden. Und dieses Investmentunternehmen möchte das komplette Produktdesign und die dazugehörige Werbekampagne neu aufziehen und hat mich dafür beauftragt.«

»Wow, das klingt großartig!«, sage ich begeistert. Es hört sich zwar auch nach einer Menge Arbeit und Verantwortung an, besonders da Wyatt seine Firma ja als One-Man-Show leitet, aber es ist sicher auch eine tolle und fordernde Aufgabe.

Ich greife nach meinem Drink und schaue ihn über den Rand des Glases hinweg an.

»Das Büro der Hauptzentrale ist hier in Savannah, drüben in den Heights, ganz in der Nähe des Technical Colleges. Und meine neue Wohnung ist nur drei Blocks weiter.«

»Du ziehst nach Savannah?«, frage ich und hätte mir am liebsten selbst gegen die Stirn geschlagen, weil ich es erst jetzt geblickt habe. Meine Stimme ist vor Aufregung zwei Oktaven höher gesprungen.

»Ich bin heute hierher geflogen, um den Vertrag zu unterschreiben. Morgen Mittag geht mein Rückflug, da ich noch ein paar Dinge in Chicago klären muss. Aber wenn alles so läuft, wie geplant, dann bin ich Ende des Monats ein Bürger Georgias.«

Mein Herzschlag ist ungesund schnell. Wenn Wyatt nach Savannah zieht, dann hätten wir eine Chance, eine echte Chance uns näher kennenzulernen. Ich lege meinen Block beiseite und lehne mich ebenfalls nach vorn. Uns trennt jetzt nur noch knapp eine Armlänge.

»Du musst wissen, ich bin eine hervorragende Stadtführerin und stehe auch sonst für jede erdenkliche Freizeitaktivität zur Verfügung«, säusle ich und lege das Kinn auf meine Hand, bevor ich mit den Wimpern klimpere.

Wyatt hebt eine Augenbraue. Wie sexy kann eine einzelne Geste sein?

»Jede erdenkliche?«, fragt er nach und ich schaffe es, gerade so zu nicken, bevor er seine Finger in meinen Nacken wandern lässt.

Kurz darauf treffen seine Lippen auf meine und es fühlt sich an, als wäre unser Abenteuer in Chicago nur eine schwache Erinnerung. Die Realität übertrifft es bei weitem und ich seufze selig. Dieser Kuss verursacht ein Kribbeln, das sanft von meinem Bauch in mein Herz wandert. Wyatts Hand wandert von meinem Nacken über meinen Kiefer und das Kinn. Spätestens jetzt hat sich meine schlechte Laune ins Nirwana verabschiedet. Einen Moment später löst Wyatt die Berührung und meine Lippen brennen angenehm. Dass mein Herz noch nicht aus der Brust gesprungen ist, grenzt an ein Wunder.

Ich räuspere mich. »Dein Flug geht morgen Mittag?«

Er nickt, seine tiefblauen Augen sind voll und ganz auf meinen Mund fixiert.

»Hast du eine Idee, wie du diesen Abend verbringen möchtest?«, frage ich und fahre durch seine Haare.

»Die hätte ich tatsächlich«, antwortet er nickend. »Erinnerst du dich? Sie hat etwas mit meinen Zeichenkünsten zu tun ... und damit, dass du nackt bist.«

Ach ja, mein Kopf war zu diesem Zeitpunkt zwar woanders, aber ich erinnere mich tatsächlich, dass Wyatt mich ein zweites Mal zeichnen wollte.

»Ich bin dabei«, sage ich lächelnd und küsse ihn erneut. Und nehme mir vor, mich bei Asana zu bedanken. Wer weiß wie viele seiner Zeichnungen dank ihr noch an der Wand in meinem Büro landen werden ...



© Mila Meadow, 2022

Hat dir gefallen, was du hier gelesen hast? Dann lasse gern einen Like und einen Kommentar da.

Und wenn du noch nicht genug bekommen hast, dann schau doch einfach mal bei unserer Reihe »Challenging Disasters« vorbei. Der dritte und letzte Band »Challenging Disasters - Finding Us« ist am 27. Mai 2022 als Print, eBook und bei Kindle Unlimited erschienen.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top