One Message.
Als Wyatt und ich wieder im Hauptsaal bei den anderen Hochzeitsgästen ankommen, hat das frisch vermählte Brautpaar gerade einen instagramwürdigen Moment. Lilian und Derrick stehen in der Mitte der Tanzfläche und öffnen einen Regenschirm. Die drei Fotografen, die schon den ganzen Abend über Höchstleistungen vollbringen, und die umstehenden Personen lassen ein richtiges Blitzlichtgewitter los, als unzählige Rosenblätter aus dem Schirm fallen.
»Entschuldige mich für einen Moment«, sage ich zu Wyatt und gehe zur Bar, wo ich Asana vermute und letzten Endes auch finde.
Sie hat ein süffisantes Lächeln auf den Lippen und nippt an einem Martini. Ich setze mich neben sie, bestelle beim Barkeeper ein Glas Wasser und werfe meiner Freundin einen vielsagenden Blick zu.
»Eine wirklich schöne Idee, die Sache mit den Rosenblättern«, kommentiere ich die Szene, die sich hinter uns abspielt.
»Finde ich auch«, erwidert Asana nickend. »Ein schöner Trick, von dem mir eine befreundete Fotografin erzählt hat.«
»Mhm.« Ich nehme einen Schluck Wasser, um meine trockene Kehle zu befeuchten. »Und die Rosenblätter habt ihr wo gefunden?«
Sie presst die Lippen aufeinander, um sich das Lachen zu verkneifen, denn sie weiß ganz genau, worauf ich hinaus will. Asana hat Wyatt und mich ja ursprünglich losgeschickt, um den Karton mit den Blüten zu finden. Dass sich unsere Suche in eine vollkommen andere Richtung entwickelt hat, konnte sie nicht wissen. Aber vielleicht hat sie es ja ein bisschen forciert.
»Entschuldige, dass ihr euch umsonst die Mühe gemacht habt, nach den blöden Rosen zu suchen. Die Box ist plötzlich wieder aufgetaucht, wie aus dem Nichts.« Sie fuchtelt mit den Händen vor meinem Gesicht herum, als würde sie irgendwelche magischen Beschwörungen demonstrieren wollen.
»Ja, wie aus dem Nichts«, wiederhole ich nickend.
»Und ihr scheint ziemlich intensiv danach gesucht zu haben. Schließlich wart ihr ganz schön lange weg.« Asana schaut mich über den Rand ihres Martini-Glases hinweg an und ich fühle, wie Hitze in mein Gesicht steigt.
Das ist doch lächerlich. Ich bin eine erwachsene Frau und habe mir absolut nichts vorzuwerfen. Besonders wenn es um unanständige Aktivitäten mit einem Kerl geht, der ein gutes Stück Lebenszeit investiert hat, nur um mich zu zeichnen. Welche Frau hätte da Nein gesagt?
»Oh ja, wir hatten unser Vergnügen«, erwidere ich mit erhobener Augenbraue.
Asanas Zustand springt sofort von vorsichtiger, optimistischer Neugier zu ekstatischer Euphorie. »Ich will alles hören! Besonders die kleinen, schmutzigen Details!«
»Oh, nein, nein, nein«, säusle ich und rutsche möglichst elegant vom Barhocker. »Eine Lady schweigt und genießt.«
Damit lasse ich sie einfach mit offenem Mund an der Bar sitzen. Das ist meine kleine Rache dafür, dass sie mich bei ihrem geheimen Plan nicht eingeweiht hat. Wobei ich mir gar nicht mal so sicher bin, ob ich mit diesem Wissen großartig anders reagiert hätte.
Auf dem Weg zurück zu meinem Tisch sehe ich Wyatt, der sich etwas abseits hinter eine Leinwand gestellt hat. Kritisch beobachtet vom strengen Blick meiner Schwester, während sie mit ihrem Ehemann tanzt. Offenbar bekommt sie ihr Bild doch noch und das, obwohl Wyatt ja eigentlich abgesagt hatte.
Ich verspüre keine besonders große Lust, mich zu den Schaulustigen zu gesellen. Stattdessen checke ich mein Handy auf neue Nachrichten und ziehe erstaunt die Stirn kraus: siebzehn Anrufe in Abwesenheit. Allesamt von meiner Assistentin Joy, die sich während meines Besuchs in Chicago um den Laden kümmert. Ich trete aus dem Hauptsaal in den Gang, der zu den Toiletten führt, da es dort deutlich ruhiger ist. Die laute Musik der Liveband macht es sonst schier unmöglich, ein Telefonat zu führen. Ich wähle Joys Nummer und sie antwortet, noch bevor das erste Freizeichen verklungen ist.
»Cozi! Gott sei Dank, rufst du zurück. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll«, plappert sie auch schon drauf los.
»Tief durchatmen, Joy. Was ist passiert?« Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl, das durch die nächsten Worte meiner Assistentin bestätigt wird und mir das Herz in die Hose sacken lässt.
»Bei Miss Cozi wurde eingebrochen.«
***
Vier Stunden später verlasse ich das Terminal des Hilton Head International Airport in Savannah und halte auf dem Vorplatz Ausschau nach einem freien Taxi. Ich ziehe meinen Koffer auf den kleinen Rollen hinter mir her. Seit Joys Anruf befinde ich mich wie auf Autopilot. Die Nachricht über den Einbruch in meiner Boutique hat mich sofort reagieren lassen. Kopflos habe ich Asana darüber informiert, dass ich sofort abreisen muss, und sie gebeten, meiner Familie Bescheid zu geben. Wyatt war nicht mehr hinter seiner Leinwand und auf die Schnelle unauffindbar, deswegen habe ich die Hochzeit mit schlechtem Gewissen verlassen, um ins Hotel zurückzukehren. Der Rückflug war schnell gebucht und währenddessen habe ich fast pausenlos mit Joy geschrieben. Die Polizei war bereits vor Ort und hat alles aufgenommen.
Ich setze mich auf die Rückbank und gebe dem Taxifahrer die Adresse von Miss Cozi. Jetzt nach Hause zu fahren, würde meine angespannten Nerven zusätzlich strapazieren. Ich muss wissen, was dort vor sich geht. Die Boutique ist mein ganzer Stolz. So viel Energie und Geld sind hineingeflossen. Joy konnte mir am Telefon nicht sagen, was passiert ist. Entweder steht sie dafür zu sehr unter Schock oder sie versucht, mich zu schonen. Nervös tippe ich mit dem Fuß auf und ab. Zwar konnte ich mich vor dem Rückflug umziehen und mein dünnes Seidenkleid ist einem dicken Strickpullover und schwarzen Stoffhosen gewichen, trotzdem frisst sich die Kälte durch die Wolle. Ich weiß nicht, wie viel Schaden ich ertragen könnte. Jeder Faden, jedes Stückchen Stoff und jeder Dollar würden mir wehtun. Ich verliere mich in trübselige Gedanken.
Vielleicht hätte ich Lilian einfach absagen sollen. Dann wäre ich nicht durch den halben Staat gereist für eine Hochzeit, die mich sowieso nicht die Bohne interessiert. Das einzig Schöne daran war das Wiedersehen mit Asana und ... Wyatt.
Seufzend lege ich meinen Kopf an die Scheibe. Ich hatte nicht einmal die Chance, mich zu verabschieden. Doch es ist besser so. Wir kommen aus unterschiedlichen Welten, die sich nicht überschneiden. Ich lebe und arbeite in Savannah, Wyatt in Chicago – das würde nicht funktionieren. Auch wenn ich ihn zu gern näher kennengelernt hätte, was irgendwie paradox klingt, wenn man bedenkt, dass wir bereits Sex hatten.
Ich krame seine Zeichnung aus der Handtasche und betrachte sie im schwachen Licht der vorbeiziehenden Straßenbeleuchtung. Ein kleines Abenteuer nach Jahren der harten Arbeit und ich erhalte direkt die Retourkutsche dafür. Das ist eine überaus ernüchternde Erkenntnis. Trotz allem werde ich das Bild als Erinnerung einrahmen und einen Ehrenplatz in meinem Büro dafür aussuchen.
»Miss? Wir sind da«, sagt der Taxifahrer und erst jetzt fällt mir auf, dass wir zum Stehen gekommen sind.
Ich verstaue die Zeichnung in der Tasche und ziehe stattdessen ein paar Geldscheine hervor, die ich ihm reiche. Kurz darauf stehe ich mit meinem Rollkoffer auf dem Bordstein, direkt vor meiner Boutique. Ich habe mir dutzende Male die Fotos angeschaut, die Joy mir geschickt hat, doch die Realität trifft mich härter. Das große Glasfenster neben der Eingangstür ist eingeschlagen und notdürftig mit Absperrband der Polizei überklebt. Ich kann ins Innere schauen und sehe die vollkommen durchwühlte Ladendecke, umgeworfene Schaufensterpuppen und auf dem Boden verstreute Kleidungsstücke. Mein Herz bricht mit jedem weiteren Detail, das bis in mein Bewusstsein durchsickert.
»Cozi!« Ich drehe meinen Kopf und erblicke Joy, die in ihrem dicken Mantel und dem XXL-Schal geradezu versinkt. Ihr rundes Gesicht ist ganz rot von der Kälte und die langen blonden Locken sind zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden.
»Joy ... Wie geht es dir?« Ich traue mich kaum, wieder zur Boutique zu schauen, aus Angst, das volle Ausmaß des Chaos zu verstehen. Bis jetzt füllt es sich noch an wie ein Albtraum, aus dem ich aufwachen könnte, wenn der Wecker klingelt. Der Schock sitzt tief.
»Den Umständen entsprechend. Ich war glücklicherweise nicht hier, als es passiert ist. Das alles ist so schrecklich«, antwortet sie und greift nach meinem Arm, als ich einen Schritt auf die Eingangstür zumache. »Ich denke, du solltest da jetzt nicht reingehen, Cozi. Die Polizei hat die Boutique noch nicht freigegeben. Es ist nach wie vor ein Tatort.«
Ich lache auf – kurz und hysterisch. Tatort ist keine Bezeichnung, die ich diesem Gebäude geben möchte. Doch gerade kann ich es nicht ändern und das ist wahnsinnig frustrierend.
»Der Officer, der mich befragt hat, wird dich morgen anrufen. Komm, ich fahre dich nach Hause.« Joy greift nach meinem Koffer und schiebt mich mit der freien Hand in Richtung Seitenstraße, in der ich ihr Auto vermute.
Mein Kopf ist wie leergefegt. Ich bemühe mich, zurück zur Rationalität zu finden, die sonst immer mein oberstes Gebot ist, doch der Schock ist immer noch sehr präsent. Man hat mein Lebenswerk mit Füßen getreten.
»Hast du die Versicherung angerufen?«, frage ich, als wir bereits im Auto sitzen. Meine Bewegungen gleichen dem eines Roboters, steif und mechanisch. Mein Körper leistet sich nur noch das Mindestmaß an Bewegung.
»Ja, gleich nach dem Telefonat mit dir. Sie warten den Bericht der Polizei ab und schicken uns dann die Unterlagen«, erwidert Joy und biegt auf die Hauptstraße.
Meine Wohnung liegt unweit des botanischen Gartens, etwa eine Viertelstunde von Miss Cozi entfernt. Vor knapp zwei Jahren bin ich dort mit meinem damaligen Freund Tom eingezogen und nach meinem Gusto eingerichtet. Es hat viel vom Industrial Stil mit ausgewählten Vintage-Möbeln. Eine Menge Zeit und Muse war nötig, um es zu einem Zuhause zu machen. Und auch jetzt geben mir meine eigenen vier Wände das Gefühl von Sicherheit in einer Situation, in der ich mich absolut verloren fühle.
Ich habe die Befürchtung, dass es mir nach dem morgigen Gespräch mit der Polizei nicht besser gehen wird.
***
Joy und ich fahren am Morgen gemeinsam zur Boutique. Der leitende Detective vom Dezernat für Einbruch wartet bereits auf uns, um meine Aussage aufzunehmen. Da ich zum Zeitpunkt des Verbrechens in Chicago war, kann ich kaum etwas zu seinen Ermittlungen beitragen. Kurz nach unserem Gespräch verkündet der Detective, dass die Boutique wieder freigegeben ist. Ich nicke steif und verabschiede mich von ihm.
Joy steht vor dem Verkaufstresen und wirkt in all dem Chaos ganz schön verloren. Seufzend werfe ich den Kopf in den Nacken.
»Wir sollten aufräumen«, sage ich und sie nickt eifrig.
Im Laufe des Vormittags versetzen Joy und ich Miss Cozi, so weit es möglich ist, wieder in ihren ursprünglichen Zustand. Ich erledige ein paar Anrufe, unter anderem mit der Versicherung, und beauftrage eine Fachfirma mit der Reparatur der Scheibe. Gegen vierzehn Uhr macht sich Joy auf, um uns Mittagessen im Bistro am Ende der Straße zu besorgen. Ich starre den Newsletter auf meinem Bildschirm an, den ich an unsere Stammkunden versenden will, und lege das Kinn auf meine verschränkten Arme.
Im Großen und Ganzen ist Miss Cozi glimpflich davon gekommen. Im Endeffekt sind nur die Tageseinnahmen und ein paar Schmuckstücke von geringem Wert weggekommen. Die Einbrecher dürften ziemlich sauer über ihre magere Ausbeute sein. Und da ich glücklicherweise eine sehr umfangreiche Police abgeschlossen habe, wird sich der wirtschaftliche Schaden in Grenzen halten. Und doch ist es ein Schlag ins Gesicht. Jeder Angriff auf meine Boutique ist ein Angriff auf meine Person.
Mein Blick fällt auf meine geöffnete Handtasche und das Bild von Wyatt. Ich öffne einen weiteren Tab in meinem Browser und bestelle einen Bilderrahmen. Diese Erinnerung ist die einzige, dir mir vom Abenteuer mit ihm geblieben ist. Vor vierundzwanzig Stunden hatte meine Welt noch einen Hoffnungsschimmer und jetzt ist es nur noch ein Grauschleier. Meine Boutique ist mein sicherer Hafen und ich bin überaus erleichtert, dass ihr nichts Schlimmeres passiert ist. Es nervt mich dennoch, dass ich Wyatt einfach so stehen lassen musste, ohne Erklärung oder gar eine Verabschiedung. Asana hat ihn bestimmt informiert, aber es ist nun mal etwas anderes, so eine Nachricht über Dritte zu erfahren. Vielleicht zieht er falsche Schlüsse daraus. Vielleicht denkt er, ich würde unseren One-Night-Stand bereuen. Es ist zum Verrücktwerden.
Die Klingel, die über der Eingangstür hängt, kündigt die Rückkehr von Joy an. Ich erhebe mich von meinem Bürostuhl und begebe mich zurück in den Verkaufsraum. Meine Assistentin hängt gerade ihren Mantel an die Garderobe. Auf dem Verkaufstresen stehen zwei große Pappboxen mit Caeser Salat und zwei kleinere mit dem dazugehörigen Dressing. Viel interessanter ist allerdings der riesige Blumenstrauß, der daneben liegt. Verdutzt betrachte ich die hübsche Ansammlung von Rosen und Nelken.
»Sag bloß, du warst extra beim Floristen«, sage ich, davon ausgehend, dass sie den Strauß für den Tresen gekauft hat. Joy weiß, dass ich eine große Freundin von frischen Blumen im Laden bin.
Doch sie schüttelt den Kopf. »Ein Kurier hat sie gerade angeliefert, als ich aus dem Auto gestiegen bin. Er sagte, sie seien für dich«, erwidert sie und hebt mit einem spitzbübischen Lächeln eine Augenbraue in die Höhe.
»Für mich?« Überrascht suche ich zwischen den Blüten nach einer Notiz oder Ähnlichem und entdecke schließlich eine Karte, klein und rechteckig.
»Ist da irgendwas in Chicago passiert, das du mir erzählen möchtest?«, fragt Joy, während ich mit dem Daumen über die filigrane Schrift fahre.
Es ist keine Nachricht, sondern lediglich eine Signatur: WY.
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