[𝟕.𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥] 𝐃𝐢𝐞 𝐅𝐚𝐫𝐛𝐞 𝐯𝐨𝐧 𝐝𝐞𝐫 𝐍𝐚𝐜𝐡𝐭 𝐢𝐬𝐭 𝐠𝐞𝐧𝐚𝐮 𝐰𝐢𝐞 𝐝𝐞𝐢𝐧𝐞 𝐀𝐮𝐠𝐞𝐧
Tims Knie waren immer noch weich, als er die Tür der Bar öffnete. Kalte Luft schlug ihm entgegen und brachte seinen Kreislauf wenigstens wieder ein Bisschen in Schwung. Trotzdem zitterten seine Hände so sehr, dass er es erst beim dritten Versuch schaffte, eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Jackentasche zu holen. Der Regen durchnässte seine Klamotten innerhalb von Sekunden, aber es störte ihn nicht. Ihm war sowieso eiskalt.
Als er dann aufsah und sein Blick auf den Umriss fiel, der im Lichtkegel der Laterne, die über der Bar hing auf dem Randstein saß, wurde ihm speiübel. Zwar saß er mit dem Rücken zu ihm, aber Tim erkannte ihn sofort. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er ihn irgendwo nicht erkennen würde.
Das Feuerzeug glitt zwischen seinen Fingern hindurch, landete mit einem lauten Klacken auf dem Asphalt. Seine Erinnerungen erstickten ihn fast. Eigentlich war er nach draußen gekommen um ein Bisschen durchzuatmen. Er hatte zwar damit gerechnet, dass all die Leute, zu denen er den Kontakt abgebrochen hatte, komisch auf ihn reagieren würden, aber dass es so schlimm war, hatte er nicht erwartet.
Und obwohl er gewusst hatte, dass es passieren würde, war er nicht darauf vorbereitet gewesen, Jan wieder zu sehen. Alleine seinen Namen zu denken, schmerzte so sehr, dass er keine Luft bekam und dass er jetzt hier saß, machte es noch schlimmer.
In dem Moment drehte er sich um und das Licht ließ seine nassen Haare dunkel schimmern. Seine grünen Augen wirkten fast schwarz, und er konnte den Ausdruck in ihnen nicht lesen. So wie er ihn auch vorhin schon nicht hatte lesen können. Zwar hatte er geschockt gewirkt, aber Tim konnte nicht einschätzen, warum. Weil ich ihn nicht mehr wirklich kenne.
Er konnte nicht verhindern, dass sein Blick auf Jans Hand hängen blieb, während der sich zur Seite neigte, und das Feuerzeug aufhob. Als er seinen Arm nach oben streckte, und Tim sich bückte, um danach zu greifen, streiften sich ihre Finger und er spürte, wie eine Schockwelle durch seinen Körper bebte. Sein Herz pochte wie wild und er wandte schnell den Blick ab.
„Danke", murmelte er mit heiserer Stimme und drückte den Knopf herunter. Der Funken sprang über und Rauch stieg von der glimmenden Spitze der Zigarette in die kalte Nachtluft.
Eine Weile war nur das Rauschen des Regens zu hören, der inzwischen ein Bisschen stärker geworden war als vorhin, als er angekommen war. Angespannt atmete er den Rauch ein, aber es entspannte ihn heute nicht. Stattdessen spürte er die Stille zwischen ihnen genauso sehr wie den Abstand und sein sehnsüchtiges Verlangen, ihn zu überbrücken. Jetzt, wo er ihn nach acht Monaten wieder berührt hatte, wollte er ihn wieder berühren und es kostete ihn seine ganze Kraft, das Verlangen zu unterdrücken. Ein- und ausatmen, Tim. So wie immer.
„Seit wann rauchst du?", hörte er dann irgendwann die schmerzlich vertraute Stimme und drehte den Kopf zu ihm, sah auf ihn herunter. Jan hatte den Kopf nach vorne zur gegenüberliegenden Straßenseite gewandt und trug einen Mantel, den er nicht kannte über dem Hemd, das ihm viel zu vertraut war. Das er immer geliebt hatte. Er fragte sich, ob Jan sich daran erinnerte.
„Seit ein paar Monaten", erwiderte er, während sein Kopf den Satz still vervollständigte. Seit ich komplett kaputt bin, „Ist eine gute Möglichkeit, um den Kopf frei zu kriegen."
In dem Moment, wo er es gesagt hatte, verfluchte er sich innerlich dafür. Er wollte vor Jan nicht zeigen, wie schlecht es ihm ging, seit sie sich getrennt hatten. Wie sehr ihn die Schuldgefühle zerfraßen. Nicht nachdem, was Sebastian ihm gesagt hatte, als sie vor ein paar Wochen darüber geredet hatten.
„Ich weiß nicht, Tim. Ich glaube er kommt ganz gut zurecht. Er sucht nach ner Ausbildung und redet nicht viel darüber."
„Ich kann mich erinnern, dass du nicht viel davon gehalten hast", erwiderte der Touretter und als Gisela ein „Du verdammter Heuchler", anfügte spürte er, wie seine Augen brannten. Er vermisste ihn und Gisela immer noch so sehr. Jeden Tag. Und jetzt saß er hier und erzählte ihm ohne ihn dabei anzusehen, wie er zu einer Zeit gedacht hatte, als sein Leben noch in Ordnung gewesen war. Als er noch glücklich war.
„Tja, so ändert sich eben alles", gab er zurück, „Ich kann mich daran erinnern, dass du es nicht mochtest, im Regen zu sitzen."
Jan lachte auf. Ein ehrliches Lachen. Sein Lachen.
Das schönste Geräusch der Welt.
„Da hast du wohl recht."
Wieder trat die Stille zwischen sie. Jan starrte weiter über die Straße in die Ferne, während er nicht aufhören konnte, ihn anzusehen. Wie konnte er lachen in einer Welt, wo das passiert war, was sie auseinandergerissen hatte? Wo sie so distanziert miteinander sprachen?
„Und, was machst du jetzt so?", fragte der Kleinere dann, sah aber immer noch nicht zu ihm auf. Die Finger, die gerade noch seine berührt hatten, ballten sich in seinem Schoß immer wieder zu Fäusten – vielleicht ein neuer Tic. Selbst von der Seite konnte er sehen, wie sich sein Gesicht auf vertraute Weise verzerrte. Wehmut erfasste ihn. Wenigstens hatte sich nicht alles verändert.
„Ich hab meine Ausbildung fertiggemacht", Tim war selbst erstaunt, wie ruhig seine Stimme klang, „Und arbeite jetzt Vollzeit. Ansonsten mach ich nicht viel."
Die restliche Zeit bin ich daheim und versuche damit klarzukommen, dass du nicht mehr da bist.
„Und du?"
Jan seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Ich – Du Arschloch – suche noch und jobbe nebenbei. Ist nicht so leicht, etwas zu finden. Wären wir mal besser bei Youtube geblieben – das war leicht verdientes Geld."
Glaub mir, das wäre mir auch lieber, dachte er traurig, ignorierte Giselas Kommentar aber.
„Kann ich mir vorstellen. Aber immerhin hast du einen Job."
„Ja, ist aber nur ein 450-Euro-Job. Reicht nicht für mein Gesöffs."
Tim entfuhr ein Auflachen, etwas, was schon lange nicht mehr passiert war. Beschämt wandte er den Blick ab und wischte sich die Tränen unauffällig aus den Augen. Er wusste, dass das hier nichts brachte. Dieses Gespräch änderte nichts an der Vergangenheit, und würde ihn in ein paar Stunden nur noch mehr quälen. Aber trotzdem konnte er noch nicht reingehen. Es nicht beenden. Er konnte es einfach nicht. Und das nicht nur, weil er sein Gesicht wahren wollte. Sondern vor allem, weil Jans Nähe süchtig machte. Er wollte diesen Moment festhalten, auch wenn er ihn längst verloren hatte.
Er fragte sich, ob an dem, was Gisela sagte, etwas dran war, ob Jan Geldprobleme hatte. Wenn er nicht wieder bei seinen Eltern leben würde und die Ausbildung hätte, könnte er inzwischen nicht mehr von dem leben, was von ihrem gemeinsamen Geld noch übrig war. Und wenn er sich bei einem sicher war, dann dass Jan niemals zurück nachhause ziehen würde. Dafür war ihm seine Unabhängigkeit zu wichtig.
Aber ihn das zu fragen kam nicht in Frage.
Er hatte seine Zigarette fertig geraucht, und drückte sie auf dem nassen Asphalt aus. Sie schwiegen wieder und diesmal begann Jan kein neues Gespräch. Und er konnte es einfach nicht. Alles, was er sagen wollte, hätte die Sache nur noch schmerzhafter gemacht.
Ich vermisse dich so sehr. Jeden Tag. Es macht mich fertig, ohne dich zu leben, schrie es in seinem Kopf. Aber was würde es nützen, es auszusprechen? Jan war längst weitergezogen. Er schien gut damit klarzukommen.
Matt sah er noch ein letztes Mal zu Jan hinunter, und räusperte sich dann. Der Abend war gelaufen, er würde nach drinnen gehen, sich bei Sebastian entschuldigen, und dann nachhause fahren. Im Nachhinein verstand er nicht mehr, warum er überhaupt noch gekommen war. Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass es keine gute Idee wäre.
„Ich geh wieder rein. Mir ist es zu kalt", sagte er zu Jan und zwang sich dann dazu, sich umzudrehen, noch bevor er seine Reaktion sehen konnte. Sein naives Herz hoffte, dass er irgendetwas sagte, was ihn davon abhalten würde, aber er bekam keine Antwort.
Er konnte nicht verhindern, dass er einen kurzen Moment bei der Tür verharrte. Dann trat er nach drinnen. Stickige, süßlich-riechende Luft schlug ihm entgegen.
So schnell wie möglich und ohne großartig auf die Leute zu achten, die sich um ihn herum befanden, ging er in Richtung Tanzfläche, wo er Sebastian vermutete. Dann kam plötzlich Rezo auf ihn zu.
„Hey, Tim, wie geht's dir? Lange nichts mehr gehört." Gezwungenermaßen blieb er stehen. Dabei wollte er nur noch gehen. Er wollte nur noch weg, bevor er die Tränen endgültig nicht mehr zurückhalten konnte.
„Ging mir schon besser, um ehrlich zu sein", gab er zu, sah dem Blauhaarigen aber nicht in die Augen. Auch ihn verband er mit Jan, mit Videodrehs, mit schönen Zeiten, die längst vorbei waren. Am Anfang hatten sie ihn alle noch angeschrieben, aber er hatte schnell gemerkt, dass viele ihm gegenüber misstrauisch waren. Ihn dafür verurteilten, was passiert war. Und der Rest hatte nach einer Zeit, in der er alles und jeden ignoriert oder angefahren hatte, aufgehört sich zu melden. Er wusste, das er ihnen gegenüber nicht fair gewesen war, und er konnte ja auch verstehen, dass sie sich nach dem, was er getan hatte, von ihm abgewandt hatten. Aber trotzdem tat es weh.
Sebastian war der Einzige gewesen, der nicht lockergelassen hatte, obwohl er auch ihn anfangs weggestoßen hatte. Er war der Einzige, der sich immer wieder gemeldet hatte, der es irgendwie verstand, der ihm zumindest grob sagte, was in Jans Leben passierte. Der ehrlich war und nicht immer nur vorsichtig. Tim hatte keine Ahnung, wie er das schaffte, aber irgendwie bekam er es hin, mit ihnen beiden befreundet zu sein.
Auch jetzt merkte er, dass Rezo nicht wirklich damit umgehen konnte, dass er ehrlich über seine Gefühle sprach. Er sah ihn an und runzelte die Stirn. „Willst du darüber reden?"
Mit einem schweren Seufzer schüttelte Tim den Kopf. Darüber zu reden, veränderte die Vergangenheit nicht. Das hatte er immer dann gemerkt, wenn er es in den letzten Monaten versucht hatte.
„Danke, aber ich glaube nicht. Ich bin eh schon wieder am Gehen."
Rezo sah ihn verblüfft an und Tim beobachtete aus dem Augenwinkel, dass Lucas zu ihnen rübersah. Er wollte jetzt nicht auch noch mit ihm sprechen müssen, also zuckte er nur mit den Schultern und ging weiter.
Er war erleichtert, als er sah, dass Sebastian gerade etwas abseits stand – nur mit Jodie – auch wenn es ihm jedes Mal einen Stich versetzte, dass die beiden noch befreundet waren, dass sie hinbekamen, was er und Jan nicht geschafft hatten. Eine weitere Sache, die nicht fair war. Er sollte sich für ihn freuen, schließlich hatte er verdammt viel für ihn getan in den letzten Monaten.
Als Sebastian sah, dass er auf ihn zusteuerte, sagte er etwas zu Jodie und sie lächelte ihm zu, bevor sie in Richtung Bar verschwand. Vorhin hatte er nicht viel gesagt, weil ziemlich viele Leute um sie herumgestanden hatten, und Tim war ihm dankbar, dass er sie wegschickte. Er wollte zumindest begründen, warum er so schnell wieder abhaute.
„Es tut mir echt leid, aber ich kann es nicht", platze es dann aus ihm heraus, als er vor ihm stand. Er fuhr sich angespannt durch die Haare. Der Blonde sah ihn mitfühlend an, „Ich dachte ich pack's. Ich wollte kommen, um dir ne Freude zu machen. Ich wollte es hinkriegen. Aber es geht nicht. In Jans Nähe zu sein ist noch schlimmer, als dass ich ihn monatelang gar nicht gesehen hab."
„Ich nehm's dir nicht übel, das weißt du doch", erwiderte Sebastian matt und seufzte, „Ich hab dir gleich gesagt, du sollst lieber daheimbleiben."
Tim nickte, fühlte sich aber trotzdem hundeelend. Er war ihm dankbar, dass er ihn verstand. Irgendwie waren sie über die letzten Monate sehr gute Freunde geworden. Manchmal war der zynische Chaot sein einziger Halt.
„Wir sprechen uns die Tage. Meld dich, wenn du was brauchst." Ohne Vorwarnung zog Sebastian ihn in eine kurze Umarmung.
Er genoss es für einen kurzen Moment Halt zu haben, nicht allein zu sein.
Dann löste er sich und machte sich auf den Weg nach draußen. Wieder wagte er es nicht, sich umzusehen – aus Angst, angestarrt oder angesprochen zu werden. Als er die Bar verließ und in die kalte Nacht trat, hatte der Regen nachgelassen und der Randstein war leer. So leer, wie er sich fühlte. Jan hatte alles mit sich genommen, was ihn ausgemacht hatte, als er gegangen war. Die Nacht war genauso schwarz, wie seine Augen es vorhin gewesen waren, als die Dunkelheit das Grün überschattet hatte.
Er fragte sich, ob er jemals wieder die Chance bekommen würde, ihre richtige Farbe zu sehen.
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So, hier eure Portion deprimierte Stimmung für den Abend. :D Ich würde mich sehr freuen zu hören, wie Tim auf euch rüberkommt in dem Kapitel, und wie ihr seine Sicht fandet. ^^
Vielen, vielen Dank für bald 600 Aufrufe und 70 Votes. Es macht echt Spaß, die Geschichte zu schreiben. Auch wenn natürlich alle ein Bisschen anders sind, als wir sie auf Youtube erleben (Rewi zum Beispiel). Aber sie sind in der Geschichte ja auch schon etwas älter.
Lasst mir gerne euer Feedback da. ^^
Die Zeile aus dem Titel ist aus dem Lied "Trümmerfeld" von Prinz Pi. Es bedeutet mir sehr viel.
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