[𝟑.𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥] 𝐃𝐢𝐞 𝐋𝐞𝐞𝐫𝐞 𝐮𝐧𝐬𝐫𝐞𝐫 𝐖𝐨𝐡𝐧𝐮𝐧𝐠 𝐥𝐚𝐜𝐡𝐭 𝐦𝐢𝐜𝐡 𝐚𝐮𝐬

Der nächste Tag begann mit Regen. Jan stand vor dem Schlafzimmerfenster, sah nach draußen in den grauen Sonntagmorgen. Müde beobachtete er die wenigen Menschen, die auf den Straßen unterwegs waren und fragte sich, wohin sie gingen, was sie antrieb, in dieses Wetter rauszugehen. Vielleicht waren sie auf dem Weg zu ihren Partnern, zu Freunden oder Familie. Ohne dass er es hätte aufhalten können, schweiften seine Gedanken zurück zu dem Tag, an dem er vor langer Zeit hier gestanden hatte, und Tim ihn das letzte Mal wie gewohnt von hinten umarmt hatte. Er konnte seinen sanften Kuss immer noch im Nacken spüren. So schnell wie möglich verdrängte er die Bilder und wandte sich ab.

Der Tag hatte begonnen wie jeder andere auch. Er hatte eine Absage auf einen Ausbildungsplatz im visuellen Marketing in Bergheim bekommen, der wirklich vielversprechend geklungen hatte und jetzt war seine Stimmung mal wieder an ihrem Tiefpunkt. Er hasste es, dass er die ganze Zeit schlecht gelaunt war, aber mehr als Bewerbungen schreiben und zu Vorstellungsgesprächen zu fahren, konnte er nicht tun. Viele seiner Freunde hatten ihm Mut gemacht, dass es einfacher sein würde, jetzt wo er bekannt war. Aber das war es nicht. Meistens wurde er für die Ausbildung abgelehnt und bekam zum Trost einen befristeten Nebenjob angeboten.

Und auch wenn er es sich nur schwer eingestehen konnte, fühlte er sich allein. Während er sich aufs Bett setzte und den Fernseher anmachte, fragte er sich, ob er mal wieder seine Eltern besuchen gehen sollte. Aber irgendwie konnte er sich einfach nicht vorstellen, sich fertigzumachen und sich dem Regen zu stellen. Wenn er ein Auto gehabt hätte vielleicht, aber leider hatte er vor fünf Monaten, kurz bevor das Jahr abgelaufen gewesen wäre, mal wieder einen Grand Mall-Anfall gehabt. Und so war er dem Führerschein immer noch kein Bisschen näher gekommen.
Es war der erste seit Jahren gewesen, bei dem Tim nicht dabei gewesen war, und auch wenn trotzdem alles gut gegangen war, war es immer noch seltsam, darüber nachzudenken.

In dem Moment riss ihn plötzlich die Klingel aus seinen Gedanken. Verwirrt sah er auf und ging zur Tür. Eigentlich erwartete er niemanden und bestellt hatte er in letzter Zeit auch nichts.
„Hallo? Du kleine Fotze." Sein Finger zitterte auf dem Knopf der Sprechanlage. Er wusste nicht warum, aber irgendetwas daran, dass er nicht wusste, wer da unten wartete, machte ihn nervös.
„Hey, Jan, wie geht's?", er erkannte Rewis Stimme sofort, „Sorry, dass ich dich so überfalle, aber ich dachte, ich komme auf dem Weg ins Büro mal vorbei."

„Alles gut", erwiderte er, aber merkte, dass sein Herz schneller schlug. Zwar könnte er ein Bisschen Gesellschaft gut gebrauchen, aber eigentlich wollte er Sebastian nicht hoch lassen. Er warf einen unsicheren Blick zurück in den Gang, seine Augen blieben an den Pappkartons und Flaschenkästen hängen, die sich im Flur stapelten. Seit Wochen war keiner seiner Freunde mehr hier gewesen, weil er sich schämte, sie reinzulassen. Sie kannten ihn als ordentlichen und organisierten Menschen und er wollte nicht, dass irgendjemand mitbekam, dass er momentan nicht alles im Griff hatte. Aber andererseits wollte er ihn auch nicht einfach wegschicken.

Also seufzte er schwer und drückte auf den Summer. Nicht mal eine Minute später hörte er Schritte im Treppenhaus und öffnete die Tür. Sein Tourette knallte sie aber sofort wieder zu, sobald er Rewi sah. Er hörte ein Lachen.
„Okay, ich habs verstanden, du hast kein Bock auf mich", seine Stimme drang gedämpft durchs Holz, „Dann lassen wir das und ich ruf dich später an."
Schnell öffnete er sie wieder und zwang sich zu einem Lächeln. „Nein. Mörder. Komm rein."
„Wer hätte gedacht, dass ich nochmal über diese Schwelle trete", sagte er lachend und fuhr sich durch die hellen Haare. Er hatte sie erst vor kurzem wieder blondiert. Das Lachen verstummte aber, als er den Flur sah. Jan spürte ein unangenehmes Kribbeln unter der Haut, „Heilige Scheiße, welche Bombe ist den hier eingeschlagen?"

Bombe. Ja, ich komm in letzter Zeit nicht wirklich zum Aufräumen", erwiderte er schnell und Gisela hängte noch ein „Ich finde du passt ganz gut zum Müll" an. Aber Rewi lachte nicht, stattdessen runzelte er die Stirn und folgte ihm in die Küche. Hier war es bis auf ein Bisschen Geschirr sauber und Jan entspannte sich etwas.
„Kann ich dir was anbieten? Nicht, dass ichs tun würde, ich frage nur, um dann nein zu sagen. Nen Kaffee oder so?"
Der Ältere schüttelte den Kopf und setzte sich. „Lass mal, ich hab nicht so viel Zeit."
Jan merkte, wie er ihn musterte, als er sich zu ihm setzte. „Warum bist du dann so spontan vorbeigekommen?"

„Eigentlich wollte ich nur schauen, ob ich dich mit diesem Leon erwische", er grinste halbherzig, „Aber es sieht nicht so aus, als wäre er überhaupt hier gewesen."
Wieder kribbelte es unangenehm unter seiner Haut und er sah auf seine Hände, während Gisela mit dem Besteck vom Frühstück spielte. „Er war hier. Aber nur eine Nacht."
Rewi hob den Kopf und auch Jan sah reflexartig auf. Seine blauen Augen waren zu Schlitzen verengt, aber er wirkte nicht wütend, eher besorgt. „Alter, was machst du denn? Der Typ war ultra nett und du schickst ihn nach nur einer Nacht wieder weg? Oder ist er wegen dem Chaos abgehauen, das hier herrscht?"

Seine Direktheit traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Normalerweise schätzte er sie, aber jetzt traf er einen wunden Punkt.
Halt lieber die Fresse, oder du gehst gleich an den Ort, von dem niemand zurückkommt", schrie Gisela und Jan sagte nichts. Nach außen, auch vor seinen Freunden, versuchte er den Großteil der Zeit zu zeigen, dass alles gut war, dass er längst über die Sache mit Tim hinweg war. Er wollte optimistisch und lebensfroh rüberkommen, so wie er sich eigentlich auch gerne fühlten würde. Dass es momentan nicht so rundlief, hing ja nicht mit der Trennung zusammen. Zumindest nicht nur.
„Es hat einfach nicht so gepasst", erwiderte er also, „Wir haben beide gemerkt, dass wir keine Beziehung wollen."

Rewi schien ihm seine Lüge nicht abzukaufen und schüttelte den Kopf. „Wenn du weiter so einen Mist redest, brauch ich was härteres als nen Kaffee. Im Ernst, man. Schau dich mal hier um. Du willst nicht einfach nur keine Beziehung. Mit dir stimmt was gewaltig nicht."
Seine Stimme war jetzt so ernst, wie Jan es nur selten erlebt hatte. Er sah ihn aus eindringlichen blauen Augen an und Jans Gesicht zuckte ticbedingt. Am liebsten hätte er ihn zur Tür gebracht, sie hinter ihm geschlossen und sich dann wieder ins Bett verzogen. Er wollte nicht über irgendwas reden, was mit Leon oder seiner Wohnung zusammenhing. Oder mit Tim, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf, die er sofort erstickte.

„Bist du gekommen, um mir beim Aufräumen zu helfen?", er konnte nicht verhindern, dass er gereizt klang. Was auch immer Sebastian damit erreichen wollte, er hatte dafür jetzt einfach keine Energie, „Ich glaub nicht. Also, was wolltest du eigentlich?"
Einen kurzen Moment wirkte Rewi, als wollte er noch weiter nachbohren, dann seufzte er. „Beruhig dich. Ich bin eigentlich gekommen, um dich zu fragen, ob du am Dienstag kommst", wechselte er das Thema, „Lucas hat mir seinem Kumpel gesprochen und ich krieg die Location."

Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, wovon er sprach. Dann fiel ihm wieder ein, dass morgen schon der erste war. Und damit übermorgen Rewis Geburtstag. Sie hatten am Freitag im Club noch darüber gesprochen - Lucas kannte wohl jemanden, der Bekannten auch kurzfristig seine Bar vermietete. An mehr, als dass es irgendwo außerhalb von Köln war, konnte er sich nicht mehr erinnern.
„Das freut mich, gerne. Deine Scheiß-Party", erwiderte er, merkte aber, wie sich ein dumpfes, unangenehmes Gefühl in ihm ausbreitete, als er weiterdachte. Sebastian war der einzige seiner Freunde, der noch ab und zu Kontakt mit Tim hatte. Sie sprachen zwar nie darüber, aber Lucas hatte es ihm vor ein paar Monaten erzählt.

Rewi runzelte die Stirn und fuhr sich durch die Haare. Er wirkte unsicher. „Weißt du, die Sache ist die: Ich hatte vor, Tim auch einzuladen."
Auch wenn er es schon am Freitag geahnt hatte, trafen ihn die Worte unvorbereitet. Einen kurzen Moment fühlte er sich, als hätte er ihm die Luft aus den Lungen gepresst und konnte nichts antworten. Und als er sich wieder gefasst hatte, war Gisela schneller.

Warum lädst du denn dieses Arschloch ein? Der versaut doch nur die ganze Stimmung", brüllte sie und er schlug ticbedingt auf den Tisch. Seine Hände zitterten, als er wieder die Kontrolle über sich hatte. „Sorry", entschuldigte er sich schnell, „Ich weiß nicht was du denkst, aber das ist kein Problem für mich. Ich komm trotzdem gern. Du hättest deswegen auch nicht extra vorbeikommen müssen."
Er schaffte es, jeden Gedanken, der mit ihrem potenziellen Wiedersehen zutun hatte, zu verdrängen, konzentrierte sich stattdessen auf Sebastian. Der musterte ihn wieder, der Ausdruck in seinen blauen Augen wirkte misstrauisch. Und sanft. Er lehnte sich im Stuhl zurück.

„Jan, ich weiß, dass du uns gerne alle denken lässt, dass alles gut ist und du längst darüber hinweg bist", begann er und beugte sich wieder vor, stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab. Jan konnte die Sorge in seinen Augen sehen und spürte, wie ihm übel wurde. „Halt's maul", rief Gisela, aber Rewi schnitt nur eine Grimasse. „Das mit euch ist jetzt acht Monate her. Und ich kann verstehen, dass es hart ist, weil ihr euch so lange kanntet, aber es zu verdrängen, wird auf Dauer nicht funktionieren. Du musst es irgendwann an dich heranlassen, um es verarbeiten zu können."
Sag mir nicht, was ich tun soll", unterbrach sein Tourette ihn nochmal und er seufzte auf.
„Das tu ich nicht. Ich weiß nur, wie es damals bei mir und Jodie war. Ich will dir helfen, genauso wie ich Tim helfen will. Ihr könnt so nicht weitermachen. Schau dir mal an, wie es hier aussieht. Das bist nicht du, Jan."

Seine Worte trafen ihn sehr und sein Tourette ließ ihn aufgeregt mit den Armen fuchteln während sich sein Herz zusammenzog. Alles in ihm fühlte sich hohl an und ihm war übel. Was sollte er darauf antworten? Teilweise hatte er ja recht, aber es lag nicht nur an Tim. Es war so lange her, es konnte nicht nur an ihm liegen. Und schließlich waren da auch noch die ganzen anderen Sachen, die seit der Trennung ein Problem darstellten.
Aber gleichzeitig fiel es ihm unfassbar schwer das Verlangen, ihn zu fragen, wie es Tim ging, zu unterdrücken. Hatte er angedeutet, dass er auch noch litt?

Er fragte nicht, schüttelte nur den Kopf. Die Müdigkeit überkam ihn wieder. „Rewi, es ist alles gut, wirklich. Mach dir keine Sorgen", sagte er und sein Freund stand auf. Kein Wunder, das hatte nicht mal in seinen eigenen Ohren überzeugend geklungen.
„Weißt du was? Wir müssen jetzt nicht darüber reden. Das ist okay. Aber denk darüber nach. Auch über Dienstag. Und wenn du reden willst, oder jemanden brauchst, der dir beim Aufräumen hilft, dann melde dich, okay?"
Jan sah zu ihm auf, nickte. Er war ihm dankbar, dass er sich bemühte und gleichzeitig spürte er Schuldgefühle, weil er es nicht annehmen konnte. „Ja, danke."

Sie sahen sich an, dann verabschiedete Sebastian sich und ging. Als die Tür hinter ihm zufiel wurde Jan wieder schmerzlich bewusst, dass er allein war. Die Leere der Wohnung schien ihn auszulachen.
Erschöpft ließ er sich im Wohnzimmer auf das Sofa fallen. Die Gedanken kreisten in seinem Kopf. Jetzt konnte er nicht mehr länger verhindern, dass auf ihn einstürzte, was er im Gespräch gerade verdrängt hatte. Er würde Tim wiedersehen. Und das in zwei Tagen. Sein Herz schlug wie wild und plötzlich merkte er, dass er am ganzen Körper zitterte. Mit keuchendem, viel zu schnellem Atem beugte er sich vor und schloss die Augen. Ihm war speiübel.

Es hat keinen Zweck, Tim. Wir können so nicht mehr weitermachen. Ich kann so nicht weitermachen", hallte seine eigene Stimme in seinem Kopf und er vergrub das Gesicht an seinen Knien, versuchte sich zu beruhigen. Aber sein Herz schlug so schnell, dass es ihm Angst machte. Er hatte gedacht er würde ihn nach diesem Tag nie wieder sehen. Aber ein Teil von ihm wollte das sogar, war aufgeregt. Und das machte alles nur noch schlimmer, ließ ihn noch schneller atmen.

Auch als die Panikattacke abgeebbt war, saß er noch eine Zeit lang wie gelähmt da. Irgendwann kam Murat, miaute leise und sprang neben ihm auf das Sofa. Mit immer noch zitternden Händen nahm er ihn auf den Arm und streichelte ihn vorsichtig, vergrub das Gesicht in seinem warmen Fell. Er gab ihm zumindest ein Bisschen das Gefühl, nicht allein zu sein.

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So, das wars mal wieder. ^^ Mit dem Kapitel hatte ich echt zu kämpfen (ich habs komplett neu geschrieben), und es ist mal wieder ein Bisschen zu lang, aber ich hoffe, es hat euch trotzdem gefallen.
Rewi darf in einer Tian FF einfach nicht fehlen :D

Lasst mir gerne Lob oder Kritik da, ich freue mich über beides. ^^

Die Zeile aus dem Titel is aus "Haus im Wald" von Prinz Pi.

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