[𝟐𝟐.𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥] 𝐎𝐡𝐧𝐞 𝐝𝐢𝐜𝐡 𝐢𝐬𝐭 𝐦𝐞𝐢𝐧𝐞 𝐖𝐞𝐥𝐭 𝐨𝐡𝐧𝐞 𝐋𝐢𝐜𝐡𝐭
Als Jan aufwachte, war das Bett neben ihm wieder leer. Es war noch recht dunkel im Schlafzimmer, weil Tim die Vorhänge zugezogen hatte, und so blieb er noch einen Moment liegen. Im Kissen neben ihm war noch der Abdruck vom Tims Kopf und die weiche Decke fühlte sich angenehm auf seinem nackten Oberkörper an. Er konnte sein Glück kaum fassen. Obwohl das letzte Mal, dass er so aufgewacht war, gerade mal zwei Tage her war, fühlte es sich an, als wären Jahre vergangen. Denn heute musste er keine Angst haben, dass er einfach gegangen war.
Es war so wie nach der ersten Nacht, die sie gemeinsam verbracht hatten – vor zweieinhalb Jahren an dem Tag im August, an dem sie sich auch zum ersten Mal geküsst hatten. Auch wenn viele ihrer Freunde etwas anderes gesagt hatten, hatte Jan nie in Frage gestellt, ob es richtig gewesen war, es nicht langsam angehen zu lassen.
Im Endeffekt war es auch nicht wirklich eine Entscheidung gewesen – sie hatten sich so lange geliebt, ohne dass der andere davon gewusst hatte, dass sie einfach übereinander hergefallen waren. Diese erste Nacht war lange Zeit die schönste seines Lebens gewesen, aber heute wurde sie abgelöst. Es machte ihn auf eine seltsame Weise glücklich, dass sie immer noch genauso wie damals waren.
Als sein Blick auf Tims Uhr fiel, hatte er eine Idee. Eigentlich hatte er sie ihm wiedergeben wollen, sobald sie sich das nächste Mal sahen, weil er genau wusste, wie viel sie ihm bedeutete, aber jetzt schnallte er sie um sein eigenes Handgelenk. Dann stand er auf und zog sich einen Pullover über. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass sein Freund sich freuen würde, wenn er es im Laufe des Tages bemerkte.
Mein Freund. Irgendwie war es seltsam, dass es wahr war. Und dass es sich so richtig anfühlte, wie nichts in den letzten acht Monaten. Oder davor.
Trotzdem wurde das Glück gedämpft von seinem schlechten Gewissen. Er hätte ihm schon in der Nacht erzählen sollen, dass er sich mit Leon getroffen hatte. Jetzt würde es zwar schwerer werden, aber er musste es tun. Keine Geheimnisse mehr. In Zukunft würden sie über alles reden.
Mit klopfendem Herzen verließ er das Schlafzimmer und verdrängte die andere Sache, die er Tim sagen sollte. Wie auch schon am Mittwoch roch es nach Kaffee in der Wohnung. Bei der Küchentür angekommen, verharrte er kurz im Rahmen, sah Tim zu, der gerade auf dem Boden neben dem Herd kniete und Murat hinter den Ohren kraulte.
„Ja, ich hab dich auch vermisst, aber du musst trotzdem was fressen", sagte er schmunzelnd.
„Naja, so wies aussieht, wirst du in nächster Zeit ja wohl wieder öfters hier sein. He. Katzenfleisch." Er sah auf und Jan musste lächeln, als er das Strahlen in seinen blauen Augen sah. Es war, als würde die Sonne über dem Meer aufgehen.
„Ist das so?", fragte er und auch wenn es locker klingen sollte, hörte er seine Unsicherheit heraus. Er wusste, dass es jetzt an ihm war, Tim zu zeigen, dass er sich sicher fühlen konnte. Schließlich hatte er in der Nacht das Gleiche für ihn getan. Und er würde alles tun, um ihn wieder öfter lächeln zu sehen.
„Natürlich", erwiderte er also und ging auf ihn zu. Tim stand auf und tat das Gleiche – so als würden sie magnetisch voneinander angezogen werden. Jan legte die Hände auf seine Arme und zog ihn an sich. Der Kuss war stürmischer, als er es vorgehabt hatte und einen Moment lang sahen sie sich danach noch in die Augen. Sie mussten beide gleichzeitig lächeln. Es war der erste, der nicht nach Rauch schmeckte.
„Ich verspreche dir, ich werde es besser machen", sagte Tim dann mit ernster Stimme. Jan konnte nur nicken, weil ihm das Herz bis zum Hals schlug. Am liebsten wäre er sofort wieder mit ihm zurück ins Bett gegangen – etwas worüber er selbst erstaunt war.
Aber vorher musste er noch mit ihm reden.
„Ich werde ab jetzt auch ehrlicher sein, wenn mich was stört", erwiderte er nervös, „Und ich will überhaupt ehrlicher zu dir sein. Deswegen muss ich dir auch was sagen."
Der Größere runzelte die Stirn und löste sich von ihm. Ohne etwas zu sagen, gab er ihm eine Kaffeetasse und ein Brötchen und setzte sich hin. Jan war ihm dankbar, weil er ihm die Zeit gab, die richtigen Worte zu finden, ohne ihn zu drängen.
Als er sich endlich überwinden konnte, hatte Tim schon die erste Hälfte seines Brötchens gegessen und ihn dabei einfach nur abwartend angesehen. Gisela war genauso nervös wie er und spielte mit dem Besteck herum.
„Es – He. Arschloch– sind gleich zwei Sachen", begann er dann vorsichtig, „Die erste ist, dass ich meinen Job verloren hab. Jetzt werd ich also doch hartzen müssen."
Tim sah ihn an, wartete einen Moment ab, ob er noch etwas sagte, und streckte dann die Hand aus, griff seine. Durch sein Tourette drückte er zwar ziemlich fest zurück, aber sein Freund ließ ihn nicht los.
„Scheiße, wie konnte das passieren?"
Er fasste ihm das Gespräch mit seinem Chef gestern zusammen, zeigte ihm matt die E-Mail.
„Du warst nicht der einzige Grund, warum ich gestern Abend so viel getrunken hab", gab er dann zu und fuhr sich zittrig durch die Haare. Gisela warf das Brötchen über den Tisch, aber ihm war eh der Appetit vergangen, „Es war vor allem wegen meinem Chef – Das fette Schwein. Ich hab keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll."
Tim seufzte schwer und sah ihn an. „Ich werde dir kein Geld anbieten, weil ich weiß, dass du das nicht willst", erwiderte er und legte das Brötchen in den Korb zurück, „Aber ich bin mir sicher, wir finden eine Lösung. Einen Monat haben wir noch Zeit, uns etwas zu überlegen. Es muss doch zu irgendwas gut sein, dass wir Youtube gemacht haben."
Wir. Jan war erleichtert, spürte wie zumindest etwas Anspannung von ihm abfiel. In Tims blauen Augen stand einfach nur Verständnis gemischt mit der Wut, die er selbst auch seit gestern empfand. Gisela war durchgedreht und am Ende hatte ihn sein Chef einfach rausgeschickt.
„Dein Chef ist anscheinend ein ziemliches Arschloch. Ich kann den Namen ja mal an meine Kollegen weitergeben, falls er mal nen RTW braucht."
Geschockt sah Jan ihn an, musste lachen.
„Wenn du so weitermachst, machst du ja Gisela Konkurrenz", sagte er gespielt entgeistert und Gisela fügte noch ein „Alarm. Mörder" hinzu.
„Du weißt ja, dass ich nur Spaß mache. Gisela macht immer ernst." Daraufhin mussten sie beiden lachen und als Tim aufstand und ihn von hinten umarmte fühlte es sich an wie früher. Als wäre er nie weg gewesen.
„Und was ist noch los?", fragte der Größere ihn dann nach kurzer Zeit sanft und küsste ihn auf den Scheitel, „Im ernst Jan, du kannst mir alles sagen."
„Ich weiß. Nein, eigentlich bist du zu blöd", er holte mit klopfendem Herzen Luft, sah auf seine Hände, die unkontrolliert zuckten, „Ich hab mich am Mittwoch nachdem du weg warst mit Leon – einem Jungen, der letzte Woche nach dem Feiern mitgekommen ist, getroffen", sagte er dann leise.
Er spürte wie Tim sich versteifte, konnte fast hören, wie seine Gedanken anfingen zu rasen. Sein Herz zog sich zusammen.
Auch wenn ihm vor Nervosität seine Tics dazwischen kamen und er den Stuhl dabei fast umwarf, stand er auf.
„Hör mir bitte auch erst zu. Ich wollte es dir heute Nacht schon sagen, aber irgendwie hat das einfach nicht reingepasst. Und im Endeffekt hat es auch keine Bedeutung – zumindest nicht in dem Sinne. Das Einzige, was bei diesem Treffen passiert ist, ist dass ich gemerkt habe, wie sehr ich dich liebe."
Bitte glaub mir einfach. Lass es nichts kaputtmachen.
Tim wandte den Blick ab, aber Jan sah, dass seine Augen glänzten. Und erst da wurde ihm bewusst, wie das gerade geklungen hatte. Schnell ging er zu ihm rüber und griff seine Hände. Er wehrte sich nicht.
„So war das nicht gemeint. Doch wir haben gefickt", sagte er eindringlich und verfluchte Gisela innerlich, „Nein, wir hatten vorgestern nichts miteinander. Der einzige Grund, warum ich mich mit ihm getroffen habe war, dass ich mir unsicher war, wie das mit uns funktionieren soll. Er wollte mich küssen – aber ich habe ihm dann die Wahrheit gesagt."
Tim schwieg, sah ihn einfach nur an und Jan stellte erschrocken fest, dass er nicht lesen konnte, was ihn ihm vorging. Also ist doch nicht alles wie früher.
„Aber wenn du mich liebst, wieso hast du dich dann mit ihm getroffen?"
Er unterdrückte das Verlangen, gegen sein Ohr zu schnippen und nahm seine Hände.
„Ich wollte es nicht wahrhaben", gab er leise zu, „Ich hatte unfassbare Angst. Davor, dass du wieder – be...behindert – depressiv bist. Dass du mich mit reinziehst in eine Dunkelheit, für die ich nicht bereit bin. Ich weiß, dass es nicht okay war, vor allem, es dir nicht gleich zu sagen. Aber das heute Nacht hat mir gezeigt, dass du mich verstanden hast. Und ich will es wirklich versuchen. Ne, verarscht."
Plötzlich zog der Größere ihn ohne ein weiteres Wort an sich und schlang die Arme um ihn, drückte ihn fest. Einen Augenblick war Jan zu perplex, um seine Umarmung zu erwidern, aber dann ließ er sich in sie fallen. Tim legte den Kopf auf seiner Schulter ab und er spürte, wie er in sich zusammensackte.
„Okay. Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich kann dich verstehen", hauchte er leise und Jan war verwirrt, über seine heftige Reaktion, „Danke, dass du es mir gesagt hast."
„Es tut mir leid, dass ich es nicht gleich getan hab", erwiderte er matt und Tim löste sich von ihm, schüttelte den Kopf.
„Alles gut. Das was du heute Nacht gesagt hast, ist dadurch ja nicht weniger wahr." Jan kannte ihn noch gut genug um zu merken, dass er die Wahrheit sagte. Erleichtert atmete er auf.
„Nein, niemals. Doch, he, Kackamaus."
Tim ignorierte Gisela und küsste ihn sanft. Als seine Lippen seine berührten, zog ein Sturm durch Jans Körper und seine Gefühle rissen ihn mit sich. Einen Moment lang vergaß er wo er war, vergaß die Probleme, vergaß alles um sich herum. Alles außer Tim.
Bis der sich von ihm löste.
„Ich würde dir gerne etwas zeigen", er fuhr sich unsicher durch die Haare, „Ich weiß nicht, wie du es finden wirst, aber ich will, dass du es hörst."
Jan runzelte die Stirn, ließ sich von ihm Richtung Sofa ziehen. Gemeinsam setzten sie sich und Tim holte sein Handy heraus.
„Schon seit Ewigkeiten hab ich versucht irgendwas zu texten – aber ohne Chengiz und Mo ist das ziemlich schwer. Ich hab trotzdem ein Bisschen was eingerappt aber ja...du siehst es gleich selbst."
Sein Herz schlug schneller. Er hat etwas geschrieben? Über uns? Das Musikmachen war schon seit ihrem ersten Lied Tims große Leidenschaft gewesen, er wusste, wie viel das bedeutete.
„Dann zeig mal", forderte er ihn mit erstickter Stimme auf und der Größere schluckte schwer. Jan griff nach seiner freien Hand und strich beruhigend über sie, als ein dunkler, langsamer Beat ertönte.
Ich dachte damals unsre Zeit wär' nie vorbei
Ich wusst' noch nicht, dass unsre Träume platzen werden
Jetzt sitzt ich hier – ohne dich ganz allein
Und jeder Tag fühlt sich ein Bisschen an wie sterben
Alles was ich schreib' ist unerträglich schnulzig
Dabei warst du doch immer SXTN-Fan
Aber was ich auch versuch', ich kann es einfach nicht
Du würdest lachen würdest du den Scheiß hier hör'n
Und meine Tränen nehm'n kein Ende mehr
Seit das mit uns durch mich ein Ende nahm
Jetzt ist alles dunkel, keiner sieht mehr her
Also nehm' ich halt noch nen Zug verdammt
Betäubt fühlt sich der Schmerz zwar besser an
Doch ich weiß trotzdem ganz genau du gehst
Mir nie mehr aus dem Kopf, war besser dran
Mit dir, aber am Ende ists dafür halt längst zu spät
Und deine Haut berührt meine nach der ganzen Zeit
Und dein Geruch ist auch heute immer noch gleich
Ich vermiss dich jetzt noch mehr,
Es ist unerträglich
Jan, ohne dich kann ich das nicht
Du sagst du willst den Moment haben, egal was morgen ist
Aber damit wirfst du mich in den Abgrund zurück
Du verstehst nicht, dass dich zu sehen mich zerbricht
Ohne dich ist meine Welt ohne Licht
Jetzt sitze ich da um halb drei in der Nacht
Mein Atem zu laut, ohne dich ist's so still
Hör' zu wie du auf Youtube noch mit mir lachst
Und kann nicht beschreiben, wie sehr ich das wieder will
Hätt' ich damals gemerkt, was ich da eigentlich tu
Immer nur Arbeit, Tag und Nacht
Wär' jetzt alles anders, ich geb' es ja zu
Ich hab einfach zu viel an die Klicks gedacht
Und dann drehten wir das letzte Video
Und als die Tür zufiel wurd' mir endgültig klar
Ich hab dich verlor'n, und ich weiß du willst es so
Aber ohne dich ist mir alles and're egal
Auf dem Randstein vor der Bar saßt du im Regen
Neuer Mantel, altes Hemd, irgendwie immer noch du
Ach könnt' ich doch was tun, würdest du mir vergeben
Ich wär' nur für dich da – ein Team – ohne Crew
Und jetzt gehst du nach Osten und ich geh nach Westen
Und ich kann halt nur hoffen, du wirst mich auch nie vergessen
Ich vermiss dich so sehr,
Es ist unerträglich
Jan, ohne dich verliere ich mich
Der Sommer endet nachts am Strand auf Madeira
Noch ein Glas Weißwein nach zu viel Tequila
Ich kann nicht mehr, durch alles denk' ich an dich
Ohne dich ist meine Welt ohne Licht
Als Tims Stimme verstummte rannen Jan Tränen über die Wangen. Er konnte nichts sagen, konnte den Blick nicht vom Handy seines Freundes abwenden, während das Display vor seinen Augen verschwamm. Jede Zeile des Songs hatte sich in sein Herz gebrannt. Es war die schönste Liebeserklärung, die er je gehört hatte.
Plötzlich hörte er ein leises Schluchzen und sah überrascht auf. Als er in Tims Augen sah, die zwar verhangen waren, aber ohne Tränen, begriff er, dass es von der Aufnahme kam. Er konnte ihn fast vor sich sehen, wie er in seinem Zimmer saß und allein weinte.
„Ich...ich dachte, das mit uns ist für immer. Es tut mir leid. Wenn du das hier hörst, hoff ich du weißt, wie sehr ich dich liebe. Ach...was mach ich hier eigentlich."
Dann raschelte es und die Aufnahme war zu Ende. Und weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, um Tim auch nur annähernd zu zeigen, wie er sich fühlte, beugte er sich zu ihm und ließ sich an seine Brust fallen. Der Größere schloss die Arme um ihn und legte den Kopf auf seinen, strich ihm immer wieder über den Rücken, während er weinte.
In diesem Moment löste sich der letzte Rest Bitterkeit endlich auf. Er war zwar unfassbar traurig, weil das alles passiert war, aber es war okay.
„Natürlich ist es für immer", flüsterte er und Tim drückte ihn sehnsüchtig an sich.
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So, Leute. Das wars mal wieder ^^ (Wie bereits angekündigt auch viel zu lang). Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie viel Überwindung es mich kostet, Tims "Song" hochzuladen, also würde ich mich auf jeden Fall über Feedback dazu freuen. :D Die Idee dafür hatte ich schon so lange, und ich bin echt froh, dieses "Projekt" jetzt fertig zu haben. (Nach nur vier Entwürfen xD). Ich finde es rundet das Thema der Geschichte ziemlich gut ab und bin gespannt, was ihr vom Endprodukt haltet. So langsam neigt sich die Story übrigens auch dem Ende zu. ^^
Danke für über 6000 Aufrufe und 350 Votes. ^^ In der letzten Woche ist die Geschichte förmlich explodiert, und ich hätte echt nicht gedacht, dass das so kurz vor dem Ende nochmal passiert. Die OP ist übrigens auch gut gelaufen. :D
Woher die Zeile aus dem Titel ist, muss ich diesmal glaub ich nicht extra sagen.
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