[𝟐𝟎.𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥] 𝐔𝐧𝐝 𝐚𝐥𝐬 𝐢𝐜𝐡 𝐝𝐚𝐜𝐡𝐭𝐞, 𝐭𝐢𝐞𝐟𝐞𝐫 𝐤𝐚𝐧𝐧 𝐦𝐚𝐧 𝐧𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐟𝐚𝐥𝐥'𝐧
Kurz bevor Tim geparkt hatte, hatte es angefangen zu regnen. Die grauen Wolken von gestern waren zu dunkleren, fast schwarzen Regenwolken geworden und obwohl der Parkplatz nicht weit vom Bootshaus entfernt war und er sich beeilte, war seine dicke Jeansjacke bis er ankam komplett durchnässt. Dunkle Haarsträhnen klebten an seiner Stirn, aber eigentlich war es ihm egal, wie seine Frisur aussah. Er war so übermüdet, dass ihm alles egal war.
In der Nacht hatte er einfach nicht aufhören können, daran zu denken, dass Jan ihm jederzeit antworten könnte und es vielleicht nicht tat, weil er gerade bei jemand anderem war. Und dann war er irgendwann genau wegen dieser Gedanken zusammengebrochen, weil diese Unterstellung so unfair war. Irgendwann war er zwar eingeschlafen, aber am Morgen war er trotzdem so fertig gewesen, dass er sich bis Samstag krankgemeldet hatte. Und jetzt war er hier – was sein schlechtes Gewissen nur noch schlimmer machte. Aber er brauchte das einfach, ansonsten würde er zuhause komplett verrückt werden.
Er konnte nur hoffen, dass ihn niemand sah.
Als er am Bootshaus angekommen war, war der Schnee von gestern vom Regen durchlöchert und zerfloss auf dem Weg zum Backstagebereich unter unzähligen Schuhen zu braunem Matsch. Er drängelte sich zwischen den Leuten hindurch – für einen Donnerstag war es ziemlich voll. Aber immerhin würden vermutlich fast keine Youtuber hier sein. Die kamen eigentlich alle freitags.
Ihm war unwohl, während er mit den Augen die Menge nach Sebastian absuchte. Der Türsteher war der Einzige, der ihm vage bekannt vorkam. Bis zu ihrer Trennung waren sie sehr oft hier gewesen, aber jetzt war das letzte Mal bestimmt schon sechs Monate her. Es war die Party gewesen, bei der Patrick ihm die Zigarette angeboten hatte. Er sah auf den Boden, erkannte den Rinnstein. Genau hier hatte er hustend nach seinem ersten Zug das Feuerzeug in den Abfluss fallen lassen, und Patrick hatte gelacht, und einfach ein zweites aus seiner Jackentasche geholt. Wie du siehst, kann man immer eins verlieren.
Die Erinnerung wurde überlagert von Jans vorwurfsvoller Stimme, die so klar war, dass Tim für einen Augenblick dachte, er stände wirklich neben ihm. Ich kann mich erinnern, dass du nicht viel davon gehalten hast. Er erschauderte und ging schnell weiter in Richtung Eingang. Ihm war plötzlich eiskalt.
Zum Glück kam in dem Moment Sebastian durch den Eingang nach draußen.
„Na, was geht?", begrüßte er ihn lässig. Tim rang sich ein Lächeln ab.
„Alles gut soweit. Bei dir?" Der Blonde runzelte die Stirn
„Im Ernst, mir geht es echt ganz gut", fügte er mit einem Seufzen hinzu, „Ich hab nur nicht viel geschlafen. Ich bleib heute auch nicht lange."
„Ich würde sagen, das warten wir erst mal ab", gab Sebastian mit einem seltsamen Gesichtsausdruck zurück und wandte sich ab, „Zur Not zahl ich dir das Taxi."
Tim hatte keine Ahnung, woher er wusste, dass er mit dem Auto da war, sagte aber auch nichts mehr dazu. Er würde nicht viel trinken und nicht lange bleiben – allein schon wegen seinen Eltern. Sie machten sich in der letzten Zeit genug Sorgen.
Sie begrüßten kurz den Türsteher, er bezahlte und bekam seinen Backstage-Stempel.
Auf dem kurzen Weg zum Backstagebereich hatte Tim das Gefühl, dass ihn alle Leute anstarrten. Angespannt strich er sich die nassen Haare aus der Stirn und konzentrierte sich darauf, die weiße Schrift auf Sebastians Jacke zu entziffern, schaffte es aber in dem schummrigen Licht, das in dem engen Gang herrschte, nicht. Der Bass hämmerte durch die Wände des Mainfloors zu ihnen rüber, und durch die kleinen Fenster konnte man die flackernden Lichter und unfassbar viele Menschen sehen. Tim war froh, dass er sich nicht unter sie mischen musste. Die Geräusche, der wenige Platz und die Lichter hier reichten schon, dass ihm schwindelig wurde.
Sie mussten nicht mal ihre Stempel zeigen – der zweite Türsteher nickte Rewi einfach mit einem Lächeln zu, als sie vorbeiliefen. Tim hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
Als er gerade durch die Tür wollte, blieb Sebastian plötzlich stehen und wollte ihn mit dem Arm zurückhalten. „Warte mal...", forderte er ihn auf, aber es war zu spät. Er war schon an ihm vorbeigegangen und vor ihm erstreckte sich der ziemlich große Raum mit den Backsteinwänden. Sein Blick streifte kurz die Bar und die Tanzfläche und blieb dann an den dunkelgrauen Sofas hängen, die um ein dutzend niedrige Tische herum gruppiert waren. Er erstarrte.
Er sah ihn sofort, als würde sein Blick magisch von ihm angezogen werden. Und auf einmal fühlte er sich wieder genauso hilflos wie auf der Party vor zwei Tagen. Gedanken schwirrten in seinem Kopf. Jan wollte allein sein. Er wollte Zeit zum nachdenken. Und jetzt war er hier.
In dem Moment begriff er es.
„Du hast Jan auch eingeladen?", fragte er mit erstickter Stimme. Sein Herz raste, weil allein ihn zu sehen ihn in die vorletzte Nacht zurückwarf. Seine Lippen auf seinen. Die Hände auf seiner Haut. Die Wärme. Die Geborgenheit. Die Lust.
Ich kann das nicht.
Schnell drehte er sich um, strauchelte. Er musste weg von hier. Weg von Jan, der einfach mit einem Cocktail in der Hand bei Tobi und Lucas saß, als wäre es das normalste der Welt. Und natürlich trug er wieder das schwarze Hemd. Weiß er, dass ich komme?
Er stürmte zurück in den Gang, ohne ein Wort zu sagen. Dafür war der Kloß in seinem Hals zu groß. Keuchend lehnte er sich gegen die raue Wand und schloss die Augen. Bleib. Nur heute Nacht. Bitte.
Er wollte zu ihm, wollte ihm wieder nah sein. Sogar noch mehr als auf der Party. Aber er wusste genau, dass er das nicht konnte. Er durfte Jans Grenze jetzt auf keinen Fall überschreiten – ansonsten würde er ihn für immer verlieren. Wenn ich das nicht eh schon habe.
Schwer atmend stützte er die Hände auf den Knien ab, als plötzlich Sebastian in seinem Blickfeld auftauchte. Sorge stand in seinen blauen Augen, aber das änderte nichts daran, wie wütend er auf ihn war.
„Das war dein Plan? Willst du mich foltern?", fragte er aufgebracht, „Weiß er, dass ich komme?"
„Es tut mir leid", erwiderte der Größere aufrichtig und legte ihm die Hände auf die Knie, löste seinen Griff. Er hatte gar nicht gemerkt, wie fest er seine Finger in seine Jeans gekrallt hatte, „Beruhig dich mal. Ich will dich nicht foltern, und Jan weiß auch nicht, dass du kommst. Aber irgendwie müsst ihr euch ja treffen, ansonsten wird alles nur noch komplizierter. Ich ertrag es nicht mehr, dass ihr beide leidet. Ihr müsst euch sehen, weil ihr das beide verdammt nochmal wollt. Und braucht."
Tim konnte ihn einen Moment lang nur ansehen, bis er begriff, was er gerade gesagt hatte.
„Wie meinst du das?", brachte er ungläubig hervor. Sein Freund packte ihn sanft, aber bestimmt an den Schultern und drehte ihn wieder zum Eingang.
„Genauso, wie ichs gesagt hab. Also komm jetzt mit rein, hol dir nen Drink und nutz deine Chance. Jan kann sich so lange einreden, dass er Zeit braucht, wie er will. Ich kenne euch beide gut genug, um es besser zu wissen."
Er war zu perplex um zu widersprechen, ließ sich von ihm zurück in den Backstagebereich schieben. Die Lichter, die wegen Jan nur in gelblichen Farben leuchteten, waren ihm auf einmal zu grell, die Musik zu laut und die Luft kam ihm stickig vor. Rewi brachte ihn geradewegs zur Bar.
„Einen Piña Colada für mich und einen Gin Tonic für den Herren bitte", rief er dem Barkeeper grinsend zu. Obwohl Tim übel war, war er dankbar, als er das Getränk in den Händen hielt. Jetzt konnte er sich wenigstens an etwas festhalten.
Normalerweise war es keine gute Idee, wenn er trank, obwohl er müde war, aber im Moment war ihm das genauso egal wie die Tatsache, dass er eigentlich heimfahren musste. Er lehrte den Drink in wenigen Zügen und bestellte sich gleich einen zweiten.
„Ich versteh ja, dass du dir Mut antrinken willst, aber mach langsam", sagte Sebastian sanft, „Lass uns rübergehen, okay?"
Tim nahm sich den Cocktail von der Bar und nickte. Der Kloß in seinem Hals war jetzt so groß, dass er kaum noch schlucken konnte.
„Benimm dich einfach wie immer, okay? Jan ist doch kein Fremder. Und auch wenn ich es in den letzten Monaten nicht gedacht hätte, glaube ich, dass er dich auch ziemlich vermisst hat", flüsterte der Blonde ihm zu, kurz bevor sie beim Tisch angekommen waren. Mit jedem Schritt, den sie näher kamen, wurde Tim übler. Er nahm noch einen großen Schluck von seinem Drink und fragte sich, wie viel Sebastian wohl wusste.
Am Tisch angekommen sahen Tobi und Lucas zu ihnen rüber. Sie wirkten kein Bisschen überrascht. Sebastian sagte irgendwas, aber Tim bekam es nicht mit. Denn in dem Moment sah auch Jan auf und ihre Blicke trafen sich.
Seine dunklen Augen weiteten sich und er wirkte für einen Moment genauso geschockt, wie Tim sich gerade gefühlt hatte – aber dann war alles wieder wie vorher und er lachte über einen Witz, den er nicht mal gehört hatte. Das Licht warf Schatten auf sein Gesicht, und er sah so schön aus, dass Tim ihm nur ein „Hallo" zumurmelte und schnell den Blick abwandte. So gut das ohne Spiegel eben ging, versuchte er seine Haare zu richten. Er spürte einen Stich in der Brust.
Genau auf dieser Couch hatten sie sich schon geküsst und wenn man Rewi glaubte auch betrunken rumgemacht. Genau hier.
Schnell nahm er noch einen weiteren Schluck von seinem Drink und setzte sich so weit weg wie möglich von Jan hin. In ihm stritten sich Nervosität und Angst, denn irgendwie hatte er trotz allem die Hoffnung, dass heute Abend vielleicht noch etwas passieren würde. Er wusste, dass es dumm wäre, sich wieder darauf einzulassen. Aber genauso gut wusste er, dass er zu schwach wäre, zu widerstehen.
Immerhin konnte er endlich die nasse Jacke ausziehen.
Eine unbestimmte Zeit verstrich, in der er und Jan nicht wirklich miteinander sprachen und die Stimmung am Tisch seltsam angespannt war. Tim fühlte sich unwohl und zittrig, die Musik kam ihm viel zu laut vor und er wusste nicht, worüber er reden sollte. Also erzählte er über die Arbeit, ohne so wirklich mitzubekommen, was er sagte, und hörte Tobi und Lucas zu, wie sie von ihren letzten Monaten berichteten, ohne sich irgendwas zu merken. Sobald sein Drink leer war, bestellte er sich einen neuen, und auch Jan trank mehr Alkohol, als die anderen. Trotzdem wirkte er insgesamt entspannter als er sich fühlte. Sogar die Tics waren kaum da.
Als Tim bei seinem vierten Drink angekommen war, spürte er den Alkohol deutlich. Ihm war schlecht und schwindelig, aber trotzdem hatte er die Wirkung erzielt, auf die er gehofft hatte. Denn er fühlte sich auch endlich leichter. Inzwischen konnte er sich nicht mehr davon abhalten, Jan anzuschauen. Sein Anblick zog ihn einfach so in seinen Bann. Seine braunen Haare lagen wie immer perfekt genauso wie das Hemd. Alles an ihm war perfekt. Und er hatte alles kaputt gemacht. Ihre perfekte Beziehung zerstört und diesen perfekten Menschen verletzt.
„Tim? Noch da?", hörte er plötzlich Sebastians Stimme und sah auf. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass er mit ihm geredet hatte, „Ich glaube du trinkst erst mal nichts mehr", sagte er und nahm sich sein halbvolles Glas.
„Ich glaub auch", stimmte Lucas zu aber es war ihm egal. Er musste aufs Klo.
„Ich geh mal kurz", sagte er nur und stand auf. Er strauchelte, war aber noch klar genug im Kopf, um sich abzufangen.
Alle am Tisch warfen ihm einen besorgten Blick zu, aber er winkte nur ab. „Beruhigt euch mal, ich war schon mehr betrunken."
Die Toiletten waren direkt neben der Tanzfläche, so dass es noch lauter war, als im restlichen Raum. Aber immerhin war niemand anderes dort.
Als Tim sich dann gerade die Hände wusch, hörte er plötzlich eine bekannte Stimme und zuckte zusammen.
„Du starrst mich schon den ganzen Abend an."
Er erstarrte, drehte langsam den Kopf und sah im Spiegel, wie Jan auf ihn zukam.
Jan. Was hat er da gerade gesagt?
Er hatte eigentlich geglaubt, dass Jan nicht wirklich betrunken war, aber jetzt, wo er vor ihm stand, merkte er, dass es nicht stimmte. Seine grünen Augen waren glasig und er hatte keine Tics.
„Warum starrs du mich an?", fragte er mit schmerzerfüllter Stimme und Tim fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen, „Wusstes du, dass ich hier bin?"
Doch bevor er irgendetwas antworten konnte, legte er wie gestern auch schon seine Hände auf seine Arme, stützte sich ab. Tim spürte, wie ihm heiß und kalt zugleich wurde. Jan war betrunken.
„Es tut weh, wenn du mich ansiehs. Weil ich dich will. Ich will dich seit damals, aber du has mir so wehgetan."
Ein gequälter Ausdruck zog über sein Gesicht. Tim fühlte sich wie gelähmt vor Schmerz.
„Weiß du, ich liebe dich trotzdem noch", sagte Jan dann leise und sah ihn an. Die grünen Augen wirkten traurig, „Aber du regs dich lieber auf, weil ich Sex hatte. Und bis wahrscheinlich wieder depressiv...Ich hab dich so vermisst."
„Jan, es tut mir leid. Lass uns zurückgehen", krächzte Tim leise. Seine Worte wühlten ihn auf, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie mussten zurück. Jan würde gleich etwas tun, was er vielleicht gar nicht wirklich wollte. Oder er will es und tut es genau deswegen.
„Ich will aber nich zurück", murmelte Jan und Tim realisierte nicht schnell genug, was er tat. Und bevor er irgendwie weiterdenken konnte hatte der Kleinere seine Lippen auf seine gelegt und küsste ihn stürmisch.
Der Kuss war genau das was er wollte. Was er brauchte. Und für einen Moment konnte er nicht anders – er erlag seinem Verlangen und zog ihn näher an sich.
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So Leute, das wars mal wieder. ^^ Wer hätte gedacht, dass es so schnell weitergeht. :D
Achja, die Bootshaustoilette. xD Ich glaube, das Kapitel ist ganz anders, als viele von euch erwartet haben. Hat euch überrascht, dass Jan plötzlich aufgetaucht ist?
Und vor allem: glaubt ihr Tim hat sich zurückhalten können, oder nicht?
Das und viel mehr im nächsten Kapitel, das hoffentlich bald kommt. Ich fahre nur am Donnerstag in den Urlaub und muss noch schauen, wie es da mit Schreiben funktioniert. ^^
Danke für eure Kommentare auf dem letzten Kapitel, lasst mir auch gerne jetzt wieder euer Feedback da. ^^
Und danke, dass wir sowohl die 5000 Aufrufe, als auch die 300 Votes geknackt haben. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Geschichte so durch die Decke geht. ^^
Die Zeile aus dem Titel ist aus dem Lied "Der Himmel reißt auf" von Joel Brandenstein und Vanessa Mai.
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