[𝟏𝟗.𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥] 𝐈𝐜𝐡 𝐰𝐢𝐥𝐥 𝐒𝐞𝐱, 𝐚𝐛𝐞𝐫 𝐝𝐮 𝐛𝐢𝐬𝐭 𝐧𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐡𝐢𝐞𝐫
Der Abend war düster und neblig bis es irgendwann anfing zu schneien. Und es hörte gar nicht mehr auf. Im Haus war es kalt, aber Tim wollte irgendwie die Heizung nicht anmachen. Stattdessen lag er in einem Hoodie auf dem Bett, die Decke zusammengeknüllt am Fußende und fror. Sein Handy leuchtete neben ihm auf dem Kissen, während er an die Wand starrte.
Hey Tim, waberte der Text von Jans Nachricht in seinem Kopf, Ich fand gestern und heute schön. Wirklich. Es tut mir leid, dass ich dich weggeschickt hab, aber ich muss über viel nachdenken. Gib mir bitte ein wenig Zeit.
Es wiederholte sich in Endlosschleife, immer und immer wieder. Und Tim wusste nicht, wie er darüber denken sollte. Einerseits machte der erste Teil der Nachricht ihn glücklich. Aber durch den Rest bekam auch der einen traurigen, bitteren Unterton.
Mit einem Seufzer drehte er sich auf die Seite und las die Nachricht nochmal durch, die er nur ein paar Minuten nach Jans als Antwort verschickt hatte. Jan war seitdem nicht ein einziges Mal online gewesen - zumindest nicht, wenn er hingeschaut hatte. Die Buchstaben verschwammen vor seinen erschöpften Augen.
Ist okay Jan, ich kann dich verstehen. Melde dich einfach, wenn du bereit bist. Ich fand es auch wirklich schön.
Er holte einmal tief Luft und überwand sich dann endlich, das Handy auszumachen. Er brauchte eine Pause - dieses Warten machte ihn krank.
Matt schloss er die Augen und ließ zu, dass die Dunkelheit ihn in ihre Arme zog. Aber im Gegensatz zu Jans letzte Nacht war diese Umarmung eiskalt und sorgte dafür, dass er sich noch leerer fühlte. In seinem Kopf jagte eine Erinnerung die nächste und er konnte immer noch Jans Geruch auf seiner Haut und in seinem Hoodie riechen - auch wenn der Rauch ihn fast überlagerte. Er spürte, wie sein Herz sich schmerzhaft zusammenballte und krümmte sich, vergrub das Gesicht im Kissen. Was hätte er dafür getan, auch diese Nacht wieder neben ihm einzuschlafen.
Solange er die Augen geschlossen hatte konnte er sich zumindest vorstellen, dass er wieder neben ihm lag. Dass er in der Wohnung fast fünfunddreißig Kilometer von hier war, in einem Bett, das sie gemeinsam ausgesucht hatten. Dass Jan mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen neben ihm schlief, sein Atem gleichmäßig. Und dass er wieder im Halbschlaf nach seiner Hand griff, nur um zu wissen, dass er zumindest in dieser Nacht nicht alleine sein musste.
Aber so wie es immer war, war dieser Moment viel zu schnell verstrichen, und jetzt war er wieder hier - ohne ihn. Die letzten Stunden waren in seinem Kopf verschwommen, an die Heimfahrt konnte er sich nicht mal mehr erinnern. Als er nachhause gekommen war, waren seine Eltern noch arbeiten gewesen, und auf ihren Ruf zum Abendessen hatte er nicht reagiert. Er lag die ganze Zeit schon hier, ließ die Minuten verstreichen.
Wie spät ist es eigentlich?
Er wollte einen Blick auf seine Uhr werfen, merkte da aber, dass sie nicht wie sonst um sein Handgelenk lag. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass sie nicht da war, weil er sie so regelmäßig trug, dass er ihr Gewicht gar nicht mehr spürte. Eigentlich legte er sie nur zum Duschen und Schlafen ab.
Schwerfällig setzte er sich auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Raufasertapete.
Sie muss noch bei ihm sein, dachte er müde, merkte aber, wie ein kleiner Hoffnungsschimmer in ihm aufkam. Das bedeutete, er musste sie holen. Und konnte ihn nochmal sehen.
Doch die Hoffnung erlosch, weil er an den Text seiner Nachricht denken musste. Gib mir bitte ein wenig Zeit. Alles kam ihm so verworren vor. Gestern noch war Jan auf ihn zugekommen und sie hatten sich geküsst, als er eigentlich gehen wollte. Und danach hatten sie miteinander geschlafen. Alleine bei der Erinnerung wurde Tim sofort wieder heiß und er stand auf, ging zum Fenster, um die Sehnsucht nach Nähe zu verdrängen. Es war Dezember, draußen schneite es wie verrückt und eigentlich war ihm eiskalt. Er sehnte sich nach nichts mehr, als dass er wieder zu Jan gehen und sich von ihm wärmen lassen konnte. Ihm nochmal so nah sein konnte. Ihm zeigen konnte, wie sehr er ihn immer noch liebte und vermisst hatte.
Ob er gemerkt hat, dass ich meine Uhr vergessen habe?
Irgendwie wünschte er es sich. Und gleichzeitig hatte er Angst, dass Jan in Wahrheit vielleicht heute Abend bei jemand anderem war. Eigentlich wusste er, dass es unfair war. Nur, weil er mit anderen Jungs geschlafen hatte hieß das nicht, dass er es auch jetzt tat, nachdem sie sich wieder gesehen hatten.
Aber was, wenn ich einfach nur ein weiterer Typ bin. Und nur durch Zufall auch noch sein Exfreund?
Er konnte einfach nicht verhindern, dass der Gedanke ein Loch in seine Brust fraß und ihn ausgehöhlt zurückließ. Matt stützte er seine Ellenbogen auf der Fensterbank ab. Der kalte Granit verstärkte seine Gänsehaut, als er den Kopf in die Hände legte, und nach draußen in den Schnee sah. Ihr Garten glich einem Winterwunderland.
Jan würde es lieben, wenn er jetzt hier wäre.
Mit einem Seufzer schloss er wieder die Augen und ließ die Erinnerungen diesmal einfach zu. Erinnerungen an eine Nacht vor zwei Jahren, als sie hier gedreht hatten und Abends noch mit Quentin und Patrick ein paar Cocktails getrunken hatten. Irgendwann waren die beiden heimgefahren, aber Jan hatte beschlossen hierzubleiben, weil er schon müde gewesen war. Sie hatten noch ein Bisschen unten gesessen, geredet, und irgendwann hatten sie sich nur noch geküsst. Und dann waren sie rausgegangen und hatten angetrunken eine Schneeballschlacht gemacht, bis Tim irgendwann auf ihn zugerannt war, um ihn in den Schnee zu werfen. Als sie auf dem Boden gelegen hatten, hatten seine grünen Augen im Licht, das durch die Terrassentür gefallen war, geleuchtet und er hatte so wunderschön ausgesehen. Nach der letzten Nacht war das Gefühl von seinem Körper auf Jans so intensiv nachfühlbar.
Ein Schauder überkam ihn, als er die Augen wieder öffnete. Wieder spürte er Schmerz, aber jetzt schwächer, dumpfer. Anstatt sich darauf zu konzentrieren ging er zum Schreibtisch, wischte die Klamotten vom Stuhl, und schrieb ein paar Zeilen.
Nachts, kalter Schnee bedeckt unsre Haut
Ich geh auf dich zu, und dein Anblick raubt
Mir den Atem, ich will dich einfach nur küssen
Und flüster', was wir beide eigentlich wissen
Mit einem Schnauben lehnte er sich im Stuhl zurück und starrte an die Decke, den Kugelschreiber immer noch in der Hand. Seit Wochen schrieb er immer wieder Fetzen auf, aber konnte sie einfach nicht zu einem ganzen Text verbinden. Bei Chengiz hatte das Texten immer so leicht ausgesehen, aber mit diesen Sachen wollte er nicht zu ihm gehen. Dafür schämte er sich zu sehr.
Ich wusste ganz genau, dass es mich zerstören würde, ihm wieder nah zu kommen. Was ist nur los mit mir?, dachte er, und schrieb:
Deine Haut berührt meine nach der ganzen Zeit
Und dein Geruch ist auch heute immer noch gleich
Ich vermiss dich jetzt noch mehr
Es ist unerträglich
Ohne dich verliere ich mich
Du sagst du willst den Moment haben, egal was morgen ist
Aber damit wirfst du mich in den Abgrund zurück
Du verstehst nicht, dass dich zu sehen mich zerbricht
Ohne dich ist meine Welt ohne Licht
Mit brennenden Augen ließ er den Stift fallen. Das hatte doch einfach keinen Sinn. Er war so müde, sollte längst schlafen. Sollte mit seinen Eltern reden. Sollte mit irgendjemand reden. Denn er wusste ganz genau, wohin das sonst führen würde.
Aber das Einzige, wonach er sich momentan fühlte, war eine Zigarette und Jan. Vor allem Jan.
Langsam stand er auf und ging zur Tür. Jan konnte er nicht haben - die Zigarette aber schon. Schnell griff er sich sein Handy vom Bett und warf einen Blick darauf. Keine Nachricht von ihm, aber es war immerhin schon spät genug, dass er vielleicht Glück hatte und seine Eltern schon schliefen.
So leise wie möglich schlich er die Treppen runter. Im Büro seines Vaters war es dunkel, aber von unten kam Licht nach oben und kurz nachdem er es sah, hörte er auch den Fernseher. Sein Vater lag auf der Couch und schlief, seine Mutter hatte ihn wie immer zugedeckt und hatte eine Hand auf seinem Bein liegen. Tim ertrug es kaum, die Couch anzusehen, auch wenn ihm gleichzeitig warm ums Herz wurde. Denn hier hatten er und Jan sich vor so langer Zeit das erste Mal geküsst. Schnell drehte er sich Richtung Terrassentür, aber so leicht ließ ihn seine Mutter natürlich nicht davonkommen.
„Tim", sagte sie - so leise, dass sie seinen Vater nicht weckte, aber laut genug, dass er erstarrte, „Komm mal kurz mit in die Küche."
Seine Zigaretten und das Feuerzeug lagen auf dem Schrank direkt neben der Tür, aber er konnte jetzt nicht einfach rausgehen. Außerdem würde er ohne Jacke erfrieren.
Also gab er sich geschlagen und folgte ihr in die Küche. Seine Mutter schaltete das Licht an und sah ihn direkt an. Er wusste, was jetzt kam, hatte aber keine Ahnung, was er ihr sagen sollte.
Aber ihr Blick erweichte, wurde sanft.
„Ist alles in Ordnung bei dir? Du warst die ganze Nacht nicht zuhause und hast noch nichts gegessen. Wir haben dir ein paar Kartoffeln aufgehoben und Fleisch ist auch noch im Kühlschrank."
Tim spürte, wie Tränen in seinen Augen brannte. Er wollte nichts essen und er konnte nicht reden. Es ging einfach nicht.
„Es ist alles gut, Mama", erwiderte er also mit tonloser Stimme, „Und ich hab keinen Hunger."
Er war dankbar, dass sie nicht fragte, ob er auf der Arbeit gewesen war.
Sie runzelte die Stirn, lehnte sich an die Küchentheke. „Kann ich irgendwas für dich tun? Wenn, dann sag es mir bitte. Es ist so schlimm, dich so zu sehen."
Tim verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Ich glaub nicht, dass du was tun kannst", sagte er und wandte den Blick ab. Er wollte einfach nur weg, wieder hoch. Zu Jan.
Ihm war übel.
„Komm mal her", forderte seine Mutter ihn mit einem matten Lächeln auf und breitete die Arme aus, „Ich kann dich wenigstens kurz drücken, oder? So als Mama."
Seine Sicht verschwamm und er nickte abgeschlagen. Und als sie ihn in die Arme schloss und an sich drückte, entspannte er sich für einen Moment, ließ sogar zu, dass ein paar stille Tränen in ihre Bluse flossen.
„Warum weinst du?", fragte sie leise, während sie beruhigend über seinen Rücken strich, „Hat es was damit zu tun, dass du nach fremden Aftershave riechst?"
Natürlich entging ihr nichts. Aber sie konnte nicht mal ahnen, was in der letzten Nacht passiert war. Er nickte schwach.
„Ich will nicht darüber reden", murmelte er mit rauer Stimme und löste sich von ihr, „Ich kann nicht...noch nicht...es tut mir leid."
Die Sorge in ihrem Blick zerriss ihn innerlich. Er wollte keine Last für seine Eltern sein. Das war er doch schon genug, indem er hier wohnte. Und das wusste er, auch wenn sie ihm nie das Gefühl gegeben hatten, dass es so war.
„Ist doch gut, Tim", sagte sie leise, „Aber du kannst immer zu mir oder Papa kommen, wenn du reden willst."
„Ich weiß", erwiderte er, „Gute Nacht, Mama."
Mit einem schweren Gefühl ging er aus der Küche zur Garderobe und nahm sich seine Jacke. Sein Vater schlief immer noch auf der Couch und er musste an ihr Gespräch neulich denken, wie auch er ihn in den Arm genommen hatte.
So kann es doch nicht weitergehen mit dir. Tag für Tag leidest du und wir wissen einfach nicht, wie wir dir helfen können. Während er die Zigarette anzündete und die ersten Züge nahm dachte er darüber nach, ob ihm überhaupt irgendjemand helfen konnte.
Plötzlich spürte er, wie sein Handy in der Tasche seines Hoodies vibrierte und zog es mit pochendem Herzen heraus. Jan, war sein erster Gedanke. Vielleicht vermisste er ihn doch auch. Wollte ihn heute noch sehen. Aber als er dann auf das Display sah, erfror seine Hoffnung wie das Gras unter dem Schnee.
„Hey, Sebastian, was gibt's?", fragte er so gut gelaunt wie möglich, „Alles okay?"
„Das frag ich dich", kam es besorgt zurück, „Alter, du hast keine meiner Nachrichten seit gestern Abend beantwortet. Ich dachte schon, es ist was passiert."
„Es ist auch was passiert", sagte er matt, „Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dir das erzählen soll."
„Ich hab so ne Ahnung. Aber jetzt schieß los, spann mich nicht auf die Folter."
Zuerst wollte Tim sich rausreden, aber dann begriff er, dass es keinen Sinn hatte. Und vielleicht würde er zumindest schlafen können, wenn er mit jemandem darüber sprach. Mit Sebastian war es irgendwie anders als mit seinen Eltern, irgendwie setzte es ihn nicht so sehr unter Druck, mit ihm über alles zu sprechen, auch wenn er ihn ein paar Mal mit Zwischenrufen unterbrach.
„Puh, das ist ne krasse Geschichte, ehrlich", gab er zurück, als Tim fertig war, „Wie geht es dir?"
Er lachte matt und drückte die Zigarette aus. „Frag mich was leichteres, ich hab keine Ahnung."
Der Moment, in dem er hatte reden wollen, war wieder vorbei. Und jetzt wollte er am liebsten alleine sein und ins Bett.
„Weißt du was? Morgen ist zwar Donnerstag, aber ich glaub ich weiß, was du brauchst", erwiderte Rewi nach kurzem Überlegen. Seine Stimme klang irgendwie komisch, aber Tim konnte es nicht so ganz einordnen, „Lass uns feiern gehen. Einen Drauf machen. Im Ernst, das lenkt dich ab."
Im ersten Moment wollte er nein sagen, aber eigentlich hatte Sebastian Recht. Alkohol, ein Club.
Es würde ihn ablenken. Zumindest für einen Abend.
„Okay", gab er also zurück, „Klingt nach ner guten Idee."
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So, das wars dann wieder mit diesem Kapitel. ^^
Wie geht's euch mit der Geschichte? Und was denkt ihr, was als nächstes passiert?
Ich hab diesmal ein Bisschen rumprobiert. Zum einen hab ich versucht die ganzen Szenen düsterer zu machen. Und außerdem sind da noch Tims Songzeilen. Was haltet ihr davon?
Auch schon in den letzten Kapiteln sind die Votes echt eingebrochen. Gefällt euch etwas nicht? Für Kritik bin ich immer offen.
Die Zeile aus dem Titel ist aus dem Lied "Bis zum Schluss" von T-Zon.
Und ich geh jetzt mal meinen Schreibtisch aufräumen. xD
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