[𝟏𝟑.𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥] 𝐖𝐢𝐫 𝐡𝐚𝐛𝐞𝐧 𝐢𝐫𝐠𝐞𝐧𝐝𝐰𝐚𝐬 𝐯𝐞𝐫𝐥𝐨𝐫𝐞𝐧 𝐢𝐦 𝐠𝐫𝐨ß𝐞𝐧 𝐑𝐚𝐦𝐩𝐞𝐧𝐥𝐢𝐜𝐡𝐭

Es gab keinen bestimmten Grund, dass Jan aufwachte. Eigentlich fühlte er sich ausgeschlafen, aber trotzdem drehte er sich auf die Seite und ließ die Augen noch einen Moment zu, denn er wollte sich nicht einer Realität stellen, in der er wieder allein und Tim nicht da war. Im Halbschlaf wirkten die Erinnerungen an die letzte Nacht wie ein verschwommener Traum, und als er dann doch irgendwann endlich die Augen öffnete, war das Bett neben ihm auch tatsächlich leer. Einen kurzen Moment zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Hatte er wirklich nur geträumt?

Aber dann sah er, dass er nur seine Jogginghose trug und wusste, dass es wirklich passiert war. Doch was, wenn Tim einfach ohne ein Wort gegangen war? Was, wenn er es trotz seiner Worte bereute?
Ich bleibe solange du willst. Jans Herz schlug allein beim Gedanken daran höher. Eigentlich traute er ihm das nicht zu. Er fühlte sich wieder wie mit einundzwanzig damals, als er auf Madeira seine Gefühle für Tim realisiert hatte, seufzte, als er an die warme Nacht im Februar und das Lachen seiner Freunde dachte. Seitdem war so viel passiert.
Und jetzt war Tim wieder hier. Nach über acht Monaten Funkstille. Aber trotzdem wusste er nicht wirklich, wen er da vor sich hatte. Allein schon dass er rauchte, zeigte doch, wie sehr er sich verändert hatte. Doch es änderte nichts – seine Gefühle waren trotzdem wieder da. Und das obwohl er eigentlich gedacht hatte, er hätte das Ganze verarbeitet.

Mit immer noch pochendem Herzen setzte er sich auf, und als er sah, dass Tims Armbanduhr auf dem Nachtkästchen lag, überschwemmte ihn eine befreiende Erleichterung. Zuerst zögerte er, aus Angst, er könnte sie herumwerfen, aber dann griff er nach ihr. Im dumpfen Licht, das durch die dunkelblauen Vorhänge ins Schlafzimmer drang, wirkte sie mehr grau als golden. Er musste lächeln, als er die leichten Bissspuren sah, die Gisela ihr damals in dem Video, in dem sie die Hochzeitstorte gebacken hatten, zugefügt hatte. Beiß doch in die Uhr, hallte Tims Stimme in seinem Kopf.
Wie lange war das her?

In ihm herrschte das reinste Gefühlschaos. Wo kamen all die Erinnerungen her? Er stand auf und legte sie zurück. Und wie sollte es nach gestern jetzt weitergehen? Oder wäre es eher ein Neuanfang? Und wollte er das überhaupt?
Wenn er ehrlich zu sich selbst war, kannte er die Antwort darauf bereits. Das heute Nacht war das erste, von dem auch sein Herz wollte, dass es kein One-Night-Stand blieb.

Er stand auf und ging rüber zum Fenster, zog die Vorhänge zurück. Tim musste sie nach dem Aufstehen zugezogen haben, denn in der Nacht hatte keiner von ihnen daran gedacht. Ihm wurde warm ums Herz wegen dieser kleinen, rücksichtsvollen Geste. Genau das hatte er so vermisst. Nicht nur in den letzten acht Monaten, sondern auch davor.
Eine dumpfe Traurigkeit überkam ihn, als er einen schlichten grauen Pullover aus dem Schrank nahm und ihn sich überzog. Die Zeit damals war furchtbar gewesen und auch wenn der Schmerz längst verblasst war, tat es weh, dass es überhaupt so weit gekommen war. Sie hatten es nicht hinbekommen. Und jetzt waren sie hier, nach der ganzen Zeit, und bekamen vom Schicksal eine neue Chance.
Wobei er eigentlich nicht wirklich an so etwas glaubte. Es war einfach nur eine Frage der Zeit gewesen, dass sie sich wieder trafen.
Aber dass wir dann gleich miteinander schlafen?

Unsicher zögerte er an der Tür, aber dann nahm er all seinen Mut zusammen und öffnete sie. Es hatte keinen Sinn – er musste mit ihm reden. Und er wollte es ja auch. Er sehnte sich unbeschreiblich nach seiner Nähe, seiner Wärme, seiner Stimme. Aber da waren gleichzeitig auch so viele Fragen, die sie klären mussten. Sie mussten endlich das tun, woran es damals wahrscheinlich gescheitert war: miteinander reden.

In der Wohnung war es hell, als er in den Flur trat. Tim hatte die Rollläden hochgezogen und als er die Küche betrat, roch es nach Kaffee. Jan spürte einen wehmütigen Stich im Herzen, als er den gefüllten Brotkorb sah. Zwei Brötchen mit Kürbiskernen lagen darin, und kein einziges mit Kümmel. Tim kannte ihn einfach zu gut.
Nervös sah er sich um und entdeckte ihn auf dem Sofa. Murat lag auf seinem Schoß und hatte die Pfoten in seinen Tommy Hilfiger-Hoodie gekrallt, aber es schien ihn nicht zu stören. Er war so darauf konzentriert, den Kater zu streicheln, dass er Jan im ersten Moment gar nicht bemerkte.
„Hast du mich vermisst?", fragte er ihn sanft, mit höherer Stimme und kraulte ihn hinter den Ohren. Jans Herz zog sich zusammen, als Murat sich streckte.

„Er mag dich also immer noch mehr, als mich. Katzenfleisch", sagte er mit einem Lächeln und setzte sich aufs Sofa, achtete aber darauf, etwas Abstand zu Tim zu halten. Es war seltsam, seinen Kater so verspielt zu sehen, denn mit ihm schmuste er überhaupt nicht gerne. Das war auch damals schon so gewesen, als Tim noch hier gewohnt hatte, und Jan hatte immer vermutet, dass es an den Tics lag.
„Ist es nicht besser geworden, nachdem ich ausgezogen bin?" Tim sah auf und Jan schüttelte den Kopf. Sein Blick streifte über ihn, seine vom Schlaf zerzausten, wuscheligen Haare. Sein Wangen. Wieder fiel ihm die Akne auf, die so viel schlimmer aussah als damals. Aber trotzdem wirkte er anders als gestern und als sich ihre Blicke trafen, wusste er, was sich verändert hatte. Seine Augen wirkten lebendiger, nicht mehr so matt.
„Nicht wirklich. Er kommt manchmal ins Bett, aber meistens bleibt er auf der anderen Seite. Und deshalb wird er auch angebraten."

„Wundert mich, dass Gisela das nicht schon gemacht hat", erwiderte Tim mit einem halbherzigen Grinsen und Jan lehnte sich zurück. Alles war so vertraut. Als wäre er nie weg gewesen. Aber gleichzeitig stand die letzte Nacht zusammen mit den acht Monaten davor deutlich zwischen ihnen. Sie konnten nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert. Zumindest konnte er das nicht.
Eine Weile herrschte Schweigen, bis Tim Murat sanft von seinem Schoß hob.
„Wollen wir Frühstücken? Ich hab ein Bisschen was vom Bäcker geholt", sagte er und Jan war sich ziemlich sicher, Unsicherheit in seiner Stimme zu hören.
„Klar, danke", sagte er deshalb schnell und lächelte ihm zu. Er wollte, dass er merkte, wie sehr er sich darüber freute, dass er noch wusste, welche Brötchen er am liebsten aß. Als Tim sich setzte füllte er den Kaffee in zwei Tassen und schüttete zwei Löffel Zucker und etwas Milch in die des Größeren. Auch er erinnerte sich noch daran, was er gern mochte.

„Bist du schon länger auf?", fragte er dann, als er sich zu ihm setze, und fuhr sich angespannt durch die Haare. Tim schüttelte den Kopf.
„Ich hab eigentlich echt gut geschlafen."
Ich auch, besser als seit langem, dachte Jan leise, sagte aber nichts, weil Gisela ihm zuvorkam.
Kein Wunder, so wie ich dich gefickt hab. Es ist ein Wunder, dass du noch gehen kannst."
Tim lachte auf und schüttelte den Kopf, während Jan spürte, dass er rot wurde. „Naja, ich glaube es war eher andersrum", fügte er hinzu, um die Situation etwas weniger unangenehm zu machen, aber dadurch machte er es nur noch schlimmer. Schnell nahm er sich ein Messer, und schnitt sich ein Brötchen auf.

„Willst du darüber reden?", fragte Tim plötzlich ernst, und Jan sah vorsichtig auf. Die blauen Augen waren jetzt wieder unergründlich.
„Ich glaube, das sollten wir, oder? He. Nein, lieber nicht. Wie wärs, wenn du damit anfängst, warum du überhaupt mitten in der Nacht vor meinem Fenster standest?", er sagte das ohne Vorwurf in der Stimme, war einfach nur neugierig.
Der Größere fuhr sich durch die Haare, und Jan spürte plötzlich das Verlangen, es auch zu tun, so wie letzte Nacht. Ihm wurde wieder heiß.
„Naja, du hattest schon Recht. Ich bin nicht zufällig vorbeigekommen", er schnitt eine Grimasse, schien mit sich zu ringen, „Eigentlich wollte ich endlich mit dir abschließen, wenn ich ehrlich bin. Deswegen bin ich nochmal hergefahren. Dass wir uns auf der Party getroffen haben hat mich ziemlich...aus der Bahn geworfen, wenn du verstehst was ich meine."

Im ersten Moment konnte er nicht reagieren, weil ihn die ehrliche Antwort zu sehr erstaunte. Dann spürte er einen Stich im Herzen. Mit mir abschließen?
„Wie meinst du das?", fragte er tonlos und sein Kopf zuckte aufgeregt hin und her. Er fühlte sich so verletzlich und unsicher, wie schon lange nicht mehr. Aber das mit dem Frühstück hat etwas zu bedeuten.
„Nicht so, wie du gerade denkst", fügte der Größere schnell hinzu und Jan sah wieder auf. Jetzt wirkten sein Augen nicht mehr lebendig, stattdessen stand ein seltsamer Ausdruck in ihnen. Er wirkte angespannt, während er die zweite Brötchenhälfte aß, „Mir ging es gestern nicht so gut. Und deswegen wollte ich endlich einen Schlussstrich hinter das Ganze setzen."

Wieder fühlte Jan sich wie erstarrt. Dass Tim so direkt war, wenn es um seine Gefühle ging, war etwas komplett neues, und irgendwie gefiel es ihm nicht. Vor allem weil er dabei so klang, als würde er über vollkommen alltägliche Dinge reden. Seine Stimme war emotionslos, fast schon gelangweilt, und über seinen Augen lag ein dunkler Schatten.
Er musste an gestern Abend denken. Daran, wie er geweint hatte und sein Herz zog sich zusammen. Ich bleib solange du willst.
Das war der echte Tim, der Tim, den er so vermisst hatte.

„Musst du eigentlich nicht zur Arbeit? Du fauler Sack", fragte er, aus Angst, dass er nach dem Frühstück gehen könnte. Und dass er ihn dann nie wieder sehen würde. Denn in diesem Moment fühlte es sich so an und auf einmal kam ihm das alles noch zerbrechlicher vor. Irgendwas war mit Tim passiert in den letzten Monaten. Ihm ging es eindeutig nicht gut.
„Nein, ich hab heute frei", antwortete er und lächelte, so als hätten sie davor nicht über etwas total wichtiges gesprochen, „Du, störts dich, wenn ich kurz eine rauchen gehe?"
Ja, dachte er sofort, schüttelte aber den Kopf. Warum benahm er sich so komisch?
„Kann ich mitkommen?"

Der Größere zuckte nur mit den Schultern und stand auf, stellte das Geschirr zusammen. Die Distanz fühlte sich jetzt fast wieder so greifbar an, wie gestern Abend vor der Bar. Er erinnerte sich trotz der Drinks noch genau an den Regen, an den Rauch der Zigarette, der zu ihm rübergezogen war.
Auf dem Weg zur Veranda holte Tim sich seine Jacke, die noch im Flur auf einer Kiste lag. Als er sie sich überstreifte und sich durch die Haare fuhr, wirkte er noch unnahbarer. Jan hätte ihn so gerne berührt, so gerne geküsst. Die Nähe von gestern wieder gespürt. Aber gleichzeitig fühlte sich alles so schwer an, dass er nicht das Gefühl hatte, dass das richtig gewesen wäre.

Es war kälter, als Jan gedacht hatte, und er fröstelte in seinem Pullover, als sie nach draußen traten. Anscheinend wollte der Winter wohl doch noch kommen. Tim stellte sich ans Geländer und Jan beobachtete ihn, wie er sich eine Zigarette anzündete, und dann den Rauch in die Morgenluft blies. Er verstand es einfach nicht. Warum vergiftete er bewusst seinen Körper? Und warum sah er nicht auch ein, dass sie reden mussten?

„Du Jan, kann ich dich was fragen?", durchbrach der Größere dann irgendwann die Stille und drückte die Zigarette aus. Jan trat einen Schritt nach vorne, stellte sich neben ihn und sah auf den Hinterhof herunter. Die Morgensonne ging rot über der Stadt auf. Irgendwo heulte die Sirene eines Krankenwagens.
„Ja, klar. Ne, verarscht." Er hörte ihn auflachen und drehte sich zu ihm, sah ihm in die Augen. Auf einmal wirkte der Ausdruck in ihnen nicht mehr unnahbar, sondern wie gestern: Sehnsüchtig und schmerzerfüllt. Und das verwirrte ihn noch mehr.
„Bereust du, was heute Nacht passiert ist?"

Einen Moment lang konnte er ihn wieder einfach nur ansehen. Sein Herz klopfte wie wild. Er wusste, wie es Tim damit ging, konnte es sehen, aber das änderte nichts daran, dass er Angst vor seiner Reaktion hatte. Trotzdem nickte er dann leicht.
„Nein, kein Bisschen."

Der Größere seufzte schwer und fuhr sich durch die Haare, und jetzt flackerten wieder Gefühle über sein Gesicht, wenn auch nur kurz. „Was glaubst du, warum es damals nicht geklappt hat?", fragte er leise und sah ihn plötzlich intensiv an. Und als Jan in seine Augen sah, sah er eine so große Zerrissenheit, dass er erschrak.
„Ich glaube, wir haben irgendwas verloren im großen Rampenlicht", erwiderte er und atmete tief ein. Dann überbrückte er den Abstand zwischen ihnen und legte Tim eine Hand auf den Arm. Sein Blick hatte ihm Angst gemacht, er wollte nicht, dass er so litt, „Es war einfach zu viel Youtube und zu wenig wir."

Tim sah ihn an, und er musste nichts sagen. Jan sah alles in seinem Blick: seine Zustimmung, seine Schuldgefühle, seinen Schmerz. Er spürte es in der vorsichtigen Berührung, als er die Hand an seine Wange legte.

„Stört es dich, dass ich geraucht habe?", fragte er vorsichtig, aber Jan schüttelte sofort den Kopf. Denn das tat es tatsächlich nicht. Er wollte mehr als alles andere, dass er ihn küsste.
Und dann legte Tim seine Lippen auf seine, und all die Probleme waren zumindest für einen Augenblick wieder vergessen. 

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So Leute, das wars mal wieder mit diesem Kapitel ^^ Ich hoffe es hat euch gefallen, und Jans Gefühlschaos ist gut rübergekommen. Es ist mal wieder ein Bisschen zu lang, aber ich glaube, das stört euch eh nicht. :D

Ich war gerade echt überwältigt, als ich gesehen habe, dass die Geschichte fast die 2000 Aufrufe geknackt hat. Vielen Dank dafür ^^ Und bald sind es auch 150 Votes. Ich bin echt froh, dass ihr alle mitlest und dass euch die Geschichte gefällt. Lasst mir gerne auch jetzt wieder euer Feedback da, egal ob als Vote oder Kommentar (das reimt sich xD).

Die Zeile aus dem Titel ist aus "Verloren im Licht" von den O'Bros. Ich hab das Lied durch Zufall gestern entdeckt, und sie hat einfach zu gut zur Geschichte gepasst. 

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