Prolog
Antonia
„Hey, Mom."
Sie schaute nicht auf.
„Hallo!", wiederholte ich mit Nachdruck.
Ein herzloses „Hm" und ein kleiner, kurzer Blick zu mir waren die einzigen Reaktionen, die ich erhielt.
„Ich wollt dich an die Aufführung heute Abend erinnern."
„Ja, ja, Schätzchen", antwortete sie ohne ihren Blick von den Akten zu heben. Ein Zeichen dafür, dass sie überhaupt nicht mitbekommen hatte, was ich wollte.
„Ich habe so lange trainiert", versuchte ich es erneut.
„Schätzchen", meinte sie genervt, „komm nachher nochmal zu mir. Das hier ist wichtig."
Ich seufzte. „Vergiss doch mal kurz deine Arbeit und hör mir einmal zu!", forderte ich. Meine Stimme war ein wenig lauter geworden.
„Ich muss das hier wirklich zu Ende machen, da hängt viel dran. Es könnte die Zukunft unserer Firma sein. Es geht um eine Menge Geld, das könnte einen großen Schritt weiter bedeuten", versuchte sie mir energisch mitzuteilen.
„Es könnte dich weiter bringen, aber nicht mich. Hör mir doch kurz zu!"
„Nachher", wimmelte sie mich ab.
„Dann ist es zu spät!", rief ich sauer.
Doch sie schenkte mir keine weitere Aufmerksamkeit.
Wütend stapfte ich aus dem Zimmer, schlug die Tür zu und faste einen Entschluss.
Hastig durchwühlte ich meinen Kleiderschrank. Ich schnappte mir eine knapp geschnittene Hose, ein bauchfreies Shirt und zog meine hohen Stiefel an. Ich fühlte mich ein wenig Unwohl, es war ungewohnt, nur so knapp bekleidet zu sein. Eigentlich in keiner Weise mein üblicher Kleidungsstil, doch irgendwie musste ich die Aufmerksamkeit meiner Mutter erregen.
Anschließend stapfte ich zurück zu ihr. Entschieden klopfte ich an die Tür und wartete nicht mal auf eine Antwort. Sie saß in der gleichen Position wie vor fünf Minuten. Nicht einmal ihre Akte hatte sie getauscht.
„Mom, ich gehe jetzt feiern, trinken und Drogen nehmen", meinte ich zu ihr.
Doch ein weiteres Mal bekam ich weder einen Blick gewürdigt, noch mehr als ein „Hm" zu hören. Es war der Augenblick, in welchem ich begriff, dass sie etwas Besonderes gefunden hatte. Etwas, was ihr wichtiger war, als ihr eigenes Kind. Etwas, um das sie sich mehr kümmerte. Ich war sauer! Es brauchte einige Minuten, ein zerstörtes Buch und einen zerbrochenen Pokal, um mich zu beruhigen. Erst danach beruhigte ich mich soweit, dass ich meiner Drohung folgen konnte. Ich würde nicht mehr das kleine Vorzeigemädchen sein! Ich werde mein Leben selbst in die Hand nehmen, beschloss ich.
Emilia
Der Wind heulte, als er zwischen den Masten hindurch fegte. Auf den Wellen hatten sich Schaumkronen gebildet, sie schlugen hart gegen die Mole. Eine Möwe stand in der Luft, sie brauchte nicht mit den Flügen schlagen, der Wind trug sie.
Ein Flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. So viel Wind hatte ich erst selten erlebt, geschweige denn war ich segeln gewesen. Doch hatte ich ein Ziel. Wer weit kommen will, muss bereit sein Opfer zu bringen, zitierte ich meinen Trainer im Kopf. Immer und immer wieder wiederholte ich diesen Satz, bis es etwas wie ein Mantra für mich wurde. Es half meine Angst zu vertreiben.
„Los, ab auf's Wasser", rief mein Trainer.
Zusammen mit meiner Panterin schob ich unser Boot zur Rampe. Wer sein Ziel erreichen will, muss Opfer bringen, überwinde deine Angst, wiederholte ich. Mit jedem Schritt in die Richtung des Wassers zog sich mein Magen weiter zusammen. Als ich kurz darauf den rechten Fuß auf das Boot setzte, spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Magen. Ich wollte nicht. Ich fühlte mich noch nicht bereit. Ich wollte diesen Tag auf später verschieben. Doch ich wusste auch, dass ich dadurch musste. Drei Jahre harten Trainings wären umsonst gewesen, ich wollte weiter kommen, dafür musste ich auch diesen Wind bezwingen können.
Das Wasser spritzte mir ins Gesicht, schon bald schmeckte ich das Salzwasser und konnte kaum noch etwas erkennen. So musste ich mich auf mein Gefühl verlassen. Sobald der Druck im Segel abnahm, musste ich es dichter nehmen, um das Boot gerade zu halten. Die Schot dafür, hielt ich in meiner einen Hand. Mit der anderen steuerte ich das Boot.
Schnell fegten wir über das Wasser. Für jede Welle und jeder kleinsten Veränderung im Wind, musste ich das Boot anpassen. Schon bald spürte ich das in meinen Armen, meine Kraft lies nach. Es war anstrengend dem gewaltigen Druck im Segel dauerhaft zu halten. Man konnte es mit Liegestütz vergleichen. Immer wieder, eine nach der anderen. Aber ich kämpfte weiter. Eine Welle nach der anderen überquerten wir. Einfach weiter kämpfen, aufgeben kam mir nicht in den Sinn. So hatte ich es immer geschafft.
Doch dann passierte es. Eine Unachtsamkeit und das Boot neigte sich zur Seite. Erschrocken öffnete ich das Segel, um des Druck heraus zu lassen und das Boot wieder gerade zu bekommen. Doch es war zu spät. Ich hatte keine Zeit mehr, mich nach meiner Partnerin umzusehen. Das kalte, blaue Nass umschlang mich. Es war mein Fehler gewesen, ich hatte zu spät reagiert.
Doch nun zählte lediglich eine Sache. Kontakt zum Boot behalten. Das Boot ist deine Sicherung. Verlierst du den Kontakt, kann es dein Leben sein, welches du ziehen lässt. Das war es, was mir als erstes beigebracht wurde.
Doch die Anstrengung davor forderte ihren Tribut. Mein Griff zum Boot war schwach, ich konnte mich kaum noch halten. Wasser umhüllte mich auf einmal, eine Welle hatte mich von hinten erwischt. Ihre Gewalt zog mich mit ihr, meine Hand löste sich. Es war dunkel, ich wusste nicht mehr wo oben war. Panik erfasste mich, sodass ich wild versuchte an die Wasseroberfläche zu gelangen. Ich schrie, ein Fehler wie ich bemerkte, ich brauchte jedes bisschen Luft, was ich haben konnte. Allein meine Schwimmweste zog mich in die richtige Richtung. Als ich endlich die Wasseroberfläche erreicht hatte, schnappte ich nach Luft.
Ich wollte mich umsehen, um zu erkennen, wie weit mich die Welle getragen hatte. Doch dann schlug schon die nächste über mir zusammen.
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