Kapitel 5


Antonia

„Und, wo ist er?", wollte ich wissen. Ich nahm einen tiefen Zug durch meine Zigarette, Rauch füllte meine Lungen. Das Mädchen antwortete mir nicht sofort. Sie schaute stur auf ihre Schuhe und trat von einem Fuß auf den anderen. „Hey!", meinte ich noch einmal und beließ ihr den Rauch entgegen. Sie fing an zu husten, hob aber langsam den Kopf. Als sie mir in die Augen blickte, begann sie schnell zu atmen, als wäre sie gesprintet. Schnell senkte sie ihren Blick und wandte sich ein wenig von mir ab.

„Nicht dass schon wieder", stöhnte meine Freundin Jil.

„Du bist mir eine Antwort schuldig", erinnerte ich sie. Ich merkte, wie sie ein paar Mal tief einatmete und sich langsam entspannte.

„Ich wusste nicht, was ich schreiben sollte", meinte sie mit erstaunlich fester Stimme.

„Wie bitte?", fragte ich verblüfft. „Du bist unser Streber, das ist doch ein Kinderspiel für dich."

„Weißt du, dass Ding ist, ich weiß nicht was ihr so macht. Ich hatte keine Idee wo wir hingegangen wären, was wir gemacht hätten. Und ich glaube nicht, dass ein Bericht über Erdbeerpflücken und einen Besuch bei meiner Oma am Nachmittag zum Kuchen backen wirklich glaubhaft gewesen wäre", versuchte sie vorsichtig zu erklären.

Ich zuckte mit den Schultern. „Mir soll es egal sein." Meine Reaktion schien das Küken zu überraschen, ihre Augen wurden groß. Ich warf meine Zigarette beiseite und packte meine Freunde an den Schultern um sie zum Schulgebäude zu zerren. Ich merkte, dass auch Emilia sich in Bewegung setzte und uns folgte.

Sobald die Türen geöffnet waren, warf ich meine Haare gekonnt über die Schulter und blickte mich um. An den Seiten standen kleine Gruppen, die sich unterhielten. Ein paar der Schüler blickten auf und Grüßten mich freundlich, sobald sie mich bemerkten, die restlichen verstummten sobald ich sie ansah. Ich genoss den Augenblick, ich mochte es, wie die anderen mich bewunderten und zu mir aufblickten. Doch dann bereute ich es, genau in diesen Moment die Schule betreten zu haben. Am Ende des Gangs lief gerade unsere Direktoren, eine Aktentasche unter den Arm geklemmt. Durch das plötzliche Absacken des Lautstärkenpegels sah sie auf, direkt zu mir. Sie änderte ihre Richtung, natürlich zu uns. Ich dachte, sie würde uns zumindest erst am Nachmittag holen, so früh am Morgen hatte ich wirklich keine Lust auf Ärger.

„Eure Berichte!", forderte sie forsch und streckte mir ihre Hand entgegen. Ich rollte mit den Augen, musste sie die Show wirklich vor den anderen Schülern abziehen? Das würde mich ein gutes Stück meines Ansehens kosten, bald müsste ich wieder eine Party veranstalten.

Ich zog unschuldig die Schultern hoch und versuchte betroffen auszusehen, bevor ich antwortete. „Tut mir leid, Frau Esche, doch Emilia hat sich beharrlich geweigert mit uns zu kommen", antwortete ich ihr mit bedauernder Stimme. Ich hatte vergessen, dass meine Strafgefährtin noch immer hinter mir stand, doch jetzt begann sie zu protestieren. Sie meinte etwas von einer verdrehten Wahrheit und das ich mich zum Teufel scheren sollte. Bevor die Situation jedoch eskalierte griff die Direktorin ein, sie forderte uns auf, sie in ihr Büro zu begleiten.

„Ihr werdet beide still sein und mir zuhören", befahl uns Frau Esche, sobald wir ihr Büro betreten hatten, diesmal ohne die Psychologin. „Ich möchte keinen Schuldigen von euch finden", fuhr sie fort, nachdem sie sich gesetzt hatte. „Da ihr die Strafe gemeinsam erfüllen sollt, werdet ihr beide die Konsequenzen für euer erneutes Vergehen tragen. Die Strafe der einen, wird auch die Strafe der anderen sein." Sie knallte uns jeweils einen Stapel Papiere auf den Tisch. „Das ist der Teil der Strafe, der hauptsächlich für Emilia gedacht ist. Dieser Stapel enthält Aufgaben, die ihr beide zusätzlich zu euren Hausaufgaben bearbeiten sollt. Tut ihr dies nicht, bleibt ihr am Freitag solange gemeinsam in der Schule, bis sie erfüllt sind." Sie machte eine kurze Pause, um ihre Worte zu verdeutlichen. „Der Teil für Antonia enthält eine Drohung. Wenn Emilia heute nicht mit euch war, werde ich die Polizei aufgrund deines häufigen Fernbleibens vom Unterricht informieren. Ich bin mir sicher, sie schicken jemanden, der dich zur Schule begleiten wird. Überleg dir gut, ob du das möchtest."

„Das würden sie nicht machen", entfuhr es mir.

„Willst du es riskieren?"

Die ehrliche Antwort wäre Nein gewesen, doch das würde ich nie zugeben. So schwieg ich lieber und starrte die Frau mir gegenüber böse an. Ich hatte tatsächlich Angst vor ihrer Drohung, es war das erste Mal, dass die Androhung einer ihrer Strafen mir Angst einjagte. Ich hatte Angst davor, dass sich meine Freunde abwenden würden, wenn die mich mit einem Polizisten sahen. Auch hatte ich Angst davor, was passieren würde, wenn die Polizei herausfand, dass ich quasi alleine Wohnte. Und dass nicht mit einem guten Lebensstiel, ich müsste sicher auf meine Partys verzichten.

Nachdem Emilia nichts mehr einwandte –sie war die ganze Zeit über ruhig geblieben und hatte zum Boden geschaut- entließ uns die Direktorin. Ich wollte gerade das Zimmer verlassen, da räusperte sich Frau Esche und sagte meinen Namen. Ich drehte mich langsam um und sah, dass sie auf den Papierstapel deutete, denn sie uns zuvor hingelegt hatte. Ich lächelte unschuldig – es hätte ja funktionieren können – und nahm den Stapel.

„Sie erpresst mich", flüsterte ich Jil später im Unterricht zu. „Wenn wir sie nicht mitnehmen, will sie die Polizei zu mir schicken." Ich sah, dass sie nicht immer nicht angetan wirkte. „Es muss ja nur für eine halbe Stunde sein", versuchte ich sie zu trösten.

„Nur weil du es bist", flüsterte sie zurück.

Es war nicht leicht, auch Ann und Julius zu überzeugen, doch letztendlich willigten sie ein.

Emilia

Ich hatte Angst vor dem, wie meine Eltern reagieren würden, wenn sie von meinen Problemen in der Schule erfuhren. Vor allem mein Vatter wird erst enttäuscht und dann sauer sein. Er achtete oft auf den Ruf unserer Familie, es ist für ihn schon schlimm gewesen, als ich mit dem Sport aufgehört habe. Es fand, jeder Mensch sollte ein Hobby haben. Meine Mutter war etwas entspannter, sie war diejenige, die meinem Vater erklärte, dass es Wichtigere Dinge gab, wie Frieden und Liebe. Doch fühlte sie sich immer gezwungen, über meine Probleme zu reden und das nervte mich.

Am besten wäre es, wenn sich die Königin dazu bequemen würde, die Strafe schnell zu tragen. Ich hoffte, dann würde meine Familie nie davon erfahren müssen. Doch viel Hoffnung hatte ich nicht. Umso überraschter war ich, als ich auf die Königin zuging um sie an unsere Strafe zu erinnern und sie mich als erstes ansprach.

„Du", sie deutete auf mich, „in zehn Minuten vor der Schule. Und bitte versuch unauffällig zu sein."

Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu realisieren, was sie da gesagt hatte. Ich konnte nicht fassen, dass sie tatsächlich einwilligte mich mitzunehmen. Und das ganz ohne Worte meinerseits. Sie und ihre Freunde waren schon gegangen, so beeilte ich mich meine Schulbücher im Spind zu verstauen um sie vor der Schule zu treffen, bevor sie gingen. Ich bezweifelte nicht, dass sie ohne mich gingen, wenn ich mich verspätete.

Die vier standen in einem Kreis, als ich auf sie zukam. Sie bemerkten mich nicht, bis ich direkt bei ihnen stand. Da sie in genau diesen Augenblick ihr Gespräch unterbrachen und überall, nur nicht zu mir schauten, konnte ich sicher davon ausgehen, dass sie über mich gesprochen hatten. Egal, dachte ich mir, ich bin nur hier, um schnell die Strafe hinter mich zu bringen. Um wenigstens einen guten Start zu haben, wollte ich der Königin einen Dank aussprechen, dass sie sich auf die Strafe einließ. Doch gerade als ich das Wort erheben wollte, zischte sie einmal laut und unterbrach mich damit.

„Sei still, wie sprechen später. Komm mit!", befahl sie.

Ich folgte ihrer Clique still, bis sie um eine Ecke gegangen waren und anhielten.

Wieder war es Antonia, die das Wort erhob. „Ich erkläre dir jetzt die Regeln", sprach sie zu mir. „Erstens, du bist still, außer wir fragen dich etwas. Zweitens, du folgst uns, ohne uns zu stören", sie zählte die Punkte an ihren Fingern ab. „Drittens, du bleibst nur für eine halbe Stunde bei uns, um viertens, den Bericht für uns beide zu schreiben."

Sie hielt inne, um meine Zustimmung zu erhalten. Zwar war ich mit ihrer befehlsmäßigen Art nicht zufrieden, doch brachte ich so immerhin schnell die Strafe hinter mich. Also nickte ich.

„Prima, da das geklärt ist können wir los."

„Wo gehen wir hin?", fragte ich, wohlwissend, dass ich damit ihre erste Regel brach. Doch das war mir egal.

Es war eines der anderen Mädchen welches antwortete. „Wir wollen an die Uferpromenade. Wir brauchen dringend ein paar neue Bilder für unsere Facebook-Profile."

Ein Schauer überkam mich. Warum mussten sie ausgerechnet ans Wasser gehen? Es gab doch so viele andere Orte. Seit dem Vorfall versuchte ich jegliches Wasser zu vermeiden, es erinnerte mich an jenen Tag.

Betroffen trottete ich der Gruppe hinterher, sobald sie sich in Bewegung setzten. Ich war überlegt, einfach wieder umzukehren, ich hatte Angst vor dem was passieren würde. Doch dann erinnerte ich mich an meine Eltern und daran, wie enttäuscht mein Vater sein würde, wenn er von meinem Fehlverhalten in der Schule erfuhr. Es war allein jener Gedanke, der mich weitertrieb. Ich wollte nicht seine enttäuschte Miene sehen. Also hielt ich mich an Antonias Anweisung uns folgte ihr schweigend.

Wir waren zehn Minuten gelaufen, bevor wir die letzte Straße zum Wasser erreichten. Mein Atem wurde schneller. Ich unternahm einen letzten Versuch die Gruppe umzustimmen. Ich fragte, ob sie nicht lieber in ein Café wollten, doch sie lehnten lachend ab.

Der Anblick des Wassers jagte mir Angst ein, es war ein windiger Tag. Ich begann zu zittern. Ich spürte wie Panik mich überkam. Dann bemerkte ich, wie die Gruppe stehen geblieben war und mich musterte. Nein, befahl ich mir, ich durfte jetzt nicht wieder schwach werden. Ich wollte ihnen nicht einen weiteren Moment geben, in dem sie sich über mich amüsierten. Ich richtete mich auf, straffte die Schultern und blickte stur geradeaus. Dann ging ich mit festen Schritten weiter.

„Kommt ihr?", fragte ich provokant die anderen, die noch immer an der gleichen Stelle standen und mich ansahen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top