Kapitel 1

Emilia

Gelangweilt und lustlos rührte ich die Cornflakes in meiner Schüssel um. Ich traute mich nicht aufzublicken, ich müsste ein weiteres Mal den besorgten Gesichtsausdruck meiner Familie ertragen. Die leichtgerunzelte Stirn meiner Mutter, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Die enttäuschte Miene meines Vaters, die er so verzweifelt versuchte zu verbergen. Und natürlich mein Bruder der seit dem Vorfall, wie ich es nannte, verlegen sein Essen begutachtete, als wüsste er nicht, wie er mit mir reden sollte. Sie glaubten ich würde ihr verändertes Verhalten nicht bemerken, doch kannte ich sie zu gut dafür.

Jedoch war ich mir im Klaren, dass die Ruhe nicht lange anhalten würde. Meine Familie fühlte sich gezwungen, jeden Tag einen weiteren Versuch zu unternehmen, mich aufzuheitern.

Als meine Mutter unruhig auf dem Stuhl hin und her zu rutschen begann, wusste ich, dass es so weit war.

„Emi", fing sie mit kummervoller Stimme an, „du musst nach vorne schauen, du konntest dafür nichts. Verabrede dich mal wieder mit deiner Freundin, geh mit ihr ein Eis essen. Wie hieß sie nochmal? Anna?"

„Hab mich mit ihr gestritten", antwortete ich kleinlaut. Die Milch meiner Schüssel lachte mich farblos an. Auch die Wolken, die am Fenster vorbei zogen, waren weiß. Farblos. Nichtssagend. Etwas, was kaum jemand betrachtete. Dazwischen die Sonne, die vergeblich versuchte das trostlose weiß zum Leuchten zu bringen.

„Ach Emi, du kannst nicht jeden von dir stoßen, du brauchst jemandem mit dem du deine Freizeit verbringen kannst. Jemanden mit dem du Geheimnisse teilen kannst und mit dem du Spaß zusammen hast."

„Freundschaft bringt Verantwortung mit sich und Verantwortung bedeutet Probleme."

„Emi, so darfst du nicht denken! Freundschaft bedeutet Zusammenhalt und Freude."

„Das letzte Mal hat es zu Angst und Verletzung geführt."

Jetzt mischte sich auch mein Vater ein. „Emilia, das war nicht deine Schuld, euer Trainer hätte vernünftig sein müssen. Die Meisten Menschen hätten nicht einmal das Haus verlassen. Er hätte dafür sorgen müssen, dass ihr an Land bleibt. Du kannst dein Leben deswegen nicht wegschmeißen. Es kann nicht immer so weiter gehen!" Mein Vater verstummte, als meine Mutter ihm beruhigend eine Hand auf den Arm legte. So war mein Vater, er dachte immer an die Zukunft. Auch wenn er mich manchmal mit seinen Vorträgen nervte, so konnte ich mich immer auf seinen Rat verlassen. Immer, bis es geschehen war. Denn diesmal hatte er Unrecht.

„Du liegst falsch, es war meine Schuld. Ich hätte konzentrierter sein müssen."

Meine Mutter stand auf und nahm mich in den Arm. „Das darfst du niemals glauben", nuschelte sie in meine Haare. „Es war allein die Schuld eures Trainers."

Eine kleine Träne rollte meine Wange herunter. Ich wollte ihnen ja glauben, doch ich konnte nicht. Es war meine Schuld, wie die eines Verbrechers.

Antonia

Ich musste dringend die Reste der Party aufräumen, dachte ich, während ich mir ein Marmeladenbrot schmierte. Ich hatte es mir schon gestern vorgenommen, doch hielt sich meine Motivation deutlich in Grenzen. Das einzig Gute am Beruf meiner Mutter war, dass ich sooft sturmfrei hatte. Zwar fühlte ich mich manchmal wie ein Kuckucks-Kind, nicht wertvoll genug um von den Eltern aufgezogen zu werden, doch hatte ich dafür meine Freiheiten. Ich stopfte mir das Brot in dem Mund, schnappte mir einen Apfel und ging in mein Zimmer.

Auch dieses war ein Abbild meiner Unordnung. Alte Wäsche lag auf dem Boden, zwei Teller standen auf dem Schreibtisch und eine muffelnde Bierflasche lag unter meinem Bett.

Halbherzig stopfte ich ein paar Stifte und einen Block in meine Tasche. Anschließend zog ich mein Handy aus der Hosentasche und schrieb meiner Freundin Jil, was sie denn heute anziehen würde. Nachdem sie mir geantwortet hatte, zog auch ich mir passend dazu eine blau karierte Bluse, Jeans und einen leichten Sommerschal an. Es war ein gewagtes Outfit, das nicht sofort zu meinen dunkelbraunen Haaren passte. Doch nachdem ich ein wenig Schminke aufgetragen und meine Haare zusammengebunden hatte, sah ich ganz vernünftig aus, so konnte ich das Haus verlassen.

Ich las noch einmal meine Nachrichten durch, dann zog ich mir Schuhe und Jacke an und verließ das Haus. Musik betäubte meine Ohren, während ich den kurzen Weg zur Schule stapfte.

Die morgendliche Frühlingskälte umgab mich und lies mich leicht frösteln, die Sonne schien es heute nicht nötig zu haben, sich zu zeigen. Für meinen Geschmack war es viel zu kalt, immerhin hatten wir schon April! Das verhasste, rote Backsteingebäude meiner Schule konnte meine Laune auch nicht bessern. Es stand wie ein großes, rotes Warnschild am Ende der Straße. Allein der Anblick ließ mich überlegen, ob ich nicht lieber die Schule schwänzen sollte. Immerhin musste ich den Tag nicht allein durchstehen, meine Freunde würden sicher schon vor dem Gebäude warten. Vielleicht konnte ich sie überreden shoppen zu gehen oder auf dem Klo zu warten, bis zumindest Mathe vorbei war. Alles war besser als Mathe!


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