nicht mehr


Das Vorwort begann mit folgendem Text:


Du redest ohne zu sagen

Du trauerst ohne zu weinen

Du lachst ohne zu lachen

Du lebst ohne zu leben

Und du gibst ohne zu wissen.


Dieser Text schrieb ich für die Kriegsenkel. Denn sie gaben ihr Trauma an uns weiter. An die nächste Generation. Sie sprachen viel mit uns, doch nicht das was geredet werden musste. Sie konnten keine Gefühle zu lassen, auch nicht den Verlust der elterlichen Liebe. Ihr Lachen war meist hohl, denn sie kannten kaum Gefühle aus der Familie. Sie hatten kein Leben, denn es war das ihrer Eltern. Und das gaben sie an uns weiter.

Walter und mich, uns eint so viel. Wir bekamen ein Trauma, was wir nicht wollten. Wir wurden zu einem Spiegel, von Menschen, die selber Spiegel waren. Wir redeten ohne etwas zu sagen. Wir trauerten den Verlust der elterlichen Liebe hinterher ohne zu weinen. Unser Lachen war meist gefälscht, damit jeder wusste, es ging uns gut. Wir lebten das Leben unserer Eltern, ohne unser Leben zu leben. Doch wir geben nicht ohne zu wissen. Wir wollen nicht mehr stumm sein. Wir wollen schreien und rufen. Wir wollen zeigen und lehren. Wir wollen Wissen weitergeben und Traumas bewältigen. Wir wollen wieder weinen können. Wir wollen lachen. Wir wollen unser Leben so leben wie wir es wollen.

Was damals geschah, war schrecklich. Doch wir wollen denn Preis nicht mehr zahlen. Wir sind nicht schuld, an dem Leid von damals. Wir können nichts dafür, was unsere Ahnen und die Politiker damals vermasselt haben. Wir können nicht zurückreisen und sie davon abbringen. Trotzdem müssen wir noch immer leiden. Doch wir sagen jetzt Stopp. Auch uns geht es schlecht. Auch unsere Familien hätten Psychologen gebraucht. Doch niemand kümmerte sich um uns. Weil es die Schuld der Kinder waren, dass ihre Väter so einen Mist gebraucht haben. Das es die Schuld der Enkel waren, was die Väter gemacht haben. Weil es unsere Schuld ist, was damals geschah.

Das kann doch nicht sein. Was können wir für damals? Wir waren es nicht, es waren unsere Ahnen. Es war ihre Schuld, dass so viele leiden mussten. Es war ihre Schuld, dass Familien starben. Weil sie es nicht anders kannten. Weil viele von ihnen den ersten Weltkrieg kennen lernten, weil sie in einer Welt aufwuchsen, wo es keine Kindheit gab. Weil sie es nicht anders lernten.

Aber wir sind nicht sie. Wir sind anders. Wir marschieren nicht mit den Idioten von heute. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt. Walters bester Freund trägt eine Kippa und es ist Walter vollkommen egal. Mehr noch, er redet mit seinem Freund über das Judentum, weil es ihn wirklich interessiert. Weil er sich für andere Kulturen interessiert. Und auch ich respektiere andere Menschen, egal aus welcher Nation sie kommen oder welche Religion sie haben. Walter und ich lernten, dass man jeden Menschen respektieren sollte, egal was oder wer er ist. Wir lernten, nicht auf Menschen zu hören, die meinen, andere niedrig halten zu wollen.

Trotzdem müssen wir noch immer leiden. Wir müssen uns immer noch heimatlos fühlen, weil niemand versteht, was das Trauma unserer Großväter mit uns machen. Wir müssen noch immer gegen Ängste kämpfen, die eigentlich schon längst hätten beseitigt werden können. Vor allem müssen wir immer noch schweigen, weil viele es nicht wahrhaben wollen, dass es auch mal genug ist, mit der Schuldzuweisung. Das man mal die nächsten Generationen anschaut und sich überlegt, was mit ihnen passiert. Noch immer redet man über die Opfer des zweiten Weltkriegs, nicht wissend, dass Menschen noch heute darunter leiden.

Wir wollen uns auch nicht ständig beklagen, weil wir wissen, wie gut wir es haben. Weil wir eben nicht den Krieg miterleben mussten, weil wir eben genügend essen haben, weil wir nicht fliehen mussten. Aber wir wollen endlich gehört werden. Wir wollen nicht mehr stumm sein. Wie kann es sein, dass Jahre nach dem Krieg noch immer die Generationen leiden müssen, weil man ihnen die Schuld längst vergangener Generationen gibt. Was können Walter und ich dafür, dass damals die Idioten gekämpft haben?

Wir können nichts dafür, was man damals den Sinti, Romas, Juden und allen anderen angetan hat. Wir können nichts dafür, was ein einziger Mann angestellt hat. Wir verurteilen das sogar. Wir verurteilen auch die heutigen Menschen, welche es immer noch betreiben. Denn wir wissen, dass man einander respektieren muss. Wir wissen, dass jeder Mensch gleich ist. Jeder wird geboren und jeder stirbt. Dabei ist es egal, ob er Christ, Jude oder Moslem war. Es ist egal, ob er Deutscher, Pole, Türke oder Engländer ist. Es ist egal ob seine Haut hell oder dunkel ist. Das unterscheidet die Menschen nicht voneinander.

Und trotzdem, dass wir das Erbe abgelegt haben, was auf uns lastet, müssen wir darunter noch immer leiden. Weil keiner uns hilft. Weil keiner das Schweigen verstand. Weil keiner uns zuhört. Wir sind nicht die Kinder von Nazis, wir sind nicht die Kinder von Flüchtlinge. Wir sind Individuen. Wir wollen eine Zukunft haben und nicht das Trauma unserer Großeltern. Wir wollen leben ohne der nächsten Generation ein ewig altes Trauma weiter zu geben. Wir wollen endlich frei sein, von den ewig alten und maroden Ketten. Unsere Eltern hätten Hilfe gebraucht, unsere Großeltern hätten Hilfe gebraucht. Doch sie bekamen diese nicht. Und jetzt wird es uns verweigert. Weil niemand versteht, was mit uns geschieht. Weil niemand verstehen will, was mit den Kriegsurenkel passiert.

Erst so langsam wird es bewusst, was der Krieg mit unseren Großeltern angestellt hatte. Erst so langsam durften deren Kinder das Trauma lösen. Doch ist es zu spät gewesen. Weil nun auch wir leiden müssen. Wir müssen jetzt das Trauma lösen, was schon längst hätte gelöst werden sollen. Und warum? Weil man es verschlafen hat in all den Jahren.

Man merkt vielleicht an dem obigen Text wie sehr mich das ganze aufwühlt. Walter und ich, wir mussten kämpfen. Wir hatten ein sinnloses Leben, weil wir es unseren Eltern recht mache wollten. Um auch nur ein bisschen Liebe zu erfahren, studierten wir, obwohl wir nicht studieren wollten. Walter hat mittlerweile sein Job aufgegeben und gibt nun Musikunterricht in Polen. Ich studiere noch weiter. Nicht mehr um meine Mutter stolz zu machen, sondern um eine Chance zu haben aus dem Land zu gehen. Ich will meine Träume erfüllen, bevor sie zu Staub zerfallen. Ich will schreiben, ich will vielleicht einen kleinen Hof haben und ob ich später in den Beruf gehe, denn ich studiert habe, dass kann ich nicht sagen. Walter löst nun alleine sein Trauma auf. Weder er noch ich suchen uns professionelle Hilfe, weil wir es gewohnt sind, alleine klar zu kommen. All die Jahre wo wir selber für uns gekämpft haben, hat uns stark gemacht, dieses Trauma nun zu lösen. Ich habe es dabei noch leichter, weil meine Mutter mitmacht. Weil auch sie dieses Trauma nicht mehr möchte.

Wir sind die vierte Generation von geschädigten Menschen. Wir sind die vierte Generation, die noch immer vom Krieg gezeichnet sind. Doch wir wollen auch die letzten sein. Wir wollen nicht mehr den Preis bezahlen, denn man uns auferlegt hat. Wir wollen nicht mehr die Fehler der Vergangenheit in uns tragen. Wir wollen nicht mehr das Leben, was man uns gab. Wir sind die sogenannten „Kriegsurenkel". Doch wir legen jetzt das ab, was man uns gab.

Wir lösen das Schweigen.

Wir rufen laut den Schmerz hinaus.

Wir lassen Gefühle zu.

Wir wollen Leben! 

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