Kapitel 23: Bettina
Wir kamen an unserem Hotel an und der Anblick, der uns bot, war unglaublich. Das weiße Gebäude war fast dreimal so groß wie mein eigenes Haus und hatte wunderschöne Verzierungen an der Hausfassade.
Der Kutscher und Timothy holten das Gepäck aus der Kutsche und ein paar Diener und Dienstmädchen des Hotels kamen heraus geeilt, um die Koffer und Taschen in unser Zimmer zu bringen.
Timothy erschien neben mir und verhakte unsere Finger miteinander.
„Das wird die schönste Zeit unseres", flüsterte er mir zu und streichelte mit seiner freien Hand meine Wange. Ich lächelte und wurde von ihm in das Gebäude gezogen.
Ein noch sehr junges Dienstmädchen, ich schätzte es auf ungefähr 15 Jahre, führte uns zu unserem Zimmer, wo anscheinend schon unser Gepäck auf uns warte.
Sie schloss die dicke Holztür mit einem winzigen Schlüsselchen auf und hielt uns beiden die Tür auf.
Das Zimmer war recht groß und es gab zwei riesige Fenster, die gemeinsam fast eine ganze Zimmerwand beanspruchten. Das Doppelbett war in Brauntönen bezogen und stand frei im Zimmer, sodass man von beiden Seiten in das Bett steigen konnte.
Auf der einen Seite des Bettes stand ein großer, dunkelbrauner Schrank und daneben eine kleinere Kommode. Neben dieser war die Tür, in der wir immer noch standen und das Zimmer begutachteten.
Auf der anderen Seite des Bettes war die Fensterfront und auf jeder Seite stand je ein Nachttischchen.
Hinter der Tür stand ein großer, dunkler und ledriger Ohrensessel mit einem gefülltem Bücherregal daneben.
Der Boden war mit hellem Parkett belegt und neben beiden Bettseiten lag je ein weißer, kleiner Teppich, der wahrscheinlich aus Schafwolle gemacht wurde.
Die Vorhänge waren senffarben, was gar nicht dem Geschmack einer anständigen Londoner Frau entsprach, aber mir gefiel es gut.
Unser Gepäck stand am Bettende und wartete darauf ausgepackt zu werden.
Ich schaute Timothy an und sah, dass er mich die ganze Zeit beobachtet hatte.
Er grinste frech und ich merkte, wie sehr ich müde von der Fahrt geworden war.
Müde lächelte ich ihn an.
„Ist alles soweit in Ordnung mit dem Zimmer und der Atmosphäre, Mister?", fragte das Mädchen mit einer piepsigen Stimme. „Alles ist wunderbar. Vielen Dank!", gab Timothy ihr somit zu verstehen, dass sie gehen konnte. Das Organisatorische konnte warten.
Timothy führt mich zu dem großen Bett und legte mich sanft hinein. Er musste gemerkt haben, wie müde ich gewesen bin. Er zog mir vorsichtig die Schuhe aus und öffnete den Reißverschluss meines Reisekostüms ein wenig, so dass es angenehmer war.
Er deckte mich zu und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Mein letzter Gedanke, bevor ich einschlief war, dass ich Glück hatte, einen so aufmerksamen Freund zu haben.
Arthur
Rose packte gerade ihr Kleider in den geräumigen Schrank und summte leise eine Melodie vor sich hin. Ich saß auf der kleinen Couch, die vor der Fensterfront unseres Hotelzimmers stand und las aus einem Buch. Meine Lesebrille rutschte mir von der Nase und ich drückte sanft wieder auf ihren Platz.
Aber wenn ich ehrlich bin, war es mir egal, wo meine Brille saß und was ich gerade las. Ich beobachtete Rose und überlegte, wie ich ihr die Geschichte von mir und meiner Familie möglichst harmlos beibringen sollte.
Sie würde mich so oder so hassen. Sie hatte bisher immer gedacht ich hätte mich mit meinen Eltern verstritten, was ja auch irgendwie stimmte und sie irgendwo in Norwegen wohnen würden.
Wenn ich ihr jetzt die Wahrheit erzählen würde, würde sie das nicht verstehen.
Aber ich musste es ihr sagen.
„Rose?", fragte ich vorsichtig und legte das Buch und die Brille beiseite.
„Ja, Schatz?", fragte sie entspannt und drehte sich zu mir um.
Im nächsten Moment saß sie auch schon neben mir und schmiegte sich an meinen Arm.
„Ich muss mit dir reden.", längere Pause von mir, „Über etwas Wichtiges."
Sie distanzierte sich ein wenig von mir und richtete sich ein wenig auf.
Das machte sie immer, wenn wir über etwas Ernstes sprachen. Sie wollte sich damit auf das vorbereiten, über das wir gleich reden würden. Sie baute eine leicht einreißbare Mauer um ihr Herz, um nicht so leicht verletzbar zu sein. Sie fühlte sich somit sicherer, aber in Wahrheit hatte sie einfach Angst vor Verantwortung.
„Es geht um meine Familie." Ich atmete kurz ein und au.
„Ich... ich habe dir vielleicht nicht ganze Wahrheit über sie erzählt..." Sie hatte nun ihre komplette Aufmerksamkeit auf mich und meine Worte gerichtet. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ihr würde nun nichts mehr entgehen. Jedes noch so kleine Wort würde sie sich merken und für immer in ihrem kleinen und doch so schönen Kopf speichern.
„Ehm... naja... es ist so... meine Familie lebt gar nicht in Norwegen... sondern in Monaco." Sie lächelte kurz auf und fühlte sich auf der sicheren Seite. Sie dachte, das wäre die ganze Geschichte. Da würde sie sich gleich wundern wieviel ich ihr erzählen musste.
Tief Durchatmen. Du schaffst das!
„Und ich soll sie besuchen. Mein Bruder hat mir einen Brief geschrieben. Es ist irgendetwas passiert. Und... und ich würde mich freuen, wenn... wenn du mit mir fahren würdest."
Warum war ich nur so ein Feigling?! Konnte ich ihr nicht direkt die komplette Wahrheit ins Gesicht sagen?
Rose schaute gerade aus und sagte nichts.
Endlich, nach gefühlten Stunden, meinte sie: „Ich würde gerne deine Familie kennenlernen."
Sie lächelte mich an und mein Herz schmerzte. Ich würde ihr so weh tun...
„Aber bevor wir fahren musst du noch Einiges wissen, dass ich dir bisher noch nicht erzählt habe."
Und dann erzählte ich es ihr. Alles. Von meiner Familie. Von meinem Zwillingsbruder. Von dem Streit. Und vor allem von einer Sache: der Thronfolge Monacos.
Die ganze Zeit schwieg sie und sagte nichts. Diese Stille war so viel schlimmer, als die Vorwürfe, die ich erwartet hatte. Die Stille zeigte mir, dass Rose verletzt war.
Nachdem ich ihr alles erzählt hatte, stand sie immer noch schweigend auf und verließ das Hotelzimmer.
Und ihr Gesicht... diese Kälte un d Neutralität... oh wie sehr ich es verabscheute ihr hübsches Gesicht so zu sehen.
Letztendlich blieb ich mit einem schmerzenden Herzen, der nackten Wahrheit und einer abgelehnten Thronfolge allein auf der Couch in einem Fremden Zimmer in Paris, einer Stadt, die hunderte Kilometer von meiner Heimat entfernt war.
Zu viert saßen wir hier nun wie ein Häufchen Elend zusammengekrümmt. Der fünfte Freund gesellte sich auch irgendwann dazu: Trauer.
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