zwanzig
i can feel the pain inside me fading, while i'm fading into you
»WIE wär's mit einer kleinen Pause?«, fragt Lana nach einer gefühlten Ewigkeit. »Wenn ich weiter trinke, falle ich ins Koma!«
»Kein Problem«, entgegnet Johnny lachend und deutet auf Julian. »Wir haben schließlich einen Mediziner unter uns.«
»Erstsemester«, erinnert dieser ihn nervös. »Ich bin genauso schlau wie ihr, was den menschlichen Körper betrifft.« Das ist eine glatte Lüge. Der blonde, zierliche Julian ist ziemlich intelligent und weiß unglaublich viel, doch das gibt er nicht gerne zu. Es ist ihm unangenehm, im Mittelpunkt zu stehen. Unsicher rückt er seine Runde, dezente Brille zurecht.
Lana verdreht die Augen und schaut erwartungsvoll in die Runde.
»Gegen eine Pause hätte ich nichts einzuwenden«, nuschelt Valentina hinter uns. Sie hat sich vor einer viertel Stunde in eine Ecke des Zimmers verzogen, lehnt an der Wand und hält sich den Bauch. Der Alkohol, den sie in sich hineingeschüttet hat, um sich inspirieren zu lassen, scheint ihr nicht sonderlich gut zu bekommen.
Sofort brechen alle in schallendes Gelächter aus.
»Das glaube ich dir sofort«, Can schüttelt grinsend den Kopf.
»Figlio di puttana!«, schießt Valentina zurück.
»He!«, mein Mitbewohner hebt abwehrend die Hände, während wir ihn bloß verständnislos beobachten. »Zieh meine Mutter da nicht mit rein!«
»Wollen wir rausgehen?«, fragt Hanna, um etwas Ruhe in die Runde zu bringen. »Frische Luft wird uns allen bestimmt guttun.« Einvernehmliches Nicken ist die Antwort und darum beginnt Johnny auch sogleich, die leere Flasche, die in der Mitte des Teppichs vor uns liegt, aufzuheben.
Erleichtert richte ich mich auf. Meine Knie knacken, meine Beine sind eingeschlafen, genau wie mein Hintern und ich spüre meine Füße nicht mehr. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass wir fast zwei Stunden lang gespielt haben.
Eines muss man unserer Gruppe lassen: Wir sind ziemlich trinkfest. Genau in diesem Moment stöhnt Valentina gequält auf. Na ja, die meisten jedenfalls.
»Können wir kurz reden?« Wie aus dem Nichts steht Jascha vor mir und mein Herz setzt einen Schlag aus, nur um direkt darauf in doppeltem Tempo gegen meine Brust zu hämmern.
Sein eigenartiges Verhalten der letzten Tage hat mich davon ausgehen lassen, dass er nicht an mir interessiert ist. Und nun möchte er plötzlich doch reden. Ich verstehe nur Bahnhof. In Gedanken werde ich automatisch auf Johnnys letzte Hausparty zurückkatapultiert: Dort hatte ich während meines Gespräches mit Yannik keine Zweifel - ich wollte Jascha eine Chance geben und mit ihm reden. In den letzten Tagen haben wir mehrfach versucht uns zu treffen, aber irgendetwas ist immer dazwischen gekommen.
»Okay«, sage ich, bevor ich es mir noch einmal anders überlegen kann und folge ihm mit flauem Magen in den Flur.
Da wir die Party sowieso nach draußen verlegen wollen, verziehen Jascha und ich uns schon mal in den Garten. Mein Blick fällt sofort auf den Baum, unter dem Yannik und ich uns vor ein paar Tagen erst betrunken und anschließend gestritten haben. Ob er wütend auf mich ist? Die Frage stelle ich mir komischerweise zum ersten Mal. Ausgerechnet jetzt, wo ich mich eigentlich auf Jascha konzentrieren sollte!
Ich spüre seine Präsenz neben mir und fühle mich sofort unsicher. Bei unseren ersten zwei Begegnungen im Wohnzimmer haben wir uns super verstanden. Dann habe ich ihm meine Nummer gegeben - und er hat nicht angerufen. Erst, als Lennart eine neue WhatsApp Gruppe erstellt und uns auf Johnnys Hausparty eingeladen hat, hat er sich bei mir gemeldet.
Der Abend, den wir dann auf dieser besagten Hausparty zusammen verbracht haben, war auch wirklich schön. Obwohl Jascha mir gestanden hat, dass er ziemlich lange im Bad braucht. Doch dann hat er sich dazu entschieden, sich zu betrinken und war keine Stunde später wie vom Erdboden verschluckt.
Ich wollte ihm eine Chance geben sich zu erklären und habe schließlich einem Treffen zugestimmt, nachdem er mehrfach versucht hat, mich anzurufen. Dieses Treffen ist jedoch ins Wasser gefallen und seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.
Jascha ist wie ein defekter Duschkopf - heiß kalt, heiß kalt. Bei dem Gedanken daran muss ich kichern.
»Was ist so lustig?«, erkundigt er sich, nachdem wir eine Weile schweigend im Gras umhergelaufen sind.
Aus dem Haus hören wir die anderen jauchzen, singen und lachen.
»Dass wir es nicht hinkriegen, vernünftig zu reden«, sage ich ehrlich. »Ich weiß nicht, wieso unsere Begegnungen mit so viel Anlaufschwierigkeiten verbunden sind, aber es nervt mich.«
Er nickt zustimmend. »Ja, mich auch.«
Sofort wird mir warm. Ob das am Alkohol liegt oder an der Tatsache, dass er mich von der Seite ansieht, mit diesen schönen, apfelgrünen Augen, kann ich nicht sagen.
»Also ... willst du mich besser kennenlernen?«, hake ich vorsichtig nach.
Er bleibt stehen und mustert mich einen Moment lang nachdenklich. Dann funkelt etwas in seinen Augen und ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. »Ja. Ich will dich kennenlernen.«
Die Wärme in mir breitet sich aus, bis sie wie ein Inferno in meinem Inneren tobt und meine Unsicherheit ist verschwunden. »Gut«, sage ich grinsend.
»Tut mir leid, dass ich auf der letzten Party einfach abgehauen bin«, murmelt er, wendet den Blick ab und schaut auf den Boden. »Ich ... ich hatte Stress mit meinen Eltern. Die Situation ist ... wahnsinnig kompliziert. Ehrlich gesagt zu kompliziert, um sie angetrunken, zwischen Tür und Angel auf einer Hausparty breitzutreten.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe. Stress mit den Eltern also. Davon kann ich ein Lied singen. Mein Vater hat nie verstanden, wieso ich mein Sportstudium in Australien abgebrochen habe. Ohne Aleahs Hilfe wäre ich heute nicht hier. Sie hat solange auf ihn eingeredet, bis er schließlich klein beigegeben hat. Ich habe ihr einiges zu verdanken.
Aber nur, weil ich nun tatsächlich Musik in Hamburg studiere heißt das nicht, dass mein Vater meine Entscheidung befürwortet. Er duldet sie. Gelegentlich.
»Ich will dir alles erklären, Raya. Wirklich. Aber nicht hier. Nicht heute. Lass dir nur so viel gesagt sein: An dem Abend hat meine Mutter mich angerufen und Stress gemacht. Tja, und da kam mir der Alkohol dann sehr gelegen. Ich habe nicht über die Konsequenzen meines Handelns nachgedacht und ausgerechnet du musstest darunter leiden. Das tut mir schrecklich leid. Wirklich.«
Ich nicke. Unter anderen Umständen wäre ich vielleicht unnachgiebiger gewesen. Doch ich kann ihn verstehen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, von den Eltern nicht akzeptiert zu werden. Der Druck ist hoch, eigene Entscheidungen müssen meist hinten anstehen. Ein weiterer Grund für meine Flucht nach Hamburg. Hätte ich zu Hause studiert, müsste ich mir wahrscheinlich jeden Tag anhören, was für einen großen Fehler ich begehe und wie leichtfertig ich meine Zukunft ruiniere. Mein Vater und ich waren mein Leben lang unzertrennlich, denn das Faible fürs Klettern habe ich von ihm. Seine Meinung geht mir daher besonders unter die Haut. Mit seinen Aussagen hat er mich schon oft verletzt. Wahrscheinlich hätte ich mich auch betrunken, hätte er mich auf Johnnys Hausparty angerufen und mir die Hölle heiß gemacht.
»Ich weiß wie du dich fühlst«, beginne ich also. »Wenn du mal reden möchtest ... ich bin für dich da. Der Vorteil an mir ist außerdem, dass ich dir im Gegensatz zum Alkohol morgens keinen Kater beschere.«
Wenn Jascha lächelt, kann ich nicht wegsehen. Seine Augen funkeln und kleine Grübchen bilden sich neben seinen Mundwinkeln. Und ich liebe die winzige Zahnlücke, die seine beiden vorderen Schneidezähne trennt - das sieht echt furchtbar niedlich aus!
»Wie wärs mit Samstag Vormittag?« Er fährt sich durch die dunklen Haare. »Auf ein Eis und ein lockeres Gespräch in der Stadt?«
Begeistert willige ich ein und versuche, das zufriedene Grinsen zu unterdrücken, das sich einen Weg auf meine Lippen bahnt.
»Eure Kinder würden wirklich entzückend aussehen!« Die Haustür fällt hinter Lana ins Schloss. Sie kommt mit großen Schritten auf uns zu gelaufen und strahlt übers ganze Gesicht. Dicht hinter ihr befindet sich Lennart. Er schleppt einen Kasten Bier mit sich herum, den er schnaufend auf der dreistufigen Treppe vor dem Eingang abstellt.
»Grüne Augen, rote Lippen, dunkles Haar. Schneewittchen auf einem ganz neuen Level«, lallt sie.
Ich klopfe Lana glucksend auf die Schulter, sobald sie uns erreicht hat. »Vielleicht solltest du dich in den nächsten Stunden mit einem Wasser begnügen.«
Sie macht eine abwinkende Handbewegung. »Ach was. Wir haben doch Julian. Er hat mir versprochen, mir morgen früh einen Zugang zu legen.«
»Er hat was?«, entfährt es mir.
»Reg dich ab, Raya Er weiß, was er tut!«
»Und wie hast du gedacht, kommt der gute Juli morgen früh zu dir? Er muss doch selbst zur Uni!«
Lanas Grinsen verschwindet. Das scheint sie nicht bedacht zu haben. Sie murmelt etwas Unverständliches vor sich hin, macht auf dem Absatz kehrt und schnappt sich Lennarts Hand, um gemeinsam mit ihm zurück ins Haus zu gehen.
Kaum sind die beiden weg, kommen die anderen.
»Wir hatten die glorreiche Idee Marshmallows zu grillen«, verkündet Hanna stolz, sobald sie uns erblickt hat. Sie hält einen Einweggrill in der linken und eine Packung Marshmallows in der rechten Hand und ihre Augen leuchten vor Freude.
Ein paar Minuten später sitzen wir, mit Decken, Kissen und Alkohol bewaffnet unter demselben Baum, unter dem ich vor ein paar Tagen schon einmal mit Yannik getrunken habe. Ich mustere ihn eine Weile nachdenklich. Ob er noch daran denkt? Oder hat er inzwischen schon wieder vergessen, wie wütend er in dieser einen Nacht abgerauscht ist?
Der Einweggrill dampft langsam vor sich hin, während wir alle begeistert unsere aufgespießten Marshmallows ins Feuer halten.
Die leisen Klänge eines Popsongs ertönen aus Johnnys Haus und füllen die eiserne Stille im Hintergrund, als Lana und Lennart tatsächlich mit einem Wasser zurückkommen.
Es ist inzwischen mitten in der Nacht und die Temperaturen sind gesunken, weshalb ich mich automatisch enger in die Decke kuschele, die ich mir mit Valentina und Jascha teile.
Meine italienisch-deutsche Freundin lehnt ihren Kopf an meine Schulter und kaut leidend auf einem Marshmallow herum. Da wir alle der Ansicht sind, dass ihr ein voller Magen guttun wird, kommt sie trotz Übelkeit nicht ums Essen herum. Julian kann schließlich nicht jedem von uns einen Zugang legen.
Ich tätschele Valentinas Kopf und atme eine Weile die Luft dieser perfekten Sommernacht ein. Es riecht nach Feuer, Süßigkeiten und Bier.
In den Fenstern der pompösen Reihenhäuser, die sich dicht nebeneinander über die Promenade ziehen, brennen kaum noch Lichter. Vor den Büschen auf der anderen Seite, die uns von der verlassenen Straße abschirmen, stehen ein paar Laternen und erhellen den Platz ein wenig.
Ich muss ein zufriedenes Grinsen unterdrücken. So habe ich mir mein Leben in Hamburg vorgestellt. Freunde, die locker, lustig und spontan sind. Immer in der Nähe, sodass man jeden Tag neue tolle Erinnerungen zusammen sammeln kann.
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