vierzehn
i'ma fuck up my life
SPÄTER am Abend lasse ich mich neben Yannik auf den harten Boden fallen. Die Wurzel des Baumes, unter dem wir sitzen, bohrt sich in meinen Hintern, aber ich möchte nicht noch einmal aufstehen. Ich weiß nicht, warum ich in einer Krisensituation wie dieser ausgerechnet bei ihm gelandet bin. Ich weiß nur, dass es so ist.
Heimlich werfe ich ihm einen Seitenblick zu. Auf seinem schwarzen Basecap erkenne ich wieder das neongelbe Logo, das mir immer noch nichts sagt. Ich mache mir eine gedankliche Notiz, es später mal zu googeln.
In seinen Ohren stecken Kopfhörer. Ich nehme schwach Töne wahr, doch die Musik ist wie immer nicht laut genug, um erkennen zu können, was er gerade hört.
Für einen kurzen Moment frage ich mich, ob er überhaupt gemerkt hat, dass ich mich zu ihm gesetzt habe, doch dann zieht er eine Zigarette hinter seinem Ohr hervor und hält sie mir wortlos vor die Nase. Dabei mustert er mich mit einer hochgezogenen Augenbraue. Ich schüttele den Kopf. Er zuckt mit den Schultern, drückt die Ziese, die bis eben gerade noch in seinem Mundwinkel hing aus, und legt sich die Neue zwischen die Lippen. Dann zündet er sie an. Ohne es zu bemerken, bleibt mein Blick an seinem Mund hängen.
»Rauchen ist ungesund«, merke ich gedankenverloren an. Als ob er das nicht wüsste.
»Sag bloß«, entgegnet er. Offenbar kann er mich trotz der Kopfhörer gut verstehen. Im nächsten Moment legt er auch schon den Kopf in den Nacken und bläst den Rauch aus seiner Nase wieder heraus. »Wo ist dein Freund?«
Verwundert schaue ich ihn an.
»Na der Typ, mit dem Lenny immer rumhängt«, sagt er, als wäre es selbstverständlich.
»Jascha ist nicht mein Freund. Ich kenne ihn erst seit ein paar Tagen.« Nicht wirklich länger als jeden anderen hier.
»Lana und Lenny kennen sich auch erst seit ein paar Tagen.«
»Ich bin aber nicht Lana und Jascha ist nicht Lennart«, entgegne ich und klinge dabei schroffer als eigentlich geplant. Aber ich bin einfach nicht gut auf Jascha zu sprechen. Denn nachdem mein Plan, ihm ein interessantes, tiefgründiges Geheimnis zu entlocken, kläglich gescheitert ist und wir uns wieder ins Haus verzogen haben, hat er sich zusammen mit dem Gastgeber Johnny betrunken und irgendwann im Laufe des Abends die Party verlassen, ohne mir Bescheid zu sagen.
Das ist auch der Grund, wieso ich nun hier sitze. Ich bin gestrandet in einem Viertel, in dem ich mich absolut nicht auskenne, ohne zu wissen, ob meine Freunde überhaupt schon da sind. Schließlich wollten sie später kommen.
Einzig und allein Livi hat vorhin in die Gruppe geschrieben, dass sie und Yannik bereits anwesend sind. Daher habe ich mich auch auf die Suche nach den beiden gemacht, am Ende aber nur Yannik gefunden.
Mein Gegenüber schweigt eine Weile, weshalb ich mich von ihm ab- und den Autos zuwende, die einige hundert Meter entfernt von uns die Hauptstraße entlang rasen. Ihre verschwommenen Lichter huschen in der Dunkelheit in Sekundenschnelle vorbei.
»Wo ist Livi?«, erkundige ich mich, nachdem es eine Zeit lang still zwischen uns war. Ob er überhaupt mit mir reden will? Schließlich enden fast all unsere Gespräche in einem Streit.
Yannik wirft mir einen ausdruckslosen Seitenblick zu, dann zuckt er mit den Schultern. Ich wende mich ab, winkele die Beine an und seufze. Na super.
Erst als neben mir leises Geraschel ertönt, richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Er durchsucht seinen Rucksack nach irgendetwas.
»Bock auf Kontrollverlust?«, fragt er und ich bemerke erst spät, dass er eine Wodkaflasche in der Hand hält.
Einen kurzen Moment lang zögere ich. Aber eben nur einen kurzen Moment lang. Besser, er trinkt mit mir, als mit Livi. »Okay.«
Yannik nickt und schraubt die Flasche auf. Sofort kommt mir der beißende Geruch des hochprozentigen Alkohols entgegen und mir fällt auf, dass ich ziemlich nüchtern bin.
Weil er ein mordsmäßiger Gentleman ist, überlässt er mir den ersten Schluck. Die Flüssigkeit brennt in meinem Mund, als hätte ich Spiritus geschluckt, und ich bin froh, dass die Dunkelheit meine tränenden Augen versteckt.
Eine Weile trinken wir abwechselnd, schweigend, jeder für sich. Das ist das erste Mal, dass mich eine derartige Stille zwischen Yannik und mir nicht stört. Im Gegenteil. Sie wirkt sich beruhigend auf mich aus und durch den Alkohol verspüre ich schon bald ein warmes, wohliges Gefühl in meinem Bauch.
»Wieso bist du nicht bei ihm?«, fragt Yannik irgendwann, als selbst die Autos auf der weit entfernten Hauptstraße nur noch vereinzelt fahren.
»Bei wem?«, hake ich nach. Der Bestand in unserer Flasche hat inzwischen zur Hälfte abgenommen. Ich schwenke sie in meiner Hand hin und her und beobachte die Flüssigkeit beim panischen umher schwappen, dann trinke ich.
»Jascha.«
»Hmmpf«, mache ich. Warum stellt er mir eigentlich die ganze Zeit über so komische Fragen?
Yannik nimmt mir den Alkohol aus der Hand.
Ich überlege, was ich sagen könnte, spiele mit dem Gedanken zu lügen, denn eigentlich geht ihn Jaschas Verbleib rein gar nichts an.
Unsicher rutsche ich auf der unbequemen Baumwurzel herum, weil mein Hintern inzwischen schon lange eingeschlafen ist und bemerke, dass ich mittlerweile etwas angetrunken bin. Das ging schnell.
»Wir sind zusammen zur Party gefahren, aber Jascha hat sich betrunken und jetzt ist er wie vom Erdboden verschluckt. Eigentlich wollte er mich nachher nach Hause bringen«, rutscht es mir heraus. Erschrocken halte ich mir die Hand vor den Mund. Vielleicht war es doch keine gute Idee, mit Yannik zu trinken. »Aber egal, ich bin ja jung. Ich kann laufen«, bemühe ich mich um Schadensbegrenzung.
Unfreiwillig hallen mir Lanas Worte durch den Kopf. ›Sei nicht immer so oberflächlich, Soraya‹. Ich sollte wirklich aufpassen, was ich sage. Ich kenne Jascha nicht gut genug, um mir ein Urteil zu fällen. Darum rudere ich noch etwas weiter zurück. »Morgen frage ich ihn einfach, was passiert ist. Es wird bestimmt eine gute Erklärung dafür geben, dass er mich sitzen gelassen hat.«
»Du glaubst echt noch an das gute in Menschen, was?«, überrascht Yannik mich mit seiner Frage.
»Ja«, sage ich, ohne nachzudenken.
»Wieso?«, will er wissen.
»Na ja ... « Einen kurzen Augenblick lang senke ich den Blick. »Ich habe das Gefühl, wenn ich es nicht tue, dann tut es niemand mehr, in dieser kalten Welt.« Warum glaube ich dann nicht an das Gute in Yannik? Vielleicht weil Livi es bereits tut.
Ich spüre seinen Blick auf mir, obwohl ich eisern auf meine angewinkelten Knie starre. Gerade als ich beginne, mich wieder an die Stille zu gewöhnen, ergreift er erneut das Wort: »Soll ich dich später nach Hause begleiten?«
Überrascht hebe ich den Kopf, um ihn ansehen zu können. Sobald ich das tue, wendet er sich ab, schaut stur geradeaus, mitten ins Nichts.
Als ich mich vorhin zu ihm unter den Baum gesetzt habe, habe ich fest damit gerechnet, erneut dumm angemacht, oder sitzengelassen zu werden. Schließlich habe ich ihn vor ein paar Tagen nicht gerade freundlich dazu aufgefordert, sich von Livi fernzuhalten. Offenbar ist Yannik nicht nachtragend.
»Passt schon«, lehne ich ab. Ich möchte ihm keine Mühe machen. Außerdem würde das bedeuten, dass er Livi sitzen lässt (wo auch immer sie gerade steckt), genauso, wie Jascha mich sitzengelassen hat.
Klar, mich stört es gewaltig, dass sich meine ehemals beste Freundin überhaupt mit ihm abgibt, aber das hier ist eine Ausnahmesituation. Denn wir befinden uns in Hamburg, und es ist mitten in der Nacht. Da ist Yanniks Anwesenheit besser, als keine Anwesenheit. In diesem Moment realisiere ich, wie beschissen meine Situation eigentlich ist.
Gestresst zücke ich mein Handy um zu sehen, ob mir jemand geantwortet hat. Vor einer Stunde habe ich in die hamBÜRGER-Gruppe geschrieben und gefragt, ob schon jemand auf der Party ist, aber bisher habe ich noch keine Antwort erhalten.
»Hamburg ist kein Dorf, Soraya.« Ich weiß ganz genau, was er damit sagen will.
»Und ich bin kein Kind«, entgegne ich daher. »Pfefferspray ist in meiner Jackentasche.«
»Ich bring dich.« Und damit scheint die Diskussion für ihn beendet zu sein.
Ich beiße mir auf die Lippe und suche fieberhaft nach einer Ausrede. »Und was ist mit Livi?«, frage ich schließlich.
Er zuckt mit den Schultern. »Was soll mit ihr sein?« Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie jemanden getroffen, dem die Welt und alles, was damit zusammenhängt so dermaßen egal ist, wie Yannik.
Ich schüttele den Kopf. »Ich will nicht, dass du sie alleine lässt«, sage ich entschieden und verschränke die Arme vor der Brust.
Er zieht eine Augenbraue hoch. »Ich dachte, du willst nicht, dass ich Zeit mit ihr verbringe?«
Grimmig schaue ich ihn an. »Du weißt genau, wie ich das meine.«
Er erwidert meinen Blick und mustert mich einen Moment lang schweigend. »Nein. Und wenn du ehrlich zu dir bist, weißt du selbst nichtmal genau, wie du das meinst.« Und mit diesen Worten steht er von seinem Platz neben mir auf. Er wirft sich seinen Rucksack über die linke Schulter und bleibt für einen Sekundenbruchteil vor mir stehen. Mit dem Wodka in der Hand, den ausgelatschten Biker Boots und der Zigarette im Mund sieht er einmal mehr wie jemand aus, von dem Livi sich verdammt nochmal fern halten sollte.
Ich sollte seine Worte einfach ignorieren. Und genau das tue ich auch, während ich seinen Rücken anstarre und dabei zusehe, wie er im Inneren des Hauses verschwindet.
Erst als er weg ist realisiere ich, dass ich nun völlig auf mich alleingestellt bin.
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Nachdem Yannik abgehauen ist, habe ich noch eine ganze Weile unter dem Baum gesessen und mich selbst bemitleidet. Der Alkohol hat mich von innen aufgewärmt, sodass mir nicht einmal mehr kalt war.
Nach einer Viertelstunde hat Hanna dann in die Gruppe geschrieben, dass die Mädels und Lennart endlich auf der Hausparty angekommen sind.
Gerade bin ich auf dem Weg zu ihnen und schiebe mich mit meinen Ellenbogen durch ein Meer an betrunkenen Studenten.
Als ich kurz darauf endlich bei meinen Freunden stehe, atme ich erleichtert aus. Die Anspannung fällt von meinen Schultern wie eine tonnenschwere Last. Ich bin nicht mehr alleine! Gottseidank.
Valentina fällt mir in die Arme. »Es tut uns sooo leid!« Sie lallt ein bisschen. »Hätten wir gewusst, dass Jascha dich sitzenlässt, wären wir vieeel früher gekommen. Wir haben es nur gut gemeint und wollten euch etwas Privatsphäre lassen, wenn du verstehst was ich meine.« Sie wackelt anstößig mit den Augenbrauen.
Ich pflücke lachend ihre klebrigen Hände von meinen Schultern. »Nicht schlimm«, versichere ich ihr. »Ich bin einfach froh, dass ihr jetzt da seid.«
Valentina nickt und lässt mich weitestgehend los. Mit einer Hand hält sie sich jedoch weiterhin an meinem Arm fest, weil sie durch den Alkohol ziemlich wackelig auf den Beinen ist. Wie hat sie es eigentlich geschafft, sich so schnell zu betrinken?
Ich sehe erleichtert in die Runde. Alle sind da, sogar Livi ist wieder aufgetaucht. Alle bis auf einer.
»Wo ist Yannik?«, frage ich, während ich meinen Blick suchend durch den Raum schweifen lasse. Nachdem er vorhin so wütend abgerauscht ist habe ich eigentlich vermutet, er würde sich zu Livi flüchten.
Schlagartig liegen alle Augenpaare auf mir. Hanna schüttelt ihren Kopf so unauffällig, dass es fast als schlechter, unmotivierter Tanzstil hätte durchgehen können. Fast.
Sofort schwant mir nichts Gutes.
»Er ist gefangen.« Livi redet so leise, dass ich Lippenlesen muss. »Hat gesagt, ich solle mich von ihm Fernsehapparat. Er sei Lichthupe für mich.« Ich bin nicht gut im Lippenlesen. Und die laute Musik macht es nicht unbedingt leichter, etwas zu verstehen.
Ein wenig hilflos wende ich mich an meine Freunde.
»Er hat zu ihr gesagt, sie solle sich von ihm fernhalten. Er sei nicht gut für sie«, übersetzt Hanna in mein Ohr. »Und dann ist er abgehauen.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch.
»Blödsinn!« Lana verschränkt die Arme vor der Brust. Ihre Haargummis scheinen die Haut an ihrem Handgelenk abzuschnüren, doch das stört sie offenbar nicht. »Er ist einfach nur ein Idiot, der keinen Bock mehr auf eine Bettgeschichte hatte und nicht wusste, wie er sie wieder loswerden sollte.«
Valentina rammt Lana ihren Ellenbogen in die Seite. Und Lennart wirft ihr einen Blick zu, den ich nicht deuten kann.
»Was? Ist doch so.«
Livi versteckt ihr Gesicht hinter einem dichten Vorhang aus mittellangen, nussbraunen Haaren. Aber spätestens als sie sich umdreht und wortlos in Richtung Badezimmer verschwindet, wird klar, was wirklich in ihr vorgeht.
Ich schaue ihr nach, mit klopfendem Herzen und Bauchschmerzen. Ich hätte nicht gedacht, dass Yannik doch noch auf mich hört. Wieso sollte er auch?
Ich schüttele den Kopf, um mein schlechtes Gewissen zu verdrängen. Sein Verhalten zeigt, wie wenig ihm tatsächlich an ihr lag. Auch wenn Livi jetzt vielleicht traurig ist - es ist besser so. Noch kennen sich die beiden bloß ein paar Tage, da tut der Verlust weniger weh, als nach Monaten oder Jahren.
»Das war nicht sehr einfühlsam von dir«, meckert Hanna vorwurfsvoll.
»Ich bin auch nicht dafür bekannt, einfühlsam zu sein«, antwortet Lana schnippisch, während sie ihre dunkelblau lackierten Fingernägel begutachtet. »Sondern dafür, die Wahrheit zu sagen. Yannik ist ein Penner und ich bin froh, dass die beiden jetzt getrennte Wege gehen.«
Nie hätte ich gedacht, dass ich Lana einmal bei etwas Recht geben würde. Vielleicht sollte ich den heutigen Tag rot im Kalender anstreichen.
»Was genau ist eigentlich zwischen Jascha und dir vorgefallen, Raya?«, fragt sie und sofort liegen wieder alle Augenpaare auf mir.
Vielleicht sollte ich den heutigen Tag aber auch einfach vergessen und die Erinnerungen daran in die hinterste Ecke meines Gehirnes verbannen.
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