sechzehn
wait if i'm on fire
how am i so deep in love?
when i dream of dying
i never feel so loved
»DU hast mein Toastbrot aufgegessen!«, stelle ich am Montag Morgen mürrisch fest, als ich die dunkelblaue Brotbox auf dem Küchentisch öffne und mir nichts als gähnende Leere entgegenkommt.
»Woher willst du wissen, dass ich das war?«, fragt Can und schaut mich dabei unschuldig an.
Ich verdrehe die Augen. Das zieht vielleicht bei Lion, aber ganz bestimmt nicht bei mir. »Weil Noel eine Glutenunverträglichkeit hat und mein Zeug daher niemals freiwillig anrühren würde.«
Doch mein Mitbewohner möchte anscheinend noch nicht einsehen, dass er verloren hat. Er umrundet den Küchentisch, um sich neben mich zu stellen und seinen Arm um mich zu legen. »Hast du noch nie darüber nachgedacht, dass er seine Allergie vielleicht nur vortäuscht, um genau in solchen Situationen fein aus dem Schneider zu sein?«
»Nein«, sage ich grimmig und befreie mich aus seiner Umarmung.
Er zieht einen Flunsch und mustert mich Wimpern-klimpernd. Ich halte seinem Blick stand, verschränke die Arme vor der Brust und ziehe eine Augenbraue hoch. Nach ein paar Sekunden bricht er endlich ein.
»Ich konnte ja nicht ahnen, dass du so ein Drama daraus machst!«, ruft er und fuchtelt wild gestikulierend mit seinen Händen in der Luft herum.
»Und was soll ich jetzt frühstücken?«, frage ich angepisst.
Er zuckt mit den Schultern. »Es sind noch Bananen im Kühlschrank. Und ich habe Proteinpulver da, falls du dir einen Shake machen möchtest.« Wer packt denn Bananen in den Kühlschrank?
»Ich will etwas Richtiges essen!«, jammere ich unzufrieden und verziehe meine Lippen zu einem Schmollmund.
Can seufzt ergeben. »Ich hole nach der Uni neues Toastbrot, wenn du dann endlich aufhörst, zu nörgeln.«
»Hm«, mache ich bockig.
»Na siehst du, Problem gelöst!«, entgegnet mein Mitbewohner euphorisch, verlässt die Küche, um sich im Flur seine Schuhe anzuziehen und steckt einige Sekunden später noch einmal ausgehfertig seinen Kopf durch die Tür. »Jetzt guck nicht so, als hätte ich in dein Aquarium gepinkelt und deinen Goldfisch getötet. Toastbrot ist sowieso ungesund. Iss lieber Müsli und Obst.«
Seine lauten Schritte poltern durch den Flur. Der Dielenfußboden ächzt hörbar unter seinem Gewicht. »Ach und, kannst du nachher in den Briefkasten schauen? Der Postbote kommt nicht vor zehn.«
Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Halb neun. Eigentlich habe ich mich auf meinen freien Tag gefreut, als ich gestern Abend nach meiner Jam-Session mit Hanna gesehen habe, dass die Vorlesungen heute ausfallen. Doch dieser eben erwähnte freie Tag scheint nicht sonderlich gut für mich zu beginnen.
Can nimmt mein Schweigen als stumme Einwilligung und nur wenige Minuten später fällt hinter ihm die Haustür ins Schloss.
»Iss lieber Müsli und Obst«, äffe ich ihn nach, öffne den Kühlschrank und schnappe mir schweren Herzens eine Banane.
xxx
Ich telefoniere seit einer halben Stunde mit meiner Schwester Aleah, als ich einen Blick auf die Uhr werfe und mir Cans Bitte wieder einfällt. Ich überlege kurzzeitig, einfach liegen zu bleiben und die Post zu ignorieren, nur um ihn zu ärgern. Aber ich möchte mich nicht auf sein Niveau herablassen, also erhebe ich mich seufzend von der Couch, schnappe mir den Wohnungsschlüssel und schlendere durch den Flur ins Treppenhaus, zum Haupteingang.
Dort angekommen starre ich seufzend den überquellenden Briefkasten an. Dann fällt mir auf, dass ich den separaten Briefkastenschlüssel vergessen habe. Genervt schiebe ich meine Hand durch den schmalen Schlitz und fische die Post einzeln heraus. Nach einiger Zeit umschließen meine Finger etwas Kantiges. Es ist definitiv dicker als ein einfacher Brief, aber auch nicht breiter als eine DVD-Hülle. Skeptisch und wie beim Angeln, als würde ein gigantischer Fisch an meinem Haken hängen, ziehe ich meinen Arm zurück. Ich halte eine, in buntem Tape verpackte, CD-Hülle in meiner Hand. Einen Moment lang schaue ich sie einfach nur an.
»Lebst du noch?«, erinnert die Stimme meiner Schwester mich wieder daran, dass ich noch immer mit meinem Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt im Flur meines Wohnhauses stehe. Die Kälte des Betonbodens unter meinen nackten Füßen klettert ätzend langsam meine Beine hinauf und ich erschaudere.
»Würdest du mich sonst atmen hören?«, entgegne ich abwesend. Ich drehe und wende die vollgeklebte Hülle in meiner Hand, als könnte ich dadurch sehen, was sich im Inneren verbirgt.
Tape in allen Farben ist vertreten; schwarz überwiegt allerdings deutlich, gefolgt von gelb, lila und rot. An der unteren rechten Ecke lösen sich einige Streifen bereits ab.
»Offensichtlich schon«, sagt Aleah schnippisch. Sofort schwebt ein Bild vor meinem inneren Auge, wie sie die Arme vor der Brust verschränkt und diesen Blick aufsetzt, mit dem sie mich immer ansieht, wenn sie mir signalisieren möchte, dass sie genervt von mir ist.
»Ich habe Post«, werfe ich ein.
Auf jedem gelben Tapestreifen steht ein und dasselbe Wort geschrieben: WHY
»Oder meine Mitbewohner haben Post«, verbessere ich mich schnell, denn dieses merkwürdige Paket ist definitiv nicht für mich.
»Und?«, fragt Aleah gelangweilt.
Ich zucke mit den Schultern, obwohl sie das natürlich nicht sehen kann. »Es scheint eine CD zu sein. Aber ich kann es nicht genau sagen. Die Hülle ist mit buntem Tape blickdicht abgeklebt.«
Meine Schwester schweigt einen Moment lang. »Raya, wirst du erpresst?«
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Daran habe ich noch gar nicht gedacht! Ich bin viel zu beschäftigt damit gewesen, die interessante Verpackung zu begutachten.
»Was? Nein!«, quietsche ich entsetzt. »Also ... jedenfalls nicht, dass ich wüsste.« Ich wohne noch nicht lange in Hamburg und in der Hochschule lernen wir uns gerade erst kennen. Wer sollte mich da bitte erpressen wollen?
»Vielleicht werden deine Mitbewohner erpresst«, rät meine Schwester weiter. »Ich meine, woher willst du wissen, dass du nicht zu landesweit gesuchten Kleinkriminellen gezogen bist?«
Ich verdrehe die Augen. »Can und Noel sind nicht mal in der Lage dazu, beim Pinkeln die Schüssel zu treffen. Ich bezweifele stark, dass in ihnen irgendeine Form von krimineller Energie schlummert.«
Trotzdem macht sich ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend breit. Noel ist tatsächlich oft Nachts weg. Und Can wechselt seine Beziehungspartner wie nasse Socken, da kann ich nicht ausschließen, dass ihm das ein oder andere gebrochene Herz zu verschulden ist.
»Mach das Tape ab!«, befiehlt Aleah aufgeregt.
»Ich bin doch nicht bekloppt! Hast du noch nie einen Krimi gesehen? Was mache ich denn, wenn mir ein Gas entgegen kommt, das mich umbringt, sobald ich es einatme?«
»Setz dir halt eine Gasmaske auf.«
»Gute Idee, warum bin ich da nicht von selbst drauf gekommen? Moment, ich gehe kurz in unseren Keller und hole mir so ein Teil.« Ich mache eine bedeutende Pause. Aber weil meine brav wartende Schwester offensichtlich nicht begreift, dass ich sie auf den Arm genommen habe, füge ich nach einer Weile seufzend hinzu: »Wo soll ich denn auf die Schnelle eine Gasmaske herbekommen, du Trottel?«
»Halt dir eben die Nase zu.« Ich kann förmlich hören, wie sie mit den Schultern zuckt.
Genervt werfe ich einen letzten prüfenden Blick auf die Hülle in meinen Händen. Und dann fällt mir auf der Rückseite, zwischen all den WHYs ein Name ins Auge. Scharf ziehe ich die Luft ein.
»Vielleicht werde ich doch erpresst, Aleah!«, rufe ich panisch. »Da steht: Für Raya.«
»Dann pack es endlich aus, du hohle Nuss!« Meine Schwester klingt mindestens genauso aufgeregt wie ich.
Schnellen Schrittes stolpere ich die Treppen hoch, in meine Wohnung, schließe die Tür hinter mir und lasse mich im Anschluss unsanft gegen sie fallen. Mein Herz schlägt mir plötzlich bis zum Hals und ich fühle mich schlagartig beobachtet.
Das ist dumm. Wer soll mich bitte erpressen?
Ich schließe für einen kurzen Moment die Augen und atme tief durch, um mich zu beruhigen. Dann hechte ich in die Küche und suche nach einer Schere.
Aleahs schwere, ungeduldige Atemzüge in meinem Ohr machen es nicht besser, also lege ich entschieden mein Handy auf das von Körnern und Brotkrümeln übersäte Schneidebrett.
In der zweiten Schublade werde ich fündig. Gekonnt schlitze ich das Tape an den Seiten auf und wenige Sekunden später habe ich die Hülle geöffnet. Reflexartig halte ich die Luft an. Weil ich aufgeregt bin ... und weil ich kein tödliches Gas einatmen möchte.
»Es ist eine CD«, verkünde ich, nachdem ich die Lautsprecherfunktion meines Handys angestellt und den Inhalt des mysteriösen Pakets genauestens unter die Lupe genommen habe. Im Gegensatz zu der Hülle ist sie komplett unbeschriftet und reflektiert im Licht der Küchenlampe die buntesten Regenbogenfarben.
»Wow, Schocker«, entgegnet meine Schwester sarkastisch. Ich strecke die Zunge raus, obwohl sie das natürlich ebenfalls nicht sehen kann. Soll sie auch nicht.
Langsam, beinahe wie in Zeitlupe, gehe ich auf unser altes Küchenradio mit integriertem CD-Laufwerk zu. Wenn ich Pech habe, hat jemand einen Film auf die CD gespielt und das Radio wird mir nicht weiterhelfen. Fieberhaft überlege ich, ob wir eine PlayStation oder einen DVD-Player besitzen.
»Worauf wartest du noch? Hör oder sieh dir endlich an, was dir der mysteriöse Unbekannte zu sagen hat.«
»Du bist keine große Hilfe, Aleah«, zische ich gestresst. »Was meinst du, habe ich gerade vor?«
Vorsichtig und mit schnellen Fingern pule ich die CD aus der Hülle und lege sie ins Laufwerk ein.
Als mein Zeigefinger über dem Startknopf des Radios schwebt, zögere ich. Aber weil alles besser ist, als diese ungewisse Stille, die in regelmäßigen Abständen durch meine laut atmende Schwester unterbrochen wird, drücke ich schließlich auf den kleinen, dunkelblauen Startknopf.
Das Radio gibt ein paar ätzende Störgeräusche von sich, dann hört man, wie sich die CD zu drehen beginnt.
»Startest du da gerade einen Oldtimer, oder was?«
»Pssst!«, mache ich. Dann ist wieder alles ruhig.
Ich weiß nicht, wie lange ich vorgebeugt in der Küche am Esstisch stehe und das Radio anstarre, aber es muss wirklich verdammt lange gewesen sein, bis sich endlich etwas tut. Leise ertönen die ersten Klänge eines Klaviers, vermischen sich mit meinem laut schlagenden Herzen und kreieren einen eigenartigen Beat.
Es dauert nicht lange, da erkenne ich die Melodie.
»Das ist mein Song«, hauche ich fassungslos.
»Hä?«, macht Aleah bloß. Manchmal ist sie wirklich nicht die hellste Kerze auf dem Baum.
Ich verdrehe die Augen und halte mein Handy so nah wie möglich an die Lautsprecher des Radios.
»Das bist ja du!«, entfährt es meiner Schwester, sobald meine Stimme ertönt und die ersten Zeilen, die ich mir mühevoll und unter Einsatz meines Lebens, im moderigen Bandraum eines Studentenwohnheims aus dem Ärmel geschüttelt habe, singt.
»Schocker!«, imitiere ich Aleahs Aussage von vorhin. Mein Herz schlägt noch immer so unendlich schnell und ich weiß nicht, was schlimmer ist. Eine Erpressung, oder das hier. Was auch immer das hier überhaupt sein soll.
»Jemand hat meinen Song geklaut«, stelle ich nach weiteren zehn Sekunden fest. »Jemand hat verdammt nochmal meinen Song geklaut. Jemand ist an meinen USB-Stick mit der Aufnahme gelangt und ... « Oh nein. Der USB-Stick.
Eilig haste ich in mein Zimmer, um nach dem Datenträger zu suchen, auf dem wir gestern die erste Probeaufnahme meines Songs gespeichert haben. Doch ich werde nicht fündig.
So ein Mist! Ich muss ihn im Bandraum vergessen haben.
»Hol erstmal Luft, Soraya«, unterbricht Aleah mich entspannt, als ich hysterisch keuchend mein Handy wieder in die Hand nehme.
»ICH HEIßE RAYA!«, pampe ich sie an.
In meinem Kopf leuchtet ein pinkfarbenes Schild, auf dem in regelmäßig blinkenden Großbuchstaben steht: PANIK! PANIK! PANIK!
»Dass du mich in so einer Situation noch verbesserst ist -«
»Ich habe gerade weitaus wichtigere Probleme!«, unterbreche ich sie.
»Das mag sein. Deine Stimme hört sich am Ende des Refrains ein wenig schief an.«
»DAS WAR EINE PROBE«, rufe ich aufgebracht. »Du verstehst den Ernst der Lage nicht. Dieser Song ist mir verdammt wichtig. Er bedeutet alles! Ohne ihn kann ich dieses Studium verdammt nochmal in die Tonne treten!«
Gottseidank sind Noel und Can nicht da, denn sonst würden sie wahrscheinlich, durch mein panisches Geschrei angelockt, die Küche betreten und meinen temporären Bluthochdruck mit ihrer Anwesenheit nur noch mehr in die Höhe treiben.
»Meintest du nicht neulich erst zu mir, du hättest bisher nur den Refrain?«
Ich halte inne. Das stimmt.
»Ja«, gebe ich also zu.
»Na, dann gibt's da ja nicht viel zu klauen.«
Gerade, als ich zum Gegenargument ansetzen möchte, verblasst, wie aufs Stichwort, meine Stimme und neben dem beruhigenden Ton des Klaviers ertönen weitere Klänge. Nämlich die einer Gitarre. Und die eines Schlagzeugs.
Und dann er.
Eine wesentlich dunklere, tiefe Stimme ersetzt in der ersten Strophe meine eigene.
»Da rappt jemand«, merkt Aleah beiläufig an.
»Ich lege auf«, verkünde ich am Rande eines stressbedingten Nervenzusammenbruchs, weil mir ihre sinnbefreiten Beiträge nicht sonderlich weiterhelfen und beende das Telefonat, bevor sie etwas erwidern kann.
Augenblicklich ist es still um mich. Einzig und allein der Beat und die fremde Stimme eines Jungen sind zu hören und ich bin alleine mit meinen Gedanken. Alleine mit meiner Verwunderung. Alleine mit meinem fertigen Song, den ich nicht geschrieben habe.
A/N: hold on to your seatbelts ladies and gents, shit is about to get real! xx
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