einundzwanzig

tell her that the only way her heart will mend
is when she learns to love again

YANNIK liegt auf dem teuren Holzfußboden, der bei Porta im Sonderangebot war, und bewegt sich nicht. Einige Partygäste steigen über ihn hinweg, ignorieren ihn, als wäre er gar nicht da. Irgendwie stimmt das ja auch. Er ist alles, nur nicht da, jetzt gerade.

»Der ist ja total besoffen«, stöhnt Lana genervt. »Wie hat er das denn geschafft? Vor einer halben Stunde war er doch noch fit wie ein Turnschuh.«

Nachdem es draußen zu kalt wurde, hat sich die Gruppe aufgelöst. Hanna und Julian haben sich aus dem Staub gemacht, weil ihre Eltern morgen kommen und sie noch aufräumen müssen. Livi hat eine ziemlich betrunkene Valentina nach Hause gebracht und auch Jascha und Can haben sich verzogen. Noel und Cherry sind noch im Haus und streiten sich im Obergeschoss.

Lana und ich waren ebenfalls gerade im Begriff zu gehen. Lana, weil ihre Mutter zu Besuch ist und ich, weil ich nicht mit den Jungs alleine sein möchte.

Ich zucke ratlos mit den Schultern. »In einer halben Stunde kann man problemlos eine Flasche Wodka exen.«

Als ich mich neben Yannik auf den Boden fallen lasse, denke ich an Livi und bin froh, dass sie schon nach Hause gegangen ist. Dieser Anblick würde sie bestimmt wahnsinnig mitnehmen.

»Um Himmels Willen!«, entfährt es Lana. »Das hat er ja wohl hoffentlich nicht getan!« Sie beugt sich zu ihm herunter und keine drei Sekunden später gibt sie ihm die erste Backpfeife.

Automatisch versuche ich, sie von dem abzuhalten, was auch immer sie da gerade tut. Nur leider gelingt es mir nicht, ihre hektischen Bewegungen einzudämmen. Immer, wenn ihre Hand mit seiner Wange in Berührung kommt, klatscht es laut. Sein Gesicht ist schon ganz rot. Ein starker Kontrast zu seiner sonst so hellen Haut.

Als Yannik ein schmerzverzerrtes Stöhnen von sich gibt, packe ich Lana resolut an der Schulter und ziehe sie gewaltsam nach hinten, sodass sie unsanft auf dem Hintern landet.

»Er ist besoffen, nicht tot!«

»So können wir ihn aber nicht liegen lassen. Wenn er nicht aufwacht, haben wir keine Wahl und müssen einen Krankenwagen rufen.« Sie verschränkt stur ihre Arme vor der Brust. »Und ich will keinen Krankenwagen rufen müssen.«

»Seit wann interessierst du dich überhaupt für Yannik?«, frage ich.

»Ich mag ihn nicht. Aber das heißt doch nicht automatisch, dass ich ihn auf diesem Billigfußboden verrecken lassen würde.« Lana schaut mich empört an. Ich kann sie auch nach mehreren Wochen noch nicht richtig einschätzen. Meistens ist sie die Oberflächlichkeit in Person, und wenn Arroganz einen menschlichen Namen tragen würde, wäre es mit Sicherheit ihrer. Aber es gibt auch Momente, da sagt sie Dinge, die mich daran erinnern, dass sie irgendwo auch nur ein Mädchen mit Herz und Gefühlen ist. Und so sehr ich sie manchmal einfach nur durchschütteln möchte, umarmen möchte ich sie mindestens genauso oft.

»Ich hab eine Idee«, verkünde ich, während ich Yannik verstohlen musterte. Mit geschlossenen Augen und entspanntem Gesicht, sieht er gar nicht so verwegen aus. Seine wilden Haare stehen querbeet in alle Richtungen ab und umrahmen seinen Kopf wie ein Heiligenschein.

»Warte hier!« Ich springe auf, meine Knie knacken und ich verziehe das Gesicht, jogge aber trotzdem hastig und schnellen Schrittes in den Flur. »Ach und, wehe du schlägst ihn noch einmal!«, rufe ich, als ich die Küche erreicht habe und hoffe, dass Lana mich trotz der lauten Musik gehört hat, sonst wacht Yannik morgen mit einem windelweich geprügelten Gesicht auf.

Eilig suche ich den Raum nach einer Wasserflasche ab. Doch ich werde nicht fündig. Es gibt die verschiedensten alkoholischen Getränke, alles, wirklich alles ist vertreten, nur kein Mineralwasser. Letztendlich schnappe ich mir einfach eine leere Plastikflasche, fülle sie mit Leitungswasser und renne zurück ins Wohnzimmer.

Zu meiner großen Erleichterung schlägt Lana nicht mehr auf Yannik ein. Ich habe mich eigentlich schon mental darauf vorbereitet, sie von ihm runterzerren zu müssen, damit sie ihm kein blaues Auge verpasst.

»Lana!« Sie dreht sich sofort zu mir um und ich werfe ihr die Flasche zu, welche sie gekonnt auffängt. Wenn sie etwas kann, dann ist es fangen. Wie sie uns neulich erst stolz erzählt hat, hat sie jahrelang Handball gespielt. Darum kann ich mir auch gut vorstellen, dass es ganz schön zwiebelt, von ihr geohrfeigt zu werden.

Sie durchschaut meinen Plan ziemlich schnell und schüttet Yannik ein Viertel des Flascheninhaltes ins Gesicht. Das scheint Wirkung zu zeigen. Beinahe augenblicklich schlägt er die Augen auf.

Ich knie mich neben ihn, hebe seinen glühenden Kopf an und sage streng: »Trink!«

Er hat kaum eine Wahl, als Lana ihm die Flasche an den Mund hält. Artig beginnt er, das Wasser zu leeren. Wahrscheinlich ist er einfach zu benommen, um sich zu wehren.

»Wir müssen ihn nach Hause bringen«, sage ich nach einer Weile, in der wir ihm still dabei zugesehen haben, wie er widerstandslos das Wasser geext hat. Zwischendurch frage ich mich, ob er überhaupt schluckt, so schnell, wie er trinkt.

Lana seufzt theatralisch. »Mist. Meine Mutter wartet auf mich.« Mit gerümpfter Nase wirft sie einen kritischen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich wollte eigentlich vor einer halben Stunde zu Hause sein.«

»Kein Problem«, entgegne ich schulterzuckend. »Ich kriege das auch alleine hin.«

»Bist du dir sicher? Nicht, dass er dich begrapscht, wenn -«

»Yannik ist vieles«, unterbreche ich sie. Komisch. Launisch. Schlecht für Livi. »Aber mit Sicherheit kein Grapscher.«

»Und woher willst du das wissen?«

Ich erinnere mich an unser Gespräch auf dem Hof vor der Hochschule, und an unser zufälliges Treffen im Hochschulcafé. Es war nicht viel los, wir waren quasi alleine. »Würde er mich belästigen wollen, hätte er das längst getan. Er hatte bereits die Gelegenheit dazu.«

Lana durchbohrt mich mit einem misstrauischen Blick. Doch zu meiner Erleichterung stellt sie mir keine weiteren Fragen, sondern schaut mit Sorgenfalten auf der Stirn auf ihr Handy. »Okay. Aber schreib mir, wenn du zu Hause angekommen bist. Wenn irgendetwas ist, ruf mich an. Weißt du, wie du dich selbst verteidigen kannst? Ich hatte da mal so einen Kurs. Wenn du möchtest -«

Bitte nicht!

»Ich habe Sport im Ausland studiert und zahlreiche Jiu Jitsu Kurse absolviert, Lana. Ich komme klar.«

Sie öffnet den Mund um etwas zu erwidern, wird allerdings von ihrem klingelnden Handy unterbrochen. »Wenn man vom Teufel spricht. Das ist meine Mutter.« Unsicher schaut sie zwischen Yannik und mir hin und her. Dann scheint ihr eine Idee zu kommen. »Lennart müsste hier noch irgendwo sein. Wenn es Schwierigkeiten gibt, hol ihn dazu!«

Ich nicke brav. »Ai Ai Kapitän. Und jetzt sieh zu, dass du hier wegkommst, sonst stellt deine Mutter nachher noch eine Vermisstenanzeige!«

Lana verdreht die Augen, springt zu meiner Erleichterung jedoch endlich auf und läuft zur Haustür. Dort angekommen, dreht sie sich noch einmal zu mir um, formt mit ihrer Hand ein ruf-mich-an-Zeichen und zieht keine Minute später die Tür hinter sich zu.

Ich fahre mir durch die Haare und widme mich wieder Yannik. Augenblicklich zucke ich zusammen, denn er sieht mich bereits an. Offenbar haben ihn der Liter Wasser und die Zeit etwas ausgenüchtert.

»Du kanns' Jiu Jitsu?«, lallt er begeistert.

Ich schüttele den Kopf. »Das war gelogen.«

Ein freches Grinsen schleicht sich auf seine Lippen.

»Kannst du aufstehen? Ich bringe dich nach Hause.« Hilfsbereit und fest entschlossen, das auch ohne Lennart zu schaffen, halte ich ihm meine Hand hin.

Seit wir auf Johnnys Hausparty im Streit auseinander gegangen sind und er mit Livi Schluss gemacht hat, haben wir kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt. Hat er überhaupt Schluss gemacht? Die beiden waren meines Wissens nach nicht einmal richtig zusammen. Erst jetzt fällt mir auf, wie wenig ich über das weiß, was zwischen ihnen lief. Und trotzdem habe ich mich eingemischt.

»Ich will aber nich' nach Hause«, entgegnet er zu meinem Leidwesen und schneidet eine Grimasse.

Ich meine, mich daran erinnern zu können, dass er irgendwann im Laufe des Abends behauptet hat, in der Nähe zu wohnen. »Wir gehen zu dir. Ende der Diskussion.«

Er verdreht die Augen und greift nach meiner Hand. »Wenn's sein muss.«

Nach zwei gescheiterten Versuchen schafft er es, aufzustehen und wenige Minuten später schlendern wir dicht nebeneinander durch die Stille der Nacht.

Yannik meckert, wenn er betrunken ist. Und als ich mir flink seinen Arm schnappe und ihn mir um die Schultern lege, um ihn stützen zu können, meckert er noch mehr. Aber das ist mir egal.

Es ist kalt.

Es ist spät.

Ich bin müde und er gehört ins Bett. Da dulde ich keine Widerrede.

»Deine Haare sind fast genauso rot wie deine Lippen«, stellt er fest, als wir ein paar Meter gelaufen sind.

»Und du bist fast genauso dicht wie der weiße Fugenschaum zwischen meinen Badezimmerfliesen«, entgegne ich trocken.

»Egal wie dicht ich bin, Göthe war dichter.«

Ich seufze.

Yannik lacht.

Ich weiß selbst nicht so genau, wieso ich ihm helfe. Schließlich hat unser letztes Gespräch in einem handfesten Streit geendet. Und dann hat er mit Livi Schluss gemacht. Außerdem fühle ich mich in seiner Gegenwart oft unwohl. Wie vor ein paar Wochen, im Hochschulcafé zum Beispiel. Im Prinzip unterscheidet er sich kaum von Jascha. Auch er sendet mir gemischte Signale. Mal wirkt er lustig und aufgeschlossen, mal habe ich das Gefühl, er will überhaupt nichts mit mir zutun haben. Und vielleicht ist genau das der Grund, wieso ich ihn nun nach Hause bringe. Mich interessiert irgendwie, was er nach unserem letzten Streit über mich denkt. Ob er sauer auf mich ist? Fühlt sich nicht so an. Die Stimmung zwischen uns ist ... locker. Liegt vielleicht am Alkohol. Aber wenn ich so darüber nachdenke ... wann immer wir uns gestritten haben - am nächsten Tag war es meist schon wieder vergessen. So, als hätte es die hitzigen Diskussionen zwischen uns nie gegeben.

Und es sieht ganz danach aus, als wäre der heutige Tag keine Ausnahme. Auch diesmal führen wir eine völlig normale Unterhaltung, obwohl wir vor einiger Zeit im Streit auseinandergegangen sind. Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder, Yannik ist nicht nachtragend, oder ich bin es ihm nicht wert, sich aufzuregen.

Wir biegen in eine Straße ein, in der es keine Laternen gibt. Es ist so dunkel, dass ich sein Gesicht nicht erkennen könnte, selbst wenn ich es versuchen würde. Der Mond scheint schwach auf uns herab und ich bin froh, dass ich einigermaßen einschätzen kann, wo ich hintrete.

»Warum haste eigentlich so wenig Selbstbewusstsein?«, reißt er mich aus meinen Gedanken.

Ich zucke mit den Schultern. Woher weiß er das? »Merkt man mir das so sehr an?«

Er schüttelt den Kopf, wobei mich einige seiner dunkelblonden Haare an der Wange kitzeln. »Du willst nich', dass ich mit Livi abhänge, weil ich saufe ... und rauche ... und in den Tag hineinlebe. Weil es für mich kein Morgen gibt, nur das jetzt ... nur das hier. Weil ich nich' plane und mich für niemanden interessiere. Weil ich nie etwas zurückgeben könnte. So isses doch, Soraya, oder?«

»Raya«, verbessere ich ihn automatisch.

»Du denkst, dass Livi etwas Besseres verdient hat. Aber was is' mit dir? Haste nich' auch etwas Besseres verdient?«

»Ich will nichts von dir. Also kannst du mir auch nicht wehtun.«

Eine Weile ist alles, was ich höre, die Kieselsteine auf der Straße, die unter unseren Sohlen knirschen und mein klopfendes Herz, bevor Yannik spricht: »Ich wäre mir da nich' so sicher.«

Empört schnappe ich nach Luft und öffne den Mund, um ihm zu widersprechen, doch er ist schneller als ich. »Dass ich dich nich' verletzen werde, meine ich.«

Vor einigen Sekunden noch gab es so viel, das ich sagen wollte, jetzt ist mein Kopf wie leergefegt. Stumm sehe ich ihn an, seine Silhouette in der Dunkelheit.

Auch Yannik ist jetzt still, und eigentlich ist das auch gut so.

»Warum haste vorhin nicht getrunken?«, fragt er nach einer Weile, in der wir bloß schweigend nebeneinander hergelaufen sind und unseren eigenen Gedanken nachgehangen haben. Ich unterdrücke einen Seufzer. Das Thema musste ja kommen.

Ich weiß genau, auf welche Situation er sich bezieht. »Weiß nicht.«

Er nickt, aber ich kann ihm ansehen, dass er mir nicht glaubt.

»Du hast getrunken, oder?«, hake ich vorsichtig nach, während sich mein schlechtes Gewissen erneut bemerkbar macht.

Er zuckt mit den Schultern.

»Wenn du Livi wirklich magst, dann lass sie das wissen«, sage ich versöhnlich. »Was ich neulich im Wohnzimmer zu dir gesagt habe tut mir leid. Ich mache mir Sorgen um sie. Aber ich möchte nicht der Grund für zwei gebrochene Herzen sein.«

Ich kann seinen erstaunten Blick auf mir spüren. »Okay.«

Danach ist es wieder still. Ich fühle mich gut. Erleichtert, irgendwie. Ich habe mich mit Yannik vertragen. Glaube ich. Zumindest habe ich ihm ein Friedensangebot gemacht, indem ich ihm mein Einverständnis für eine Beziehung mit Livi gegeben habe. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Irgendwie klingt das total bescheuert. So, als wäre ich seine Mutter. Oh Mann. In den letzten Wochen habe ich mich wie eine aufgeblasene Pute verhalten, dabei wollte ich bloß das Beste für Livi!

»Meintest du nicht, du würdest in der Nähe wohnen?«, frage ich, nachdem wir zwanzig Minuten in eiserner Stille gelaufen sind und der frische Wind meine Nase eingefroren hat.

»Ja«, entgegnet er.

»Eine halbe Stunde Fußweg ist nicht nah«, beschwere ich mich. Meine Füße tun weh und meine Schultern ebenfalls, weil ich ihn noch immer Stütze, während wir laufen.

»Eigentlich ist es ein Fußweg von fünf Minuten.«

Entsetzt bleibe ich stehen. »Eigentlich?«

»Mal angenommen, wir würden seit einer halben Stunde immer und immer wieder an meiner Wohnung vorbeilaufen. Würde dich das sehr stören?«

Weil es so verdammt dunkel ist, kann Yannik nicht sehen, wie finster ich ihn anschaue. »Ich schleppe dich also völlig umsonst kilometerweit mit mir herum?«

Schweigen.

»Mal angenommen, ich würde dich kastrieren, während du schläfst. Würde dich das stören?«, erkundige ich mich zuckersüß, aber mit leicht bebender Stimme.

»Ich hab dir doch gesagt, dass ich nich' nach Hause will«, nuschelt er gegen meine Schulter und klingt inzwischen deutlich klarer, als vor einer Stunde noch, auf der Hausparty.

»Und ich habe dir gesagt, dass wir darüber nicht diskutieren.« Ich lasse ihn los und stemme meine Hände in die Hüften, woraufhin er ein wenig taumelt, sich aber schnell fängt und schließlich neben mir stehenbleibt.

»Ein bisschen frische Luft hat noch niemandem geschadet.«

»Du, Yannik Schreiber.« Ich tippe ihm forsch auf die Brust. »Schuldest mir etwas!«

Ein kehliges Lachen entfährt ihm. »Das hättest du wohl gerne, nicht-Soraya!«

A/N: Seid ihr eigentlich #teamjascha oder #teamyannik ?

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