Magnus und der Geschmack bitterer Eifersucht
"Entschuldige. Ich hoffe, du hast nicht zu lange gewartet." Alexander ist wieder zurück und holt mich aus den wirbelnden Gedanken ob und mit wem er bereits hier auf einem Date war und ob er wirklich noch immer mit mir zusammen hier sein möchte. "Nein. Du warst nicht lange weg", antworte ich lächelnd und sehe wie er sich merklich entspannt. Seine rechte Hand ergreift meine linke und es fühlt sich an, als hätten wir nie etwas anderes getan. Vertraut, sicher, geborgen.
"Erzählst du mir etwas über dich?", fragt er und bevor ich meine Fragen mit passenden Antworten kombinieren kann, spricht er einfach weiter.
"Oder soll ich anfangen? Ich habe das ewig nicht mehr gemacht." Damit wäre eine der vielen Fragen beantwortet. Zumindest zum Teil.
"Magnus, ist alles okay? Fühlst du dich nicht gut?", erkundigt sich Alexander besorgt. Vor lauter Überraschung über soviel Fürsorge habe ich vergessen was ich sagen wollte.
"Du fühlst dich unwohl. Habe ich recht? Möchtest du gehen?" Hastig schüttele ich meinen Kopf. Nein, ich möchte nicht gehen. Ich frage mich nur, warum dieser schleimige Kellner so offensichtlich mit Alexander flirtet und er nichts dazu sagt. Oder woher er seine Vorlieben beim Essen kennt. Und warum ich meine scheiß Nervosität und Unsicherheit nicht in den Griff bekomme.
"Lässt du mich an deinen Gedanken teilhaben?", fragt er sanft und streicht beruhigend über meinen Handrücken. Es funktioniert, meine wirren Gedanken kommen zum Stehen und mit fester Stimme stelle ich die drängende Frage.
"Du scheinst den Kellner gut zu kennen. Hast du ihn auch gedatet?"
"Was? Ja. Nein. Ich komme öfter her, weil es im 'Temple' einfach die besten Steaks in ganz New York gibt. Ach was rede ich da? Im ganzen Land. Ich habe Sebastian außerdem ein paar Mal im Pandemonium getroffen. Ein Schwulenclub", rechtfertigt er sich und seine Augen glänzen vor Begeisterung. Wenn ich Fleisch essen würde, wäre das hier sicherlich der Traum meiner schlaflosen Nächte. Die Gäste um uns herum sehen alle sehr zufrieden aus.
"Entschuldige. Aber er ist mir unsympathisch", antworte ich ehrlich. "Er verhält sich nicht gerade professionell. Seine Flirtversuche sind kaum zu übersehen. Gedanklich hat er dich doch bereits in seinem Bett. Oder auf dem Mitarbeiterklo", plappere ich einfach drauf los. Ich fühle mich unwohl. Nicht nur wegen dem Kellner, auch die Blicke der anderen Gäste sind mir nicht entgangen. Dieses Restaurant ist zu nobel für meinen schlichten Kleiderschrank. Selbst Alexander ist besser gekleidet als ich. So underdressed und fehl am Platz habe ich mich lange nicht gefühlt. Auch die Tatsache, dass zwei Männer händchenhaltend in einem Restaurant zwischen dutzenden Heterosexuellen Paaren sitzt, bringt mich leicht ins schwitzen. 'Es ist okay. Niemand verachtet dich' flüstert die Stimme in meinem Kopf. Ich weiß, dass es in Amerika nicht verboten ist einen Mann öffentlich zu lieben. Aber für mich, ist das noch immer nicht vollständig greifbar. Keine Angst haben zu müssen, keine Schatten der Leidenschaft die mit ihren scharfen Krallen die Seele zerfleischen. Es bringt nichts darüber zu grübeln. Ich bin hier, in einer Stadt wo es den meisten Leuten egal ist wen ich liebe.
"Was möchtest du wissen?", frage ich und Alexander trägt wieder dieses umwerfende schiefe Lächeln. Es ist einfach mega heiß.
"Bist du eifersüchtig?", fragt er schmunzelnd und ich schnaube augenverdrehend.
"Du bist eifersüchtig." Eine Feststellung, keine Frage. Er hat Recht. Ich bin eifersüchtig. Auf den Kellner.
"Ich bin nicht eifersüchtig. Du kannst Daten wen du willst. Also. Was möchtest du hören? Die schmutzigen Details meiner Vergangenheit? Oder den langweiligen Ablauf meiner Morgenroutine?", erwidere ich beiläufig.
"Egal. Was du möchtest. Hauptsache ich kann deiner Stimme lauschen." Ich räuspere mich und fange einfach an wild drauf los zu erzählen. Das lenkt mich von dem Gedanken ab, dass es ihm egal ist was ich sage, solange ich etwas sage. Das lässt mein Herz ein paar Takte schneller schlagen, der Marathon findet kein Ende.
"Naja, soviel gibt es da nicht zu erzählen. Wie ich heiße weißt du bereits. Ich bin 22 und studiere Fotografie. Das ist aber nur möglich, weil ich ein Stipendium habe. Meine Eltern leben in Indonesien. Jakarta, da bin ich geboren und aufgewachsen. Sie sind mächtig stolz auf ihren Sohn der in Amerika studiert. Naja, ich gebe mein Bestes das sie auch weiterhin stolz auf mich sind."
Alexanders Blick liegt die ganze Zeit auf mir, nicht einmal unterbricht er den Blickkontakt. Auch dann nicht als der Kellner zurück an unseren Tisch kommt und köstlich duftendes Brot mit verschiedenen Dips bereit stellt. Und wieder sind da diese lüsternen Blicke und ein zufälliges Streifen seiner Finger über fremde Haut. Die Signale könnten nicht eindeutiger sein und ich muss mich zwingen ruhig zu atmen.
Das alles lässt Alexander absolut kalt, seine Hand hält die meine und ich würde den Kellner am liebsten erdolchen. Doch dann wäre dieser Abend schneller vorbei als mir lieb ist. Ich würde im amerikanischen Staatsgefängnis verrotten und auf meine Abschiebung warten, während Alexander mit einem anderen Kerl Steaks isst und Wein trinkt. Seine wunderschöne tiefe Stimme holt mich aus den wirbelnden Gedanken und das imaginäre Messer in meiner Hand gleitet zurück in seine Scheide.
"Tauscht du das Speck-Zwiebel-Brot bitte gegen ein anderes aus?", fragt Alexander höflich den Kellner und dieser ist sichtlich irritiert.
"Warum? Du isst es doch so gerne. Raphael lässt es extra für dich backen wenn du kommst", höre ich den Schmierlappen sagen. Ich kann nicht anders als ihn fassungslos anzustarren. Auch wenn Alexander öfter Gast in diesem Hause ist und sein Schwager anscheinend hier arbeitet, so ist er eben dieses. Ein Gast. Ein zahlender Gast. Und ist der Gast nicht König? Er ist sehr unhöflich seinen Gästen gegenüber. Solch ein Verhalten bin ich nicht gewohnt. In Indonesien behandeln wir alle Menschen mit dem nötigen Respekt.
"Ja das stimmt auch. Aber Magnus ist Vegetarier. Und ich möchte ungern, dass er auf die verschiedenen Dips verzichten muss. Die Portion Weißbrot reicht nicht um alles probieren zu können", antwortet er und die Gesichtszüge des schmierigen Kellners sagen mehr als tausend Worte. Er hasst mich. Aber nichts könnte mir gerade egaler sein. Viel zu sehr bin ich von den Antworten Alexanders gefangen. Er verzichtet mir zuliebe auf sein Lieblingsbrot.
"Ist schon okay. Du musst nic..."
"Doch. Sebastian tauscht das Brot. Oder muss ich erst Raphael darum bitten?", sagt er eindringlich und die Tonlage seiner Stimme lässt keine Widerworte zu. Fuck macht mich das an. Seine autoritäre Art, die angespannte Körperhaltung, das Blitzen seiner blauen Iriden. Ich stehe auf den dominanten Typ Mann. Bevor ich das Stipendium bekam lag ich oft in meinem Zimmer und lauschte den Geräuschen der Stadt. Unsere Nachbarn haben ein erfüllendes Sexleben und mehr als einmal ertappte ich mich dabei, wie die Eifersucht auf die Frau meines Nachbarn überkochte. Ich wusste immer wie der Mann meiner Träume sein soll. Groß, muskulös, dunkles Haar und schöne Augen. Lippen zum Küssen und starke Hände die mich geborgen halten. Ein Mann mit beiden Beinen mitten im Leben. Welcher mich führt und leitet, mir das Hirn heraus vögelt und mit allen Sinnen liebt.
Ich kann mir nicht erklären woher dieser Gedanke kommt, aber ich bin mir sicher, in Alexander diesen Mann gefunden zu haben. Manchmal genügt ein Blick oder ein Wort und das Herz weiß wo es Zuhause ist.
"Nicht nötig. Ich bringe dir neues Brot", sagt der Schmierlappen von Kellner und verlässt schnellen Schrittes unseren Tisch. Noch immer laufen in meinem Kopf diverse Bilder Amok, doch ich dränge sie zurück in die hinterste Ecke meines Verstandes. Nicht jetzt. Nicht hier.
"Vermisst du deine Heimat?", fragt Alexander. Ich nicke und denke unweigerlich an meine Eltern, die nicht mehr die Jüngsten sind und auch wenn meine Mutter regelmäßig beteuert wie sehr sie sich für mich freuen, so höre ich deutlich den vermissenden Unterton heraus.
"Ich habe meine Eltern seit zwei Jahren nicht gesehen. Ich vermisse sie und das immer warme Wetter. Der Winter in Amerika gehört nicht zu meinen liebsten Jahreszeiten. Den Herbst finde ich toll. Wenn sich die Blätter in allen möglichen Rottönen färben und ein leichter Wind durch die Haare weht. Das mag ich", antworte ich verträumt.
"Feuchte Nässe, Nieselregen und Nebel?", fragt er ungläubig. Ich nicke. Auch das mag ich.
"Ja irgendwie schon. Ich freute mich auf den Winter. Endlich Schnee. Aber dann stellte ich fest, dass es nicht so mein Ding ist. Es war viel zu kalt und ständig hatte ich durchnässte Schuhe und steifgefrorene Finger. Hast du schon mal versucht so zu fotografieren?" Alexander lacht aus ganzem Herzen über den Anblick meiner verbogenen Finger und ich kann nicht leugnen, dass es mir ausgesprochen gut gefällt. Auch ich steige in sein Lachen mit ein und als wir uns beruhigen, wird er plötzlich wieder ernst.
"Ich liebe den Winter. Meine Schwester und ich sind immer auf dem See hinter unserem Haus Schlittschuhlaufen gewesen. Das war toll. Auch wenn Dad immer fast einen Herzinfarkt bekam wenn er sah, dass wir alleine und ohne die Aufsicht eines Erwachsenen auf dem Eis waren. Wir nannten diese Zeit immer Winterwunderland und waren so glücklich. Ich stamme nicht aus New York. Wir haben in Alicante gelebt. Ein kleines verschlafenes Nest mit einer Kirche, einer High-School und das Kino war der Treffpunkt für die Kinder meiner Zeit. Das Diner am Rande der Stadt gehörte meinem Onkel und nach seinem Tod erbte es Dad. Er verkaufte es und von dem Geld bezahlte er meine Arztrechnungen."
Plötzlich schweigt er. Ein Schatten Traurigkeit huscht über sein Gesicht, verhärtet die weichen Gesichtszüge. Alexander löst unsere ineinander verschränkte Hand und fährt sich nervös durch die Haare. Kommentarlos stellt der Kellner weiteres Brot auf den Tisch und ich bedanke mich leise. Alexander ist still und schweigt noch immer. Er scheint über etwas nachzudenken.
"Alexander? Ist alles okay?", frage ich zaghaft.
"Ich mag es wenn du meinen Namen sagst", antwortet er und seine Traurigkeit macht Platz für ein weiteres verschmitztes Lächeln.
"Warum auch nicht? Das ist dein Name." Ich bin etwas irritiert und verstehe nicht was ihn daran so begeistert. Gleichzeitig greifen wir nach dem Brot und als unsere Fingerspitzen sich berühren, durchfährt mich ein elektrisierender Schlag. Er scheint es auch zu spüren, seine Augen tragen dieses aufgeregte Funkeln welches ich im Central Park bereits bewundern durfte.
"Kaum einer nennt mich Alexander. Alle sagen Alec. Das war schon immer so."
"Warum?", frage ich interessiert und verstreiche eine köstlich aussehende mintgrüne Creme auf dem herrlich duftenden Brot.
"Meine Schwester hatte so ihre Probleme mit den vielen Buchstaben. Also kürzte sie einfach Alexander in Alex und daraus wurde dann Alec." Verstehend nicke ich und beiße in das Brot um sogleich darauf genießerisch zu stöhnen. Der Dip schmeckt göttlich, mit geschlossenen Augen koste ich die verschiedenen Phasen des Geschmackserlebnisses. Cremiger Joghurt vermischt mit frischem Basilikum, vollmundig herb im Geschmack und die frische Note eines Spritzer Limettensaft rundet das perfekte Bild ab. Als ich meine Augen öffne, blicke ich in das erhitzte Gesicht von Alexander. Die Wangen schimmern zartrosa, seine Augen sind verdunkelt, er leckt sich über die Lippen und greift viel zu hastig nach dem Wasserglas. Ein kleiner Stupser genügt um das Glas gefährlich ins Wanken zu bringen. Gerade so verhindert er, dass durch die ruckartige Bewegung ein Schwall Wasser auf das blütenreine Tischtuch schwappt. Erleichtert atme ich aus und bedanke mich innerlich, dass es nicht der blutrote teure Wein gewesen ist.
"Das schmeckt hervorragend", sage ich und deute auf das kleine Schälchen direkt vor uns.
"Hmhm", murmelt Alexander in sein Wasserglas und ich habe das Gefühl etwas Entscheidendes verpasst zu haben.
"Probiere mal den hier", sagt er und seine Stimme zittert leicht.
"Tomate mit Pinienkernen. Ein Traum."
Wenn wir so weiter machen, dann bin ich satt bevor der Hauptgang serviert wird. Die fruchtige Säure der Tomate harmonisiert wunderbar mit dem reinen und leichten Aroma der Pinienkerne. Mandelartige Süße mit einer Spur von scharfem Cayenne-Pfeffer und eindeutig Knoblauch.
"Bei wem muss ich mich für diese Geschmacksexplosion bedanken?", frage ich sichtlich begeistert und sehe Alexander entspannt Lächeln.
"Bei meinem Schwager Raphael. Es ist ein Familienrezept und zu Beginn wollte er es nicht mit der Welt teilen. Aber meine Schwester kann sehr überzeugend sein", erwidert Alexander und zwinkert mir verschwörerisch zu.
Der Kellner ist wieder da, rückt Gläser, Besteck und Servietten zurecht, wechselt die leere Flasche Wasser gegen eine neue. Währenddessen schweigen wir. Es ist nicht so das wir uns nichts zu sagen haben. Allerdings gibt es die stumme Übereinkunft, dass die Inhalte unserer Gespräche nicht für die Ohren des Kellners bestimmt sind. Nachdem der Kellner sein lauscherisches Treiben vollendet hat, ist es Alexander der zuerst das Wort ergreift. Ich schaue dem Kellner mit blitzend zornigen Augen hinterher.
"Ich freue mich das du hier bist. Mit mir", sagt Alexander und greift nach dem langen Stiel des Weinglases. Ich tue es ihm gleich, das helle Klirren zusammenprallenden Glases ertönt, die tiefdunkle rote Flüssigkeit wabert in dem bauchigen Gefäß umher. Wie sanfte Wellen aus einem Ozean vollmundiger Trauben. Fruchtige Säure umschmeichelt meinen Gaumen, angenehm weich und nicht bitter. Ich trinke nicht oft Alkohol, der Schleier aus Vergessen und kurzweiligem Hochgefühl gehört eher zu den unliebsamen Erinnerungen. Ich möchte diesen Abend vollends erleben. Mit allen Sinnen und bei klarem Verstand.
"Ich freue mich auch, dass deine Schwester mich praktisch in deine Arme geschubst hat", sage ich kichernd.
"Ja. Das ist Izzys Spezialität. Ich nenne sie auch gerne Dr Love. Auch wenn ich derjenige von uns beiden mit dem Doktortitel bin. Meine kleine Schwester hat den Anstoß für die eine oder andere glückliche Beziehung gegeben. Hochzeit nicht ausgeschlossen. Und ohne Izzy und ihren feinfühligen Liebesantennen, wäre Charlie nicht geboren worden."
"Ich traue mich kaum zu fragen. Aber ist sie dein Kind? Hattest du mal etwas mit ihrer Mum?" Diese Frage beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Und auch wenn mein Herz vor Aufregung über die Antwort unnatürlich schnell schlägt, muss ich es wissen. Früh habe ich für mich entschieden, dass ich keine Kinder möchte. Zumindest keine mit einer Frau und in ärmlichen Verhältnissen im Haus meiner Eltern.
"Was? Nein. Oh Gott Magnus wie kommst du darauf? Ich bin schwul. Schon immer. Ich hatte nie was mit Frauen. Charlie ist meine Patentochter. Ich liebe sie wie mein eigenes Kind. Aber ich will nicht ihren Vater ersetzen. Das könnte ich auch gar nicht", rechtfertigt er sich.
"Naja, anscheinend mag sie dich lieber als ihn. Ich habe jedes Mal dich an ihrer Seite gesehen. Der Vater macht sich anscheinend ziemlich rar." Alexanders Ausdruck verändert sich. Dunkle Schatten verfinstern sein Gesicht, die Augen matt und seelenlos. Die Farbe seiner Haut ist die gleiche wie der Schnee, welcher vor dem Fenster des Restaurants in dicken Flocken auf die Erde rieselt.
"Jace. Sein Name war Jace und er war mein bester Freund. Er starb vor zwei Jahren im Kampfeinsatz."
Shit.
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