Neues zu Hause
Ich erinnerte mich noch an den Tag, als die schwarze Limousine kam um mich abzuholen. Es regnete und ich stand vor der Eingangstür des Kinderheims in dem ich seit einiger Zeit lebte. Ich konnte nicht genau sagen wie lange ich dort war. Mit gerade mal vier Jahren war ich verängstigt und hielt die Hand meiner Betreuerin ganz fest, als der große edel gekleidete Mann aus dem hinteren Teil des Wagens ausstieg und auf mich zu lief. Er begrüßte meine Betreuerin deren Name mir nicht mehr einfiel und kniete sich dann vor mich um mich genauer anzusehen. Sein Lächeln war als würde er mich kennen, doch ich kann mich nicht daran erinnern diesen Mann jemals zuvor gesehen zu haben.
„Hallo Grace. Mein Name ist Alexander Evans Du musst keine Angst haben. Wir kümmern uns gut um dich" sagte er so sanft wie es ihm mit dieser rauen tiefen Stimme möglich war. Kurz sah ich zum Auto rüber hinter dessen getönten Scheiben ich die Silhouette einer Frau sehen konnte, die bei dem schlechten Wetter wohl nicht aussteigen wollte. Ich konnte nichts sagen, oder wollte nichts sagen. Seit ich die Türschwelle des Kinderheims das erste Mal betreten hatte, hatte ich kein einziges Wort mehr gesagt. Der große Mann wollte nach meiner Hand greifen, als meine Betreuerin mich nochmal ein Stück nach hinten zog.
„Da wären noch ein paar Dinge die ich mit ihnen besprechen muss" an das Gespräch das darauf folgte erinnerte ich mich nicht mehr. Es war als wollte mein Gehirn nicht an meine Vergangenheit denken und sie lieber verdrängen. Ich wusste nur, dass er nach diesem Gespräch meine Hand nahm und mit mir zusammen zum Auto lief.
Nur mit meinem Rucksack auf den Schultern stieg ich in das edle Auto, wo eine Frau saß die sich über mich zu freuen schien.
„Grace es ist so schön dich wieder zu sehen. Wir hätten dich öfter besucht, wenn wir nicht so weit weg wohnen würden. Ich bin Emma, deine Mutter" begrüßte mich die Frau mit den schönen Haaren und dem Knöchellangem Kleid. Ich nickte nur und umklammerte meinen Rucksack in dem sich nur wenige Klamotten, mein Plüschtier und die alte Fotokamera meiner Oma befand, die sie mir geschenkt hatte kurz bevor sie mich in dieses Heim gebracht hatte.
Während der ewig andauernden Autofahrt, welche die Besuche begründet hatten die so selten stattfanden, dass ich mich nicht mehr daran erinnert konnte, fuhren wir auf einen großen Hof, wo wir vor einem großen Haus, mit beigen gemauerten Wänden stehen blieben. Mit großen Augen starrte ich die großen schwarzen Fenster und die noch größere Schwarze Eingangstür an. So ein schönes Haus hatte ich noch nie gesehen. Nicht einmal von weitem. Der große Mann machte mir die Tür auf und ich folgte ihm vorsichtig die schmalen grauen Steinstufen zur Haustür hinauf.
„Willkommen in deinem neuen zu Hause Grace" sagte er und machte die Tür auf.
Das Haus war riesig und ich war sowohl beeindruckt als auch eingeschüchtert. Meine neuen Pflegeeltern tauschten nachdenkliche Blicke, als hätten sie eine erfreulichere Reaktion von mir erwartet. Doch ich war müde und hungrig, was mein knurrender Magen und das Gähnen welches ich nicht unterdrücken konnte verrieten.
„Du bekommst jetzt erstmal was zu essen, dann zeige ich dir dein Zimmer" schlug die nette Frau vor und brachte mich in die Küche.
In der schönen großen Küche wartete noch eine Frau auf uns die gerade Teller aus einem Schrank holte.
„Das ist Emily. Unser Hausmädchen. Wenn du irgendwas brauchst und wir sind gerade nicht da, kannst du jederzeit zu ihr gehen" wieder nickte ich nur. Das Hausmädchen schien nett zu sein, jedenfalls lächelte sie mich an.
Kurz darauf saßen wir an einem großen Tisch, der so hoch war, dass ich Schwierigkeiten hatte darüber hinwegzusehen.
„Daran haben wir gar nicht gedacht. Emily! Bringen sie Grace bitte eine Sitz Erhöhung!" rief die Frau.
„Ja Madam!" hörte ich von weitem und das Hausmädchen kam mit dem Sitz zurück auf dem ich bereits im Auto gesessen hatte. Endlich konnte ich das Essen vor mir begutachten. Es roch lecker und es war warm. Ich verschlang es, als hätte ich seit tagen nichts richtiges mehr zu essen bekommen.
„Die ärmste" hörte ich die Frau leise sagen.
„Sie hat viel durchgemacht... das wird nicht einfach" betonte der große Mann.
„Wir bekommen das hin, da bin ich mir sicher" ich konnte mich noch gut an die Zuversicht in ihrem Blick erinnern, doch sie war nicht bei weitem auf das vorbereitet, was auf sie zukam.
Nach dem Essen ging die nette Frau mit mir die Stufen der gebogenen Treppe hinauf wo wir nach einem Gang aus mehreren Türen vor einer bestimmten stehen blieben. Alles sah hier gleich aus und ich wusste das ich den Raum kein zweites Mal alleine finden konnte.
Als sie die Tür zu meinem Kinderzimmer öffnete, erwartete mich dort ein großes schön eingerichtetes Zimmer. Die Möbel waren Weiß und alles andere war in zarten Braun und Rosatönen gehalten. In der Mitte vom Raum hing sogar eine Schaukel von der Decke. Das war der Moment als ich das erste Mal kurz lächelte, was die nette Frau wohl bemerkte und sehr freute. Im vergleich zu diesem Zimmer waren meine vorherigen Zimmer Besenkammern.
„ich lass dich mal ein bisschen den Raum erkunden. Ich sehe später nochmal nach dir" sagte sie und ließ mich alleine.
Noch einige Momente blieb ich regungslos und überfordert in dem großen Raum stehen. Überall waren Spielsachen und der Kleiderschrank war voll mit neuen Klamotten. Eine Tür im hinteren Teil des Zimmers führte in mein eigenes Badezimmer. Das Ganze wirkte nicht real und ich dachte schon in diesen jungen Jahren, dass es sich um einen Traum handeln musste und dass ich jederzeit wieder in dem muffigen Kinderheim mit den undichten Fenstern und der kaputten Heizung aufwachte. Dort musste ich mir ein Zimmer das viel kleiner war als das hier mit drei weiteren Kindern teilen. Und keines dieser Kinder war wirklich nett zu mir. Es war als hätte ich das erste Mal in meinem Leben einen Rückzugsort wo ich für mich ganz alleine war. Zögerlich ging ich auf das Himmelbett zu und legte meinen löchrigen Rucksack darauf, aus dem ich die Kamera meiner Oma herausholte. Ich setzte mich auf das Bett um ein Foto von meinem Zimmer zu machen. Zum Glück hatte sie mir noch erklärt wie sie funktionierte. Es war eine dieser Kameras die die Bilder gleich ausdruckte, jedoch nur in Schwarz-Weiß, doch gerade das gefiel mir so daran.
Als nächstes holte ich mein Plüschtier heraus. Es war ein Hase mit langen Schlappohren und einem Fell das so Fleckig war, dass nichts diese wieder entfernen konnte. Ich traute mich kaum ihn zu den anderen sauberen Kuscheltieren auf dem Bett zu setzen. Noch mehr schämte ich mich allerdings als ich die schmutzige teils kaputte Kleidung herausholte und sie zum Schrank brachte in dem nur schöne und saubere Sachen hingen. Verunsichert blieb ich mit meinen Sachen vor der Schranktür stehen an dem auch ein Spiegel war. Ich war schmutzig, meine Haare zerzaust und meine Kleidung hatte Löcher. Ich passte hier nicht rein, das wusste ich schon damals.
Es klopfte an der Tür und die nette Frau kam wieder zurück.
„Hey kleines" sie hielt inne, als sie sah was ich aus meinem Rucksack geholt hatte.
„Ist das alles was du besitzt?" fragte sie dann. Erneut nickt ich nur und sah auf den mickrigen Kleiderstapel in meinen Händen. Die nette Frau sah sie sich an.
„Die brauchst du nicht mehr. Ich habe dir ganz viele neue Sachen gekauft" sie überlegte.
„Was hältst du davon, wenn ich dir ein Bad einlasse und wir dich mal richtig frisch machen?" sie sah mich erwartungsvoll an. Da ich sie nicht verärgern wollte nickte ich wieder. Sie schien sich zu freuen und verschwand im Badezimmer aus dem kurz darauf das Geräusch von fließendem Wasser kam.
Was dann passierte als ich neugierig ins Bad blickte war etwas völlig Neues für mich. Ich wurde gebadet, von dem hartnäckigen Schmutz befreit den das Kinderheim durch das ständige kalte Wasser nicht von mir weggebracht hatte. Meine zerzausten Haare wurden entwirrt, gekämmt und frisiert und ich bekam saubere, warme Kleidung an die nicht kaputt war.
Als ich mich danach wieder im Spiegel sah, erkannte ich mich nicht wieder. Ich hatte lange glatte schwarze Haare die noch nie so geglänzt hatten wie an diesem Tag und Blaue Augen.
„Du bist ein bezauberndes Mädchen" schwärmte die nette Frau die im Gegensatz zu mir Braune Haare und Grüne Augen hatte. Müde rieb ich mir die Augen.
„Na los, ab ins Bett mit dir" sagte sie fröhlich und zeigte auf das Himmelbett. Zögerlich kletterte ich auf die weiche Matratze und kuschelte mich unter die Warme Decke. Reflexartig griff ich nach meinem Hasen.
„Der Hase hat viel durchgemacht... genau wie du nicht wahr?" ich reagierte nicht auf ihre besorgte Frage. Sie setzte sich auf einen Stuhl neben mich und holte ein Buch hervor.
„Wenn du magst, lese ich dir noch etwas vor" erstaunt sah ich sie an.
Sowas hat man für mich noch nie gemacht.
Sie sah dies als Bestätigung und fing an die Geschichte die passenderweise mit Hasen zutun hatte vorzulesen. Ich konnte mich nie an das Ende der Geschichte erinnern, da ich immer vorher einschlief.
Die ersten Jahre vergingen in denen ich intensiven Unterricht von Privat Lehrern erhielt die mich zu Hause unterrichteten. Es hieß immer wieder das ich durch meine Vergangenheit in meiner Entwicklung verzögert war und das ich viel aufholen musste um noch einigermaßen pünktlich eingeschult zu werden. In England beginnt man schon mit vier Jahren die Schule, doch ich war noch lange nicht soweit. Erst mit sechs Jahren war ich Sprachlich und Mathematisch weitgenug um mit den anderen Schülern in der Schule mithalten zu können. Die Zeit war hart, die Lehrer streng und ich war ein trotziges Kind das einfach nur seine ruhe haben wollte. Oft schrie ich die Privatlehrer, die Lehrer in der Schule und auch meine Pflegeeltern an und verbarrikadierte mich in meinem Zimmer.
„Grace bitte. Die Schule ist wichtig für dich" flehte meine Pflegemutter immer wieder. Ich spürte ihre Verzweiflung. Ich wusste das sie nur das beste für mich wollte, doch ich wollte und konnte sie einfach nicht an mich heranlassen und ich hätte mich selbst an ihrer Stelle schon längst wieder ins Heim zurückgeschickt, so wie es mit so vielen anderen Kindern dort gemacht wurde. Es war mir ein Rätsel wie sie es schon seit zwei Jahren mit mir aushielten.
„Nein! Lass mich! Ich will nicht in die Schule!" schrie ich und vergrub mich unter meiner Decke. Ich hörte wie sie die Tür öffnete und vorsichtig auf das Bett zu kam. Mein ganzer Körper verkrampfte sich und ich war bereit für alles was nun auf mich zukam. Meine Pflegemutter setzte sich an meine Bettkante.
„Hast du Probleme in der Schule?" fragte sie. Ich sagte nichts und rollte mich unter der Decke zusammen. Ich mochte andere Menschen nicht, ich wollte alleine sein. Verzweifelt atmete sie aus.
„Ich habe deinem Vater gesagt das du noch nicht soweit bist" mit diesen Worten verließ sie mein Zimmer wieder und ich war froh das mich nur ein paar enttäuschte Worte erwartet hatte. Für niemanden von uns war das gemeinsame Leben leicht doch das war nichts gegen das was sie während meiner Pubertät erwartete...
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