Türchen 8

Guten Morgen zu früher Stund :)

Manchmal frage ich mich, wie es meinen Charakteren wohl gerade geht. Dann, wenn ich nicht über sie bestimme, sie nicht für meine Ideen brauche :)

Jetzt zum Beispiel. Wie erlebt Louisa die Vorweihnachtszeit? Was macht sie gerade, wie fühlt sie sich?  Naja, ein bisschen etwas habe ich erfahren :)

Bis morgen <3


Heilige Scheiße, Louisa!

Es ist bereits das vierte Geschäft, das ich betrete, ohne auch nur eine Kleinigkeit gekauft zu haben. Großartig. Ich hatte mir den Tag eindeutig entspannter vorgestellt.
Aber die letzten Tage vor Weihnachten sind eingeläutet und in der ganzen Stadt hat sich Hektik breit gemacht, die offenbar auch mich nicht verschont.
„Louisa, Schatz, kommst du?"
Mum.

Sie steht einige Meter weiter und sieht mich auffordernd an. Und ich? Ich stehe vor einem Schaufenster und starre mein Spiegelbild darin an. Abwesend. Wie schon die letzten Wochen.

„Komm schon!", ruft Mum und klingt dabei, als würde sie mit einem Kleinkind sprechen oder einen Hundewelpen rufen. Beifuß! Na komm! Feeeeeein. Ich schlucke. Ich weiß, dass sie es nur gut meint, seit Wochen meint sie es gut. Aus Angst, ich falle auseinander, wenn sie mich wie eine normale 21-Jährige behandelt. Irgendwo verständlich. Es liegt ein verdammt aufwühlendes Jahr hinter uns.

Ich reiße meinen Blick vom Schaufenster und sehe sie an. Es tut mir leid, dass sie sich Sorgen um mich machen musste, nach Dominic und allem, was geschehen war. Eine Mutter leidet wohl immer mit ihrer Tochter. Egal, weshalb. Und genau aus diesem Grund traue ich mich auch nicht, sie darum zu bitten, ihre Fürsorge ein wenig zurückzudrehen. Mich nicht mehr wie eine Neunjährige zu behandeln. Obwohl... ob sie sich dann dieses Jahr zu Weihnachten auch wieder über einen einfachen Gutschein für einmal Müll rausbringen freuen würde? Wenn schon neunjährig, dann eben richtig.

Ich habe sie eingeholt, mit nur wenigen Schritten. Sie sieht mich mit ihrem typischen alles-okay-bei-dir?-Blick an, wobei ich es stur vermeide, in ihre Augen zu schauen.
Bestens, Mum.
Er hat nicht mein gesamtes Leben zerstört. Belassen wir es bei Dreiviertel. Und das, obwohl bereits Zeit vergangen ist. Eigentlich ein guter Grund, ihm während irgendeiner rein zufälligen Begegnung versehentlich mal ein stark alkoholisches Getränk über die Hose zu kippen.
„Hast du denn mittlerweile einen gefunden?", fragt Mum. Was. Noch einen Grund? Oh ja, da gibt es noch-
„Einen Weihnachtswunsch", ergänzt sie unaufgefordert. Oh.
„Nein, ich habe keinen speziellen." Ich lächele sie halbherzig an, während wir weiter durch die Einkaufspassage schlendern. Weihnachtswunsch.

Hätte man mich vor einigen Monaten nach einem Wunsch gefragt, hätte ich wohl mit einfachen Dingen geantwortet: Ein besonderer Duft, ein schönes Kleid, vielleicht Geld. Und jetzt? Seit dem letzten Weihnachten hat sich viel getan, beinahe zu viel. Vielleicht ist mein einziger wirklicher Wunsch dieses Jahr Ruhe. Und ganz offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die davon etwas vertragen könnte. Im letzten Geschäft saß eine Frau weinend inmitten von Duschgel-Geschenkkörben und musste von der Verkäuferin beruhigt werden. Himmelherrgott.

Seufzend sehe ich mich um. Wie vielen Menschen ihr einziger, wahrhaftiger Weihnachtswunsch wohl nicht mit Geld erkauft werden kann? Ich weiß es nicht.
Vielleicht, denke ich mir, sind manche Wünsche dazu gemacht, Wünsche zu bleiben. Vielleicht sind manche Wünsche sogar nur deshalb so besonders, weil sie Wünsche sind. Träume.
Ich beobachte ein paar kleine Kinder, die in einer Reihe vor einem Weihnachtsmann stehen und im Chor ein Gedicht aufsagen. Ob es als Kind leichter ist, glücklich zu sein? Früher habe ich mich gefühlt als könne ich die Welt umarmen, wenn ich die Puppe unter dem Geschenkpapier erblickt habe, die ich mir so sehr gewünscht hatte. Und ich weiß, in diesem Moment war ich bedingungslos glücklich. Heute fühlt es sich manchmal so an, als würde die Welt mich umarmen und dabei ordentlich zudrücken, fest, bis ich Schwierigkeiten habe, zu atmen. Ja, vielleicht wachsen unsere Wünsche mit uns. Bis sie irgendwann nicht mehr so leicht zu erfüllen sind.
„Möchtest du für eine liebe Person einen Weihnachtswunsch verschicken?"

Ich erschrecke fast ein wenig und sehe dann auf das kleine Mädchen vor mir, das erwartungsvoll zu mir hoch sieht. Sie ist verkleidet wie ein Engel und hält eine Box mit leeren Blättern bereit, ein paar Stifte in der anderen Hand.

„Ich schicke ihn dann für dich an den Weihnachtsmann", ergänzt sie stolz und zeigt kurz hinter sich auf eine Box in unweiter Entfernung, die bemalt ist und offensichtlich die aufgeschriebenen Wünsche vieler Menschen beinhaltet. Ich muss lächeln als ich die vielen kleinen Engelchen sehe, die vor mir herumwuseln und Menschen nach ihren Wünschen fragen. Eine schöne Idee, finde ich.

„Sehr gerne sogar." Ich gehe ein wenig in die Knie, sodass wir auf Augenhöhe sind. Die Kleine mir gegenüber strahlt, reicht mir sofort einen Zettel und einen Stift. Es rührt mich, dass ich sie mit meiner Einwilligung so glücklich mache, vielleicht bin ich somit ein Teil davon, dass sie auch nur einen Tag ihres Lebens länger mit einem Strahlen in den Augen durch die Welt geht, überzeugt davon, dass alle Menschen gut sind und niemand auf der Welt ihr etwas wirklich Böses möchte. Ich bemerke plötzlich, dass ich ihr eine ganze Zeit lang stumm ins Gesicht gesehen hatte.

Ja. Sie ist wie ich. Sie ist das neunjährige Mädchen, das meine Mutter zurzeit in mir sieht. Das ich einmal war und gerade so gerne wieder wäre. Das eine Puppe bekommen wird und in diesem Moment nichts als pures, reines Glück verspüren wird.
„Es kann auch ein Wunsch für dich selbst sein." Sie deutet auf den Zettel, den ich bereits in der Hand halte. Ich lächele sie an und sehe dann ebenfalls darauf.

Nein.

Ich werde diesen besonderen Wunsch nicht für mich verschleudern. Ganz bestimmt nicht.
Mir ist sofort klar, wem er gelten soll. Für wen die Kleine ihn an den Weihnachtsmann schicken wird.
Freiheit schreibe ich darauf. Und denke dabei an eine ganz besondere Person.

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