8. Dezember | Oh holy night
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28. November, New York City, USA – Mary
Es war bereits nach Mitternacht, als der Baum endlich im Wohnzimmer stand. Glück für Lenny, denn Carol bestand darauf, erst am 1. Advent zu schmücken. Immerhin hatten wir das eingehalten. Zwar war noch kein Schmuck am Baum, jedoch fand ich ihn bereits bezaubernd. Ich liebte die Weihnachtszeit. Wie gut, dass ich dieses Jahr ein richtiges Weihnachten – fern von Wärme – haben konnte. Nur wusste ich, dass ich es am liebsten mit Josh und schließlich auch Lenny feiern würde. Aber diese Möglichkeit gab es nicht. Josh war tausende Kilometer entfernt und auch Lenny würde bald das Land verlassen, um bei meinen Eltern zu leben. Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass Josh sich heute nicht einmal gemeldet hatte. Nachdem er mich zu Flughafen gebracht hatte, hatte ich nichts mehr von ihm gehört.
„Schmücken wir ihn?", fragte mich Lenny, als wir nebeneinander standen und den Baum betrachteten. „Sicher, dass Sina nicht dabei sein will?", fragte ich ihn. Lenny's kleine Schwester lag schon seit einiger Zeit im Bett. „Ich sagte dir doch, dieses Jahr bin ich für den Baum verantwortlich. Das heißt kaufen, herbringen, schmücken und danach auch wieder wegbringen." Ich dachte einen Moment nach. „Ist das dann nicht gegen die Regeln, dass ich dir so viel helfe?" „Ich würde sagen nein. Schließlich hast du nie wieder die Möglichkeit, mit mir einen Weihnachtbaum zu schmücken." Lenny hatte Recht. Das hier wäre das einzige Weihnachten, was ich mit ihm und seiner Familie verbringen würde. Irgendwie machte mich das traurig. Lenny öffnete einen Schrank und zog zwei große Kisten heraus. Er rümpfte ein wenig die Nase, dann begannen wir, die Lichterkette am Baum zu montieren. „Warum kannst du Weihnachten so wenig leiden?", fragte ich ihn. Lenny entknotete grade einen Teil der Lichterkette, bevor er inne hielt. „Mein Dad.", gab er zögernd von sich. Lenny setzte die letzten Lichter an den Baum. „Erzähl mir davon." „Okay.", stimmte er schließlich zu. Lenny steckte die Lichterkette in die Steckdose und der Baum erstrahlte. Ich war für einen Moment ganz gefesselt von dem Anblick, dann begann Lenny tatsächlich, zu erzählen.
„Dad ist vor dreizehn Jahren bei einem Autounfall gestorben. Er war auf dem Weg nach Hause und kam grade von der Arbeit. Es war sein letzter Tag, bevor er über Weihnachten frei gehabt hätte." Lenny presste die Lippen zusammen und nahm aus der Kiste eine Zuckerstange, die er an einen Zweig hing. „In diesem Jahr haben wir Weihnachten im Krankenhaus verbracht. Dad wurde am ersten Weihnachtfeiertag als tot erklärt und die Maschinen abgestellt. An Silvester war dann seine Beerdigung. Seit diesem Jahr kann ich Weihnachten nicht leiden, weil es mich zu sehr an ihn erinnert." Stumm hatte ich zugehört und ihm dabei geholfen, den Baum zu schmücken. Ich nahm den großen Stern aus der Kiste, der an die Spitze gehören musste. Ich betrachtete ihn und gab ihn dann Lenny. „Ich glaube nicht, dass dein Dad gewollt hätte, dass du Weihnachten deswegen so schrecklich findest." „Ja, vielleicht.", gab Lenny zu und steckte den Stern an die Spitze des Baumes. „Lass mich dir zeigen, dass Weihnachten das schönste Fest des Jahres ist.", bat ich ihn. „Okay, einverstanden.", antwortete er und lächelte. Er lächelte tatsächlich bezaubernd. Etwas ganz tief in mir begann etwas zu finden, dass ich lange gesucht hatte. Und der Weihnachtbaum erstrahlte in schönster Pracht.
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