10. Dezember | Feliz Navidad
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28. November, New York City, USA – Lenny
Ich öffnete die Tür zur Wohnung und sofort stieg mir ein altbekannter Duft in die Nase. Ich hörte Weihnachtsmusik spielen und wusste sofort, dass meine Mom sich genau die richtige Austauschschülerin gesucht hatte. Wenn sie sehen würde, mit wie viel Freude Mary sich jedem Detail widmete, würde sie laut quietschen. Ich zog die Stiefel von den Füßen und hing meine Jacke an die Garderobe, bevor ich das Wohnzimmer betrat. Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Auf dem Esstisch hatte Mary eine Plätzchenfabrik aufgebaut. In einer Schüssel lag ein ganzer Haufen Teig, darum verteilt lagen ganz viele Plätzchenausstecher. Die Arbeitsfläche war mit Mehl bestäubt. Der Weihnachtsbaum leuchtete fröhlich vor sich hin und auf dem Fernseher lief eine Weihnachtsplaylist. Auf dem Kaffeetisch vor dem Sofa stapelten sich einige DVD's, die Weihnachten schrien. Aber das Beste war Mary, die mit einem breiten Grinsen im Gesicht, einer Zipfelmütze auf dem Kopf und einem Kochlöffel in der Hand vor mir stand.
„Du bist verrückt.", stellte ich fest. „Ja, das bin ich wohl.", gab sie zu. „Willkommen im Weihnachtsparadies." Ich legte die Einkaufstüte auf einen Stuhl und fuhr mir durch die Haare. „Hilfe, du bist wirklich Mariah – Maria. Du bist Weihnachten als Person. Hab ich dir schon gesagt, dass ich das nicht ausstehen kann?", fragte ich sie noch einmal. „Ja, sehr oft. Genau deswegen tue ich es ja." „Na, vielen Dank." Mary nahm die Tüte und sah hinein. Zufrieden nickte sie. „Okay, dann auf ins Getümmel. Hier ist deine Mütze, Meisterkoch." Mary hielt mir eine Weihnachtsmütze hin. Ich grinste schief, zog sie mir aber tatsächlich über. Und tatsächlich begannen wir, zu backen. Wir buken sieben Bleche Plätzchen und verzierten drei davon, weil uns die Zuckerglasur ausging. Mary wirkte so glücklich, dass ich es nicht übers Herz brachte, ihr mitzuteilen, dass ich seit zehn Jahren keine Plätzchen gebacken hatte, geschweige denn vorhatte, es je wieder zu tun. Ich hatte mich konsequent aus allen Weihnachtstraditionen herausgehalten, die irgendetwas mit Dad zu tun hatten. Nur das mit dem Baum war geblieben. Mom hatte darauf bestanden.
Anschließend ließen wir uns aufs Sofa fallen und schalteten „Das Wunder von Manhattan" ein. Es war Moms Lieblingsweihnachtsfilm, also sah ich ihn sowieso jedes Jahr, jedoch war es durchaus ermunternd, Mary's Empörung zu sehen, als sie den alten Kringle in die Psychiatrie stecken wollten. Nebenbei aß Mary zum ersten Mal in ihrem leben Weihnachtssüßigkeiten. Langsam begann ich anzuzweifeln, ob sie in Australien überhaupt Weihnachten feierten. Doch bevor ich Mary darüber ausfragen konnte, hörten wir, wie die Tür aufging und Sina sich lautstark ankündigte. Ich pausierte den Film und sah über meine Schulter zu ihr. „Hey, wie war es in der Schule?", fragte ich meine Schwester. „Ganz gut.", sagte sie etwas genervt. Ihr Gesichtsausdruck hellte sich allerdings augenblicklich auf, als sie Mary sah. Sie jubelte. „Schlittschuhlaufen!" Mary seufzte und stand auf. „Ich zieh mich gleich um und hole meine Schlittschuhe, dann können wir los." Mary sah mich fragend an. „Nein, ich komme nicht mit." „Oh doch, Lenny!", entschied meine kleine Schwester. Damit war die Diskussion beendet. Mary lachte und verließ ebenfalls den Raum, um sich umzuziehen.
Ich zog mir schon einmal meine Sachen an, während ich auf meine Begleitung wartete. Sina kam als ersten um die Ecke und lächelte breit. Es vergingen einige Minuten und Mary wurde schon ungeduldig. „Ich sehe mal nach ihr.", sagte ich dann zu meiner Schwester und streifte mir wieder die Schuhe von den Füßen. Ich ging zu meinem – ihrem Zimmer und klopfte an. „Mary?", fragte ich. Ein leises „Ja!", kam aus dem Raum, also schob ich die Tür auf. Der Anblick, der sich mir bot, war verwirrend. Mary saß inmitten eines Haufens Klamotten. Aber was noch komischer war, war die ganze Dekoration, mit der mein Zimmer bestückt war. Ein kleiner Baum stand in einer Ecke und überall waren Lichterketten. Mary hatte sich Mühe gegeben, so viel stand fest. Ich ging zu Mary und berührte sie leicht an der Schulter. „Alles okay?"
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