Kapitel 23 - Len
"Hi", haucht Jeffrey atemlos. Das schwarze Shirt in seiner Hand weißt helle Flecken auf. Mein Blick haftet auf dem Stück Stoff welches mit einer weißen klebrigen Flüssigkeit benetzt ist. Ich schlucke trocken, habe Bilder im Kopf und verschiedene Szenarien. Was ist passiert? Warum ist er halbnackt? Und warum zum verfickten Scheiß ist sein Shirt übersät mit...
"Len?", fragt Jeffrey und ich erwache aus meiner Starre und den Gedanken von Jeffrey und einem anderen Kerl. Kehliges Lachen schallt zu mir herüber. Es gehört nicht Dorian, die dazugehörige Stimme ist dunkel und rau. Sehr männlich.
"Stör ich? Ich kann auch wieder gehen", sage ich gereizt.
"Jeff. Wo bleibst du? Das Zeug wird gleich hart. Und das klebt so eklig an den Händen." Wieder die fremde Männerstimme. Noch immer stehe ich vor der Tür, habe mich keinen Millimeter bewegt. Auch Jeffrey sieht mich abwartend an.
"Len? Warum kommst du nicht rein? Was ist los?", fragt Jeffrey irritiert. Ja warum? Ich bin verwirrt. Weiß gerade nicht ob mein Verstand mir einen Streich spielt.
"Sag du es mir", antworte ich leise.
"Warum bist du nackt? Und warum hat dein Shirt... Flecken", presse ich hervor. Ich trete zwei Schritte zurück, schlucke den dicken Kloß in meinem Hals herunter und spüre den Druck in meinen Augen. All das was er mir in unserer Nacht erzählte, über sich und seine Vergangenheit, holt mich gerade schlagartig ein. Ich bin jung, unerfahren und die Unsicherheit in Person. In solchen Momenten wie diesen kommen Zweifel und die Frage ob er mich so sehr begehrt wie ich ihn. Oder ob ich nur einer von vielen Kerlen bin, der nächste in der Reihe bis er meiner überdrüssig ist. Ein Schritt vor die Tür, ein Abend im Club und Jeffrey wacht am nächsten Morgen nicht alleine auf.
"Babe du machst mir Angst. Wovon redest du? Das ist Zuckerguss. Und ich war gerade auf dem Weg ins Bad als du geklingelt hast." Zuckerguss? Badezimmer? Fuck. Ich komme mir vor wie der letzte Idiot. Wie konnte ich auch glauben, dass Jeffrey heute, an diesem Abend mit einem anderen Kerl zusammen ist und Sex hatte? Was stimmt nicht mit mir?
"Zuckerguss", sage ich verstehend.
"Ja. Zuckerguss. Hast du wirklich geglaubt... muss ich weiterreden?", fragt Jeffrey. Seine Augenbrauen verengen sich. Ich schnappe panisch nach Luft, schüttele meinen Kopf und versuche eine Katastrophe abzuwenden.
"Nein. Natürlich nicht", antworte ich schnell. Aber ich sehe deutlich, dass er mir nicht glaubt. Mit vor der Brust verschränkten Armen sieht er mich an. Sein Blick spricht eine eindeutige Sprache. Ich habe es versaut. Das Weihnachtsfest hat noch nicht mal angefangen und ich habe meinem Freund bereits unterstellt mich betrogen zu haben.
"Und jetzt die Wahrheit. Kriegst du das hin?", fragt er.
"Ja. Ja ich hatte den Gedanken das du Sex hattest. Fuck, es tut mir leid. Ich sollte keinen voreiligen Schlüsse ziehen oder überhaupt denken. Dabei kommt selten etwas brauchbares raus", sage ich aufgeregt. Das läuft ganz und gar nicht so wie ich und wahrscheinlich auch Jeffrey es sich vorgestellt haben.
"Ach Len", flüstert er, tritt über die Schwelle der Tür und legt seine freie Hand auf meine Hüfte.
"Du bist alles was ich brauche", haucht er gegen meine Lippen, lässt die Spitze seiner Zunge langsam und sinnlich über meine Unterlippe gleiten.
"Ja", hauche ich bestätigend. Ganz leise und kaum zu verstehen. Sein Atem kitzelt an meinen Lippen, federleicht gleiten sie über seinen Mund. Bitten um Vergebung, ein Neustart in den Abend.
"Kommst du mit rein?", fragt er, streichelt noch immer meine Lippen mit den seinen. Die Luft knistert und ich nicke stumm, höre sanfte Klänge eines Liedes welche sich vertraut und wunderschön in meinen Ohren anhören.
"I'm so in love with you. Purge the soul. Make love your goal", singe ich zart. Wir schauen uns dabei tief in die Augen, Frankie begleitet uns mit sinnlichen Tönen, einer atemberaubenden Stimmung welche so wunderbar zur Geltung kommt.
"The power of love, a force from above. Cleaning my soul", steigt Jeffrey mit ein und in diesem Augenblick spüre ich es deutlich. Das mit uns ist keine Flamme, keine flüchtige Affäre und nur dazu da angestaute Lust frei zu lassen. Ich liebe ihn und auch wenn die Welt mich dafür verurteilt mein Herz einem Mann zu schenken den ich erst seit kurzem kenne, so ist es mir egal. Was andere Menschen denken und ihre Meinung wen ich wann und wie stark lieben sollte, ist mir egal. Es zählt nur was wir beide wollen. Und ich hoffe, dass Jeffrey das gleiche will wie ich.
"Lass uns endlich rein gehen. Es ist kalt", sagt Jeffrey. Meine Augen wandern über seine nackte Brust, betrachten eingehend das flauschige dunkle Haar. Langsam streichen die Spitzen meiner Finger über die Wölbung des Brustmuskels, Jeffrey Atmung verändert sich, er zieht zischend die Luft ein als mein Daumen seine Brustwarze streift.
"Len", haucht er erregt. Ich schaue ihn an, seine Augen sind geschlossen und die Lippen leicht gespalten. Er ist wunderschön. Und ich wünschte, hinter der Tür zu seinem Appartement würde nicht seine Familie warten.
"Babe bitte", sagt er, atmet tief ein und öffnet langsam die Augen. Sturmgetränktes Blau blitzt mir entgegen, dunkel und voller Lust.
"Babe, dass ist nicht fair. Ich habe dich seit einer Woche nicht mehr so nah bei mir gehabt."
"Kann ich heute Nacht hier bleiben?", frage ich zögerlich.
"Aber natürlich. Das war doch so abgesprochen. Ich habe mich die ganze Woche darauf gefreut und fühle mich wie ein Teenie", antwortet er kichernd und ich schaue ihn irritiert an.
"Warum? Wie meinst du das?", frage ich.
"So als wenn der erste Freund das erste Mal bei einem übernachtet. Und man ganz leise sein muss bei allem was man macht, damit die Eltern einen nicht hören. Denn das wäre doch mehr als peinlich wenn du gerade deinen ersten Blowjob bekommst und deine Eltern in der Küche beim Frühstück sitzen und dir dabei zuhören, wie du einfach nur noch schreist. Genau dieses freudige Kribbeln spüre ich die ganze Zeit wenn ich an dich denke."
"Ich weiß nicht wie das ist", flüstere ich und senke verlegen meinen Kopf.
Keine Ahnung ob er das gleiche fühlt wie ich. Ob es diese Schmetterlinge im Körper sind, welche auch bei den noch so kleinsten Gedanken an meinen Freund ihre Flügel weit von sich strecken und wild umher flattern? Oder das Herz welches wild schlägt und das pulsieren bis in die Kehle zu spüren ist? Ist es das wovon er redet? Dann, ja dann fühle ich das gleiche. Unser Treffen um Cafe war viel zu kurz und auch wenn wir noch nicht lange Jeffrey und Len als Paar sind, so vermisse ich ihn sehr. Jeden Tag und die ganze Nacht. Die Nächte allein in diesem Loch waren noch kälter und düsterer als ich es gewohnt war. Es fühlte sich seltsam an, als ich die U-Bahn Station verließ und langsamen Schrittes in Richtung meines Wohnhauses lief. Die hastig vorbeieilenden Menschen, das wilde zähnepfletschende Knurren zweier großer schwarzer Hunde, der nadelspitze eiskalte Nordwind, die grauen Wolken über der geschäftigen Stadt. Das alles zog mit einem Schleier umwebt an mir vorbei. Ich sah das alles nicht klar, spürte nicht die Kälte und die sich verändernde Umgebung. Stoisch, wie in Trance wanderte ich durch die Straßen, ließ das zerfallene Hotel links liegen, ignorierte die Stimmen leichtgekleideter Frauen und bettelnder Männer. Irgendwann stand ich in meiner Wohnung. Ich konnte mich nicht daran erinnern wie ich die U-Bahn verließ, durch die Straßen ging, die Treppe hinauf und die alte quietschende Tür aufschloss. Irritiert blinzelte ich ein paar Mal, sah die Farbe von den Wänden blättern, roch das muffige Aroma schwarzer Flecken in der Nasszelle. Keine liebevoll zusammengestellten Möbel luden zum verweilen ein. Nein, die Hinterlassenschaften des Vormieters dagegen jubelten laut und feierten meine Rückkehr. Ich seufzte und ließ mich erschöpft auf die steinharte Matratze fallen. Die Begegnung im Central Park, dass Dinner, die Nacht mit und bei Jeffrey, der aufschlussreiche Morgen und die folgenden Tage mit liebevollen Telefonaten und vor Sehnsucht nacheinander schreienden Nachrichten, hatten mein Leben verändert. Allein für sich steht jedes Ereignis und zusammen ergeben sie ein klares Bild. Ich liebe Jeffrey.
"Du bist meine erste Beziehung. Fuck wie erbärmlich. Ich bin 22 und habe so überhaupt keine Ahnung von dem Ganzen."
"Len, sieh mich an", sagt Jeffrey, legt seine Finger unter mein Kinn und ich hebe automatisch den Kopf.
"Ich möchte es gar nicht anders. Ich möchte dich genauso wie du bist. Denn so bist du perfekt. Und du bist nicht erbärmlich. Mach dich nicht so klein. Du bist wunderschön und mutig, lebst seit zwei Jahren alleine in einem dir fremden Land. Kennst kaum Leute und triffst mich. Mich. Wie perfekt ist das?"
"Sag du es mir", antworte ich verlegen. Seine Worte rühren mich zu Tränen und bevor er meine Frage beantworten kann, ertönt die mir bereits bekannte tiefe Stimme.
"Ähm... ich will ja nicht stören. Aber ihr steht schon eine ganze Weile im Hausflur. Das Licht ist aus. Habt ihr das überhaupt bemerkt? Na egal, müsst ihr wissen. Jeff, ich wollte nur kurz nach dir sehen und bescheid sagen, dass Dorian das Essen fertig hat. Beeilt euch. Oder besser, entscheidet euch. Raus oder rein? Weihnachtsbraten vom Meister oder kalte Pizza von Joe's? Mir egal. Ich setze mich jetzt an den Tisch und esse Truthahn." Und so schnell wie er gekommen ist, ist er auch wieder weg. Ich sehe noch seine ordentlich gekämmten Haare. Das gleiche rot wie bei Tammy und Kate. Seine Rückansicht ist ganz ansehnlich. Er ist schlank und seine langen Beine sowie ein runder knackiger Hintern stecken in einer engen weinroten Jeans, dazu ein dunkelgraues Hemd und warum auch immer trägt er einen Schal. Keinen dicken flauschigen Wollschal wie ich ihn einst Frosty überließ. Ein dünner leichter und ich vermute, dieser ist mehr Accessoires als zu irgendwas nützlich.
"Redet der immer so viel?", frage ich überfordert. Wer war das?
"Ja. Leider. Aber Jonathan ist ein netter Kerl und er macht gerade eine schwere Zeit durch", antwortet Jeffrey.
"Jonathan. Okay. In welchem Verhältnis steht ihr zueinander?", frage ich, höre selbst den bissigen Ton und spüre die Glutfunken der Eifersucht. Ähnlich wie in Dorians Restaurant. Nur mit dem Wissen, dass Jeffrey mich will. Und doch, schaffe ich es nicht, die Glut auszutreten.
"Er ist Tammys Bruder. Seine Frau hat ihn verlassen. Letzte Woche. Ist das zu glauben? Hat sich die drei Kinder geschnappt und ist zu ihren Eltern nach Montana gefahren. Einfach so. Ohne ein Wort der Erklärung. Tammy lässt ihn ein paar Tage bei sich wohnen. Ihm geht es nicht gut. Und er tut mir leid. Daher habe ich ihn eingeladen den Abend mit uns zu verbringen. Niemand sollte Weihnachten alleine sein."
"Das ist so süß von dir", sage ich und Jeffrey strahlt über das ganze Gesicht. Es passt zu meinem Freund. Er ist einfach einer von den Guten.
"Also. Truthahn oder Pizza?", fragt er und ich verziehe angewidert das Gesicht.
"Truthahn? Eher nicht. Gibt es auch Beilagen? Dann ja."
"Du, mein süßer vegetarischer Freund, bekommst ein spezielles Weihnachtsmenü", antwortet er prompt, haucht einen Kuss auf meine Nasenspitze und ergreift rasch meine Hand.
"Ich geh mich schnell umziehen. Und du gehst schonmal rein und stellst dich der sensationslüsternen Meute", sagt Jeffrey, zieht mich in die Wohnung und bevor auch nur ein Wort des Protestes über meine Lippen perlt, stockt mir der Atem.
Wohlige Wärme empfängt mich, der Geruch von gebratenem Fleisch, weihnachtlichen Gewürzen und ein funkelnder wunderschön geschmückter Baum. Das Monstrum welches Dorian und ich durch die halbe Stadt getragen haben, ist kaum noch wiederzuerkennen. Glitzernde große Kugeln in tiefdunklem Königsblau vermischen sich mit funkelnden Lichtpunkten in kühlem Eisblau. Filigrane Muster auf den Kugeln, Glitzerstaub und helles Funkeln. Sie liefern sich einen Wettstreit, welche Kugel am hellsten strahlt, ein Sieger ist nicht auszumachen. Auch die silbernen Sterne welche zwischen den üppigen dunkelgrünen Zweigen hervorlugen ringen um einen Platz auf dem Siegertreppchen. Ein paar Vögel gesellen sich dazu, die Körper glänzend und eine Feder weich und leicht rundet das perfekte Bild ab. Der Baum leuchtet in einer so reinen Schönheit, abermillionen kleine Punkte und der Stern auf der Spitze erinnert an den Central Park. Um den Baum liegen Geschenke, große, kleine, manche wunderschön in harmonischen Tönen verpackt, manche hastig und dennoch mit Liebe verschnürt. Rechts von mir und neben dem Baum befindet sich ein kleiner Tisch. Auf diesem steht ein alter Plattenspieler. Die Nadel zieht kreisend ihre Bahn. Rille für Rille entlockt sie dem altertümlichen Gerät sanfte Klänge und statt weihnachtlichen Klassikern dankt Freddie Mercury in Begleitung seiner engsten Freunde Gott für ein gelungenes Weihnachtsfest. Auch nach schwierigen Tagen und seltsamen Wegen. Es wird eine besondere Nacht mit Freunden und Schnee der aus den Wolken fällt. Sonne und Mond, schrecklich kalt und hell. Es ist Weihnachten, es könnte nicht passender sein. Der Text gepresst auf Vinyl und gesungen von der Stimme eines Engels.
Starke Arme schlingen sich um meine Hüften, drücken mich sanft aber bestimmend näher an den Körper meines Freundes. Instinktiv schmiege ich mich in diese Berührung, rieche den Duft von Jeffrey und spüre warmen Atem an meinem Hals.
"Zuviel versprochen?", fragt er und ich schüttele leicht den Kopf.
"Nein. Er ist wunderschön. Alles glänzt und funkelt. Ich weiß gar nicht wo ich zuerst hinschauen soll."
"Das freut mich. Ich wollte das er perfekt wird. Für dein erstes Weihnachtsfest", sagt Jeffrey und leider muss ich mich aus seiner beschützenden und warmen Umarmung lösen. Ich gehe zwei Schritte auf den Baum zu, sehe im Augenwinkel Kate welche hüpfend neben mir steht.
"Sind das eure Namen? Auf den Kugeln?", frage ich überrascht.
"Ja. Das hier ist meine. Siehst du? Kate. Das bin ich. Und du bist Len. Du hängst hier", antwortet der kleine Wirbelwind und ungläubig starre ich auf eine wunderschön glänzende dunkelblaue Kugel. Mit silberner filigraner Schrift prangt mein Name auf dem Glas und ich weiß überhaupt nicht was ich zuerst machen soll. Atmen? Blinzeln? Weinen? Seufzen?
"Jeffrey?", frage ich.
"Ich habe für jeden meiner liebsten Menschen eine Kugel am Baum. Jedes Jahr hänge ich sie auf. Meine Mum und mein Dad immer nebeneinander. Siehst du? Hier oben", sagt er, deutet mit dem Finger auf zwei Kugeln und nun weiß ich auch endlich die Namen seiner Helden. Marissa und Bob.
"Papa hängt hier. Neben Mama." Eine kleine Hand zieht an meinem Mantel, ich folge Kate und ihrem Fingerzeig.
"Kevin und Tammy", antworte ich.
"Warum hängst du auf der anderen Seite?", frage ich Kate und kichernd dreht sie sich im Kreis, streckt die Arme weit von sich. Ihr dunkelrotes Kleid schimmert, der goldene Tüll um ihren Hüften glitzert und der feine Gürtel ist zusammen mit der kleinen goldenen Brosche das letzte Highlight. Das Herz wird mir schwer als ich ein verschlungenes Muster in Form eines K erkenne. Kate trägt ihren Vater über dem Herzen.
"Onkel Jeff hängt meine Kugel immer zu Mama und Papa. Aber dieses Jahr möchte ich lieber neben Tante Tara hängen." Verschwörerisch sieht sie mich aus großen grünen Kulleraugen an. Ich beuge mich etwas tiefer und entscheide mich dazu, doch in die Hocke zu gehen. Mir ist warm, der Mantel liegt noch immer eng an meinem Körper und der Schal welcher einst Frosty vor dem Erfrierungstod bewahrte, schnürt mir die Luft ab. Schnell löse ich den Schal und entledige mich kurzerhand meines Mantel. Kate wartet geduldig und betrachtet interessiert die Pakete welche nun neben mir auf dem Boden liegen. Ihr Name prangt in großen Lettern auf silberglänzendem Papier. Gedruckte Sterne und ein lächelnder Schneemann, mein Versuch etwas künstlerisches mit eigener Note zu erschaffen. Leuchtende Kinderaugen sind eines der wertvollsten Dinge auf diesem Planeten. Ich bin sehr nervös. Über den Verlauf des Abends, die Gespräche mit Jeffreys Familie und besonders über die Reaktion meiner Geschenke. Lange habe ich überlegt, befürwortet, verworfen und doch ein ganz passables Ergebnis zustande gebracht.
"Hast du ein Geheimnis?", frage ich zwinkernd.
"Ich nicht. Aber Tante Tara", antwortet Kate kichernd.
"Ah. Ich verstehe. Du hältst einen Platz frei."
"Für das Baby", flüstert sie in mein Ohr und grinsend suche ich den Raum nach Dorian ab. Ich finde ihn schnell in der Küche stehend. Mit gekonnten Handgriffen bereitet er das Essen zu. Es duftet bereits herrlich und trotz meiner bis zum Himmel schreienden Nervosität freue ich mich auf den kommenden Abend.
"Und woher weißt du vom kleinen Geheimnis?", frage ich Kate. Verlegen senkt sie den Blick, spielt nervös mit dem goldenen Gürtel und flüstert: "Ich habe gelauscht. Mama schimpft immer mit mir. Sie findet mich zu neugierig."
"Du hast das Bedürfnis alles über die Welt und das Leben zu erfahren. Das ist ganz normal in deinem Alter", beruhige ich sie.
"Weißt du was? Ich weiß es auch. Onkel Dorian ist so glücklich. Und da hat er sich verredet", sage ich. Kate sieht mich mit leicht schräggelegtem Kopf an.
"Irgendwas stimmt an dem Satz nicht. Ach ist egal. Ich weiß was du meinst. Kleiner Fingerschwur. Das bleibt unter uns", sagt sie lächelnd, streckt mir ihren kleinen Finger entgegen und die leichte Krümmung erinnert an einen Angelhaken.
"Du musst einhaken Len. Was auch immer ihr beiden da gerade schwört, dass ist für die Ewigkeit", sagt Jeffrey. Leicht erschrocken zucke ich zusammen. Wie lange steht er schon da? Und das wichtigste, wieviel hat er gehört?
Kate hilft mir freundlicherweise, nimmt meinen Finger und schon ist es geschehen. Der Schwur ist besiegelt.
"Will ich wissen worum es ging?", fragt Jeffrey und grinsend schaue ich ihn von unten herauf an. Noch immer knie ich auf dem Boden, seine Hand legt sich an meine Wange und ich habe eindeutige Bilder in meinem Kopf. Ein Räuspern unterbricht meine Gedanken und auch Jeffrey sieht so aus, als würde gerade ein Film in seinem Kopf laufen. Und ich bin einer der Hauptdarsteller.
"Essen oder Kuscheln? Entscheidet euch doch bitte. Ich habe wirklich Bock auf dieses leckere Essen. Aber nicht wenn ihr hier nebendran einen Po..."
"Jonathan. Hier sitzen Kinder mit am Tisch", ruft eine helle Stimme aufgebracht. So schnell habe ich noch nie aufrecht gestanden. Und es ist mir unsagbar peinlich.
"Das ist Len", stellt Jeffrey mich kurzerhand vor und zum ersten Mal erhasche ich einen Blick auf all die lieben Menschen im Leben meines Freundes.
Sie alle lächeln mir freundlich entgegen. Mit Dorian habe ich bereits am meisten geredet. Ich freue mich ihn wiederzusehen und nicke ihm zu. Neben ihm sitzt Jeffreys Schwester. Ihr schwarzes Haar fällt in sanften Wellen über ihre Schultern. Neugierde und Entzücken spiegeln sich in Taras dunklen Augen. Die vollen roten Lippen ziert ein freundliches Lächeln. Das enge schwarze Kleid zeigt deutlich ihre Rundungen und bald wird eine weitere zu sehen sein. Das werden aufregende Monate und auch wenn das Ende mit vielen Tränen belastet war, so denke ich mit Freuden an meine Mum und ihren stetig wachsenden Bauch. Als Kind ist es faszinierend und aufregend. Die Spannung wuchs mit jedem Zentimeter und irgendwann war der Babybauch meiner Mum so groß und rund das ich befürchtete, bei jeder noch so kleinen Berührung könnte diese gigantische Murmel zerplatzen.
Gegenüber von Tara und Dorian sitzen Tammy und der kleine rothaarige Wirbelwind. Kate rutscht nervös auf ihrem Stuhl herum. Ihre kleinen Hände greifen nach einer Schale mit maisgelben Brot und Tammy räuspert sich tadelnd. Entschuldigend blickt sie mit ihren moosgrünen Augen zu ihrer Mutter. Stille kehrt ein und Kate seufzt laut.
"Ich habe Hunger", sagt sie und alle Anwesenden verfallen in fröhliches Gelächter. Anscheinend ist das ein altbekanntes Szenario.
"Du hast immer Hunger. Das hast du eindeutig von deinem Vater. Er konnte Unmengen verdrücken. Wisst ihr noch in unserem ersten Jahr auf dem College? Als wir in den Frühlingsferien in Florida waren? Jeder von uns hatte eine Leidenschaft der er nachging. Bei mir waren es die hübschen Frauen und bei Kevin stand das Essen an oberster Stelle. Gleich nach dem Frühstück dachte er schon an das Mittagessen und kaum war das Dessert verputzt, fragte er mich was ich zum Abendessen koche", erzählt Dorian und die kleine Gruppe verfällt in eine Zeitreise. Kurz herrscht andächtiges Schweigen, jeder hat seine eigenen Erinnerungen an Kevin und ich wünsche mir für den kleinen grünäugigen Wirbelwind, dass ihre nicht all zu schnell verblassen.
"Und was war deine Leidenschaft?", frage ich leise an Jeffrey gewandt.
"Schwimmen. Ich liebe das Meer. Es gab auch den einen oder anderen netten Kerl. Aber hauptsächlich war ich im Wasser. Und wenn ich da nicht war, dann habe ich die Jungs in ihren knappen roten Shorts beobachtet", antwortet er zwinkernd und ich frage mich, warum alle Männer in Florida rote Badeshorts trugen.
"Die Rettungsschwimmer waren wirklich sehr ansehnlich", entgegnet Tammy und plötzlich rastet auch diese Informationen in meinem Kopf ein. Nicht alle Männer trugen rote Badeshorts, nur die Jungs welche todesmutig in die nassen Fluten springen und unschuldige Kinder und erschöpfte Erwachsene aus dem kalten Nass retten.
"So so. Ich glaube, da ist ein Einkaufsbummel fällig", flüstere ich. Doch Jeffrey hat mich verstanden und zieht zischend Luft in seine Lungen. Rettungsschwimmer also.
Alle Aufmerksamkeit liegt wieder auf uns, Jeffreys Hand ruht auf meinem unteren Rücken und ich fühle mich geborgen und beschützt. So soll es sein. So ist es richtig schießt es mir durch den Kopf.
"Ist der Platz noch frei Mylady?", frage ich Kate und deute auf den noch immer freien Stuhl neben ihr.
"Ja mein Herr", antwortet sie verzückt. Ihre Augen funkeln und ich setze mich galant neben sie.
"Na toll. Gerade mal eine Woche in festen Händen und schon muss ich meinen Freund teilen", sagt Jeffrey gespielt beleidigt.
"Ich mag Len. Er hat mir im Central Park zum Sieg verholfen. Ohne seinen Schal hätte die Gruppe von Victoria gewonnen. Sie ist eine fiese Schlange und ich kann sie nicht leiden." Damit ist alles gesagt. Jeffrey setzt sich neben Dorian und mir gegenüber. Unsere Füße berühren sich unter dem Tisch und die Armee Schmetterlinge in meinem Bauch startet zu ihrem Flug durch meinen Körper. Freudiges Kribbeln regt sich, mein Herz schlägt schnell und fröhlich winkend verabschiedet sich meine Zurückhaltung. Ein Gedanke formt sich, setzt sich fest in meinen Verstand und warum in allen Göttern Namen sind wir noch nicht alleine?
"Das sieht göttlich aus. Und wie das duftet. Du hast dich mal wieder selbst übertroffen Dorian", sagt Tammy.
"Danke. Aber nun lasst uns essen. Auf das Tischgebet verzichten wir?" Mehr eine Feststellung als eine Frage. Alle scheinen sich einig zu sein und Jonathan am Tischende schaut fragend in die Runde.
"Warum?"
"Len ist kein Christ", sagt Jeffrey.
"Das ist kein Problem. Mein Glaube ist ein anderer als eurer. Aber wenn es zu einem Weihnachtsessen dazugehörigt, dann bitte ich euch nicht darauf zu verzichten. Und wenn wir gerade dabei sind", sage ich und schaue zu Jeffrey.
"Ihr könnt euch selbstverständlich beim Essen unterhalten. Das stört mich nicht. Wir sind nicht in Indonesien."
"Zum Glück", platzt es aus Tara heraus und auch Tammy und Kate scheinen äußerst erleichtert darüber zu sein. Ich hatte bereits die Vermutung, dass Jeffrey seine Familie darum gebeten hat, die Sitten meines Landes einzuhalten. Aber das heute ist ihr Fest und ich bin Gast. Nie würde ich von diesen liebevollen Menschen verlangen, dass sie ihre Bräuche ablegen und sich voll und ganz auf meine konzentrieren.
"Ich bin dran", ruft Kate euphorisch, greift nach meiner Hand und ich sehe, dass sich alle an den Händen fassen. Jeffrey streckt mir seine Hand entgegen und mit einem sanften Lächeln ergreife ich sie.
"Viele kleine Fische, schwimmen jetzt zu Tische, sie reichen sich die Flossen, und dann wird schnell beschlossen, jetzt nicht mehr zu blubbern, stattdessen was zu futtern, und alle rufen mit:"
"Guten Appetit", erklingt es synchron und mein Verstand versucht all die Dinge zu erfassen. Dorian beginnt damit den gold-braunen mit einer knusprigen Haube überzogenen Truthahn fachmännisch zu zerkleinern. Die Damen reichen Schüsseln mit verschiedenen Köstlichkeiten herum. Dampfender Kartoffelbrei mit aromatisch duftenden gerösteten Zwiebeln, Ofengemüse, grüne Bohnen, Süßkartoffeln, Karotten und Kürbis. Ein Gemüse welches ich nicht kenne, eine kleine runde grüne Kugel mit leicht bitteren Geschmack. Es gibt selbstgemachtes Brot, verschiedene Aufläufe und den köstlichen Tomatendip nach dem Geheimrezept von Dorians Familie. Jeder bekommt ein großes Stück Fleisch auf den Teller geladen. Eine dunkle kräftige Soße rundet die perfekte Komposition ab. Allein die Menge an Beilagen genügt um mich zu sättigen und dennoch landet ein beachtlich großes Stück Zwiebelkuchen auf meinem Teller.
"Wow. Ich weiß nicht, ob ich morgen noch in meine Hose passen werde", sage ich.
"Dann nimmst du einfach wieder eine von meinen", entgegnet Jeffrey keck und Tara kichert leise vor sich hin. Allerhand Gespräche erwachen zum Leben, erfüllen den Raum mit sanften Stimmen und die leise Musik im Hintergrund verströmt eine wohlige Atmosphäre. Der massive Eichentisch stand vor einer Woche noch nicht im Appartement und ich frage mich, wie Jeffrey diesen in seine Wohnung bekommen hat. Ein dunkelroter Läufer ziert die Tischplatte, goldene Sterne funkeln, weiße langstielige Kerzen stecken in silbernen Haltern. Servietten, Porzellan, Besteck. Alles ergibt ein stimmiges Bild und ich bin mir sicher, dass Dorian da seine Finger mit im Spiel hatte.
Das Frage-Antwort-Spiel von Jeffreys Liebsten überstehe ich mit schweißnasser Stirn und kalten zittrigen Fingern. Nicht über alles mag ich sprechen und Jeffrey muss das eine oder andere Mal seine Schwester in ihre Schranken weisen. Auch wenn wir beide Tara unendlich dankbar sind, dass sie uns den gewissen Schub gab und direkt unter dem mystischen Mistelzweig platzierte, so geht sie meine sexuelle Vergangenheit und die Anzahl meiner verflossenen Partner nichts an. Aber ich bin ihr nicht böse. Sie alle sind liebevoll und sehr nett. Jeder auf seine Art und Weise. Dorian unterstützt Jeffrey um seine Frau davon abzuhalten, noch weitere peinliche Fragen zu stellen. Zum Glück wissen sie nichts von Rosi und Dorian spricht nicht über das magische Einhorn. Jonathan beteiligt sich nur spärlich an den Gesprächen. In Gedanken versunken stochert dieser in seinem Stück Truthahn herum. Das arme Federvieh ist bereits mehr als tot und die Zinken seiner Gabel geben diesem den Rest.
"Jonathan, darf ich dich etwas fragen?"
"Ja. Was denn?", fragt dieser verwundert. Ich hole tief Luft und auf die Gefahr hin, gleich einen Orkan an Emotionen zu entfesseln, spreche ich einfach aus was mir soeben durch den Kopf ging.
"Ich studiere Fotografie. Und ich bin nicht der Schlechteste in meinem Jahrgang. Wie heißen deine Kinder?"
"Elias, Zachary und Violet", antwortet er mit zittriger Stimme.
"Wenn du deine Kinder wieder bei dir hast, dann melde dich bei Jeffrey. Und dann kommt ihr vorbei und wir gehen zusammen in den Park. Ich zeig euch eine wunderschöne Stelle mit einem großen moosbewachsenen Felsbrocken und einer wirklich uralten Eiche. Mit dem passenden Licht hat dieser Ort etwas mystisches. Es ist einer der ersten Orten die ich in New York entdeckt habe. Ich mache Fotos von euch vier. Oder auch nur von den Kindern. Dann hast du eine schöne Erinnerung die dir niemand nehmen kann. Und ich mach dir soviele Abzüge wie du willst", beende ich meine Offenbarung und jeder am Tisch starrt mich ungläubig an.
"Wirklich? Warum?", fragt er mit feuchtglänzenden Augen. Ich nicke lächelnd.
"Brauchen wir einen Grund? Solche Momente sind kostbar. Sieh es als Weihnachtsgeschenk an."
Jonathan springt freudestrahlend auf, sprintet um den Tisch und zieht mich so schnell in seine Arme, dass ich leicht taumele und mich haltsuchend in sein Hemd kralle. Der leicht süßliche Duft seines After Shave raubt mir kurz die Sinne. Ich bevorzuge dann doch lieber die männlich herbe Note.
"Danke Len. Das ist voll korrekt von dir", schluchzt er.
"Verliere nie die Hoffnung. Sei stark für deine Kinder. Aber hole dir Hilfe wenn es nicht mehr geht", flüstere ich in sein Ohr und spüre ein bestätigendes Nicken. Die nächste Zeit wird nicht einfach. Nicht für Jonathan und schon gar nicht für die Kinder. Denn diese bekommen mehr mit als wir alle denken, sind aufmerksam und einfühlsam. Sie haben ein Radar für Stimmungen und die kleinste Veränderung wirft sie komplett aus der Bahn.
"Also, was haltet ihr von Dessert?", fragt Dorian und Kate klatscht quietschend in die Hände.
"Und dann Geschenke", ruft sie fröhlich.
Das Dessert welches vor mir steht, entfacht ein wahres Feuerwerk an Emotionen. Es katapultiert mich zurück zu dem Abend unseres ersten Date. Ich habe ein Deja-vu und ich eigentlich hasse ich dieses Gefühl. Das seltsame Kribbeln in der Brust und flüssiges Adrenalin welches vom Herzen aus in die Venen und somit im ganzen Körper verteilt wird. Doch gerade, ist das Kribbeln wunderschön und Wärme durchflutet meinen Leib. Ich blicke in die Runde, sehe Tammy mit ihren feuerroten Locken und einem spitzbübischen Grinsen welches sie mir schenkt. Sie zwinkert mir zu und widmet sich dann genießerisch ihrem Dessert. Es duftet herrlich nach gebratenen Äpfeln und der leichte Hauch von Zimt legt sich auf meine Geschmacksknospen. Kate hat bereits die Hälfte ihres Desserts verschlungen. Mein Blick richtet sich auf Jeffrey und wissend lächelt er mich an. Seine Hand legt sich auf meine und sofort kribbelt es überall auf meinem Handrücken. Unglaublich wie eine einfache Berührung so ans Herz gehen kann.
"Alles okay?", fragt er und ich nicke heftig.
"Mehr als okay. Das ist das Dessert von unserem Date oder?"
"Genau. Da wir nicht mehr dazu gekommen sind es zu probieren, bat ich Dorian es für heute Abend zu machen", antwortet er.
"Das ist süß von dir", entgegne ich verträumt. Er ist einfach perfekt. Vergessen ist das traumhafte Dessert. Ich fühle mich benebelt von Jeffreys Blicken welche mir so viel Liebe schenken. Unausgesprochene Gefühle spiegeln sich in dem funkelnden Meer seiner ozeanblauen Iriden. Das liebkosen meiner Haut jagt kleine Stromstöße durch meinen Körper.
"Ihr seid beide süß", unterbricht Tara unsere Traumwelt.
"So viele Herzchen in den Augen habe ich selten gesehen", sagt sie kichernd und ich versuche mir vorzustellen, wie das wohl aussehen mag. Um nicht laut drauf los zu Lachen beiße ich mir auf die Unterlippe und doch kann ich es nicht verhindern, dass ein Prusten meinen Mund verlässt.
"Hast du dir das auch gerade vorgestellt? Wir beide mit Herzen statt Pupillen?", fragt Jeffrey lachend und ich nicke. Sprechen ist gerade noch nicht so vorteilhaft.
"Herrlich. Wie in einem Comic."
"Total", presse ich hervor. Die anderen schauen uns jedoch irritiert an wie zwei Erwachsene Männer sich laut lachend an den Händen halten. Versunken in einer Fantasie, auf den Wellen der eigenen Vorstellungskraft segelnd.
"Ja. Das passt mit den beiden", höre ich Jonathan sagen und langsam beruhigen wir uns wieder. Noch immer mit den Augen auf den jeweils anderen atmen wir ruhig durch die Nase ein und lange durch den Mund aus. Ohne uns abgesprochen zu haben wenden wir beide die gleiche Technik an.
"Ich würde sagen, da steht demnächst eine Hochzeit an", sagt Tammy und nun sind es Jeffrey und ich, die sie verstört anschauen.
"Schauen wir mal wohin der Wind uns treibt", antworte ich und widme mich endlich dem köstlich duftenden Schokotörtchen mit flüssigem Karamellkern und Schoko-Chili-Soße. Der Löffel gleitet durch die kakaoige Teigmasse, ohne Widerstand und ergeben. Goldglänzendes Karamell fließt aus der Mitte, verteilt sich zäh auf dem Teller. Der erste Biss lässt ein Feuerwerk an Empfindungen in meinem Mund und der Zunge explodieren. Dunkle Schokolade, warm und kraftvoll gepaart mit dem klebrig süßen Karamell. Ein Hauch Schärfe von der Soße und ich stöhne genüsslich. Mit geschlossenen Augen genieße ich diesen Moment, lasse die einzelnen Komponenten auf mich wirken. Das ist richtig geiler Scheiß.
"Fuck, ich bin im Himmel." Jeffreys Fuß stößt sanft gegen meinen und ich öffne meine Augen.
"Schmeckt es dir?", fragt er. Ob es mir schmeckt? Fragt er das ernsthaft? Ich habe nie ein besseres Dessert gegessen als dieses.
"Das ist das Beste was ich je gegessen habe. Eindeutig."
"Also habe ich richtig gewählt. Puh da bin ich erleichtert", kommt prompt seine Antwort. Den Rest des Desserts vertilge ich schweigend. Reden würde mich nur von dieser Köstlichkeit ablenken. Kate ist die Erste welche aufgeregt den Tisch verlässt. Für ein Kind ihres Alters hat sie erstaunlich lange durchgehalten und ist brav sitzen geblieben, auch wenn sie lange vor uns mit dem Essen fertig war. Der kleine wirbelnde Rotschopf ist ein fröhliches Kind und dennoch weiß sie sich zu benehmen. Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen wie schwer es für Tammy sein muss, diese Aufgabe alleine zu stemmen. Auch wenn sie jede Menge Unterstützung durch Jeffrey und auch Tara und Dorian erhält, so bleiben manche wichtige Aufgaben an der Mutter hängen.
Gemeinsam sitzen wir auf dem Boden vor dem gigantischen Weihnachtsbaum. Jeffrey hat einen Teller mit seinen selbstgebackenen Plätzchen und Lebkuchen vor uns platziert. Mein eigentlich witzig gemeinter Spruch mit der nicht mehr passenden Hose nimmt immer mehr an Wahrheit an. Natürlich kann es mir nicht entgehen lassen und probiere mich durch die verschiedensten Sorten. Jede hat eine andere Form und auch die Geschmäcker sind unterschiedlich. Bei dem einen dominiert Vanille, der nächste hat mehr Nougat als Teigmasse und eine kleine braune Kugel mit dem herrlichen Aroma nach Mandeln erweist sich als mein absoluter Favorit. Marzipankartoffel ist das Wort des Abends, welches ich angestrengt versuche abzuspeichern. Wie ich erfahre, gebührt Kate jedes Jahr die ehrenvolle Aufgabe, die Pakete unter dem Weihnachtsbaum an ihre neuen Besitzer zu verteilen. Jeffrey erzählt mir die Geschichte, wie sie protestierend die Namen selber lesen musste, sobald sie in die Schule kam. Heute nimmt sie das eher gelassen, steht in ihrem glitzernden Traum aus dunkelroter Seide und goldenem Tüll vor uns, verliest Namen und überreicht freudestrahlend die unterschiedlichen Pakete. In den nächsten Jahren wird sie sich diese Aufgabe mit dem baldigen neuen Familienmitglied teilen. Und ich bin mir sicher, sie wird ihre Begeisterung nicht verlieren und das kleine Wesen mit ihrer Herzenswärme im Kreis der Familie begrüßen.
"Len", ruft sie begeistert. Ich bin nervös und räuspere mich kurz. Ich habe das Bedürfnis etwas zu sagen, die Auswahl meiner Geschenke zu erklären, doch ich tue es nicht.
"Das hier ist für dich", sagt sie und streckt mir ein mit tannengrünen hochwertigen Geschenkpapier und passendem seidigglänzenden Band verpacktes Geschenk entgegen. Dankend nehme ich es entgegen und bemerke, dass Jeffrey neben mir unruhig auf seinem süßen Hintern herum rutscht. Er ist nervös und ich kann es mir nicht verkneifen und schaue ihn eindringlich an bevor ich sage: " Willst du mir was sagen? Du bist so nervös."
"Öffne es einfach. Es ist Geschenk eins von zwei", sagt er und nimmt ein rechteckiges in silberglänzendem Papier eingeschlagenes Geschenk entgegen. Augenblicklich stockt mir der Atem und ich atme mehrmals tief ein und aus.
"Hast du mir was zu sagen?", fragt er plötzlich und betont das kleine Wort du doch sehr genau.
"Nein. Öffne es einfach", erwidere ich und ernte ein bezauberndes Lachen.
Ich traue mich gar nicht das liebevoll verpackte Geschenk zu öffnen. Jede Kante ist akkurat gefaltet, es gibt keinen Knick oder Riss. Die große Schleife lässt sich wunderbar unkompliziert öffnen und mit aufgeregt klopfendem Herzen schiebe ich meine Finger unter die Lücke des Papier. Es ist das erste Weihnachtsgeschenk was ich erhalte und dann auch noch von meinem ersten Freund. Und jetzt fühle auch ich das aufgeregte Kribbeln von dem Jeffrey sprach.
"Riza", flüstere ich.
"Für uns beide", sagt Jeffrey. Das Gesicht eines der bekanntesten Köche Indonesiens und der absolute Fernsehliebling meiner Mutter, blickt mir entgegen. Rizas Geschichte ist unglaublich. Im letzten Winkel von Java aufgewachsen, eine Kindheit über die er selten spricht und von Armut nur so zerfressen wurde. Doch er hat nie aufgegeben und an seine Träume geglaubt. Mit den letzten indonesischen Rupien in den Taschen ist er nach Bali gereist und hat es geschafft vom Tellerwäscher zum angesagtesten Koch zu werden. Sein Weg ist in mehreren Büchern beschrieben, seine Kochshow der Magnet jeder indonesischer Familie. Meine Mutter ist sein größter Fan und ein Treffen mit ihm ihr allergrößter Traum. Riza kochte in Highclass-Restaurants überall auf der Welt und gerade macht er eine Tournee durch die USA. Das weiß ich, weil meine Mum mir vor nicht allzu langer Zeit am Telefon erzählte, wie sehr sie sich freuen würde, einmal mit ihm in einer Küche zu stehen und den Kochlöffel schwingen zu dürfen. Die Tickets allerdings kosten ein Vermögen und schlagartig wird mir bewusst, dass ich zwei von ihnen in der Hand halte.
"Das geht nicht. Das kann ich nicht annehmen", sage ich und schaue hilfesuchend zu meinem Freund.
"Warum nicht?", fragt er besorgt.
"Die Tickets kosten ein Vermögen. Mit Riza gemeinsam zu kochen ist wie der Gewinn im Lotto. Nicht vorstellbar", antworte ich.
"Riza ist cool. Du wirst ihn mögen. Und du verstehst was er sagt, wenn er anfängt auf indonesisch zu fluchen. Das ist echt witzig. Leider wollte er mir nicht verraten was das Wort bedeutete." Dorian kennt Riza? Woher? Wie? Mit großen Augen und offenem Mund starre ich ihn an. Eine Berührung an meinem Arm lässt mich zsammen zucken. Es ist Jeffrey welcher mich besorgt ansieht.
"Du magst es nicht" sagt er leise. Enttäuschung und Traurigkeit liegen in seinem Blick.
"Ich... fuck wenn das meine Mutter erfährt. Das wir beide zusammen mit Riza kochen. Sie würde dafür töten. Sie liebt Riza. Jeder liebt Riza. Ich auch", sage ich und treffe damit genau die richtigen Worte. Jeffrey entspannt sich und seine Augen beginnen wieder zu strahlen.
"Ist das ein Pärchending?", frage ich.
"Absolut und sowas von. Pack weiter aus. Dann siehst du es."
Skeptisch schaue ich auf den schwarzen Stoff welcher noch umhüllt von tannengrünen Papier vor mir liegt. Vorsichtig entfalte ich Schicht um Schicht und könnte laut lachen als ich das Ergebnis meiner Bemühungen erkenne. Zwei Schürzen liegen vor mir, schwarz mit einem Bindeband und eindeutigem Statement auf der Brust. Mr. und Mr.
"Das ist nicht dein Ernst", sage ich tonlos und versuche eine neutrale Mimik beizubehalten. Das ist nicht so leicht wie man denken könnte wenn man innerlich doch bereits dabei ist eine riesen Party zu feiern.
"Zu viel? Ich wusste es", sagt Jeffrey enttäuscht. Bevor er noch in depressive Schübe verfällt, erlöse ich ihn von seiner Qual.
"Wo ist mein Regenbogen?", frage ich. Und als hätte er nur darauf gewartet, dass ich diese Worte sage, holt Jeffrey eine kleine schwarze Schachtel aus der Hosentasche, hält sie mir entgegen und ich bekomme nur am Rande mit wie Tara quietschend in die Hände klatscht, Tammy 'Oh mein Gott' flüstert und Kate mir laut schluchzend um den Hals fällt.
"Dein Regenbogen? Genau hier. In meinen Händen", sagt Jeffrey, öffnet die Schachtel und zwei wunderschöne silberne Ringe kommen zum Vorschein.
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