Kapitel 2
Pheonix
Man hatte mich nach einem Vogel benannt, was an sich eigentlich ziemlich herabsetzend ist, aber meine Eltern hatten recht gehabt. Ich war genauso wie der Phönix, der Vogel, der im Alter in Flammen aufgeht und als jüngeres Selbst wieder aufersteht.
Ich war zwar nicht gestorben, aber ich war einige Male nah dran gewesen. Nun stand ich diesem fremden, verschreckten und für Winterende definitiv zu leicht bekleideten Mädchen gegenüber, das mich aus großen, dunklen Augen anschaute und Schritt für Schritt zurück stolperte.
Hatte sie Sienna umgebracht? Meine Freundin, die nun tot am Boden lag und ausblutete wie ein Tier, das man rein aus Spaß umbrachte oder leiden ließ?
Ich hatte das Messer gezogen, aber ich bezweifelte eigentlich, dass es wirklich dieses kleine, verschreckte Ding gewesen war, das Sienna umgebracht hatte. Hier lauerte etwas anderes. Die Luft war schwer von der Boshaftigkeit, die mich wachsam bleiben ließ, und die Dunkelheit erdrückend.
Das Mädchen, das sich fröstelnd die Arme um die Taille geschlungen hatte, war nicht aus der Wildnis, dafür stand zu viel Schrecken auf ihrem hübschen Gesicht. Sie hatte eine so unschuldige Ausstrahlung, dass ich das dunkle Netz, das sich um ihren Körper gewickelt hatte, beinahe nicht erkannt hätte.
Sie war befallen. Der Lord hatte sie als Eine der Seinen auserwählt. Sie stellte vielleicht jetzt noch keine Gefahr dar, doch in ein bis zwei Jahren wäre sie genauso schlimm wie alle anderen, die unter der Macht des Schwarzen standen. Ich musste sie umbringen.
Ich atmete tief aus und ging auf sie zu.
Das Mädchen schrie und weinte, als ich mich ihr näherte. Angst spiegelte sich in ihrem Blick und auf einmal erkannte ich, dass ich sie nicht umbringen konnte. Die Unschuld, die in ihren Augen lag, brachte mich dazu, weich zu werden. Das hatte ich noch nie verspürt. Ich war eigentlich niemand, der sich schnell beeinflussen ließ, doch sie ... Ich fand keine Worte für das Gefühl, das sie mir übermittelte.
Und dennoch ... sie stellte eine Gefahr dar.
Plötzlich regte sich um die Mosaik-Lichtung, wie ich den Ort nannte, die Dunkelheit als würde sie leben, und ich bekam kaum noch Luft. Ich fürchtete zu ersticken und wollte vor der Bedrohung fliehen, die sich langsam um die Lichtung zusammenzog.
Das Mädchen schien es gar nicht mitzubekommen. Sie starrte wie gebannt in die Ferne, sah aus, als würde es ihr mit jedem Atemzug, den sie tat, besser gehen. Ich konnte zusehen, wie sie stärker wurde, wie die Kälte zu einem Teil von ihr wurde und ich wusste nicht, wie ich es aufhalten sollte.
Die Nacht schien mich gefangenzunehmen. Ich versuchte, mich aus dem Strudel der Angst zu befreien, doch es war unmöglich. Wenn der Lord jemanden einmal im Griff hatte, konnte man nicht mehr entkommen.
Doch der Lord kam nie selbst, er schickte immer nur einen seiner Untertanen, der die Drecksarbeit ausführte. Noch bestand Hoffnung für mich.
Das dachte ich zumindest, bis eine hochgewachsene Gestalt aus dem Schutz der Bäume trat. Die Person trug durchgehend schwarz und war ebenfalls leicht bekleidet, wie das Mädchen. Er schien nicht zu frieren. Und dann erkannte ich ihn. Es war der Schwarze persönlich.
Das ist doch vollkommen unmöglich. Das ist noch nie geschehen!, dachte ich. Dann wurde mir bewusst, was das bedeutete. Er konnte meine Anwesenheit spüren und hatte meinen Körper in seinen Besitz gebracht. Und er holte das Mädchen. Sie musste etwas sehr Besonderes sein, wenn er sie selbst holen kam.
Dann erkannte ich, kurz bevor die Dunkelheit mich vollkommen einschnürte, dass er die Macht hatte, mein Leben zu beenden. Vor dieser Situation hatte ich immer versucht davonzulaufen, doch gerade heute, wo ich ein weiteres Mal neu auferstanden war, wurden all meine Pläne zunichte gemacht. Ich war dem Schwarzen nun vollkommen ausgeliefert.
Wenige Sekunden später wurde alles um mich herum von der Finsternis verschluckt.
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