Kapitel 1.2
Winter
Ich kroch weiter weg, wollte einen möglichst großen Abstand zwischen mich und das schreckliche Mosaik bringen.
Sehr zu meinem Leidwesen schob sich in diesem Moment wieder eine Wolke vor den Mond und für einen Moment war ich vollkommen blind, weil mir das Licht weggenommen wurde. Dann gewöhnten meine Augen sich wieder an die Lichtverhältnisse, doch nun war ich abermals auf meine verkümmerten, kaum vorhandenen Instinkte angewiesen.
Die Kälte kroch mir bis in die Knochen und entzog mir meine sowieso schon knappe Wärme, bis ich mit einem erstickten Keuchen in mich zusammensank.
Auf einmal veränderte sich etwas. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber etwas war definitiv anders. Ein Umriss, der vor gerade einmal einer Sekunde noch nicht da gewesen war, zeichnete sich am Boden ab. Ich ballte die Fäuste.
Da lag jemand. Genau an der gleichen Stelle, an der das Mosaik der Frau war. Es sah verdächtig nach genau dieser Frau aus. Das war doch nicht möglich!
Es ist nur ein Traum, versuchte ich mich zu beruhigen, doch alles war so intensiv, so real.
Ich hustete und hielt mir eine Hand vor.
Wieder wurde es heller und mir blieb beinahe das Herz stehen. Es war wahrhaftig die Frau aus dem Mosaik und rote Schlieren flossen auf mich zu.
Ich sprang auf und wollte davonrennen, doch eine unsichtbare Macht hielt mich an Ort und Stelle. Ich wollte doch gar nicht sterben! Ich hatte das nicht so gemeint, als ich meiner Mutter diesen Satz wutentbrannt entgegengeschleudert hatte.
Ich blickte auf meine Hand hinunter, die sich seltsam glitschig anfühlte. Zuerst dachte ich, an mir würde das Blut der Frau kleben oder meine Hände würden vom Aufschürfen nun richtig stark bluten, bis ich den seltsamen, abstoßenden Geschmack im Mund bemerkte.
Ich hatte nur die Vermutung, dass Blut nach Eisen roch und schmeckte, da ich noch nie geblutet hatte. Als ich mir mit dem Handrücken über den Mund wischte, blieb ein roter Streifen zurück. Ich hustete Blut.
Wieder fing ich an zu weinen. Tränen rollten mir über meine halb gefrorenen Wangen und ich legte meinen Kopf in meine blauen Finger, die nur noch schlecht durchblutet wurden, weil die Kälte meinen Körper langsam übermannte.
Und immer noch wachte ich nicht auf. Ich erkannte resigniert, dass ich nicht aufwachen würde, weil es kein Traum war.
Während die Panik mich in Besitz nahm, konnte ich mich nicht vom Fleck rühren und musste zusehen, wie meine bloßen Füße bis zu den Knöcheln in einem Storm aus Blut versanken. Die Frau musste tot sein.
Das Rascheln der Blätter ließ mich zusammenzucken und wieder ein wenig zur Vernunft kommen. Ich wusste nicht, wohin ich laufen sollte, doch sicher war, dass an diesem Ort Böses lauerte und ich ihm entkommen musste, bevor es mich zerstörte.
Zu spät merkte ich, dass das Rascheln nicht vom Wind herrührte, sondern dass noch eine andere, lebende Person anwesend war.
Eine Person, der ich nicht trauen konnte.
Eine Person, die nun wenige Meter vor mir stand.
Eine Person, die ein blitzendes Messer in der Hand hielt.
Ich wollte und würde nicht hier sterben!
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