23. Kapitel
Als ich am nächsten Morgen erwachte, zog ich mir meine Kleider an und lief herüber zur Waschschüssel. Ich spritzte mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, um wacher zu werden, und trocknete es mir schließlich mit einem Tuch. Danach beschloss ich, mit Ylenia durch das Lager zu laufen. Die unendlich vielen Zelte schienen wie ein nicht endender Irrgarten. Zufällig erreichte ich die Käfige, in welchen einige Gefangene saßen.
Ich bemerkte wie Ylenias Muskeln sich anspannten. Sie zog ihren Kopf ein und gab ein leises, aber bestimmtes Knurren von sich.
»Was ist?«, fragte ich und sah mich um.
Ein Soldat trat mir in den Weg und verbeugte sich knapp. »Prinzessin, Ihr solltet nicht hier sein.«
»Warum? Was ist hier?«, wollte ich wissen und lief unverfroren weiter.
»Prinzessin«, sagte der Mann wieder.
Ich erreichte einen alleinstehenden Käfig und blickte neugierig hinein. Bei dem Anblick des Gefangenen erstarrte mein Gesicht und ich wurde bleich.
»Prinzessin, Ihr solltet -«
Ich hob die Hand und der Mann schwieg. »Geht. Lasst mich allein.«
Nach kurzem Zögern verschwand der Soldat und ich sah wieder zu dem Gefangenen.
»Prinzessin ... Ihr habt es weit geschafft, M'lady. Ich denke, wir hatten noch nicht die direkte Bekanntschaft. Ich bin -«
»Jaime Lennister«, sagte ich finster. »Ich weiß, wer Ihr seid.«
»Das spart viel Zeit. Ich würde ja gerne aufstehen und mich verbeugen, aber leider trage ich das hier.« Jaime Lennister hielt seine Fesseln hoch. Sein Gesicht und seine Kleidung waren verschmutzt. Er trug einen Bart und seine Haare waren fettig und länger als bei unserem ersten Treffen. Er saß im Matsch und Schlamm. Es war ein beißender Gestank, der in meine Nase zog. Im Gesicht trug er ein Lächeln, ein irres Lächeln.
»Wenn Ihr mich befreien würdet, würde ich Euch vielleicht eine wunderschöne Nacht bescheren. Ihr seid sicherlich noch Jungfrau ...«
»Denkt nicht einmal daran«, zischte ich wütend und Ylenia knurrte neben mir bedrohlich.
»Verzeihung. Ich habe daran gedacht.« Er grinste mich amüsiert an.
»Noch ein Wort und mein Wolf zerreißt Euch in Fetzen«, schwor ich und Ylenia trat einen Schritt nach vorn.
»Dazu bräuchtet Ihr erst einmal einen Schlüssel und ohne Erlaubnis Eures Bruders bekommt Ihr keinen. Somit ist mein Leben für den Anfang gerettet und ich kann weiter reden.«
»Ich weiß, wer der Vater von Joffrey, Tommen und Myrcella ist«, sagte ich und legte Ylenia meine Hand auf ihren Rücken, damit sie sich beruhigte. Sofort entspannte sie sich.
»Ja? Das freut mich. Jetzt wisst Ihr, wer der Vater ist -«
»Ihr seid der Vater. Eure Schwester und Ihr habt diese Kinder gezeugt, und weil mein Vater es herausgefunden hatte, musste er sterben. Ich würde Euch hier und jetzt umbringen, aber Ihr habt Recht: Ich habe keinen Schlüssel und ich brauche die Erlaubnis meines Königs. Keine Sorge, Königsmörder. So nennt man Euch doch, nicht wahr? Ich werde mir die Erlaubnis holen.«
Somit schritt ich davon, gefolgt von meinem Wolf. Ich lief zu dem Zelt meines Bruders. Vor diesem standen zwei Wachen, die mir mit ihren Speeren den Zutritt verweigerten.
»Der König ist gerade in einer wichtigen Besprechung, Prinzessin«, sagte der eine.
»Das hindert mich nicht daran, dass Zelt zu betreten«, meinte ich kühl und trat einen Schritt nach vorn, doch die Männer gaben nicht nach. »Macht mir Platz!«
Ylenia knurrte drohend und die Wachen sahen sich unsicher an.
»Das war keine Bitte.«
In diesem Moment wurde das Zelt geöffnet und einige Lords, Vasallen meines Bruders, traten heraus. Ich blickte die Wache finster an, als sie salutierte, und betrat das Zelt.
»Robb, was macht Jaime Lennister hier?«, fragte ich sofort.
»Wir haben ihn gefangen genommen, in einer Schlacht«, erklärte er und beugte sich über die Karte.
»Ja, das konnte ich mir denken, aber warum lebt er noch?«
»Weil Mutter ihn zum Tausch gegen unsere Schwestern anbieten möchte«, meinte Robb und sah mich an. »Ich jedoch finde, dass wir mehr herausholen können.«
»Und was, wenn ich fragen darf?«
»Ich wollte verhandeln. Ich wollte, dass der Bastard-König mir den Norden übergibt und mich als Herrscher anerkennt.«
»Ist das denn wichtiger als unsere Schwestern?«, fragte ich verständnislos.
»Du klingst wie Mutter«, meinte Robb kopfschüttelnd und lehnte sich gegen den Kartentisch.
»Und du klingst wie jemand, der nur nach Macht strebt. Du klingst nicht wie du, Robb. Du bist nicht mehr der, den ich in Winterfell verlassen habe.« Ich sah ihn durchdringend an und er blickte mit Härte im Gesicht zurück.
»Du bist auch nicht mehr die, die ich in Winterfell gehen gelassen hatte«, sagte Robb. »Sienna, der Krieg hat uns verändert. Die Zeit hat uns verändert.«
Ich sah ihn schweigend an. »Lass mich zurück nach Winterfell gehen. Zurück zu Bran und Rickon.«
»Das werde ich nicht. Hier bist du sicherer als dort.«
»Wie bitte? Ich befinde mich in einem Kriegslager!«, rief ich entzürnt.
»Du befindest dich bei mir. Nur das zählt.«
»Und Bran und Rickon? Zählt Familie denn gar nicht?«
»Familie, Pflicht, Ehre waren die Worte der Tullys, nicht der Starks, wenn ich mich recht entsinne«, entgegnete Robb kühl.
Mir stiegen Tränen in die Augen. »Wir haben unseren Vater verloren, den Wächter des Nordens. Er konnte ihn halten, er war Robert Baratheon vollkommen unterworfen, denn sie waren Freunde, seit ihrer Kindheit. Joffrey sitzt auf dem Thron, seine Mutter ist die Beraterin. Sie haben Tywin Lennister auf ihrer Seite, dem Lord des reichsten Königshauses in Westeros. Du hast nicht den Hauch einer Chance als irgendein weiterer Lord -«
»Ich bin der König des Nordens!«, donnerte Robb und setzte sich auf.
»Du bist nur König, weil die ehemaligen Vasallen unseres Vaters dich zu einem gemacht haben!«, erwiderte ich mit ebenso lauter Stimme. Ich warf einen Blick auf die Karte. »Das Haus Graufreud ist nicht auf deiner Seite, Renly und Stannis Baratheon ernennen sich jeweils selbst zum rechtmäßigen König. Wer bleibt dir noch? Die Tyrells? Wie es scheint sind die auf Renlys Seite. Die Martells? Vielleicht. Sie hassen die Lennisters. Man würde uns auslöschen können. Ein Schlag und die Starks sind tot. Glaubst du, die wenigen Schlachten, die du gewonnen hast, lassen dich den Norden halten? Egal, was passiert: Wir sterben irgendwann.«
»Irgendwann ist nicht heute«, meinte Robb.
»Irgendwann ist auch nicht, wenn wir alt und grau sind«, warf ich ein.
»Und was ist dein Plan?«
»Zieh dich zurück, hol unsere Familie beisammen und halt dich aus dem Ganzen heraus.«
»Um dann von den Lennisters oder irgendeinem Baratheon-Heer überrannt zu werden?«, hackte Robb nach. »Du bist nur eine Frau. Du hast keine Ahnung von der Kriegskunst.«
Ich wandte mich wütend um und wollte gehen, als die Zeltwand zur Seite geschoben wurde und eine schlanke braunhaarige Frau hereintrat.
»Verzeihung, Majestät. Ich wollte nicht stören, aber -«
»Nein, nein. Es ist nicht weiter schlimm. Wir waren eben fertig«, sagte Robb.
Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn ernst, aber innerlich verwundert an.
»Ich bin Talisa«, erklärte die Frau und knickste vor mir.
Ich warf ihr einen finsteren Blick zu, ohne etwas zu erwidern, und verließ das Zelt.
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