Szene ⑤
Lilia war ganz vertieft darin gewesen, dass immer näherkommende Gebäude anzustarren und sich vorzustellen, ihre Freunde daraus zu befreien, dass sie gar nicht bemerkte, wie Kristinas Pferd immer langsamer wurde.
Erst, als es ganz zum Stillstand kam, fiel ihr der fehlende Gegenwind auf. „Was ist los?"
„Hier müssen wir absteigen. Vor ein paar Wochen sind hier Bäume umgefallen, über die mein Pferd nicht hinüberspringen kann."
„Ach so."
Jasper glitt als erster nach unten und sah dabei weniger elegant aus, als er es gerne gehabt hätte.
Danach half er Lilia beim Absteigen.
„Wir müssen uns beeilen", wies er seine Freundin sofort an.
„Ich weiß. Kristina, kommst du?"
Die Reiterin saß noch immer auf ihrem Pferd. Den Kopf hatte sie gesenkt, als plötzlich ein mitleidiger Ausdruck auf ihr Gesicht trat. „Tut mir leid."
Mehr sagte sie nicht. Sie brachte ihr Pferd zum Wenden, animierte es mit einem kräftigen Kommando zum Loslaufen und galoppierte davon.
„Was war das denn?", fragte Lilia angespannt. Sie ahnte bereits Schlimmes.
„Ich glaube, sie hat uns verarscht."
„Du meinst ..."
„Sie hat uns nicht hierhergebracht, um unsere Freunde zu retten, sondern um ebenfalls vom Förster gefangen genommen zu werden."
Lilia wollte das nicht glauben. „Aber ihre Geschichte hatte so echt gewirkt. Als wäre sie wirklich auf unserer Seite."
„Tja." Jasper zuckte nur mit den Schultern. „Lass uns lieber überlegen, was wir jetzt machen. Trotzdem auf das Haus zugehen, oder lieber in die andere Richtung davonlaufen?"
Da brauchte Lilia nicht zweimal zu überlegen. „Wenn Benno und Fria wirklich da drinnen sind, würde ich mir das nie verzeihen, wenn wir jetzt einen Rückzieher machen."
„Du hast recht." Jasper war einmal Lilias Meinung. Sofort lief er los, in Richtung des alten Gebäudes.
Sie waren keine Minute gelaufen, als sie etwas hörten. Durch die Dunkelheit konnte man keine zehn Meter weit sehen, doch die Geräusche waren eindeutig menschlich. Erst bekam Lilia Panik, der Förster käme auf sie zugelaufen, doch als sie die Stimmen erkannte, sammelten sich Tränen der Erleichterung in ihren Augen.
„Benno! Fria! Suzanne!" In ihrem Herzen spürte sie all die Liebe, die sie diesen Menschen entgegenbrachte. Sie rannte ihnen entgegen und auch wenn sie es sonst nie tat, zog sie die Freunde in eine stürmische Umarmung.
Jasper kam hinter ihr ebenfalls zum Stehen und strahlte seine Freunde an.
„Ihr seid unversehrt", sagte Lilia lächelnd.
„Mehr oder weniger." Benno schniefte und strauchelte, als Lilia ihn wieder losließ. Fria war auf Dauer echt schwer geworden und lange würde er sie nicht mehr halten können.
Als Lilia dies erkannte, schloss sie ihre Arme sofort wieder um Fria. „Warum? Was ist passiert?"
„Mein Bein schmerzt und Fria kann kaum laufen."
Jasper war sofort zur Stelle, und nahm die Freundin Lilia ab, die sie schon jetzt ganz überfordert gewesen war.
Fria waren beim Anblick von Jasper und Lilia schon wieder die Tränen gekommen. „Ich habe euch so vermisst", sagte sie und lehnte sich tiefer in ihre Umarmung mit Jasper. „Aber ihr kommt zu spät."
„Warum?"
„Der Förster ist hier und er will uns töten."
„Seid ihr euch sicher?" Jasper hatte das durch Kristinas Verrat bereits befürchtet, doch die endgültige Bestätigung tat weh. Shit, der Mann hatte eine Pistole. Würde er die Freunde in der Ferne sehen, würde er schießen.
„Er hat es uns gesagt. Und deshalb denke ich auch, dass er weiß, wo wir sind. Wir sollten also versuchen, schneller vorranzukommen."
Die Freunde beendeten ihr Gespräch und liefen los. Keiner traute sich, viele Geräusche von sich zu geben.
Es tat gut, wieder vereint zu sein. Fria merkte, wie sich ihre Schockstarre langsam löste und sie wieder besser laufen konnte.
Jasper und Lilia wiederzuhaben, gab ihr die Kraft, nach vorne zu blicken. Vielleicht würden sie es so doch noch nach Hause schaffen.
Zurück in das Vertraute. Zu ihren Eltern. Zu ihren Brüdern. Zu Tilo. Und zu allem, was ihr sonst noch lieb war.
„Es geht schon", versicherte sie Jasper, als dieser schwerer zu atmen begann. Eine ganze Weile schon hatte er seine Freundin gestützt, doch nun war ihre Kraft zurück.
Sobald Fria wieder lief, beschleunigte sich die Geschwindigkeit der Freunde. Sie joggten nun in einem gemächlichen Tempo. Schnell genug, um gut voranzukommen, aber immer noch langsam genug, um nicht sofort aus der Puste zu sein.
Durch Jasper und Lilias Ankunft hatten sie nun auch endlich einen Beweis dafür, dass sie in die richtige Richtung gingen. Hier würden sie nach Jesingen kommen und mit etwas Glück war die Polizei bereits auch auf dem Weg zu ihnen.
„Wir schaffen das", sagte Fria immer wieder. Sie glaubte noch nicht vollständig daran, doch sie hoffte, sich und ihren Freunden damit Mut zu machen.
„Wann taucht dein Vater endlich auf?", fragte Lilia keuchend an Jasper gewandt.
„Es kann nicht mehr lange dauern. Warte, ich versuche, ihn zu erreichen." Jasper wählte die Nummer, doch im tiefsten Wald hatte sie keinen Empfang. Er konnte nur hoffen, dass die Anweisung, die sie an der Polizeistation erteilt hatten, und die Standortübermittlung endlich angekommen waren und, gereicht hatten, um sie ausfindig zu machen.
„Ich versuche es gleich nochm ..." Jasper stockte mitten im Satz. Zwischen zwei Baumreihen hatte sich vor ihnen eine Art Zaun aufgetan. Er war hoch, so hoch, dass man nicht einfach hinüberklettern konnte.
Durch die Dunkelheit hatte man die schwarze Barriere erst erkennen können, als sie direkt vor ihnen aufgetaucht war.
„Was hat das hier zu suchen?", fragte Jasper alarmiert. Er ahnte bereits Schlimmes.
Mit seiner Hand hämmerte er gegen die robuste Konstruktion und musste erkennen, dass sie aus Stahl war.
„Vielleicht ein Naturschutzgebiet? Wir werden sicher einen Weg darum herum finden." Suzanne machte ein paar Schritte zur Seite, dann ein paar weitere. „Die Wand scheint sich hier einmal rumzuziehen. Es wird dauern, bis wir das Ende erreicht haben."
Jasper schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass es ein Ende gibt." Kristina hatte Lilia und ihn vorhin wirklich in eine Falle gelockt, und jetzt wusste Jasper auch, warum. Sie hatte sie gezielt durch den Wald gelotst, damit sie von dem, was im Hintergrund abging, noch nichts mitbekamen. Damit der Förster genau wusste, wo er hingehen musste, nachdem Kristina die Freunde verlassen hatte.
Suzanne verstand dies noch nicht. „Warum? Etwas muss die Wand ja einzäunen. Eine Ziegenfarm oder so."
Die Kälte ließ Benno schneller zur Realisation kommen, als ihm lieb war. Er wusste plötzlich, worauf Jasper hinauswollte.
Es erklärte auch, warum der Förster vorhin meinte, dass heute auf jeden Fall das Finale stattfand.
Entweder, sie würden ihn fassen, oder er würde sie töten. Er hatte nie etwas von einer dritten Möglichkeit erwähnt. Ein ihr entkommt und ich mache weiter gab es nicht.
Und den Grund dafür erkannte Benno jetzt.
„Der Zaun da zäunt nicht irgendwas ein. Er zäunt uns ein. Er hat einen Kreis um das Haus und sein Waldstück gespannt. Der Förster hat ein Spielfeld erschaffen. Er meint es ernst. Entweder, wir erledigen ihn, oder er erledigt uns."
Taumelnd ließ sich Lilia gegen den schwarzen Zaun sinken, als Bennos Worte bei ihr ankamen. Scheiße, sie kamen hier wirklich nicht mehr raus!
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