Szene ④


Nachdem Fria das Gitter zur Seite geschoben hatte, welches sie in ihrer Küche gefangen gehalten hatte, hatten Benno, Sue und sie schnell den Ausgang gefunden.

Die Haustür war zu ihrer Überraschung nicht abgeschlossen gewesen, weshalb sie leise jubelnd nach draußen gerannt waren.

Nun standen sie vor dem alten Haus, welches Fria und Benno bereits identifizieren konnten, und fragten sich, in welche Richtung sie gehen sollten.

Zwar kannten sie das alte Gebäude, hatten aber keine Ahnung, wo genau sie sich in den träumenden Wäldern befanden.

Würden sie jetzt, in der Dunkelheit, bei Eiseskälte, in eine falsche Richtung gehen, würde das womöglich ihr Leben kosten. Wo war nur die kleine Straße, die sie zurück nach Jesingen führen könnte?

„Weiß einer ... wie man in der Dunkelheit ... die Himmelsrichtungen zuordnen ... kann?", fragte Fria. Sie fror so stark, dass sie nicht einmal einen zusammenhängenden Satz sprechen konnte. Ihre Hände hatte sie tief in den Ärmeln ihres Pullis vergraben, doch viel Wärme bot das nicht.

Der Förster hatte ihnen während ihrer Ohnmacht die Jacken ausgezogen und in der eiligen Flucht hatten sie diese nicht wiedergefunden.

„Keine Ahnung", antwortete Benno mit klappernden Zähnen. „Wir müssen uns jetzt schnell entscheiden, oder wir gehen doch lieber wieder ins Haus. Ich bin lieber ein Gefangener als eine Frostleiche."

Frias Augen weiteten sich, als sie daran dachte, zurück hinter das Gitter zu müssen. Sie hatte die letzten Stunden in der ständigen Angst gelebt, der Förster würde sich doch dazu entscheiden, sie umzubringen. Niemals würde sie freiwillig dorthin zurückgehen.

„Nein!", rief sie deshalb bestimmend. „Lasst uns hier lang gehen." Sie deutete nach rechts, in die Richtung, die ihr Bauchgefühl ihr riet. Wenn sie auf dieses hörte, tat sie meist das Richtige.

Da Benno und Suzanne ebenfalls keine Ahnung vom richtigen Weg hatten, zuckten sie nur mit den Schultern und liefen Fria nach. Schlimmer konnte ihre Lage sowieso nicht mehr werden.

Doch nach wenigen Schritten ertönte ein Ton, wie er vor einer Ansage aus Lautsprechern zu hören war.

Benno schreckte zusammen und hielt sich die Ohren zu. Aua! Das hatte weh getan. Er sah sich um und erkannte mehrere kleine Lautsprecher, die an der Außenwand der alten Villa angebracht waren.

Unter der kleinen Schneedecke, die sich auf ihnen gebildet hatte, sah man sie fast gar nicht mehr.

Der Durchsageton erzeugte eine Gänsehaut auf Bennos Haut. Trotz der Kälte wurde ihm plötzlich unfassbar warm.

Es konnte kein Zufall sein, dass die Lautsprecher in der Sekunde angegangen waren, als die Freunde sie passiert hatten. Der Förster musste genau wissen, wo sie sich befanden. 

Als wollte er dies bestätigen, begann in dieser Sekunde ein Lied, welches keinem der drein geläufig war.

Fria hatte noch stärker zu zittern begonnen, und da sich gerade keiner traute, sich groß zu bewegen, zog Benno sie zu sich in seine Arme. Mit der anderen Hand berührte er Suzanne.

Frierend und angsterfüllt warteten die Freunde darauf, dass das kurze Lied endete, und der Förster seine Botschaft verkünden konnte.

„Willkommen zum großen Finale", ertönte seine Stimme. Man hörte heraus, dass sie wieder elektronisch verstellt worden war. Hatte er damit auch jemanden beauftragt, oder konnte der Förster allein einen Voice-Changer bedienen?

„Lasst uns ein Spiel spielen. Wenn ihr mich fangt, ist es aus für mich, aber wenn ich euch zuerst finde, seid ihr tot."

Kaum war der Satz gesprochen, brach Fria neben ihm zusammen. Benno hatte versucht, sie zu halten, doch da er so plötzlich ihr ganzes Gewicht gespürt hatte, hatte er es nicht hinbekommen. Gemeinsam gingen sie zu Boden. Benno rollte sich sofort von Fria herunter. Er wollte sich neben sie knien, um ihre Panikattacke zu verhindern, da halte noch eine zweite Botschaft durch die Lautsprecher.

„Versucht erst gar nicht, davonzulaufen, Ich werde euch überall finden." 

„Fria. Bitte steh auf, wir müssen los." Suzanne versuchte hilflos, Fria in eine aufrechte Position zu bringen.

„Nein ... ich kann ... nicht." Heiße Tränen liefen über ihre Wangen und man sah in ihren Augen, dass sie bereits aufgegeben hatte.

So würden sie niemals gegen den Förster ankommen. Sie waren drei Jugendliche, was wollten sie gegen einen erwachsenen Mann ausrichten? Noch dazu gegen einen, der mit einer Waffe herumlief.

„Fria, bitte!" Benno schaffte es mit all seiner Kraft, seine Freundin nach oben zu stemmen. „Wenn wir hier liegen bleiben, hat der Förster uns in wenigen Minuten gefunden. Wo auch immer er sich befindet, hier wird er als erstes nachsehen. Deshalb müssen wir hier weg. Er weiß offensichtlich, dass wir hier sind."

„Das hat doch alles gar keinen Sinn mehr!", schrie Fria. Man sah ihr deutlich an, dass sie nicht mehr konnte. Die letzten Wochen in Angst, hatten sie zu einem körperlichen Frack werden lassen.

Fria war ein positiver Mensch, der sein Leben immer zu schätzen gewusst hatte. Sie war gerne am Leben. Sie liebte ihr Leben.

Und deshalb war sie noch nicht bereit dazu, es sich stehlen zu lassen.

Doch gleichzeitig hatte der Förster sie in den letzten Wochen so zerstört, dass die Angst sie bewegungsunfähig machte. Auch wenn Fria gerne aufstehen und davonrennen wollte, ihre Beine versagten unter ihr.

„Ich komm hier nicht weg", schrie sie Benno und Suzanne entgegen. „Ich kann nicht!"

„Doch." Benno versuchte abermals, ihr hochzuhelfen. Langsam wurde auch er panisch. Was machte Fria denn? Wenn sie nicht schnell von hier wegkamen, würde der Förster gleich mit seiner Pistole erscheinen. „Komm jetzt Fria."

„Ich kann nicht", sagte sie wieder und begann, noch stärker zu weinen. „Ich kann es einfach nicht."

Benno stiegen ebenfalls die Tränen auf. Das konnte nicht wahr sein. Fria durfte sich jetzt nicht einfach aufgeben.

„Bitte Fri. Du musst aufstehen!" Benno begann aus Frustration zu schluchzen und tränenüberströmt startete er einen letzten Versuch, Fria nach oben zu hieven. Dieses Mal zog Suzanne mit ihm und tatsächlich schafften sie es.

Keuchend ließ sich Fria in die Arme der beiden fallen. „Lasst mich doch bitte einfach zurück. Ihr seid viel schneller ohne mich." Fria presste ihren Kopf an Bennos Schultern und ließ ihre Tränen so über seinen Nacken fließen. 

Es störte ihn gar nicht. Weinend bewegten Suzanne und er sich ein paar Schritte nach vorne. So würde es schon irgendwie gehen.

Fria so zu transportieren, war leichter als gedacht. Doch auf die Dauer würde es sicher trotzdem anstrengend werden. Sie konnten nur hoffen, dass der Förster zufälligerweise immer einen anderen Weg nahm, und sie so unentdeckt aus dem Wald kommen würden.

Noch sah man ihn nicht. Es gab nur die allumfassende Dunkelheit, die sie umrundete, sobald sie aus dem Lichtkreis des Hauses traten.

Bennos Tränen verdichteten sich, als ihm die Absurdität seiner Gedanken bewusstwurde. In der Lautstärke und in der Geschwindigkeit, in der sie sich bewegten, müsste der Förster ganz schön doof sein, um nicht auf sie aufmerksam zu werden.

Die Zeit stand gegen sie. Niemals würden sie unbemerkt aus dem Wald entkommen.

Ohne Fria wären sie zwar schneller, doch nie würde Benno seine Freundin im Stich lassen. Wenn Fria starb, starb ein Teil von ihm mit ihr. So wie es bei Maleas Tod passiert war.

Jeder Schritt tat Benno in seinen frierenden Knochen weh und er fragte sich, wie lange er noch weitermachen sollte.

Irgendwann würde der Förster sie sowieso einholen, abknallen und leblos in der Kälte liegen lassen. Es gab kein Entkommen mehr aus diesem Schicksal.

Benno versuchte mit aller Kraft, diesen Gedanken auszublenden, doch es hatte keinen Zweck. Immer wieder gingen ihm diese vernichtenden Gedanken durch den Kopf.
Dies war das Ende.

Suzannes Ende.

Frias Ende.

Sein Ende.   

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