Szene ⑤
Wieder waren Stunden vergangen, in denen in Frias und Bennos Gefängnis nichts passiert war.
Es hatte sie einiges an Überwindung gekostet, dass Essen des Försters aufzuessen. Der Geschmack war unterirdisch. Hatte Suzanne den billigsten Doseneintopf aus dem Supermarkt gekauft, und den über einem Feuer lauwarm aufgewärmt? So schmeckte es nämlich.
Nach dem Essen hatten sich Benno und Fria nochmal im Zimmer umgesehen. Einer der Schränke ließ sich öffnen, doch außer einer Spielesammlung befand sich nichts dort drinnen.
Was wollte ihnen der Förster denn damit sagen? Sollten sie hier jetzt wirklich sitzen und Mensch ärger dich nicht spielen?
Der Schmerz in Bennos Bein ließ zum Glück langsam nach und so konnte er aufstehen und ein bisschen im Zimmer herumlaufen.
Gerade besprach er mit Fria die Lage, als wieder die Schritte im Flur zu hören waren.
Was wollte Suzanne denn jetzt von ihnen?
Die junge Frau betrat mit angehaltenem Atmen die Stelle vor dem Gitter. Sie konnte Benno nicht in die Augen sehen und versuchte stattdessen, bei Fria Sympathie zu erlangen.
„Der Förster ist gerade nicht da. Ich denke mal, dass es eine Falle ist, aber ich will mein Glück trotzdem versuchen. Ich werde euch jetzt meine Geschichte erzählen. Wenn er mich dafür umbringt, ist es halt so. Hier weg komme ich so oder so nicht mehr." Tränen bildeten sich in Suzannes Augen.
Benno wäre gerne zu ihr hingegangen, und hätte sie in seine Arme gezogen. Nein, Moment. Er war sauer auf sie. Er hasste sie ... zumindest versuchte er das.
Doch wie konnte er sie hassen, wenn sein Herz ihm so eindeutig signalisierte, dass ganz andere Gefühle für sie in ihm ruhten?
Fria sah zu ihrem Freund und erkannte den Kampf, welcher in ihm tobte. Sie entschied sich, ihm zu helfen, indem sie an seiner Stelle an das Gitter trat. Sie streckte ihre Hand durch die Metallstreben und berührte damit Suzannes Schulter. „Du musst das nicht tun. Wir finden sicher noch einen Weg nach draußen."
„Ja, das werden wir. Und zwar zusammen."
„Aber wie?"
„Darum werde ich mich gleich kümmern. Erst muss ich mit Benno reden." Wieder versuchte Suzanne, Blickkontakt mit ihrem Freund aufzubauen, doch dieser strafte sie mit seiner Rückenansicht.
„Also gut. Ich denke mal, du hörst mir trotzdem zu, deshalb fange ich jetzt einfach an." Suzanne schluckte. „Bevor ich nach Jesingen gezogen bin, hatte ich einen Freund. Tom. Wir haben alles zusammen gemacht. Er war mein ein und alles."
„Oh großartig, dann hast du also auch dein Interesse an mir vorgespielt?", fragte Benno. In seiner Stimme schwang Wut mit, doch er war noch immer zur Wand gedreht.
„Nein ... so meinte ich das nicht. Tom und ich haben uns getrennt, noch bevor ich hierhergekommen bin. Er ist nur wichtig für den weiteren Verlauf der Geschichte, dass ihr darüber Bescheid wisst."
„Na dann bin ich aber gespannt ..."
Suzanne musste wieder schlucken. Benno klang alles andere als gespannt. Es klang eher so, als würde er Suzanne gleich erwürgen wollen. „Ich habe schon immer gerne mit Photoshop und all den anderen Programmen der digitalen Bildbearbeitung beschäftigt. Ich meine, meine Eltern haben mir das quasi in die Wiege gelegt. Durch unseren Selfmade-Spiele-Shop hatte ich schon in meiner frühen Kindheit Zugang zu diesem Bereich", begann sie ihre Geschichte. „Ich habe ewig gebraucht, um das System zu verstehen, aber mittlerweile bin ich ganz gut darin."
„Dann hast du die Kameraaufzeichnungen vom Förster bearbeitet?", fragte Fria atemlos.
„Alles zu seiner Zeit." Suzanne wollte darauf noch nicht eingehen, denn ihre Geschichte begann zu einem früheren Zeitpunkt und eine Herangehensweise ohne Chronologie würde zu Missverständnissen führen.
„Auf jeden Fall hat eine meiner Freundinnen mich einmal dabei beobachtet, wie ich in der Schule an einem Projekt gebastelt habe. Sie war super interessiert und ich habe mir nichts dabei gedacht. Es hat mich gefreut, dass sich jemand für mein Hobby interessiert."
Fria wollte Suzanne nicht unterbrechen, doch als diese zögerte, den Rest der Geschichte zu erzählen, fragte sie nach. „Was ist dann passiert?"
„Das Mädchen hat mich in etwas hereingeredet, bei dem ich eigentlich nie zugestimmt hätte. Wie sich herausgestellt hatte, hatte sie Zugang zu den Überwachungskameras eines Supermarkts bei uns in der Stadt. Ich sollte sie auf den Aufnahmen unkenntlich machen, damit sie schnell hineingehen und Alkohol stehlen konnte."
„Und damit hat dich der Förster erpresst? Woher wusste er das denn?" Fria fühlte sich, als würde ihr die Zeit davonlaufen. Wenn Suzanne wirklich einen Plan hatte, wie sie hier rauskommen könnten, dann sollte sie sich mal bei ihrer Geschichte beeilen. Im Endeffekt spielte es gerade keine Rolle, warum sie die Freunde verraten hatte, wenn sie jetzt bereit war, zu helfen.
„Als ich nach Jesingen gezogen bin, waren wir am ersten Tag auf dem Bürgeramt. Mein Ex-Freund rief mich an ..."
„Ich dachte ihr wart zusammen?"
„Da nicht mehr." Suzanne schüttelte den Kopf. „Wir hatten uns getrennt, weil wir uns auseinandergelebt hatten. Ich habe das nur erwähnt, weil es gleich noch wichtig wird."
„Ok." Fria versuchte, nun wirklich ihren Mund zu halten. Wenn sie weiterhin so viele Rückfragen stellte, würde Suzanne nie fertig werden.
„Auf jeden Fall hat er mich angerufen und mir erzählt, dass er gesehen hat, wie ich die Kameras sabotiert habe. Seinen Eltern gehört der Supermarkt und er hat mich gesehen, weil er mich aus dem Fenster beobachtet hat. Er hat mir gedroht, zur Polizei zu gehen, wenn ich mich nicht selbst stelle. Daraufhin habe ich Panik bekommen. Seine Eltern braucht das Geld und der Alkohol, den meine Freundin geklaut hatte, war viel wert. Es wäre sein gutes Recht gewesen, mich anzuzeigen. Meine Freundin war fein raus. Sie hatte ich ja unkenntlich gemacht. Und obwohl ich extrem sauer auf sie war, wollte ich sie nicht auffliegen lassen. Ich bekam also Panik wegen seiner Drohung. Doch zum Glück hatte auch ich etwas gegen ihn in der Hand, was ich ihm dann ebenfalls an den Kopf warf."
Suzanne sah zu Fria und merkte, wie diese still verlangte, auf die Tube zu drücken. Benno hingegen schien noch immer nicht überzeugt von der Geschichte.
„Da gehe ich jetzt besser nicht genauer drauf ein. Mein Ex hatte auch ziemlich Dreck am Stecken und es hätte eine lange Schlammschlacht gegeben. Ich habe ihm das alles entgegengeworfen und nicht darauf geachtet, dass ich ja noch immer im Bürgerzentrum stehe. Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, habe ich gemerkt, dass Dorothea Verhaag alles mit angehört hat. Sie wusste also, dass ich die Kameraaufnahmen im Supermarkt bearbeitet habe und deshalb an einem Raubzug beteiligt war. Kaum war ich an diesem Tag nach Hause zurückgekehrt, gingen auch schon die Erpresser-Mails los."
„Also ist Dorothea doch der Förster?" Fria machte große Augen. Könnte das sein?
Doch Suzanne schüttelte sofort den Kopf. „Das glaube ich nicht mehr. Eine Zeit lang habe ich sie verdächtigt, aber jetzt glaube ich, dass sie es dem Förster nur weitererzählt hat. Warum auch immer."
„Warum denkst du das?"
„Während sie die letzte Woche in Untersuchungshaft saß, habe ich weitere E-Mails erhalten."
„Verstehe. Spätestens diese Mails konnte sie nicht gesendet haben."
Fria überlegte lange, was sie sagen sollte. Suzannes Geschichte klang schlüssig. Sie wurde also damit erpresst, für Ladendiebstahl und der emotionalen Erpressung an ihrem Ex-Freund angezeigt zu werden. Doch wofür hatte der Förster sie gebraucht? Das verstand Fria noch immer nicht.
„Was hast du für den Förster tun müssen?", fragte sie deshalb gespannt. Vielleicht würde sie jetzt etwas ganz Harmloses erzählen, für das Benno ihr vergeben könnte. Immerhin sah man ihm an, wie gerne er Suzannes Hand nehmen würde, auch wenn sein Rücken noch immer zu ihnen gekehrt war. Seine beiden Hände waren nämlich ineinander verschränkt und er sah immer wieder auf sie hinab.
Fria kannte ihren Freund gut genug, um zu wissen, was in seinem Kopf abging.
„Wie du vorhin schon richtig bemerkt hast, habe ich die Kameras im Krankenhaus ebenfalls bearbeiten müssen, damit Hans Verhaag Malea mitnehmen konnte. Ich habe einfach ein Standbild des leeren Flurs über die aktuellen Aufnahmen gelegt. Außerdem musste ich die Videos bearbeiten, in welchen der Förster seine blutigen Botschaften an die Schulwand geschrieben hat."
Fria stieß einen spitzen Schrei aus. „Das war wirklich Blut?"
„Keine Ahnung. Ich habe es ja nur durch die Kamera gesehen."
Fria überlegte. „Wir haben in den Videos ja Hans Verhaag gesehen, aber du meinst, der wahre Förster hat die Botschaften geschrieben? Das heißt, du hast ihn gesehen?"
„Ja und nein." Suzanne seufzte. „Sein Körper in den schwarzen Klamotten ist echt. Das ist auch ein weiteres Indiz dafür, dass er ein Mann sein müsste. Aber sein Gesicht konnte ich nicht erkennen. Das war hinter einer schwarzen Maske verborgen."
„Schade." Das wäre dann doch zu einfach gewesen. „Aber mehr hast du nicht gemacht? Nur die Kameras ausgeschaltet und die Videos gefälscht?"
Sue nickte.
„Ok." Leicht lächelte Fria sie an. Das war weniger schlimm als erwartet. Anscheinend hatte sie nie Informationen über die Freunde verbreitet.
Außer natürlich, sie log.
So ganz konnte man ihr noch nicht vertrauen.
Fria wollte Suzanne gerade dafür danken, ihre Geschichte gebeichtet zu haben, als auf der rechten Seite ihres Gefängnisses Laute ertönten und Sue sich erschrocken umsah.
„Ich glaube, der Förster ist wieder da", sagte sie atemlos. „Ich gehe mal nachsehen."
„Zeigt er sich dir denn jetzt?"
„Nein. Ich kann mich auch nur bis zu einem bestimmten Punkt in diesem Haus bewegen, dann kommt auch bei mir ein Gitter, welches mich gefangen hält. Außer dem Flur gibt es noch eine Küche und eine Toilette, auf die ich zugreifen kann."
„Verstehe. Die Toilette würde ich jetzt auch gerne mal besuchen", sagte Fria nachdenklich. Bis eben hatte es sie nicht gestört, doch so wie es immer war, wenn jemand die Toilette erwähnte, musste Fria jetzt aufs Klo.
Ihre Gedanken schweiften zwischen dem ersehnten Ort und der Person vor ihr hin und her.
Suzanne war also auch nicht frei. Der Förster benutzte sie nur als Butler der Gefangenen. Sie war erpresst worden und hatte sich strafbar gemacht, und trotzdem sperrte der Förster sie jetzt hier mit ein. Hatte Suzanne vielleicht etwas falsch gemacht? War sie irgendwo aufgeflogen, weshalb der Förster jetzt sauer auf sie war?
Gerade ertönten wieder Laute rechts von ihnen und Sue sah sich angespannt um. Fria warf ihr noch ein schnelles: „Dann pass auf dich auf", zu.
„Ja. Ich komme wieder, sobald ich einen Weg gefunden habe, euch hier herauszuholen."
„Sollte es so einen Weg geben", gab Benno zu bedenken. Es war das erste Mal, dass er sprach, seit Suzanne an ihr Gitter getreten war.
Die junge Frau sah ihn lange und durchdringend an, bevor sie sich abwandte und davonlief. „Ich hol euch hier raus."
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Und damit endet schon Kapitel 8! Wow, ich kann nicht glauben, dass die Geschichte bald zu Ende erzählt ist. Schon anderthalb Jahre begleiten mich Fria, Benno, Lilia, Jasper & Malea und ich kann mir ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen.
Was glaubt ihr, werden es die Freunde innerhalb der letzten zwei Kapitel nach draußen schaffen?
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