Szene ④
Am nächsten Morgen trafen sich die Freunde in ihrer Discord-Gruppe. Alle waren müde, alle waren verschlafen, aber seit Monaten war dies der erste Tag, an dem alle glücklich waren.
Fria goss sich Kaffee nach, als sie mit geschwollenen Augen in die Kamera lächelte. „Morgen Leute", grüßte sie.
Benno lächelte ebenfalls. Er lag noch im Bett, eins seiner Notizbücher, in welches er Song schrieb, lag neben ihm. Hatte er gestern noch etwas komponiert? „Wie geht es dir?", fragte er gut gelaunt.
Fria konnte nicht glauben, dass sie das erste Mal seit Monaten mit einem ernst gemeinten „gut" antworten konnte. Es fühlte sich etwas fremd an, aber zugleich ging ihr Herz auf. Würde es jetzt endlich wieder Berg auf gehen?
„Was hast du gestern so gemacht?", fragte Benno sie. Lilia und Jasper waren zwar schon online, jedoch noch nicht der Unterhaltung beigetreten. Offensichtlich waren sie noch dabei, sich zu ordnen.
„Ich war bei Tilo im Stall. Wir haben einen Film geguckt", antwortete Fria und hoffte, dass sie damit genug gesagt hatte. Mehr wollte sie Benno gar nicht preisgeben.
Doch dieser schien auch nicht weiter interessiert an ihrer Geschichte zu sein. „Das klingt schön. Bei mir war es gestern auch super. Suzanne war da und wir sind die ganze Nacht im Pool geschwommen. Du hättest die vielen Kerzen sehen müssen, der Schnee, der Mond ... alles war perfekt. Wir haben uns geküsst und ..."
„Morgen." In dieser Sekunde schaltete sich Jasper dazu. Es erschien ein Bild mit zerzausten blonden Haaren. „Wie ich sehe, habt ihr schon ohne mich angefangen. Was habe ich verpasst?"
„Nichts Wichtiges", versuchte es Fria, da sie sich sicher war, dass Jasper das Zeug mit der ganzen Romantik nicht hören wollte, doch Benno fing schon wieder davon an, von seinem Date im Pool zu berichten.
Wieder Frias Erwartung hörte Jasper jedoch aufmerksam zu und stellte sogar Fragen. Das hatte er noch nie gemacht. Was war nur mit ihm los? Er wirkte plötzlich viel gelöster.
Wenig später schaltete sich auch Lilia dazu.
„Und Lil, was hast du gestern so gemacht?"
Die junge Autorin sah auch noch verschlafen aus. Doch im Gegensatz zu ihren Freunden lag sie nicht mehr im Bett, sondern saß mit einer Tasse Tee am Schreibtisch. Es sah so aus, als hätte sie bereits an ihrem Laptop geschrieben.
„Ich war mit Jasper auf einem Schneespaziergang", erzählte Lilia. „Wir haben eine Schneeballschlacht gemacht und einen Schneemann gebaut."
„Es war sehr schön", bestätigte Jasper.
Mehr wollten beide nicht erzählen. Vielleicht irgendwann in der baldigen Zukunft. Doch für den Moment hatten sie ausgemacht, ihre Geheimnisse erst einmal für sich zu behalten. Noch fühlte es sich einfach nicht richtig an.
„Warum habt ihr uns nicht mitgenommen?", fragte Fria entrüstet. Sie liebte Schneespaziergänge.
„Ich glaube, wir haben diese Zeit zu zweit gebraucht, um uns über einige Dinge klar zu werden", antwortete Lilia, doch schnell erkannte sie, dass sie besser etwas anderes gesagt hätte.
„Seid ihr zusammen?", fragte Fria nämlich aufgeregt. Fast hätte sie dabei ihren Kaffee über sich gekippt.
Jasper grinste. „Nein, definitiv nicht."
„So meinte ich das nicht ...", versuchte sich auch Lilia rauszureden. Klang dabei aber weniger selbstbewusst. „Wir machen diesen Spaziergang jedes Jahr, und dieses Mal tat er einfach nur besonders gut."
„Schade." Fria wusste zwar nicht, ob sie das gut gefunden hätte, doch sie hätte sich für Lilia und Jasper gefreut. Dann wäre immerhin jeder von ihnen in einer Beziehung und es gäbe nicht mehr diese Gesprächslücke, die sich nun zwischen ihnen auftun würde.
Immer wenn sie oder Benno von Treffen berichten würden, sich über schöne Beziehungs-Momente unterhielten, aber vor allem die Verabredungen mit den Freunden, zu denen sie ihre Beziehungen mitbringen würden. Denn dann hätten sie jemanden, an den sie sich anlehnen könnten, mit dem sie kuscheln oder sich küssen könnten, während Jasper und Lilia peinlich berührt daneben saßen.
Dass Fria damit absolut falsch lag, wusste sie natürlich nicht. Jasper war fein damit und Lilia freute sich auch für ihre Freunde. Es würde bei ihr wohl nur noch einige Zeit dauern, bis sie wieder jemanden in ihr Leben ließ.
„Jetzt mal was ganz Anderes", versuchte Benno einen Themenwechsel. „Hat die Polizei irgendetwas neues herausgefunden, Jasper? Das hatte ich bei der ganzen Aufregung gestern ganz vergessen zu fragen."
„Nicht so ganz." Jasper seufzte. „Sie haben das mit dem Jeep notiert, und gehen jetzt alle eingetragene in der Umgebung durch. Aber letztendlich könnte der von überall hergekommen sein."
„Und Dorothea? Wie geht es ihr?"
„Sie ist bereits wieder zuhause, weil sie beweisen konnte, dass der Förster sie mit E-Mails erpresst hat. Das ist übrigens auch bei Yasmin passiert. Beide E-Mails stammen vom gleichen Absender und können deshalb nicht von einer der beiden versendet worden sein."
„Woher können die das wissen?" Lilia war noch immer unsicher. Auch wenn sie Dorothea nie verdächtigen wollte, tat sie es jetzt doch. Nachdem sie das leergeräumte Zimmer gesehen hatte, hatte sie sich gefragt, ob Dorothea wirklich schon bereit dazu gewesen war, diesen Schritt zu gehen, oder ob sie nie genug von Maleas Tod berührt worden war, um den Schritt nicht zu gehen.
Es würde ein zu guter Schachzug von Dorothea sein, die unschuldige Witwe zu spielen, während sie ihren Mann und ihre Töchter ermordet hatte. Lilia wusste, dass wenn in einem Buch der Mörder nicht der Gärtner war, dann war es die zurückgebliebene Ehefrau.
„Lilia, alles gut?" Fria sah besorgt in die Kamera. Offensichtlich war die junge Frau zu weit in ihren Gedanken versunken, dass man es ihr auch im Gesicht angesehen hatte. Nun räusperte sie sich: „Ja. Ich habe nur über Dorothea nachgedacht. Ich will das gar nicht zugeben und ich fühle mich deshalb auch echt schlecht, aber irgendwie traue ich ihr nicht mehr."
Jasper nickte. „Geht mir leider genauso. Ich habe zu viel Angst davor, dass wir ihr verzeihen und sie uns dann in den Rücken fällt."
„Ist das euer Ernst, Leute?" Benno war empört. Es war die Mutter ihrer besten Freundin ... ihrer toten besten Freundin, über die sie hier sprachen. „Was soll denn bitte Dorotheas Motiv gewesen sein? Warum sollte sie ihre Kinder umbringen? Die haben ihr doch nichts getan."
„Nicht jeder handelt aus Rache. Vielleicht ist sie einfach eine Psychopathin."
„Dann würde sie das aber sehr gut verstecken."
„Oder es gibt etwas, was wir nicht über ihre Beziehung mit Hans wissen. Vielleicht hatte er Dreck am Stecken."
„Das beantwortet meine Frage nicht: Warum sollte sie dann ihre Kinder umbringen?"
„Was weiß ich." Lilia gab auf. „Außerdem ist es nicht so, als würde ich mich freuen, wenn Dorothea die Försterin ist. Mir wäre es viel lieber, wir würden den wahren Täter fassen und dann wieder gemeinsam auf einen Tee bei ihr vorbeikommen."
„Oh ja, der Tee!" Fria leckte sich über die Lippen. „Reden wir doch lieber über Tee."
Und das taten sie auch. Die Freunde kehrten das heikle Thema erst einmal zur Seite und kümmerten sich lieber um die schönen Dinge. Zum Beispiel, wann sie sich treffen würden, um sich gegenseitig ihre Wichtelgeschenke zu geben. Eine Tradition, die sie immer an Weihnachten ausübten.
Sie einigten sich auf morgen, spielten noch ein paar Online-Spiele und verabschiedeten sich dann. Dass morgen alles anders kommen würde als gedacht, war zu diesem Zeitpunkt noch keinem klar.
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