Szene ③
Auch Fria war an diesem Abend zu einer Verabredung unterwegs. Sie war von Tilo in den Stall eingeladen worden. Der junge Mann wollte ihnen neben Mala in ihrer Box ein kleines Strohlager bauen, in welchem sie gemeinsam Essen und eine Serie gucken.
Fria freute sich sehr darauf. Durch die Klausurenphase hatte sie Tilo schon wieder länger nicht gesehen und nur der Gedanke an ihn, lockte ein kleines Lächeln auf ihre Lippen.
Sie wusste ganz genau, in welcher Box Mala stand, weshalb sie, sobald sie im Stall angekommen war, direkt auf diese zusteuerte.
Als das Pferd sie sah, wieherte es aufgeregt und streckte Fria den Kopf entgegen. Gut gelaunt strich diese über Malas weichen, goldbraunen Kopf. „Guten Tag."
„Da bist du ja Fria." Tilo stand vom Boden auf. Erst da erkannte Fria ihn hinten in der Box und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Seine Klamotten waren voller Stroh, sodass man die Farbe des Stoffes nur noch erahnen konnte. War es eine blaue Hose? Oder eine schwarze? Man wusste es nicht.
Seine braunen Haare waren mal wieder länger geworden. Doch sonst sah er aus wie immer, warum also reagierte Fria heute so anders auf ihn?
„Komm rein, ich bin fast fertig", wies Tilo Fria an, während er sich schon wieder dem Strohhaufen zuwendete.
Die junge Frau fragte sich, wie lange er schon daran gearbeitet hatte, denn als sie eintrat, und den Berg betrachtete, erkannte sie darin wirklich eine Art Sofa. Wie hatte er das geschafft?
„Das sieht gut aus", lobte sie Tilo.
„Danke. Du kannst dir ja schon mal überlegen, was wir gucken. Mein Tablet liegt da." Er deutete auf seine Tasche, die am Ende des Strohberges stand. Fria wusste, dass Tilo sie für das Filmegucken eingeladen hatte, doch sie hatte gehofft, dass sie sich davor vielleicht noch ein bisschen unterhalten würden.
Immerhin tat ihr ein Gespräch mit Tilo immer gut und es gab viel, worüber sie gerne mit ihm reden wollte. Der Förster hatte sie und ihre Freunde in der letzten Woche wieder ordentlich auf Trapp gehalten. Erst die Sache mit Marthas Tod, dann Yasmins Verrat, die Vermisstenanzeige von Kristina und zu guter Letzt hatte Lilia nun ja auch entdeckt, wer die beiden Kleider gekauft hatte. Wegen denen saß nun auch Dorothea in Untersuchungshaft. Der Gedanke, dass die arme Frau dort nun über Weihnachten bleiben musste, schmerzte sie. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass Dorothea wirklich hinter allem stecken könnte, weshalb sich das Bild des Försters und ihres in ihrem Kopf auch nicht verbanden.
Hoffentlich konnte Dorothea bald beweisen, dass sie erpresst worden war, und die Kleider nicht freiwillig gekauft hatte.
„Fria, ist alles gut?", fragte Tilo sie besorgt. Sie hatte zwar geschafft, dass Tablet aus der Tasche zu ziehen und Netflix zu öffnen, doch statt dort nach Serien zu stöbern, blickte sie quasi durch den Bildschirm hindurch, während sie ihren Gedanken nachging.
Fast hätte sie ihm ein „Ja klar", entgegnet, nur um das Thema schnell fallen zu lassen. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass sie sich eben darauf gefreut hatte, mit Tilo über ihre Probleme zu sprechen.
Der junge Reiter bemerkte, dass sie etwas bedrückte. Er setzte sich neben sie auf den Boden und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Du kannst mit mir über alles reden", sagte er leise.
Das war das Zeichen, was Fria gebraucht hatte. Ein Signal dafür, dass Tilo der Richtige war, um sich zu öffnen. Denn auch wenn sie jetzt die wöchentlichen Seelenstunden mit ihren Freunden hatte, fühlte sich Fria, als würde es dort vor allem um Jasper und Lilia gehen. Benno war so darauf fixiert, dass die beiden sich öffneten, dass er vergaß, Fria danach zu fragen, wie es ihr ging.
„Ich habe Angst", flüsterte sie. „Angst vor dem Förster. Angst vor der Zukunft und momentan vor allem Angst vor der Dunkelheit. Wenn ich nachts ganz allein in meinem Bett liege, und nichts als Schwärze vor mir habe."
Tilo bemerkte, dass Fria anfing zu zittern. Also erklärte er seine Arbeit an der Stroh-Couch für beendet und ließ sie darauf Platz nehmen. Er legte seinen Arm nun ganz um seine Freundin und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. „Hast du schon mal mit deinen Eltern darüber geredet?"
Bestürzt schüttelte Fria den Kopf. „Aber ich denke, sie sehen es. Und meine Freunde wissen es auch. Wir versuchen, gemeinsam darüber zu reden, aber irgendwie gehe ich immer unter. Benno scheint sich mehr um Jasper und Lilia zu sorgen, da man denen ja nicht unbedingt ansieht, wie schlecht es ihnen geht. Und dabei vergisst er, mit mir nach einer Lösung für meine Probleme zu suchen."
Frias Gedanken rasten, als sie an all die Momente der letzten Zeit dachte, in denen sie gerne jemanden bei sich gehabt hätte. In denen sie jemanden gebraucht hatte, der sich um sie kümmerte. Manchmal waren ihre Freunde da gewesen und konnten sie stützen, doch viel zu oft war es vor dem Einschlafen passiert. Wenn sie die Augen schloss, und Bilder aus ihren Gedanken geformt wurden.
„Denkst du, es gibt etwas, mit dem ich dir helfen könnte?", fragte Tilo hilfsbereit. Noch immer hielt er Fria ganz fest und diese genoss es, in seiner Umarmung zu sitzen.
Sie lächelte schwach. „Nicht wirklich. Außer du willst nachts bei mir vorbeikommen, um mich aus meinen Heulkrämpfen zu holen."
Es tat weh, das auszusprechen, doch es musste sein. Irgendwer musste mal Bescheid darüber wissen.
„Ist mir egal, ob du mir das glaubst, oder nicht, aber ich kann das machen. Ruf mich einfach an." Tilo zog sie fester an sich. „Für dich würde ich das tun."
Eine kleine Träne kullerte über Frias Wange.
„Wirklich?" Ihr Herz machte einen freudigen Sprung.
„Natürlich." Tilo lockerte seinen Griff etwas, um ihr in die Augen zu sehen. Plötzlich wirkte er verlegen. „Du bedeutest mir wahnsinnig viel."
Frias Herzschlag beschleunigte sich, als ihr klar wurde, in welche Richtung das hier ging. War sie dafür bereit? Kurz fragte sie sich, ob sie das auch wollte, doch als sie Tilos Lippen auf ihren spürte, flogen alle Zweifel beiseite. Sie lehnte sich in den Kuss und vergaß all die Sorgen, die noch Sekunden zuvor in ihrem Kopf umhergeflogen waren.
Nachdem sie vorhin noch unsicher gewesen war, ob Tilo ihr helfen konnte, war sie nun eines Besseren belehrt worden. Und auch wenn sie ihn sicher nicht jede Nacht anrufen würde, so reichte der Gedanke, dass er sich bei jeder Tageszeit auf sein Fahrrad schwingen würde, um zu ihr zu kommen. Und vielleicht könnte er ja auch von vorne hinein bei ihr schlafen, dann müsste er den Weg erst gar nicht auf sich nehmen. Diese Nacht zumindest, und da war sie sich sicher, würde sie gut schlafen können.
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