Szene ①


Als Jasper am nächsten Morgen erwacht war, hatte sich die Welt unter einer kleinen Schneeschicht versteckt. Es war das erste Mal dieses Jahr, dass es geschneit hatte. Hätte Jasper an Gott geglaubt, hätte er ihm wohl für die tanzenden Flocken gedankt, doch das tat er nicht. Stattdessen freute er sich, dass der Klimawandel noch nicht weit genug fortgeschritten war, um den Schnee komplett aus dem Winter zu vertreiben. Tatsächlich schneite es sogar ungewöhnlich früh. Deshalb würden die Flocken wahrscheinlich ohnehin nicht liegen bleiben.

Erstaunlich schnell hatte sich Jaspers Vater am Morgen davon überzeugen lassen, dass sein Sohn doch in die Schule gehen durfte. Grund dafür war wohl die gestrige Botschaft gewesen, denn in der Schule, zwischen all den Teenagern, würde es der Förster schwer haben, Jasper etwas anzutun.

Außerdem hatte er für seinen Vater noch einen Job zu erledigen. Er sollte nach Yasmin Ausschau halten. Besser gesagt nach einer lilafarbenen Uhr. 

Denn auch nach der Auswertung des Überwachungsmaterials hatte man das Mädchen nicht eindeutig ausmachen können und so brauchte die Polizei einen anderen Beweis, um sie zu überführen.

Jasper wusste nicht genau, was ihr blühen würde, sollte der Verdacht stimmen. Er hatte im Internet recherchiert, aber einig waren sich die Leute dort nicht. Vielleicht musste sie eine einjährige Freiheitsstrafe ablegen, vielleicht eine Geldstrafe zahlen.

Es war schwierig zu bestimmen, da sie selbst Jasper und seinem Vater ja gar nicht gedroht hatte, sondern nur der Spielball des Försters gewesen war. Um ihre Strafe einzuschätzen zu können, müsste man also erst einmal wissen, wie genau sie erpresst worden war. 

Zumindest ging Jasper davon aus, dass der Förster sie gezwungen hatte, den Zettel anzuhängen und es nicht ihre eigene Idee gewesen war.

„Wie siehst du denn aus?", wurde Jasper von Lilia gefragt, als er sich am Morgen auf den Platz neben ihr im Physikraum fallen ließ. Auch nach seinem dritten Kaffee heute fühlte sich Jasper erschöpft.

„Gestern war anstrengend."

„Wem sagst du das..." Lilia war beim Großteil der Ereignisse ja selbst dabei gewesen. Jetzt deutete sie auf das angeschaltete Handy neben sich. Normalerweise hatte sie es immer auf stumm und es war tief in ihrer Schultasche vergraben, um sie nicht vom Unterricht, oder dem, was sie stattdessen tat, abzulenken. Doch heute hatte es das blonde Mädchen gut sichtbar auf ihrem Tisch liegen lassen. „Meine Eltern wollten mich erst gar nicht gehen lassen." Anscheinend sollte Lilia sie sofort anrufen, wenn ihr etwas komisch vorkam.

„Dann waren sie aber gnädig."

Lilia zog die Nase kraus. „Jaja. Aber dein Vater anscheinend auch. War er gestern nicht dagegen? Wir mussten euch doch ewig lange beim Streiten zuhören."

Jasper fragte sich, ob er gleich mit der Tür ins Haus fallen sollte. Lilia mitten in der Schule von der Morddrohung zu erzählen könnte Aufmerksamkeit erregen. Außerdem traf er dabei vielleicht auf einen wunden Punkt. Immerhin hatte Lilia bereits Malea an den Förster verloren und nur der Gedanke daran, dass auch Jasper so ein Schicksal ereilen könnte, war sicher schmerzhaft für sie.

Doch Lilia war nicht Fria und während er der jungen Filmemacherin seine Informationen sicher für eine Weile vorenthalten würde, einfach um sie zu schützen, fühlte er sich bereit dazu, Lilia einzuweihen.

In Windeseile hatte er ihr alles berichtet und war passend fertig geworden, als Yasmin die Klasse betrat. Sofort richtete sich Jaspers Blick auf ihr Handgelenk.

Trug sie die lila Uhr? Unter der flauschigen Jacke konnte man es nicht erkennen. Da war es gestern mit dem dicken Pulli einfacher gewesen.

Warum hatte sie bei der Kälte eigentlich nur einen Pulli getragen?, überlegte er jetzt. Warum wirkte alles so falsch und einstudiert? Die Uhr, dass sie sich zur Kamera gedreht hatte ... vielleicht wollte Yasmin entdeckt werden. Vielleicht sah sie darin den Ausweg, den Machenschaften des Försters zu entkommen.

Jasper versuchte unbemerkt, Yasmin und Erik weiter zu beobachten, während er sein Handy aus seiner Jackentasche befreite. Sollte die Uhr auftauchen, würde er sofort seinen Vater verständigen.

Aber wäre Yasmin überhaupt aufgetaucht, wenn es sich wirklich um sie handeln würde und sie nicht die Intension hatte, entdeckt zu werden? Immerhin hatte die Person ver der Haustür gestern genau gesehen, dass sie gefilmt worden war.

„Will sie die Jacke nicht mal ausziehen?", flüsterte Lilia nach einer Weile genervt. Ihre Lehrerin hatte den Raum betreten und der Unterricht hatte begonnen. Trotzdem saß Yasmin noch immer in ihrer Winterjacke da.

„Schwitzt sie denn nicht?"

Jasper zuckte leicht mit den Schultern. „Anscheinend nicht. Vielleicht sollten wir die Heizung aufdrehen."

Er fühlte sich ein bisschen wie ein Agent, der die letzten Griffe anlegte, um den Superschurken zu überführen, als er an die Heizung neben sich griff und sie voll aufdrehte. Ein Glück saßen Lilia und er direkt neben der Fenster- und Heizungsfront, sonst wäre es etwas schwierig geworden.

„Jetzt müssen wir abwarten."

„Lilia? Könntest du bitte deine Lösung für die Nummer Zwei vortragen?", wurde sie plötzlich von der Lehrerin aufgerufen.

Das blonde Mädchen neben Jasper fiel fast von ihrem Stuhl, so ertappt fühlte sie sich.

Schnell zeigte Jasper ihr die Lösung auf ihrem eigenen Hausaufgabenblatt. Zum Glück hatte Lilia die Aufgabe richtig, sonst hätte sie jetzt womöglich Ärger bekommen, was sie von weiteren Gesprächen mit Jasper abgehalten hätte.

Dass Lilia drangenommen wurde, ohne aufgezeigt zu haben, war normal. Immerhin zeigte sie nie auf. Irgendwie mussten die Lehrenden ja überprüfen, dass Lilia dem Unterricht folgte.

Schon oft hatten sich Jasper und Lilia darüber gestritten, ob das Schulsystem mit den mündlichen Noten nicht sehr veraltet war. Da Lilia ja auch gar nichts dafür konnte, dass sie nicht gerne aufzeigte. Es lag einfach nicht in ihrer Natur.

Jasper hingehen freute sich, dass er nie ungefragt drangenommen wurde. Immerhin zeigte er oft genug auf und konnte immer die richtige Lösung präsentieren.

Während der Unterricht voranschritt, wurde es in der Klasse immer heißer. Die Lehrerin ließ die Heizung nicht überprüfen und witzelte deshalb, dass die Temperatur an den qualmenden Köpfen der Lernenden liegen musste.

Irgendwann hielt es Jasper nicht mehr aus. Er schaltete die Heizung wieder aus und riss das Fenster auf. Seine Mission war gescheitert. Yasmin würde die dicke Jacke nie ausziehen.

„Ich glaube, dass du sie damit auch von der Verdächtigen-Liste streichen kannst", flüsterte Lilia kurz vor Ende der Stunde.

„Warum?"

„Wenn ihr Verhalten an der Uhr läge, hätte sie die schon längst unbemerkt abgezogen, um die Jacke ausziehen zu können. Außerdem meintest du, dass sie gestern gesehen hat, dass ihr eine Überwachungskamera habt. Warum hätte sie die Uhr dann heute überhaupt angezogen? Das mit der Jacke muss einen anderen Grund haben."

„Wahrscheinlich hast du recht. Aber ihr Verhalten ist trotzdem sehr verdächtig. Ich denke ..."

In dieser Sekunde wendete Jasper seinen Blick wieder auf Yasmin und erstarrte. Das Mädchen hatte heute zum ersten Mal in der Stunde ihren Arm gehoben, was auch sehr ungewöhnlich war. Immerhin zeigte sie sonst dauernd auf.

Da ihre Hand in die Luft gestreckt war, hatte sich die Jacke ein wenig nach hinten geschoben und zum Vorschein kam ... eine lila Uhr! 

Sofort griff Jasper nach seinem Handy und wählte die Nummer seines Vaters. Die Proteste der Lehrerin ignorierte er gekonnt. Selbst ein Verweis war ihm gerade egal.

Leider machte die Lehrerin mit ihren Rufen die ganze Klasse auf den Jungen aufmerksam und er sprach extra leise, damit nicht alle wussten, was los war.

Jim ging bereits nach einem Klingeln ran und versprach sofort mit der restlichen Polizei aufzubrechen.

Zufrieden verabschiedete sich Jasper. Vielleicht würde er jetzt endlich Antworten bekommen. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top