Szene ⑤
„Tschüss Lilia. Schlaf schön", verabschiedete Jasper seine Freundin. Nach Benno und Fria war sie nun die letzte, die von seinem Vater und ihm nach Hause gebracht worden war.
Lilia winkte zum Abschied. Ihre Eltern waren bereits aus der Haustür getreten, da sie schon länger sehnsüchtig auf ihr Kind gewartet hatten.
Jasper und Jim wandten sich ab und liefen Lilias Straße wieder hinauf. Das letzte Wegstück verbrachten sie schweigend. Nachdem sie sich vorhin bei ihrem Streit um Jaspers morgigen Schultag nicht hatten einig werden können, herrschte Krieg. Und Jasper war nicht derjenige, der als erster einknicken würde. Sein Vater war es, der sich zu entschuldigen hatte.
Wie war er überhaupt auf die Idee gekommen, Jasper würde morgen nicht zur Schule gehen? Sie waren mitten in der Klausuren-Phase. Alles war wichtig!
„Ich wecke dich morgen und dann reden wir nochmal, okay?", versuchte es Jim mit einer Wiedergutmachung. Eigentlich war Jasper damit nicht zufrieden, doch es war ein langer Tag gewesen. Er war müde und er wollte nur noch ins Bett. „Okay."
Die beiden waren vor ihrem Tor angekommen, welches das kleine Reihenhaus mit der Straße verband. Durch einen kleinen Vorgarten gelangte man zur Haustür.
Jasper und Jim stockten, als sie sahen, dass an dieser Tür ein Zettel klebte.
„Was ...? Wer ...?", fragte Jasper schockiert und sah auf die unleserlichen Buchstaben, die sich auf dem alten Papierfetzen tummelten.
Wenn ihr euch weiter in meine Spiele einmischt, werdet ihr sterben.
Nach einiger Zeit konnte Jasper die Botschaft entschlüsseln und es lief ihm kalt den Rücken herunter, als er den Satz seinem Vater vorlas.
„Der Förster." Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Jims Atem ließ kleine Wölkchen entstehen.
Jasper schluckte schwer. „Er will uns töten." Nach den Ereignissen des Tages überraschte es ihn nicht mehr, trotzdem war es merkwürdig, die Nachricht zu lesen. Jemand wollte ihn offiziell umbringen.
Jim riss den Zettel ab und kurz sah es so aus, als wolle er ihn in seiner Hand zerknüllen, doch dann stoppte er. Auch das war ein Beweis, den es polizeilich zu untersuchen galt.
Zum Glück hatte er Handschuhe getragen, sonst wäre das Beweisstück möglicherweise verunreinigt worden.
Jasper betrachtete seinen Vater fragend. Er war etwas ratlos, was jetzt zu tun war. Normalerweise würde man wohl die Polizei kontaktieren, aber was war, wenn die Polizei bereits bei dir war?
Jim schüttelte fassungslos den Kopf. Man sah ihm an, wie müde er war. „Ich muss das sofort zur Wache bringen."
„Kannst du das nicht morgen früh machen?" Jasper wollte nicht, dass sein Vater jetzt noch einmal allein losging. Der Förster hatte heute bereits einmal gemordet, und nun hatte er es auch offiziell auf die Wittigs abgesehen.
Sein Vater merkte, wie sich Jasper neben ihm anspannte. „Die Information muss auf jeden Fall heute noch auf das Revier. Aber wenn du dich dann besser fühlst, kann ich ein paar Kollegen kommen lassen, dann muss ich nicht nochmal los."
Das war doch mal eine gute Idee. Jasper kramte in seiner Hosentasche nach dem Haustürschlüssel und nickte seinem Vater zu. „Mach das."
Im Haus war alles dunkel und da keiner die Heizung eingeschaltet hatte, auch unfassbar kalt.
Jasper freute sich, dass sein Vater und er nicht in einem Horrorfilm waren. Sonst würde der Killer sicher in einer dunklen Ecke auf sie warten.
Das dem nicht so war, stellte Jasper sicher, indem er überall die Lampen einschaltete und in jedes Versteck sah, während sein Vater mit der Polizei telefonierte. Er wurde wohl paranoid.
Aber lieber verschwendete er ein bisschen Strom, als von einem Mörder aus der Dunkelheit überfallen zu werden.
Zum Schluss betrat er die kleine Vorratskammer hinter der Küche. Auch hier war keine Spur vom Förster, dafür aber etwas anderes, was Jasper gelegen kam.
Warum hatte er daran nicht gleich gedacht?
Vor ein paar Jahren hatte Jasper ein Überwachungssystem an der Tür installiert, was sie vor Einbrechern schützen sollte.
Es zeichnete den Raum rund um die Tür auf und sollte Alarm schlagen, falls jemand sie aufbrechen würde. Heute hatte es sich zwar nicht um einen Einbruch gehandelt, doch Jaspers System funktionierte trotzdem.
Er hatte Bilder von der Person, die ihnen die Botschaft an die Tür gehängt hatte.
„Papa, komm mal schnell", rief er und betätigte ein paar Knöpfe. Schnell hatte er die Aufnahmen von heute gefunden. Kurz nachdem Jim und er vorhin zum Baumhaus aufgebrochen waren, hatte sich eine Person der Tür genähert.
Jasper hörte die Schritte seines Vaters hinter sich. „Was ist los?"
„Ich habe Aufnahmen von der Person, die uns den Zettel an die Tür gehängt hat."
„Wer ist es?"
„Versuche ich gerade herauszufinden."
Natürlich machte es der Mensch ihnen nicht leicht. Eine große Kapuze und ein neutraler Kleidungsstil machten eine Identifizierung fast unmöglich. Das einzig auffällige war eine lilafarbene Armbanduhr. Aber nur diese würde ihnen nicht viel weiterhelfen.
Im letzten Moment richtete die Person ihren Blick dann aber doch noch auf die Kamera und Jasper pausierte den Screen.
Leider war die Qualität in der Dunkelheit zu schlecht, um das Gesicht genau identifizieren zu können, aber als Jasper erkannte, wer es sein könnte, formte sein Mund ein erstauntes Oh.
Jim griff nach seiner Brille, die er sich eben noch schnell vom Küchentisch geschnappt hatte und ging näher an den Bildschirm heran.
„Kennst du das Mädchen?", wollte er von Jasper wissen.
Sein Sohn nickte schwer. Auch wenn Lilia und Fria die Person schon lange verdächtigt hatten war es schade, sie nun hier zu sehen. Dass sie wirklich im Zusammenhang mit dem Förster stehen sollte, konnte Jasper nicht verstehen.
„Das ist Yasmin. Aus meinem Jahrgang."
„Bist du dir ganz sicher?"
Jetzt konnte Jasper guten Gewissens den Kopf schütteln. So ganz konnte er das Mädchen, was sonst immer eine übergroße Brille trug, auf dem Bildschirm nicht erkennen. Sah sie ohne Brille so aus? Und weshalb trug sie die Brille nicht? Es hatte bisher keinen einzigen Tag gegeben, an dem Yasmin ohne ihre Brille zur Schule gekommen war.
„Ich werde das auch der Polizei mitgeben, dann können sie Yasmin genauer unter die Lupe nehmen."
Jim zog den Stecker von Jaspers Überwachungssystem aus der Steckdose und bedeutete seinem Sohn, den Raum zu verlassen.
„Geh jetzt schlafen. Meine Kollegen müssten gleich hier sein, dann kann ich ihnen die Beweisstücke mitgeben. Danach werde ich auch ins Bett gehen. Es ist spät."
Jasper sah auf die Küchenuhr und wollte seinem Vater widersprechen. Da es nun schon um fünf Uhr nachmittags dunkel wurde, fühlte es sich zwar an, als hätten sie bereits nach Mitternacht, doch eigentlich war es erst acht Uhr.
Jasper entschied sich jedoch dafür, Jim dieses eine Mal nicht zu korrigieren. Es fühlte sich an, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Da war ihm die eigentliche Uhrzeit egal.
„Nacht Papa", verabschiedete sich Jasper und schlürfte die Treppe nach oben. Hoffentlich würde er wenigstens gut schlafen können. Wobei die Morddrohung an ihrer Tür sicher nicht dazu beitrug. Außerdem hatte Jasper die ganze Nacht das Bild von Yasmin vor seinem inneren Auge. Wie sie mit weit aufgerissenen Augen auf die Überwachungskamera starrte, die Hand noch immer an der aufgehängten Botschaft.
War sie es wirklich?
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