Szene ①



Am nächsten Morgen hatte sich die Stimmung in Jesingen schon wieder verändert. Es war nun November. Der Nebel hatte sich verdichtet und die Halloween-Deko wurde bereits abgeschmückt. Es war das perfekte Herbstwetter.

Lilia war auf ihrem Weg zu Jaspers Haus an kaum einer Menschenseele vorbeigekommen. Viele Christen gingen heute auf den Friedhof, um ihren Verstorbenen zu gedenken.

Doch Lilia war noch nicht bereit, wieder einen Fuß auf den Friedhof zu setzten. Es fühlte sich nicht an, als wäre Malea an so einem Ort. Im Wald fühlte man sich ihr viel verbundener. Aber dorthin zu gehen, könnte Lilia erst einmal vergessen. Denn dort lief ein Mörder frei herum.

Jasper hatte sie gestern angerufen und gefragt, ob sie sich vor der Schule treffen konnten. Da sein Haus auf Lilias Schulweg lag, lief sie nun darauf zu und klingelte.

Jasper öffnete die Tür, schritt heraus und winkte seiner Freundin zu. „Hi."

„Hallo." 

„Wie geht es dir?"

Lilia wusste, dass ihr Freund dies nicht ohne Grund fragte. Dafür kannte sie ihn gut genug. „Beschissen, aber jetzt komm einfach zum Punkt. Du hasst Small-Talk. Deine Nachricht gestern klang dringend." 

„Die Polizei hat den Bunker gefunden", sagte Jasper geradeheraus und setzte sich in Bewegung. Lilia hatte es so gewollt. Er musste schnell sprechen, sonst würden sie das Thema an der Schule nicht abgehakt haben.

„Wirklich?" Lilias Augen weiteten sich. „Das ist doch super." 

„Ja ... naja ... nein. Er war leer. Der Förster hat uns nur einen Halloween-Gruß hinterlassen."

„Aber das kann doch gar nicht sein." Empört sah Lilia ihren Freund an. „Wo sollen Celine und Martha denn hin sein?"

„Sie sind weg. Die Polizei hat sie noch nicht gefunden. Und das ist auch der Grund, warum den ich mit dir reden möchte. Martha war ja noch dort gefangen, doch Hans hat in seinem Video davon gesprochen, dass Celine tagsüber aus dem Bunker verschwand.

Ich weiß nicht mehr, ob es schon mal jemand angesprochen hat, doch es gibt einen Menschen, der ganz zufällig zu der Zeit aufgetaucht ist, als der Förster Celine aus dem Bunker entlassen hat." Jaspers Stimme war zum Ende hin immer leiser geworden. Er wollte nicht, dass ein Einwohner seinen Verdacht mitanhörte, und daraus ein Gerücht machte.

„Suzanne kam zu dieser Zeit in die Stadt", schlussfolgerte Lilia.

Jasper nickte. „Genau." 

„Aber ...", machte Lilia, bei dem Versuch sich zu rechtfertigen. In ihren Gedanken war Suzanne immer das liebe Mädchen gewesen, was jeden Tag mit einem anderen Fan-Shirt zur Schule kam.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass alles nur eine Fassade gewesen sein sollte. Doch nun verstand sie, weshalb Jasper sie gestern kontaktiert hatte. „Deshalb wolltest du nur mit mir allein reden, oder? Benno soll erst einmal nichts davon erfahren." 

„Genau. Ich will mir erst sicher sein."

„Aber wie können wir uns denn sicher sein?"

Jasper überlegte laut. „Wir stellen sie zur Rede. Am besten laden wir uns zu ihr nach Hause ein. Da wird sich sicher schnell feststellen lassen, ob sie dort wirklich mit ihren Eltern wohnt. Wenn sie unschuldig ist, müsste sie ja nach unserer Verdächtigung komplett schockiert sein. Und wenn sie es ist, wird sie sehr schnell eine Ausrede finden."

Lilia nickte andächtig. „Der Plan klingt schlüssig. Lass mich raten, der kam dir nicht gerade eben erst." 

„Nein, ich habe in der Nacht nicht gut schlafen können. Der Plan ist das Produkt daraus. Im Internet habe ich auch schon nach der Website gesucht, auf der die Familie ihre selbstgemachten Spiele verkauft. Vielleicht erinnerst du dich noch daran, wie Suzanne uns davon erzählt hat."

Lilia nickte.

„Die Website gibt es leider wirklich. Entweder hat der Förster sehr gut mitgedacht, oder Suzanne wohnt tatsächlich mit ihren Eltern in Jesingen."

„Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass uns Suzanne so hintergehen würde", sagte Lilia. „Sie wirkt wie eine treue Seele. Und Benno ist zwar naiv, aber nicht dumm. Wenn etwas in Suzannes Geschichte so grundlegend falsch wäre, hätte er das sicher schon gemerkt."

„Wahrscheinlich. Ich bin mir ja auch nicht sicher. Und für Benno täte es mir echt leid. Aber irgendwo müssen wir weitermachen."

„Wo setzt die Polizei denn jetzt an? Der Bunker scheint sie ja nicht sonderlich voran gebracht zu haben."

„Mein Vater und seine Kollegen klappern alle leerstehenden Gebäude Jesingens ab. Sie vermuten, dass der Förster Martha und Celine dort irgendwo untergebracht hat. Sicher wohnt er nicht in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Da hätten es Anwohner wohl bemerkt, wenn ihr Nachbar plötzlich neue Möbel und zwei Mädchen mit nach Hause bringt."

Lilia nickte eindringlich. „Stimmt. Zwei Neunzehnjährige ziehen bei jemandem ein, der mindestens doppelt so alt ist? Da hätte jemand die Polizei verständigt."

„Ja."

Kurz herrschte Stille zwischen den beiden. Sie waren in die Straße eingebogen, in der auch die Schule lag. Durch den dichten Nebel und die Dunkelheit konnte man nur kleine Lichter in der Ferne erkennen.

„Ich hoffe sehr für Benno, dass du mit deinem Verdacht falsch liegst", sagte Lilia dann. Sie vergrub ihre Hände tief in den Taschen ihrer dicken Winterjacke. „Ihm würde es gar nicht guttun, wenn er Suzanne wieder verlieren würde. Sie scheinen so glücklich miteinander."

Eine Windböe erfasste die beiden und Jasper kuschelte sich tiefer in seinem Schal. „True."

Er hörte, wie Lilia neben ihm leise seufzte.

„Was ist mit dir?", fragte Jasper plötzlich.

„Was meinst du?"

„Gibt es bei dir gerade jemanden?" Jasper wusste selbst nicht so genau, warum er das fragte. Eigentlich ging ihm Lilias Liebesleben nichts an und normalerweise interessierte es ihn auch nicht. Doch Fria und er hatten nun schon seit mehreren Wochen einen Verdacht und sollte er wahr werden, wäre es sicher gut für Lilia, mal darüber zu reden.

Doch statt ihr Herz auszuschütten, schüttelte diese nur den Kopf. „Nein. Bei dir?"

Jasper hasste diese Frage, doch er hatte es wohl darauf angelegt. „Natürlich nicht."

„Natürlich?" Lilias Blick war bis eben starr nach vorne gerichtete gewesen, doch nun sah sie Jasper direkt an.

Bei diesem brach sofort der Schweiß aus und er ruderte zurück. „Natürlich ... weil ... ich meine, du kennst mich doch. Wer würde schon mit mir zusammen sein wollen?" Es fühlte sich so falsch an, dass zu sagen. Diese Sätze gehörten einem Teenager, der verzweifelt auf seine erste Beziehung wartete und nicht zu ihm.

Doch Lilia schien es zu schlucken. Sie nuschelte: „Same", und konzentrierte sich dann wieder auf die Steine des Gehwegs.

Kurz herrschte Stille, bevor Lilia wieder zurück zu ihrem ursprünglichen Thema wechselte. „Wenn Sue wirklich böse ist, wird Fria wahrscheinlich auch super traurig sein. Sie wollte Benno doch um jeden Preis mit ihr zusammenbringen."

„Ja, wäre schon echt mies. Nicht nur für Benno, auch für uns. Immerhin hätte uns Suzanne dann monatelang ausspioniert."

„Das würde immerhin erklären, warum der Förster immer so früh Bescheid wusste, wenn wir etwas herausgefunden haben. Er hat blitzschnell reagiert. Suzanne hätte es ihm erzählen können." Lilia fröstelte. Ihr war plötzlich noch kälter geworden. Der Gedanke daran, all die Monate einem Maulwurf vertraut zu haben, gefiel ihr natürlich nicht.

„Ja. Suzanne gegen uns zu haben wäre schon echt scheiße. Aber erst mal abwarten. Wenn wir Glück haben, war sie es gar nicht."

Lilia und Jasper hatten nun den Schulhof erreicht. Sofort war Fria da, die winkend auf sie zulief. „Da seid ihr ja. Benno hat sich schon angestellt. Heute scheinen mehr Schüler zu kommen. Die Schlange ist ewig lang."

Das zog die Stimmung der beiden Neuankömmlinge noch weiter nach unten. Statt nach dem langen, kalten Spaziergang schnell in die warme Klasse zu können, mussten sie nun noch mehrere Minuten auf dem Schulhof warten.

„Können die nicht mehr Eltern einstellen, die uns absuchen? Ich sehe uns schon im tiefsten Winter auf dem Schulhof erfrieren", sagte Jasper angespannt.

Fria lachte. „Ich kann morgen für euch heiße Schokolade mitbringen. Die wärmt."

Lilias Augen leuchteten. „Auf jeden Fall! Du wärst echt meine Rettung. Sieh dir meine armen Hände an."

Lilia zog die Finger aus den Jackentaschen und hielt sie Fria an die Backe.

„Irg!", machte diese und wich den Händen aus. „Die sind ja eiskalt!"

„Ganz genau."

Jasper seufzte.

Die Stimmung von Fria und Benno schien trotz der Kälte heute ausgelassen.

Doch noch hatte er den beiden nichts vom geräumten Bunker erzählt und in den nächsten Tagen müssten Lilia und er nach Suzanne sehen.

Vielleicht war sie wirklich eine Spionin und vielleicht würde er damit Bennos gute Laune für längere Zeit verderben.

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Seid ihr auch schon in Herbsstimmung? Ich definitiv! Gerade regnet es draußen und ich sitze mit einem Tee am Schreibtisch. Voll die schöne Atmosphäre! :) 

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