Szene ⑤
Im schaurigen Kerzenschein saß Jasper an diesem Abend in seinem Zimmer. Er hatte sich schon seit Stunden über die Hausaufgaben der letzten Tage gebeugt und tat nichts außer Texte zu lesen, Aufgaben zu rechnen und Bücher hin und her zu schieben.
Um die Halloween-Stimmung zumindest ein bisschen zu genießen, stand neben ihm eine Kerze und im Hintergrund lief eine schaurige Playlist von Spotify. Schade, dass die Freunde nicht wie sonst alle zusammen feiern konnten. Eine Nacht in den träumenden Wäldern wäre auf jeden Fall spannender gewesen als die Hausaufgaben der letzten Tage.
Irgendwann hatte Jasper genug. Sein Schädel dröhnte. Er hatte sich seinen Feierabend mehr als verdient!
Im Großen und Ganzen war er zufrieden mit seiner Arbeit. Fertig geworden war er zwar um Längen nicht, doch zumindest hatte er sich heute einen Überblick verschaffen können.
Ganz in seinen Gedanken versunken schnappte sich Jasper seine Wasserflasche und schlurfte die Treppe nach unten. Das Getränk war schon vor Stunden leer gegangen, doch Jasper war zu faul gewesen, nach unten zu gehen und eine neue zu holen.
Nun sollte sein Vater aber gleich nach Hause kommen und Jasper sehnte sich nach einem warmen Abendbrot.
Im Kühlschrank hatte er bereits eine Schüssel kalte Nudeln von gestern entdeckt und nun überlegte er, was man dazu für eine Soße machen konnte.
Er hatte gerade damit begonnen, den Knoblauch zu schneiden, als er hörte, wie sich in der Haustür ein Schlüssel drehte.
Schnell wischte sich Jasper die Hände an einem Küchentuch ab. Knoblauch war zwar lecker, doch der Geruch klebte auch noch Tage später an den Händen.
Lilia würde jetzt sagen, dass es mir heute die Vampire vom Leib halten wird, dachte er mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
„Jasper?", fragte Jim Wittig, kurz nachdem sich die Haustür geöffnet hatte. Seine Stimme klang aufgeregt und brüchig. Als hätte er sich schon stundenlang unterhalten.
„Ja?", fragte Jasper angespannt und stellte sich zu seinem Vater in den Flur. Da er den ganzen Nachmittag oben gewesen war, brannte im Hausflur noch keine Lampe.
Ein leichter Wind ließ den Baum vor ihrem Haus leise gegen das Fenster schlagen. Die Kälte, die Jim durch das Öffnen der Tür von draußen hineingebracht hatte, ebbte gerade ab.
Es war die perfekte Halloween-Stimmung.
Nur Jim Wittigs Laune passte nicht dazu. Er sah unfassbar müde aus und seine Haltung verriet Jasper, dass sein Vater nicht zufrieden mit sich war. Auf der Arbeit musste es zu einem Problem gekommen sein.
„Kannst du mir ein Glas Wasser besorgen?", fragte dieser und hängte seine Dienstjacke an einen, an der Wand befestigten, Haken. „Ich habe seit Stunden nichts getrunken."
„Was hast du denn den ganzen Tag gemacht?" Sein Sohn war bereits wieder in die Küche gegangen und suchte nach einer neuen Wasserflasche.
Jim verschwand im oberen Stockwerk und kam nach wenigen Minuten in gemütlichen Klamotten wieder nach unten. Sein Sohn hatte sich mit dem Wasserglas im Wohnzimmer positioniert.
„Was hast du den ganzen Tag gemacht?", wiederholte Jasper seine Frage und fühlte sich ein klein wenig schlecht. Sein Vater hatte heute offensichtlich keinen Spaß gehabt und nun wurde ihm nicht eine einzige Minute Frieden gegönnt.
Doch Jasper war zu neugierig. Und er spürte, dass irgendetwas faul war.
Jim trank das Glas in einem Ruck aus, setzte sich auf das Sofa und vergrub das Gesicht in den Händen. „Wir haben den Bunker gefunden."
„WAS?" Jaspers Augen weiteten sich. „Den Bunker des Försters?"
Nur am Rande nahm er wahr, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Er war aufgeregt.
Sein Vater nickte nur knapp. Obwohl der Fund des Bunkers eigentlich ein Meilenstein hätte sein sollen, schien die Entdeckung der Polizei nicht zu gefallen.
Nun war Jaspers Interesse erst recht geweckt. Er schenkte seinem Vater nach, da er vorausgedacht hatte, und gleich die ganze Flasche mitgenommen hatte. Dann setzte er sich ihm gegenüber auf den großen, braunen Sessel.
„Kannst du mir ein bisschen mehr darüber erzählen?"
„Es war schrecklich." Jim nahm sein Wasserglas und beäugte die klare Flüssigkeit. „Gegen Mittag hat eine Kollegin die Bodenluke mit Vorhängeschloss mitten im Wald gefunden und gemeinsam haben wir es aufgebrochen." Nun trank Jim einen Schluck.
„So weit, so gut", kommentierte Jasper langsam. „Aber das sagt mir nicht, warum du jetzt so schlecht drauf bist."
„Der Bunker war leer."
„Wie, leer?" Fragend positionierte er seinen Arm auf der Sessellehne und stützte damit seinen Kopf.
„Leer." Jim kniff die Augen zusammen, wie ein Baby, was zu lange in die Sonne gesehen hatte. „Alle Möbelstücke, von denen Hans Verhaag in seinem Video erzählt hat. All das Essen, was sie dort gelagert hatten. Und vor allem die zwei Mädchen. Celine und Martha. Sie waren nicht auffindbar."
Jasper verstand die Welt nicht mehr. Seine Freunde und er waren sich so sicher gewesen, dass sie im Bunker auf Antworten treffen würden, und nun war er leer.
Einfach leer.
„Aber, dass muss bedeuten, dass der Förster von eurem Plan wusste."
„Was nicht weiter verwunderlich ist. Die ganze Stadt wusste davon", antwortete Jim sofort. „Die Geschichte über den Förster hat sich schnell herumgesprochen. Es schränkt die Verdächtigen nicht weiter ein."
„Na ganz toll." Jasper riss sich seine Brille vom Gesicht und rieb sich über die Augen. Plötzlich spürte auch er die aufsteigende Müdigkeit.
„Morgen gehen wir noch einmal in den Bunker und sehen nach, ob man noch irgendwelche Fingerabdrücke entnehmen kann. Doch es sieht schlecht aus. Obwohl wir den Bunker gefunden haben, sind wir nicht weitergekommen."
Jasper konnte noch immer nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. „Ihr habt wirklich gar nichts entdeckt? Nicht mal eine alte Plastiktüte, oder eine Stecknadel?"
„Doch", sagte Jim müde. „Eine Sache haben wir schon gefunden."
„Ja?", fragte Jasper gespannt.
„Einen Zettel."
„Na super. Lass mich raten. Dort stand: Findet den Förster, sonst werden Maleas, Lanis und Hans' Blut zu eurem Blut. Oder doch lieber der neue Lieblingsspruch des Sprüche-Schreibers: Die Schüler sind involviert?"
Jim lachte trocken. „Schön wär's. Nein. Dieses Mal hat uns der Förster in der schlimmsten Art veralbert. Auf dem Zettel stand: Happy Halloween!"
„Das ist ein Scherz." Jasper schnaubte. „Er hat nicht nur geahnt, dass ihr seinen Bunker suchen kommt, er hat es darauf angelegt, dass ihr ihn findet. Und zwar heute."
„Ja. Der Förster war auf jeden Fall vorbereitet gewesen."
„Und was habt ihr jetzt vor?" Jasper konnte sich nicht vorstellen, dass es bereits einen Plan B gab. Der Bunker hätte ihre Informationsquelle sein sollen. Stattdessen war die Aktion ein großer Reinfall gewesen.
„Morgen beraten wir uns. Heute Abend hatte keiner mehr die Nerven dazu." Jim stand auf und streckte sich. „Ich gehe dann mal ins Bett. Bleibst du noch auf?"
„Ich wollte mir noch Nudeln machen."
„Oh, lecker. Machst du mir was mit?"
„Klar."
Während Jasper in der Küche am Werkeln war, besuchte sein Vater das Bad und verschwand dann in seinem Schlafzimmer. Als Jasper kurze Zeit später mit dem Essen nach oben kam, fand er Jim im Bett liegend. Eine Hand hatte er unter sein Kinn gestützt und es schien, als hätte er versucht, um jeden Preis wach zu bleiben. Doch es hatte nicht geklappt.
Jim schlief ruhig wie ein Baby.
Jasper lächelte, als er den dampfenden Teller Nudeln neben seinem Vater abstellte und dann die Rollläden nach unten zog. Das Essen würde er wohl nicht mehr essen, doch der Junge gönnte seinem Vater den Schlaf.
Er war stolz auf dessen Arbeit. Denn auch wenn die Polizei an diesem Tag nicht sonderlich erfolgreich gewesen war, waren sie trotzdem ein paar Schritte weitergekommen. Auch wenn die Mädchen nicht dort gewesen waren, irgendwo würde man sie schon finden.
Und auch wenn Jasper sonst immer so herrlich pessimistisch war, freute er sich nun darüber, seinen Freunden morgen die Botschaft zu überbringen:
Der Bunker wurde gefunden!
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Hey! Ich wünsche euch einen schönen Samstagabend.
Endlich melde ich mich mal wieder persönlich hier in den Kommentaren.
Ich hoffe, euch hat das heutige Kapitel gefallen. Wohin denkt ihr, sind die zwei Mädchen verschwunden? Und wer könnten sie sein? Darüber werden Lilia und Jasper im nächsten Kapitel auch rätseln. Aber bis es soweit ist, müsst ihr wohl selbst überlegen. ;)
Liebe Grüße!
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